
ZeM Mitteilungsblatt Nr. 4 - I/1991
Redaktion: Frieder Janus und Hubert Arnolds
Frieder Janus
Messeneuheiten?
Beim Besuch der diesjährigen Frankfurter Musikmesse konnte man
feststellen, daß keine wirklichen Neuheiten vorgestellt wurden. Dies
kann, bei genauerer Betrachtung, als positiv angesehen werden. Wer kann
von sich schon behaupten, seine Instrumente absolut sicher bedienen zu
können. Wer hat auch nur eines seiner Geräte wirklich ausgereizt?
Gerade im letzten Jahr wirkte die Vorstellung neuer Synthesearten fast
schon bedrohlich. AFM, Wave Sequencing, Wave Tables - kaum ein Verkäufer
konnte seinen Kunden ausreichende praxisnahe Informationen zu diesen Klangerzeugungsarten
liefern. Und wer die mitgekauften Presets abscheulich findet, muß
nun einmal Mühe und Zeit aufwenden und selbst Hand anlegen, um an
die ganze Soundpalette heranzukommen, die ihm das Gerät bietet. Daß
nur ein geringer Teil der Elektroniker so mit ihren Geräten umgehen,
wissen auch die Hersteller und Händler. Diejenigen, welche zudem nach
neuer Soundtechnologie trachten, haben es nicht leicht, in ihrem Rack noch
einen Platz für den neuen Expander zu finden. Sicher ist aber, daß
die Hersteller ihre Verkaufsstrategie in naher Zukunft nicht ändern
werden.
Erfreulich wenigstens, daß manche Hersteller ihre Synthesearten
ansatzweise modifizierten. Besonders kundenfreundlich erwiesen sich die
Konzepte der Firmen Peavey und Waldorf, die ihre Kunden mit einem Update
zufriedenstellen konnten. Ärgerlich dagegen das Marktkalkül von
Yamaha, den SY 77 nicht weiterzuentwickeln, sondern die verbesserte Sounderzeugung
nur in einem neuen Gerät, dem SY 99 anzubieten.
Leider tendieren die Hersteller immer noch dazu, ihre Produkte in einer
Weise zu präsentieren, die eher an einen musikalischen Rummelplatz,
als an eine informationsreiche Vorstellung heranreicht. Stellt man, naiv
wie man sich in den ersten Stunden des Messebesuches noch gibt, eine detaillierte
Frage, die von 'Haben Sie noch einen Prospekt?' auch nur leicht abweicht,
treten bei dem mit einem Minirock bekleideten Gegenüber panikartige
Verhaltensweisen auf. Oft reicht es gerade noch zu der reflexartigen Gegenfrage
'Ja haben Sie denn einen Termin?' Es bedurfte einer gewissen Hartnäckigkeit,
um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Sicher kamen nicht
nur wir zu der Überzeugung, daß Auskünfte über neue
Produkte besser beim Fachhändler als auf der Messe einzuholen sind.
Für uns war der diesjährige Besuch der Frankfurter Musikmesse
in ganz anderer Hinsicht lohnenswert. Es konnten zu einigen Softwareherstellern
Kontakte geknüpft und intensiviert werden. Erfreulich dabei vor allem
die Aufgeschlossenheit gegenüber unserer Arbeit und unseren Zukunftsplänen.
Mehrere Firmen sagten spontan ihre Unterstützung zu. Für den
einzelnen war dieses Jahr also weniger ein Koffer voll Prospekte angesagt;
dafür aber unsere Genugtuung darüber, einen Anfang gefunden zu
haben, die Vereinsarbeit von ZeM einigen Firmen stärker ins Bewußtsein
gerückt zu haben. So gesehen hat sich die Fahrt nach Frankfurt für
ZeM mehr als gelohnt.
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Rainer Fiedler
Das neue ZeM-Archiv
Seit Januar 1991 besteht ein Archiv, zugeschnitten auf Bedürfnisse
von ZeM-Mitgliedern oder anderen soundorientierten Insidern, die mehr über
elektronische Musik wissen wollen. Es befindet sich in einer Privatwohnung
in der Straße "Am Schneckengraben 9".
An dieser Stelle möchte ich das Archiv näher vorstellen und
weitere Möglichkeiten zur kreativen Betätigung im Archiv bekanntgeben:
1. Bibliothek: Ein detailliertes Literaturverzeichnis wird umgehend
jedem ZeM-Mitglied zugänglich gemacht werden. Die Bibliothek gliedert
sich in die Bereiche E-Musik/Musik allgemein/ Naturwissenschaft/Computergrafik/Chaosforschung
und Mathematik als ein spezieller naturwissenschaftlicher Bereich. Desweiteren
liegen zusätzlich noch diverse Sammelmappen zu den obigen Bereichen
vor. All dies kann ausgeliehen werden.
2. Discothek: Ein Verzeichnis der Schallplatten ist in Arbeit; die Platten
können im Archivraum gehört werden.
3. Tapes (Kopien) von ZeM-Mitgliedern und bekannten Elektronikern (z.B.
J.CAGE, FROESE u.a.) können ebenfalls im Archiv konsumiert werden.
Die Cassetten der ZeM-Mitglieder bieten (bei Vollständigkeit!) ein
Spektrum über die kreative Bilanz unseres Vereins.
4. In Planung: Videothek.
a) Videotapes von Nicht-ZeM-Soundereignissen und Lernprogrammen etc.
b) Ab Mai 1991 ist es möglich, daß Ausschnitte von ZeM- Konzerten/-Vorträgen
und -Workshops videografiert und archiviert werden.
5. Im Archiv besteht auch generell die Möglichkeit zur kreativen
Betätigung hinsichtlich der Soundherstellung. Dafür und auch
zum Kennenlernen stehen bereit:
a) Yamaha 40M, duophon (analog)
b) Korg Wavestation
c) Atari ST 1040 u. Amiga (MouseMusic)
d) Apple Mountain Music System
e) Software zum Erstellen eigener Sound-Libraries
Über jede Erweiterung des Archivs in materieller und geistiger
Art bin ich dankbar, es profitieren alle Mitglieder davon, andere werden
vielleicht darauf neugierig.
Das Archiv hat feste Öffnungszeiten:
Montag - Freitag 19-20.30 Uhr und
Samstag 18-20.00 Uhr,
sowie nach telefonischer Vereinbarung.
ZeM-Archiv (Rainer Fiedler)
Am Schneckengraben 9
7800 Freiburg
Tel: 0761/891229
[aktuelle Infos unter ZeM.de/archiv Anm. d. R.]
Endlich - ein eigenes ZeM - Ambiente
Ab Ende
April 1991 steht ZeM ein eigener Raum zur Verfügung, groß genug
und jederzeit für Mitgliedertreffen und Soundausstellungen nutzbar.
In Haus Höllenstraße 21 entsteht derzeit die Galerie COM/ART,
eine Galerie für Computerkunst. Es werden regelmäßig Ausstellungen
stattfinden, geplant sind auch Videoinstallationen und Videocollagen.
Hierzu erscheint zukünftig auch ein Mitteilungsblatt "COM/ART", das
über Erfahrungen in diesen Bereichen berichten wird. Spätestens
bis Sommer 91 ist es auch vorgesehen, daß in dieser Galerie regelmäßig
ZeM-Treffen und Soundausstellungen stattfinden. Dadurch wird Mitgliedern
ein Forum geboten, ihre Produktionen auch einmal ausführlicher darzubieten.
Vier Aktiv-Boxen und ein 4-Spur-Gerät sind hierfür vorhanden.
Direkt anschließend, neben dem Galerieraum, wird ab Mai (die Verhandlungen
darüber sind im Gange) für ZeM ein zusätzlicher Raum zur
Verfügung stehen. Er ist vor allem für Workshops und sonstige
Lehreinheiten über elektronische Musik gedacht. Eine weitere erfreuliche
Information für die kommende Sommerzeit: Im Garten des ZeM-Archivs
und der Galerie COM/ART werden Treffen und Sessions auch der gemütlichen
Art stattfinden, um ZeM-Aktivitäten zu präsentieren und anzuregen.
(Bild: Rainer Fiedler im ZeM Ambiente "COM/ART" 1991 d. Red.)
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Dr. Walter Birg
Antwort und Diskussion der 12
Thesen von Dr. Josef Otto Mundigl zur Elektronischen Musik
Zunächst sollen die zwölf Thesen in geraffter Form noch einmal
zitiert werden.
Dabei ist zu erkennen, daß mindestens These 1 aus 3 Teilthesen
besteht, die hier einzeln behandelt werden sollen:
1a) Die Elektronische Musik (im folgenden mit EM abgekürzt) muß
sich gegen die Instrumentalmusik abgrenzen.
1b) Es ist sinnlos, Klangfarben zu imitieren.
1c) Es soll kein unreflektiertes Übernehmen der Tonalität
geben.
2) Tonreihen werden durch Klangfarbenmodulationen ersetzt.
3) Es soll eine neue stringente Korrelation zwischen Material und Form
geben.
4) Die Reihengesetze des Serialismus sollen angewendet und durch den
Einbezug logischer und mathematischer Funktionen erweitert werden.
5) Der Komponist muß in die Lage gesetzt werden, die Mikrostruktur
der
Klänge planmäßig und radikal zu ändern.
6) Aufgabe des Komponisten ist es, das Material bis zu seiner Erschöpfung
auszuloten. Neues Material ist nur unter Berücksichtigung der Gesamtkonzeption
der Komposition erlaubt.
7) Die EM soll sich von der herkömmlichen Kunstmusik (in der das
Prinzip
der Wiederholung herrscht) durch das Prinzip der Veränderung unterscheiden.
8) Die Entstehung einer freien Zeitgestalt der Komposition entsteht
durch
die Autorität des Komponisten. Ein Rhythmus ist überflüssig,
kann sich jedoch ergeben.
9) Die herkömmlichen Musiktheorien sind nur mit Skepsis anzuwenden.
10) Die EM soll in konzertanter Form eine Verbindung mit dem Orchester
eingehen.
11) Es muß "interpretierbare" Kompositionen von EM geben.
12) Keine Regel soll allgemeinverbindlich sein. Imitationen und Kopien
irgendwelcher Systeme sind abzulehnen.
Soweit die Thesen von Josef Otto Mundigl in meiner gekürzten Fassung.
Ich hoffe, ich habe durch die Kürzung nicht zu viele Mißverständnisse
erzeugt.
Zunächst möchte ich bemerken, wie gut ich es finde, daß
ein Komponist Elektronischer Musik solche Thesen aufstellt. Schließlich
gibt man damit sein persönliches künstlerisches Credo kund. Meine
Hochachtung daher!
Dennoch: Da die Thesen ausdrücklich zur Diskussion gestellt sind
und es uns allen um die Sache der Musik und um nichts anderes geht, möchte
ich - und ich kann nur in meinem eigenen Namen sprechen - bei einigen Punkten
Kritik anmelden.
Zunächst aber die Punkte, in denen ich voll beipflichten kann:
Mit den Thesen 1c), 5),9), 10), 11) und 12) stimme ich voll überein.
Dies allerdings sind die Thesen, die zumindest teilweise den anderen widersprechen,
z.B. These 4), d.h. vollkommene Determiniertheit im Gegensatz zu These
12) d.h. keine Regel allgemeinverbindlich.
Oder 10) Verbindung von EM mit Orchester widerspricht zumindest partiell
These
1) Abgrenzung gegen Instrumentalmusik.
Auch in der These 3) sehe ich partiell einen Widerspruch zu These 8).
Wie soll eine freie Zeitgestalt resultieren aus einer engen Korrelation
zwischen Material und Form?
Die Thesen 1a), 1b), 2), 4), 6) und 7) halte ich für geradezu falsch.
Dies möchte ich folgendermaßen begründen - wie gesagt,
dies ist meine persönliche Meinung und ich respektiere selbstverständlich
auch diametral entgegengesetzte Meinungen - es gibt viele Wege nach Rom:
Zu These 1a) Warum soll sich EM gegen die Instrumentalmusik abgrenzen.
Abgrenzung bedeutet doch auch, auf Freiheiten zu verzichten. Und dies nachdem
wir zum erstenmal in der Musikgeschichte völlige Freiheit erlangt
haben! - Bitte nicht schon wider eine neue Begrenzung und sei es auch nur
dadurch, daß es in der EM z.B. keine streicherartigen Klänge
geben darf, entsprechend These 1).
Zu These 1b) Ich halte es nicht für sinnlos, Klangfarben zu imitieren,
da die
Klangfarben des Orchesters von hohem ästhetischem Reiz sind. Wenn
dann dazu die Möglichkeit des mikrotonalen Spielens kommt, können
gerade diesen gut bekannten Klängen neue Dimensionen eröffnet
werden.
Zu 2) Musik ist nicht nur Klangprozeß - sie ist auch Architektur.
Daher kann man sich gute Musik auch ohne Klangfarbenmodulation vorstellen.
Zwar möchte ich die Möglichkeit der Klangfarbenmodulation nicht
missen - selbstverständlich, jedoch dieses strikte Gebot grenzt mir
die Freiheit zu sehr ein.
Ein Gleiches gilt für These 4). Jetzt, wo wir endlich die Freiheit
haben, jeden Klangprozeß und jedes Geräusch in unsere Musik
einzubauen, mit beliebiger Skala und beliebigem Timing, Phrasierung usw.
- jetzt sollen wir uns wieder in das Prokrustesbett der Serialität
hineinzwängen, wenn auch durch "Gesetze der Mathematik und Logik"
angereichert. Bitte - nicht schon wieder mit einer wohlgemeinten Ideologie
die Freiheit beschneiden!
Zu These 6) Vorhandenes Material bis zu seiner Erschöpfung auszuloten
ist sicher reizvoll - jedoch sicher nicht die beste Möglichkeit, Phantasie
und neue Ideen einzubringen.
Zu These 7) Da die EM gerade durch ihre Neuartigkeit und auch Fremdartigkeit
besondere Anforderungen an die HörerInnen stellt, ist ein dogmatisches
Verbot von Wiederholungen meiner Meinung nach fehl am Platz.
Wenn ich Elektronische Musik mache, tue ich das, weil ich neue Klangmöglichkeiten
suche - Klänge und Klangprozesse, die ich mit dem herkömmlichen
Instrumentarium nicht habe und weil ich eine neue Architektur von Kompositionen
realisieren kann, die bisher aus technischen Gründen nicht möglich
war. Aber deshalb sollten wir nicht alles, was uns von unserer großen
Musikkultur überliefert wurde, total ablehnen, sondern wirklich genau
prüfen, was noch tragfähig ist. Obwohl ich auch über andere
Stimmungssysteme viel nachgedacht und auch Musikstücke mit mikrotonalen
Skalen gemacht habe, sollten wir es uns gut überlegen, ob wir z.B.
diese einmalige "temperierte Stimmung" zum alten Eisen der Musikgeschichte
werfen sollten. Diese Teilung der Oktave stellt für mich einen wahren
Fund der Menschheit dar - durchaus im Sinne eines großen Naturgesetzes.
Kunst ist Spiel, und Spiel braucht Regeln. Diese Regeln jedoch sollte
jeder, der Kunst schafft, sich selbst geben und nicht einem Regelsystem
eines anderen entnehmen. Daher möchte ich auch mein (derzeitiges)
künstlerisches Credo, das ich hier abgelegt habe, durchaus nur auf
mich beschränken. Toleranz - ist wie ich glaube - besonders in der
Musik wichtig. Daher, lieber Herr Mundigl, achte und respektiere ich Ihre
Thesen und Regeln, nach denen Sie Ihre Musik gestalten - obwohl ich zum
Teil anderer Meinung bin.
Artikel von Dr. Josef Otto Mundigl → 12
Thesen zur Elektronischen Musik in ZeM Nr. 3
↑
Dr. Joachim Stange-Elbe
Elektronische Musikinstrumente.
Ein historischer Rückblick mit zeitgenössischen
Dokumenten.
1. Teil: Die Prophezeiung eines "Technikers".
Nachdem Hermann von Helmholtz die Zusammensetzung und damit verbundene
Charakteristika der Klangfarbe eines Tones durch sein Obertonspektrum theoretisch
erfaßt hatte, konnte man ahnen, daß "das klangliche Element
an Reichthum und Unerschöpftheit die anderen musikalischen Elemente
weit hinter sich lassen muß". Diese Feststellung wurde von einem
Autor in der "Zeitschrift für Instrumentenbau" im Jahr 1887/1888 getroffen,
der als "Techniker" unterzeichnet hat. Der kurze Artikel ist "Elektricität
und Musik" betitelt. Bemerkenswert sind die Autorenschaft, die Folgerung
aus Helmholtz' Theorie und die sympathische Unvoreingenommenheit des Technikers
im Blick auf musikalische Probleme.
Mit Sicherheit kann angenommen werden, daß es sich bei dem "Techniker"
um keinen Autorennamen handelt. Man kann aber davon ausgehen, daß
dieser Artikel von einem oder mehreren Technikern mit musikalischen Kenntnissen
verfaßt wurde. Dies ist um so bedeutungsvoller, da die Impulse für
die in der Folgezeit entwickelten elektrischen Musikinstrumente fast ausschließlich
von Elektrotechnikern oder Physikern ausgingen, die nicht nur die Prinzipien
der neuen Klangerzeugung praktisch verwirklichten, sondern auch neue Spielmöglichkeiten
zur Diskussion stellten. Diese Tendenz hat sich im Laufe der Zeit und gerade
heute in der noch jungen Entwicklung der Computermusik nur bestätigt.
Die Scheu der ausführenden Musiker vor der elektrischen Klangerzeugung,
vornehmlich im Bereich der traditionellen Musikkultur, hat sich bis heute
erhalten.
Den Erprobungen und Entwicklungen der Techniker im Bereich der elektrischen
Klangerzeugung korrespondierte in der Vergangenheit die Unvoreingenommenheit,
mit der sie an musikalische Ereignisse herangingen. Befreit von traditionellen
Verpflichtungen und musikhistorischen Denkweisen, mit denen jeder produzierende
und besonders reproduzierende Musiker konfrontiert ist, konnten die Techniker
wesentlich freier mit den neuen Klangerzeugungsmöglichkeiten und ihren
musikalischen Konsequenzen umgehen: Weil es im Bereich dieser Klangerzeugung
noch keine Tradition gab, wurden die anfänglichen Experimente zunächst
ohne Vorbehalte durchgeführt; daß bei aller ungehemmten Experimentierfreudigkeit
hierbei manch musikalisch unzureichender Irrweg begangen wurde, läßt
sich aus der weiteren Entwicklung auch ablesen.
Zutreffend stellt der "Techniker" fest, daß uns dieser "neue klangliche
Schatz" verschlossen bleibt, solange wir "nur die wenigen Klänge,
die wir zufällig erzeugen können,... verwerthen, statt in freier
Weise beliebig viel Töne zu Klängen zusammenfügen zu können".
Die bisherigen Instrumente mit ihrer trägen, zum Klingen gebrachten
Materie sind für einen variablen, in raschem Wechsel veränderbaren
Klang nicht das geeignete Medium. Der Autor hält hier die Elektrizität
als das geeignete Mittel für eine freie Klangbeherrschung:
"Die[se] Möglichkeit... scheint aber nur auf der Anwendung der
Elektricität zur Erzeugung des Tones zu beruhen, und wenn wir sehen,
wie durch die Elektricität im Telephon die Wiedergabe so vieler Klangverschiedenheiten
möglich gemacht wird, so muss sich unsere Hoffnung für die freie
Beherrschung des Klanges naturgemäss auf die Elektricität richten".
Können diese "Klangverschiedenheiten" der noch technisch unzureichenden
Telephonübertragung angelastet werden, so sieht der Techniker dieses
Manko unter einem positiven produktiven Prozeß musikalischer Verwendbarkeit:
"Die Elektricität vermag jene Fülle gleichzeitiger Bewegungen,
wie sie der Klang bedingt, wiederzugeben, man wird mit ihr dieselbe darum
auch erzeugen können, und wenn wir erst dahin gekommen sind, musikalische
Töne mittels Elektricität zu erzeugen, dann werden wir auch bald
weiter dahin kommen, dass wir diesen Tönen beliebige Klangfärbungen
geben können".
Wie diese Tonerzeugung praktisch durchgeführt werden soll, bleibt
unerwähnt; erst mußten die akustischen Möglichkeiten der
Elektrizität weiter entwickelt werden. Doch auch hierin ist der Autor
Optimist:
"Jedenfalls dürfen wir... festhalten, dass die freie Erzeugung
des Klanges durch die Elektricität ermöglicht erscheint und dass
dann mit der Anwendung der Elektricität in der Musik diese Kunst in
eine ganz neue Entwicklungsphase treten wird".
Dieser bislang früheste Beleg über die Möglichkeiten
der elektrischen Klangerzeugung sei wegen seiner Aktualität hier vollständig
wiedergegeben.
Elektricität und Musik.
Der Künstler ist im Allgemeinen wenig geeignet, die Abhängigkeit
seiner Kunst von den Mitteln, durch welche er den künstlerischen Gedanken
ausdrückt, und zumal von den technischen Mitteln anzuerkennen. Gewiß
ist ja, daß der Maler nicht dadurch besser wird, daß er theuere
Farben, bessere Zeichnungs-Materialien, bessere Pinsel braucht, und gewiß
ist auch, daß der Fortschritt, den die Herstellung der Farben und
des Malergeräthes gemacht hat, nicht darum auch bessere Maler erzeugt
hat, als es die alten Italiener und Niederländer waren, die ihre Farben
noch selbst herstellen mußten. Aber dennoch darf man den Satz aufstellen,
daß die Kunst sich auch durch die Verbesserung ihrer technischen
Mittel entwickelt, und dies gilt vielleicht für keine Kunst im höheren
Grade wie für die Musik. Darüber wird man sich nicht wundern,
wenn man die eigenartige Stellung der Musik unter den Künsten recht
in's Auge faßt, welche sich von den anderen Künsten in einem
sehr wichtigen Punkte unterscheidet. Während nämlich die anderen
Künste, und die Architektur nicht ausgenommen, sich an dem Studium
der Natur heranbildeten und weiterentwickeln, weil diese ihnen unerschöpflich
neue Vorbilder lieferte, konnte die Musik aus der Natur gar nichts für
sich gewinnen, denn die wenigen musikalischen Erscheinungen, welche die
Natur bietet, können das musikalische Empfinden des Menschen nicht
wecken, nicht fördern. Erst als der Mensch es lernte, musikalische
Töne zu erzeugen, erst als eine, wenn auch noch so unentwickelte Technik
ihm die Mittel an die Hand gab, Töne und Tonformen nach Belieben rein
hervorzubringen und zu belauschen, da erst war dem Menschen die Möglichkeit
geschaffen worden, die Schönheit der Musik zu empfinden und weiter
zu bilden. Von diesen Anfängen aus hat sich die Musik immer an der
Hand des Fortschritts, welchen die technische Erzeugung des Tones gemacht
hat, weiter entwickelt und sie wird dies auch in Zukunft weiter thun, sobald
die Technik ihr neue Tongebiete erschließt. Wie dies geschehen kann,
das hier in Kürze zu zeigen, soll die Aufgabe dieser Darstellung sein.
Der musikalische Ausdruck, wie er heute ist, setzt sich zusammen aus
vier Elementen, aus dem melodischen, dem harmonischen, dem rhythmischen
und demjenigen, welches die Stärke des Tones und des Tongebildes betrifft,
dem dynamischen. In früheren Zeiten, wo die Mittel der Tonerzeugung
noch unentwickelt waren, kamen hauptsächlich Melodie und Rhythmus
in Betracht und das harmonische Element konnte sich erst entwikkeln, als
die Schwierigkeiten für die gleichzeitige Erzeugung mehrerer Töne
überwunden waren.
Zuerst war es wohl die Orgel, welche die Erzeugung harmonischer Tongebilde
ermöglichte, und wenn daher die Weiterentwicklung der Musik sich zumeist
in der Kirchenmusik geltend machte, so ist dies wohl dem Umstande zuzuschreiben,
daß durch Jahrhunderte hindurch die Orgel das einzige polyphone Instrument
blieb.
Zu den Mitteln nun, welche die Musik für den Ausdruck des künstlerischen
Empfindens hat, gesellt sich noch ein fünftes, welches dermaleinst,
wenn es frei beherrscht werden kann, das erste werden wird, der Klang.
Schon heute kennen wir ja den Zauber des Klanges, der für die Musik,
was Farbe und Colorit für die Malerei ist. Aber wie ärmlich sind
heute unsere Mittel, den Klang in seinem unendlichen Reichthum hervorzurufen,
und warum? Weil unsere technischen Mittel nicht ausreichen. Wir wissen
durch Helmholtz, wodurch der Klang entsteht, daß er sein Entstehen
dem gleichzeitigen Ertönen vieler Töne verdankt, und wir können
daraus schließen, daß das klangliche Element an Reichthum und
Unerschöpflichkeit die anderen musikalischen Elemente weit hinter
sich lassen muß. Aber so lange wir noch darauf angewiesen sind, nur
die wenigen Klänge, die wir zufällig erzeugen können, zu
verwerthen, statt in freier Weise beliebig viel Töne zu Klängen
zusammenfügen zu können, so lange bleibt uns dieser Schatz verschlossen.
Die Töne, wie wir sie heute erzeugen, entstehen durch mechanische
Einwirkungen unsererseits auf klingende, feste Körper, oder, wie bei
den Blas-Instrumenten, auf Luftsäulen. Die Obertöne welche hierbei
entstehen, stehen nur in sehr beschränktem Maße in unserer Gewalt
und wir werden auch kaum hoffen können, daß wir in dieser Beziehung
eine größere Macht gewinnen, so lange wir noch unmittelbar durch
mechanische Mittel den Ton hervorrufen müssen. Denn wir vermögen
die mechanischen Verhältnisse, von denen die Entstehung der Töne
und Obertöne abhängt, nur im beschränkten Maße und
nicht in raschem Wechsel abzuändern, welche die Kunst des Klanges
erfordern würde, und so lange wir nicht die Mittel haben, welche uns
gestatten, Töne zu jeder Zahl und Stärke zu erzeugen, so lange
bleiben die Herrlichkeiten des Klanges uns unerreichbar. Die Möglichkeit
einer solchen freien Beherrschung der Tonerzeugung scheint aber nur auf
der Anwendung der Elektricität zur Erzeugung des Tones zu beruhen,
und wenn wir sehen, wie durch die Elektricität im Telephon die Wiedergabe
so vieler Klangverschiedenheiten möglich gemacht wird, so muß
sich unsere Hoffnung für die freie Beherrschung des Klanges naturgemäß
auf die Elektricität richten.
Die Elektricität vermag jene Fülle gleichzeitiger Bewegungen,
wie sie der Klang bedingt, wiederzugeben, man wird mit ihr dieselbe darum
auch erzeugen können, und wenn wir erst dahin gekommen sind, musikalische
Töne mittelst Elektricität zu erzeugen, so werden wir auch bald
weiter dahin kommen, daß wir diesen Tönen beliebige Klangfärbungen
geben können. Wir wollen hier unerörtert lassen, wie man sich
eine solche Tonerzeugung denken kann. Die Zukunft wird uns noch manche
Entdeckung bringen, welche uns neue mechanische Wirkungen der Elektricität
lehrt, und wir dürfen hoffen, daß auch die akustischen Wirkungen
der Elektricität noch Erweiterungen erfahren werden. Jedenfalls dürfen
wir daran festhalten, daß die freie Erzeugung des Klanges durch die
Elektricität ermöglicht erscheint und daß dann mit der
Anwendung der Elektricität in der Musik diese Kunst in eine ganz neue
Entwicklungsphase treten wird.
(Techniker.)
Vor diesem Hintergrund wird eine nähere Betrachtung der ersten
elektrischen Instrumente zeigen, daß ihre Entwicklung und Funktionsweise
des Klangerzeugungs-, Klangmanipulations- und Spielprinzips eine enge Verwandtschaft
mit den heutigen Synthesizern aufweist. Vergangenheit und Gegenwart geben
sich hier die Hand.
Nachstehend sei eine kurze chronologische Übersicht über die
Entstehungsdaten der wichtigsten Instrumente gegeben:
Mechanisch-elektrische Klangerzeugung
1862 |
Helmholtz' Buch "Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische
Grundlage für die Theorie der Musik"
|
1884 |
Der Engländer Boyle schlägt ein Klavier mit elektrischer
Tonerzeugung vor (es ist unklar, ob dieses Prinzip durchgeführt wurde)
|
1885 |
Eine ähnliche Schaltung wird von einem Deutschen namens Lorenz
bekannt
|
1896 |
Justizrat Dr. Richard Eisenmanns elektromagnetisches Klavier |
1930 |
Der Neo-Bechstein-Flügel von Geheimrat Prof. Dr. Walter Nernst
und den Firmen Bechstein (mechanische Teile) und Siemens (elektrische Teile)
|
1931 |
Das Elektrochord von Oskar Vierling |
Rein-elektrische Klangerzeugung
1900 |
Duddells tönender Lichtbogen |
1911 |
W. Burstyn konstruiert ein elektrisches Musikgerät, basierend
auf Duddells Prinzip
|
1915 |
Lee de Forest führt die Elektronenröhre als Klangerzeuger
ein
|
1924 |
Patenterteilung für die Instrumente von Leon Theremin, und Friedrich
Trautwein
|
1925 |
Patenterteilung für Jörg Mager; zur gleichen Zeit entstand
sein Spährophon
|
1930 |
Das Hellertion von Bruno Helberger und Peter Lertes |
Die elektrischen Instrumente lassen sich, gekennzeichnet durch die Hervorbringung
ihres Klanges, in zwei Gruppen mit rein elektrischer und mechanisch-elektrischer
Klangerzeugung unterteilen. Bei der letzteren Gruppe ist noch ein traditionelles
Musikinstrument der eigentliche Klangerzeuger, die Elektrizität übernimmt
hier nur klangmanipulierende Aufgaben. Diese Art des Einsatzes der elektrischen
Schwingungen bildete notgedrungen auch den Anfang dieser neuen Klangerzeugung.
Da es noch keine einsatzfähigen Lautsprecher gab - obgleich das Prinzip
theoretisch schon bekannt war -, mußte der Klang über die Resonanz
des jeweiligen Musikinstrumentes hörbar gemacht werden.
Die nächste Folge des historischen Rückblickes befaßt
sich daher mit Eisenmanns und Vierlings Klavierkonstruktionen. Zur Veröffentlichung
kommen hierbei wieder zeitgenössische Texte und auch Schaltpläne.
1. Teil: Die Prophezeiung eines
"Technikers" - ZeM
Nr. 4 (I/1991)
2. Teil: Das elektrisch manipulierte
Klavier - ZeM
Nr. 6 (1/1992)
3. Teil: Der elektrisch erzeugte
Klang - ZeM
Nr. 10 (März 1993)
4. Teil: Musik aus Luft - ZeM
Nr. 11 (Juni 1993)
5. Teil: Sphärenklänge
- ZeM Nr. 14
(April 1994)
6. Teil: Saitenspiele (1)
- ZeM Nr. 15
(September 1994)
6. Teil: Saitenspiele (2)
- ZeM Nr. 16
(Januar 1995)
↑
Klaus Weinhold
Ein noch kurzes Kapitel
Fast 2 Jahre Verein für Elektronische Musik und
8 Jahre regelmäßiger Aufführungen von
Elektronischer Musik mit studiogefertigten
Cassetten oder in unmittelbarer klassischer
Aufführungsart am aufgestellten
Instrumentarium. Ein kurzer Rückblick, ein
Nachdenken ist vonnöten zur
Standortbestimmung und zum Suchen und
Finden neuer, vielleicht ungeahnter
Möglichkeiten. 1982 waren erste Experimente an
EMS-Synthesizer beendet, der Weg in die
Öffentlichkeit konnte beginnen. Für Juni/Juli
waren in der Stadtkirche Offenburg Konzerte
mit Elektronischer Musik angesagt. Der
Freiburger Komponist U. Kopka brachte jedoch -
für den Schreiber dieser Zeilen unerwartet -
einen damals neuen Jupiter4 mit, um darauf
allein und zusammen mit der großen Orgel zu
spielen. Die Aufführungen entwickelten sich
jedoch aleatorisch, Zusammenspiele der
Ausführenden auf Jupiter4 und Orgel, Alleinspiel
der Finger und Füße auf Jupiter4 und großer
Orgel, teilweise völlig frei sich ergebende
Improvisationen und Soundprozesse. Ein damals
hochaktueller Teisco SX400 kam hinzu, so daß
ein sicher einmaliges und erstmaliges, leider auch
letztmaliges Zusammenspiel von synthetischen
und natürlichen Klängen entstehen konnte. Die
Besucherzahl hielt sich, wie zu erwarten war, in
bescheidenen Grenzen, ein intelligenter Zuhörer
prägte damals den Kommentar
"Soundalchemie", der das Anliegen und die
Ausführung der Person und Instrumente genau
traf.
Im Wintersemester 82/83 wurde erstmals der
Versuch unternommen, in der Aula der PH
"Vorführungen" Elektronischer Musik anzubieten.
Es gab eine Mischung aus Live und
Vorfertigung. Bänder für EMS-Synthesizer und
Teiscos waren vorproduziert, Klavier und Orgel
wurde dazugespielt. Es entstanden aus der
Interaktion von Spieler und Band aleatorische
Soundprozesse. Auch Live-Improvisationen für
AKS wurden angeboten.
1984 fand wiederum in der Aula der PH ein
erstes Wochenende "Electronic Sound" statt.
Das "Programm" des Programms war kein
Programm.... "Programm im herkömmlichen Sinn
gibt es in der experimentellen Elektronischen
Musik nicht mehr. Es gibt sie hier nur noch in
einem neuen Sinn: Programme sind jetzt die
programmierten und damit geordneten
Sounderzeuger und die zu deren Modulation
eingerichteten Steuerprozesse." Quadrophonie
war erstmals angesagt und durchgeführt.
Vorführungen von Synthesizer-Systemen
ergänzten die Abfolge, und eine Live-Vorführung
des damals aktuellen Jupiter8 wurde
eingeschoben.
1985: "Bach-Jahr". Das Thema hieß "Bach -
Metamorphosen, Bach für synthetische
experimentelle Klänge". "Musikalische Partituren
kann man als Programme oder Algorithmen und
somit als Handlungsanweisungen zum Bedienen
mechanischer Musikinstrumente auffassen.
Zugleich sind sie eine komponierte Anordnung
von Daten, die nicht nur vom Menschen,
sondern auch von einem datenverarbeitenden
Computer übernommen und reproduziert werden
können."
Mit diesen Bach-Konzerten war die Frage nach
der Aufführung klassischer Stücke durch
elektronische Instrumente gestellt. Die
Diskussion darüber sollte weitergeführt werden,
besonders in pädagogischer Hinsicht, denn ob in
heutiger Zeit der elektronischen Medien eine
mechanische Reproduktion "handmade" noch
vertretbar ist, scheint mehr als fraglich.
In den folgenden Jahren pendelte sich die
Darbietungsform Elektronischer Musik für den
Raum Aula der PH endgültig ein: Quadrophonie,
Sexophonie, vorgefertigte Produktionen,
Erläuterungen, zur Auflockerung manchmal
Live-Spiel auf Instrumenten (DX, VS, u.a.). Die
Dauer der Darbietungen begrenzte sich auf
jeweils drei Stunden.
Eine Spaltung erfolgte dann mit der
Einbeziehung von Produktionen einiger
Vereinsmitglieder im vorigen Jahr. "Konzert" mit
festem Programm, Zeiten und Namen, sogar
Opus-Zahlen und die völlig aleatorisch gestaltete
"Sound-Ausstellung", in der alles offen bleibt:
die Türe, die Abfolge, der Zusammenmix der
Stücke, die Besucherzahl und seit neuestem
auch die Sektflaschen.
Das Jahr 91 wird eine Klärung und
Institutionalisierung der Aufführungsart
Elektronischer Musik bringen: Auf der einen
Seite die auf sich selbst bezogene, sich hörbar
machende, sich darstellende, sich selbst
spiegelnde "Sound-Ausstellung", wie sie im
Sommer 90 eigentlich perfekt im Raum erklang,
und das publikumsbezogene, etwas darstellende,
auf den Zuhörer zugehende Konzert.
Bei alledem ist von großer Wichtigkeit:
Elektronische Musik sollte nicht "gesehen"
werden wollen, die Interpreten, die Instrumente,
die Produktionsmaschinen, sondern sie sollte
erst einmal intensiv gehört werden. Das muß
unsere eigentliche Aufgabe werden:
Elektronische Musik nicht vorzuzeigen, sondern
über das Ohr nahezubringen, den Hörer darauf
einzustimmen, nicht zu reden, sondern erst
einmal zu hören.
↑
Franz Martin Löhle
Sekt und Elektronische Musik
Das ZeM Wochenende im Herbst 1990 an der Pädagogischen Hochschule
Freiburg
Es ist sicher nicht übertrieben, das ZeM Wochenende am 24./25.
November letzten Jahres in Freiburg, als einen der wichtigsten Höhepunkte
der ZeM-Aktivitäten von ZeM Freiburg zu bezeichnen. Die Zahl der Besucher
war, wenngleich sie für "unsere Verhältnisse" groß war,
nicht allein das entscheidende. Weit wichtiger sind die einzelnen Gespräche
zu werten, die zahlreich geführt wurden. Der Wert dieser Gespräche
von ZeM-Mitgliedern und interessierten Besuchern und auch von ZeM Mitgliedern
untereinander ist sicher nicht hoch genug einzuschätzen.
Zum ersten Mal wurden diese Gespräche von Sekt begleitet, was
einer Ausstellung nur recht sein muß. Diskussion um Beiwerk zur Elektronischen
Musik wird es trotzdem sicher immer wieder geben, und es muß gesehen
werden, daß das Hören von Musik allein noch recht schwierig
ist. Hilfen boten jedoch nicht nur der Sekt, sondern auch die wieder ausgelegten
Handzettel, die manche Konzerte begleiteten. Doch auch Graphisches half
dem Zuhörer, sich Elektronischer Musik zu nähern, so z.B. die
via Video dargebotenen Computergraphiken von Doris Elbe, deren Mann die
Musik dazu produzierte. So gliederte sich das ZeM-Wochenende, das eine
Art Sight Seeing durch die Elektronische Musik sein will, in drei Teile,
der Soundausstellung, den Konzerten und den Workshops.
"Dies ist kein Konzert! Stellen Sie sich die Aula als Galerie vor, die
elektronischen Klänge als die ausgestellten Gemälde. Es ist fast
alles erlaubt. Sprechen Sie die Produzenten an, falls Sie mehr über
diese Musik erfahren wollen. Fragen Sie andere Ausstellungsbesucher nach
ihren Eindrücken. Verlassen Sie die Aula, wenn Sie nichts mehr aufnehmen
können oder wollen. Kommen Sie zurück, wenn Sie wieder aufnahmebereit
sind." Mit diesen publikumsgerechten Worten wurde die Soundausstellung
angekündigt, die Klaus Weinhold, der Schöpfer der Elektronische
Musik-Wochenenden an der PH, mit seinen Produktionen bestritt. Wie immer
waren auch dieses Mal auf seinen Produktionen die neusten Elektronischen
Instrumente ... z.B. der "Süsi" (SY77) zu hören. Trotzdem muß
leider gesagt werden, daß die Soundausstellung konzertanten Charakter
hatte, und das Publikum der Einführung nur insofern gerecht wurde,
indem es ab und zu hinaus ging und sich ein Glas Sekt genehmigte.
Am darauffolgenden Tag fand um die gleiche Zeit das Konzert statt, bei
dem verschiedene ZeM-Mitglieder Ihre Produktionen zu Gehör brachten.
Zum ersten Mal mit dabei war Peter Kiethe, der eine durchkomponierte Produktion
vorführte, die gewohnte Elektronische Klänge im strukturierten
Wechsel mit rhythmischen und dynamischen Klangprozessen aufwies, die neu,
aufregend und beruhigend zugleich wirkten. Dr. Walter Birgs Produktionen
elektronischer Musik waren ein Wechsel von reinen Computerkompositionen,
wie wir sie von seinen Workshop Programmen "Graphik und Elektronische Musik"
her kennen, Improvisationen und nicht metamorphierten Bach-Werken (Contrapunktus
1 und 2). Da sonstige vorgesehene Produktionen noch nicht fertiggestellt
waren, konnte auch ich noch einmal Bekanntes (u.a. Alexander, Stetig) mit
anderer Boxenkonstellation zu Gehör bringen. Hierbei war es für
denjenigen, der die Produktionen schon kannte, sicher nicht uninteressant,
die Unterschiede der Klänge, bedingt durch diese andere Boxenaufstellung,
zu vernehmen - die Interpretation der Boxen. Rainer Fiedlers "Nyxan" führte
uns vor Ohren, daß auch "alte" analoge Klänge immer noch ihre
Berechtigung in der Elektronischen Musik haben und wegen ihrer Modulationsmöglichkeiten
immer haben werden.
Wie schon erwähnt war einer der Höhepunkte der Konzerte die
Vorführung von "Computermusik & Computer - Videografik". Hierbei
ist es dem Ehepaar Stange-Elbe (Doris Elbe und Dr. Joachim Stange-Elbe)
gelungen eine Synthese zu erreichen, die dem Hörer möglichst
entgegen kommt. Stange-Elbes Musik klang schön angenehm und zart,
die "Kälte" der Computergraphik wurde sofort aufgefangen.
Für den Besucher, der mehr über das wissen wollte, was er
zu hören bekam, boten die verschiedensten Workshops reichlich Gelegenheit
dazu. Wo gibt es denn Mozart-Konzerte, bei denen Mozart anwesend, seine
Partituren erklärt? Unter vielem anderen wurden gerade auch aktuelle
Instrumente vorgeführt, wie die Korg Wavestation und Waldorfs MicroWave,
verschiedene Computerprogramme wie Cubase, Xpert4, A Produce, aber auch
"Exoten" wie Amigas Music Mouse, die gerade dem Anfänger sehr viel
Ausdrucksmöglichkeiten betreffs Elektronischer Musik bietet und last
not least Sound Sampling, tot geglaubt, aber immer wieder faszinierend und
wieder neu.
Zuletzt darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch im Rahmen
der Workshops spontan ein Live Konzert mit Synthesizern vorgeführt
wurde. Hans Georg (Hans Jörg) Britz und Frieder Janus waren so vertieft
in ihre Live Darbietung, daß niemand sie zu unterbrechen wagte.
Das nächste ZeM Wochenende an der PH Freiburg (4./5. Mai 1991)
wird auch wieder Neuerungen zeigen, so z.B. ein Display, mit dem der Computer-Bildschirm
via Tageslichtprojektor an eine Leinwand geworfen werden kann.
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Georg Sichma
Kulturkampf '90 in Bremen
Von Ideen und Realitäten
Am 6. Oktober 1990 fand in der Bremer Eislaufhalle der Kulturkampf '90
statt, eine Auftaktveranstaltung, die ihren Blick auf die Bremer Wahlen
im kommenden Jahr richtete und die politische Welt davon in Kenntnis setzen
und überzeugen wollte, daß der derzeitige Kulturetat in dieser
unseren Stadt viel zu gering ist. Der deutsche Städtetag sprach bereits
eine Empfehlung aus, den Kulturetat mindestens bei einer Größe
von ca. 3% des Gesamtetats anzusiedeln - in Bremen sind es allerdings nur
lächerliche 0,8%. In dieser Front gegen die kulturpolitische Ignoranz
der hiesigen SPD-Regierung fand sich ein breites Spektrum kultureller Institutionen/Initiativen
zusammen, neben den Etablierten gab es auch zahlreiche Vertreter der sog.
Alterativkultur, in dessen Kreise sich ZeM Bremen gesellte. Für uns
war es das erste Auftreten in der Öffentlichkeit, damit verbunden
eine verstärkte Aufregung. Zu unserer Freude und Erleichterung hatte
ZeM Freiburg signalisiert, an diesem Tage die Präsentation von ZeM
in der Öffentlichkeit mit zu gestalten. Gemeinsam fühlt man sich
eben stärker.
Das ursprüngliche Konzept dieses Kulturkampfes sah folgendermaßen
aus: die einzelnen Gruppen bekamen eine Art Messestand zugewiesen, zwischendurch
gab es auf einer Bühne Diskussionen zwischen Politik und Kultur und
schließlich auch Aufführungen einzelner Gruppen. Auf diese Weise
sollte dem Publikum neben der Information ein buntes Programm geboten werden,
gemäß dem zentralen Motto: soviel (Kultur) mit zuwenig (Geld)!
Soweit zur ach so schönen Idee. Hier soll jetzt nicht näher
auf die speziellen Verfilzungen und Animositäten in der Bremischen
Kulturszene eingegangen werden. Allerdings machte sich doch deutlich bemerkbar,
daß die Planungen letztlich oft an uns vorbeiliefen und wir folglich
gefaßte Beschlüsse zu schlucken hatten. Vielleicht waren wir
stellenweise auch zu blauäugig und haben uns zuviel bieten lassen.
So bekamen wir zwar die gewünschte Standfläche von 24 qm, aber
dafür standen wir direkt zwischen zwei Bühnen, die entgegen ursprünglichen
Absichten mit ihrer Lautstärke die ganze Halle zudröhnten. Ein
normales Gespräch wurde recht schwierig. Teilnehmer wie Publikum waren
von dem Lärm gleichermaßen genervt und viele verließen
vorzeitig die Show.
In dieser Situation präsentierten Bremer wie Freiburger, was ZeM
eigentlich ist, sein könnte und zu werden gedenkt. Neugierige wurden
mit einem Flugblatt oder dem ZeM Mitteilungsblatt versorgt, ließen
sich auf ein Gespräch ein, bekamen Programme und Hardware vorgeführt
und konnten sich auf diese Weise einen Einblick in unser Tun verschaffen.
Unsere musikalischen Beiträge hatten ebenfalls mit recht widrigen
Umständen zu kämpfen - seien es technische Probleme oder unnötige
Überlappungen gewesen - , und so bekamen sie nicht ihre verdiente
Aufmerksamkeit. Bei all den Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert
waren, und manchen Enttäuschungen, die wir mit nach Hause nahmen,
soll aber ebenfalls betrachtet werden, welche Gewinne wir aus dieser Aktion
ziehen konnten.
Da gab es Leute, die waren freudig überrascht, daß es so
was jetzt in Bremen gibt. Das führte zu potentiellen Neumitgliedern
und außerdem zu einem Artikel in der "tageszeitung" (taz vom 2.11.90).
Der wiederum brachte einige neugierige Reaktionen, u.a. eine künftige
Zusammenarbeit mit dem Bremer Konzertveranstalter "Dacapo".
Eine erfreuliche Begleiterscheinung des Kulturkampfes war die ZeM-interne
Zusammenarbeit in diesen Tagen. So waren fünf FreiburgerInnen in Bremen
vertreten. Neben der gemeinsamen Arbeit auf dem Stand waren die Gespräche
untereinander sehr anregend und wir lernten uns nun endlich "live" kennen,
was wir sonst vielleicht nicht so schnell geschafft hätten. Auch die
Bremer kamen sich in dieser Zeit wieder ein Stück näher, bekamen
und gaben Einblicke in das aktuelle Schaffen einzelner und dabei vielfältige
Rückmeldungen.
Nach der ganzen Aktion saßen wir schließlich noch bei Pierre
Chuchana in trauter Runde zusammen, und dort entwickelte sich im Laufe
des Gesprächs ein spannender Exkurs über die Musik mit ihren
philosophischen Spannungsfeldern. Solch eine Entwicklung von Gedankengängen
läßt sich schlecht planen, aber gerade diese spezielle Atmosphäre
mit diesen Personen ermöglicht so etwas spontan. Dies war zwar kein
Verdienst des Kulturkampfes, doch hatte er die Möglichkeit dafür
geschaffen.
Apropos Möglichkeit: Im Mai 1991 soll in Osnabrück eine Ausstellung
bzw. Messe mit dem Titel "Klangart" stattfinden. Jörg Houpert von
ZeM-Bremen wird sich mit Vortrag und Workshop präsentieren. Ob ZeM
dort mit einem Stand vertreten sein wird, steht noch aus. Allerdings ist
gerade in diesem Zusammenhang eine Rückschau auf den Kulturkampf in
Bremen interessant.
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Rückseite
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