ZeM Mitteilungsblatt Nr. 3 - II/1990
Redaktion: Walter Birg und Franz Martin Löhle
Allgemeine Mitteilungen, Berichte und Neuigkeiten
ATARI TT
Der ST-Nachfolger ... TT wird inzwischen von Atari ausgeliefert.
ZeM
Für ZeM-Freiburg gilt nun immer folgende Schreibweise des Vereinsamen
und dessen Abkürzung: "Zentrum für Elektronische Musik e.V."
und "ZeM". "Elektronische" in dem ausgeschriebenen Namen groß, da
es uns um die Gattung 'Elektronische Musik' geht, in der Abkürzung
klein, da zum einen der Zusammenhang mit dem Emblem deutlicher wird und
so auch keine Verwechslung, z.B. mit ZEN auftritt. Das Emblem selbst wurde
auf Initiative von ZeM-Bremen mit der jeweiligen Stadt ergänzt (in
Kursiv darunter).
Kulturforum Bremen
Am 5.-7. Oktober 1990 werden von ZeM-Freiburg mindestens vier Mitglieder
nach Bremen fahren, um zusammen mit ZeM-Bremen bei dem Bremer Kulturforum
mitzumachen. Wer noch mitkommen möchte, kann sich gerne anschließen
(Infos beim Vorstand). Wir fahren mit der Bahn, jeweils Freitag morgens
und mittags.
Presto Kompositionsprogramm
Am Wochenende den 29./30. September 1990 wird vom Computer Centrum Zürich
ein Workshop veranstaltet, den der Programmierer des Presto Kompositionsprogrammes
persönlich hält. Preis: SFr. 300,00
YAMAHA Vorführung
Der geplante Termin Do, den 5. Juli 1990 (Vorführung bei Orgatronic
Haas) aus Termingründen nur im kleinen Rahmen ausfiel, wurde kurzfristig
der 26. Juli anberaumt. Leider konnten auf die schnelle nicht alle Mittglieder
verständigt werden, wofür wir um Entschuldigung bitten. Besonders
deshalb, da Herr Bitzenhofer von YAMAHA Deutschland den SY 77 wirklich
in einer angenehmen Art vorführte. Er ging freundlicherweise gerade
auf unsere sicher nicht immer angenehmen Fragen ein. Im großen und
ganzen war es eine sehr gelungene Vorführung, da eben nicht nur die
Stärken dieses hervorragenden Gerätes dargeboten wurde.
Workshop 90/1 in Freiburg
Der Workshop 90/1 von ZeM Freiburg an der PH Freiburg wurde trotz schlechter
Vorzeichen (Termin 2 mal verschoben) zum großen Erfolg, was sicher
nicht zuletzt an der Werbung (ausführlicher Handzettel und Plakate)
und dem großen Aufgebot an Aktivitäten lag. Zum ersten Mal wurden
verschiedene Workshops und eine Soundausstellug (Klaus Weinhold) zur gleichen
Zeit abgehalten. Abends wurden dann in althergebrachter Form (der letzten
WS's) in der PH Aula Konzerte veranstaltet.
Die Workshops beinhalteten Vorführungen und eigenes Tun von Software
und Hardware (Synthesizern und Samplern). In den Konzerten kamen die verschiedenartigsten
Formen Elektronischer Musik zum tragen. Die Soundausstellung war verhältnismäßig
karg besucht, doch wenn die ganze Zeit zusammengenommen wird (4*2 h) und
man bedenkt, daß eben gerade mit einem kleinen Publikum ein Gespräch
(was häufig statt fand) besser möglich ist, war auch die Soundausstellung
ein Erfolg. Gerade auch deshalb, da sie zum ersten Mal in dieser Form stattfand.
Durch eine Verfeinerung der äußeren Umstände (z.B. kulinarische
Genüsse), wie sie auch bei herkömmlichen Vernissagen zu finden
sind, kann die nächste Soundausstellung (24./25. 11.) zu einem richtigen
Renner i.S. einer neuen Darbietung von Musik werden.
Leider wurden trotz mehrfacher Anfrage nur zwei Rückmeldungen von
Aktiven abgegeben.
Hier Peter Kiethes Eindruck, der den Hohner Sampler und Roland D110
Synthesizer vorführte:
"Das elektronische Musikwochenende von ZeM war ein großer Erfolg.
Es gab viele Interessenten, viele Impulse und es konnte gut in einer lockeren,
legeren Atmosphäre gearbeitet werden. Die Aufteilung in Konzert, Soundausstellung
und Workshops bewährte sich. So gönnten sich manche Referenten
noch nicht einmal eine Mittagspause. Ein breites Angebot an Vorführungen
brachte für jeden Geschmack etwas. Vielen war dies alles noch zu wenig.
Oft war die Frage nach Kursen zu hören - wohl ein Gedanke, den aufzugreifen
lohnenswert wäre. Alles in allem ein voller Erfolg. Weiter so!"
Franz M. Löhle (Konzert am Sonntag):
"Die Vielfalt der Konzerte machte das Zuhören spannend, da jeder
hören konnte, wie verschieden der Elektronische Produzent mit dem
Material umgehen kann. Die Stücke reichten von 'verarschenden Schnulzen',
hiermit zitiere ich den Komponisten selbst, bis zu komplexen und nervenaufreibenden
Soundkollagen. Gerade diese Freiheit der Vielfalt ist es, was die E.M.
von der herkömmlichen unterscheidet. Die Wertung tritt zurück.
Der Produzent/Komponist wertet selbst. Ja, wo soll denn der Maßstab
angesetzt werden?"
Doch genug von dem was war. Der nächste Workshop am Wochenende
des Totensonntags steht vor der Tür. Wie die Erfahrung nun zeigt,
hängt der Erfolg oder Mißerfolg eines WS's durchaus von der
rechtzeitigen Vorbereitung - Wer macht was? - ab. Deshalb sollten sich
alle bis zum nächsten Mitgliedertreff am 26. September über den
nächsten WS Gedanken machen. An diesem Treff wollen wir dann vorab
schon einiges wieder klären ... z.B. was gemacht wird und wer mitmacht.
Mitgliedertreffen / ZeM Freiburg
Wie bekannt treffen wir uns jeden letzten Mittwoch (die genauen Termine
stehen auf der Rückseite diese ZeM-MT's) im Monat zu den Mitgliedertreffen.
Auf der letzten Hauptversammlung wurde beschlossen, daß bei jedem
Treff zumindest ein kleiner Programmpunkt (z.B. Anhören eines Stückes)
stattfindet. Weiter sollen dann auch aktuelle Dinge, z.B. WS's, besprochen
werden. Der Gedanken-, Ideen- und Meinungsaustausch bleibt ein drittes
Anliegen der Treffs. Damit dies ohne großen Aufwand von statten geht,
gibt es den 'Ausschuß zur Vorbereitung der Mitgliedertreffen' z.Zt.
diesen Hans-Georg Britz und Hubert Arnolds bilden.
Bis dato waren die Treffen relativ ergiebig. Es wurden interessante
Dinge diskutiert und vorgeführt. So u.a. Tiger-, M-, Xpert4-Programm;
Casio VZ, Yamaha V50; Stücke wie Stockhausens 'Gesang der Jünglinge'
mit einer informativen Einleitung von Dr. Walter Birg, Michael Frings 'Stille
u. Schweigen' unter Anwesenheit des Produzenten und Riedls´ Musique
concrete Ib, das gerade in Verbindung mit M. Frings Stück schön
den Bogen der 50er Jahre zu heute zeigte.
Zum nächsten Jahr hin soll versucht werden, den Inhalt der Treffs
möglichst ein halbes Jahr vorher bekannt zu geben.
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Klaus Weinhold
Soundgedanken
Nimmt man die "Musik unserer Zeit" in Theorie
und Praxis, so bildet die Elektronische Musik das
letzte und unwichtigste Kapitel, einen Anhang,
umstritten, abgelehnt, weil es sich ungefragt
hineindrängt und die geschlossene Gesellschaft,
stört. Trotzdem haben inzwischen akademische
Abhandlungen und pädagogische Kurse
wenigstens von der Elektronischen Musik. Notiz
genommen und hinter vorgehaltener Hand ist die
Meinung: "Daß da wohl doch etwas dahinter
sein muß" zu hören. In Freiburg haben wir seit
etwa einem Jahr einen Verein "ZeM" e.V. In der
"Lindenmatte", einem Studentenlokal in der
Nähe der PH Freiburg als dem Ausgangspunkt
der Bewegung, wurden im Sommer 89 erste
Gespräche geführt, Pläne geschmiedet und
schließlich der Name gefunden.
Wir haben viel vor: Ab 1991 soll die Arbeit richtig
anlaufen, intensiviert, verbessert werden.
Zur Person: Als Vorsitzender des Vereins sollte
man einen Lebenslauf geben, sagen, woher man
kommt und was man eigentlich will. Ich
persönlich halte das nicht unbedingt für
erforderlich. Die Elektronische Musik hat bisher
keine Institutionalisierung erfahren, kennt damit
keine Personenhierarchie und keine Geschichte.
Das Studium klassischer Kompositionsprinzipien,
das Unterrichten klassischer Musik in Theorie
und Praxis, das Erkennen der Ordnungen,
Strukturen und Systeme ließen für mich eine
Frage immer brennender werden: Ist das alles,
was die Welt an Klang zu bieten hat? In der
griechischen Mythologie wird die Musik als ein
Geschenk Apollons und der Musen an die
Menschen bezeichnet. Durch die besondere
Gunst der Götter, die ihm seine besondere
Begabung verliehen hat, wird er zur musischen
Tätigkeit berufen und befähigt.
Und heute? In den letzten 10 Jahren kann man
die Soundsynthese als ein Geschenk der neuen
Götter der Elektronikindustrie an die Menschheit
bezeichnen. Den Menschen wird die Begabung
verliehen, mit den Soundelementen frei schalten
und walten zu können. "Endlich!" möchte man
ausrufen. Endlich steht damit dem Menschen die
Soundwelt frei zur Verfügung. Doch leider, auch
für uns immer deutlicher werdend, der Mensch
will diese Freiheit gar nicht. Er bleibt bei den
alten Systemen, den alten Skalen, den alten
Instrumenten. Warum das so ist, werden uns
Psychologen und Soziologen sagen können.
Auch das kommende Funkkolleg "Medien und
Kommunikation" wird uns darüber aufklären,
daß der Mensch nicht die Natur der Sache und
des Sounds will, sondern die Kultur der
Wirklichkeit, eine kognitive Konstruktion, die
sich über die Natur wie ein Schnee breitet, die
normativ auftretenden Regulierungen der
schlicht daseienden Natur, aus der eine Fülle von
Systemen ausgefiltert werden kann.
Zurück zur Elektronischen Musik. Soll sie sich
anpassen, sich den klassischen Systemen
beugen, oder soll sie sich emanzipieren, wo sie
erstmalig die Möglichkeit dazu hat?
Ich trete uneingeschränkt für letzteres ein. Und
so war die Arbeit in den vergangenen 10 Jahren
als Befreiung und Erweiterung ausgerichtet: Im
Sound der ersten Rehberg-Synthesizer. Später
standen der Jupiter 8, der PPG 2.2 im
Mittelpunkt, der Höhepunkt war und ist der FM
(Frequenzmodulataions)-Syntheseklang, der alle
Klangstrukturen ermöglicht. Wir wollten zeigen,
was die Mikrowelt bereithält, was es gibt,
inzwischen erweitert um eine Vielzahl von
Instrumenten und Synthesearten.
So meine ich eines: Der Produzent
Elektronischer Musik findet zurück zur Vielfalt
der Natur, löst sich von einengend diktatorisch
auftretenden Kultursystemen, läßt sich tragen
von den Möglichkeiten der Kreation, des bisher
nicht Seienden, von den unendlichen Fähigkeiten
des neugewonnenen Materials. Die Elektronische
Musik quillt aus den Elementen und installiert
stets neue Ordnungssysteme, auch auf die
Gefahr hin, daß sie alte Tonsysteme liquidiert.
Eine große Chance gebe ich ihr allerdings nicht.
Der Mensch will der Natur nicht in all ihrer
Fremdartigkeit und Dämonie ins Angesicht
schauen und alle ihre akustischen Äußerungen
wahrnehmen. Er will immer nur sich selbst, den
Menschen sehen. Aber die menschliche Aussage
trägt nicht weit. Die Umwandlung zur Lüge,
Vereinfachung, Verfremdung lauert ständig in
jedem Wort. Die erhabene Unendlichkeit der
Natur gegen die gebundene Schönheit der
Kultur: Da liegt die eigentliche Chance der
Elektronische Musik.
↑
Rainer Fiedler
Soundchaser
Dieses Computer Music System besteht aus drei Teilen:
Externes Keyboard (Busverbindung zum Rechner), zwei Platinen, die in
zwei Slots des Apple gesteckt werden und der Soundchaser Software. Es sind
also echte computergenerierte Sounds möglich, da die zwei Platinen
die Sounds erzeugen, das Keyboard selbst ist durch eine Interface Card
mit dem Rechner verbunden.
Die Software teilt sich in drei Bereiche (Sections) auf:
Performance, Wavemaker und Disk, nachdem das System gebootet ist, werden
10 Sound Definitions (eine Art Presets) ins RAM geladen. Es erscheint der
Preset Screen. Man erkennt zwei Hüllkurveneinstellungen (A1 D1 S1
R1 und A2 D2 S2 R2). Jede Sound Definition besteht aus zwei unabhängigen
Audiooszillatoren. Diese werden durch Tastendruck aktiviert. Pro Taste
werden zwei Waveforms gemischt und ergeben einen Gesamtsound. Jeder der
beiden Oszillatoren kontrolliert einen Stereoausgang. Es ist auch möglich,
beide Sounds zu trennen, einen verstummen zu lassen. Bei der Mischung der
beiden ist das Keyboard 16-stimmig spielbar.
Im Menü des Presetscreens sind weitere drei Parametereinstellungen
zu erkennen: F, L1 und L2. F kontrolliert die Frequenz des LFO, L1 und
L2 kontrollieren jeweils die aktuelle Amplitude der LFO-Modulation von
Oszillator 1 und 2.
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Axel Mehlem
Elektronische Musik hat keine Breitenwirkung!
In der Mai/Juni 90 Ausgabe der Zeitschrift Keys war ein Interview mit
dem Manager des Erdenklang-Label Ulrich Rützel zu lesen. Bei
meinem Widerspruch hierzu geht es mir um zweierlei:
Zum einen handelte es sich hierbei leider wieder einmal um ein vermeintliches
Beispiel von Versöhnbarkeit zwischen musikalischer Ästhetik und
Kommerz, zwischen idealistischem Anspruch und materialistischer angeblicher
Notwendigkeit, die nach dem Motto: "Es geht ja doch!" die Gemüter
sich stilistisch bevormundet fühlender Komponisten elektronischer
Musik beruhigen könnte. Zum anderen wird, quasi als Rechtfertigung
dessen, ein völlig verzerrtes Bild zeitgemäßer elektronischer
Musik sowie des gesellschaftlich relevanten Anspruchs vermittelt.
Zu Unrecht wird hier etwas zur Alternative erklärt! Die in der
Überschrift bereits postulierte Symbiose (Elektronische Musik mit
Breitenwirkung) findet nicht statt. Sie entpuppt sich im folgenden als
eindeutig hierarchisches System, indem das musikalische Experiment vollkommene
Unterordnung erfährt. Dabei ist ein Longseller nicht als Widerspruch
zur absatzfixierten Musikindustrie zu sehen. Indem er sich mit dem Schein
des Neuen umgibt, einer esoterischen Tünche, trägt er dem weitverbreiteten
Bedürfnis nach Exklusivität Rechnung und ist genau daraufhin
konzipiert. Der Neid großer Plattenfirmen ist da nur folgerichtig.
Meine Position wird schon deutlich: Neben dem Anspruch der Emanzipation
in der sogenannten Neuen Musik von traditionell musikalischen und ideologischen
Altlasten stand und steht die Lust zum Experimentellen auch in der elektronischen
Musik, die sich keinerlei Markmechanismen unterordnet. Es ist klar:
Jegliche marktorientierte Musik richtet sich nach dem status
quo, bedeutet keine Bewegung, ist also reaktionär!
Der erwachsende Widerspruch zwischen der technischen Entwicklung (hier
im Bereich des Instrumentenbaus) und einer marktgerichteten Produktionsphilosophie
wird offenbar. Hingegen ist der progressive Anspruch an die musikalische
Gestaltung aus dem Fortschritt der Mittel gerechtfertigt, der provokative
aus der (auch in diesem Interview vertretenen) Einseitigkeit ihrer Anwendung.
Wie aus eigener Feder wird Herr Lützels Label als eine gute Adresse
stilistisch nicht einzuordnender Musik gehandelt. Das damit verbundene Bild einer individuellen
musikalischen Neuschöpfung widerlegt er im folgenden selbst. Die Gewinnorientierung
als Antriebsfeder seiner Unternehmungen kann nur unglaubwürdig mit
der Schuldigkeit gegenüber seinen Musikern gerechtfertigt werden,
schließlich gab sein (kommerzieller) Erfolg als Elektronik-Pop-Manager
(womit übrigens die so verzweifelt gesuchte stilistische Einordnung
schon gefunden wäre) den Ausschlag für die Vermarktung in Eigenregie.
Die Sinnhaftigkeit musikalischer Ereignisse spielt hierbei keine Rolle.
Wichtig ist, wie er am Beispiel Japan zeigt, die auf den jeweiligen Mark
optimierte musikalische Bedürfnisbefriedigung. Und neben diesem Ausdruck
ästhetischer Belanglosigkeit gewährt er seinen Musikern für
die Aufgabe ihrer künstlerischer Freiheit (hier das Gegenteil zu behaupten
bescheinigt eine erfolgreiche Retorikausbildung) einen kommerziellen Boden
unter den Füßen (sind sie wirklich alle so Un-Eigenständig?). Wünschte Herr Lützel sich wirklich Musiker ohne stilistische
Scheuklappen, eine Marktorientierung wäre nicht möglich.
Auch der Aspekt der Vertretung von Interessen der Musiker löst
sich in Nichts auf. Bei Herrn Lützel wird, wie bei Plattenproduzenten
üblich, die völlige Anpassung an Markt und Konsument abverlangt.
Dem entsprechend kanalisiert er humanoide Vielfalt mit finanz-strategischem
Kalkül
im folgenden so:
Gleichzeitig waren jene Scharlatane ... keine guten Vorbilder
für junge Computermusiker, die heute gemeinsam mit ihrem Publikum
zeitgemäße (!) Vorstellungen von musikalischer Computer-Kunst
erarbeiten möchten. Vielen Demo-Tapes ... kann ich ... anhören,
daß sie von Musikern eingespielt wurden, die jegliche Beziehung zu
sich selbst und ihren Zuhörern ... verloren haben.
Nichts Konkretes, es bleibt bei Andeutungen über Ideale und angebliche
psychische Defekte, die sich in ihrer diffusen Darstellung bestens als Sumpf eignen, aus dem es aufzusteigen gilt. Allerdings ist das, was hier fast mitfühlend
als mitmenschliches Produktionsideal verkauft wird, die völlige Gleichschaltung
subjektiven Erlebens, man könnte sagen eine Produktions-Rezeptions-Herdentier-Union,
deren kommerzielle Ausbeutung sich am leichtesten gestaltet.
Direkter geht er auf eine nicht zu übersehende andersgeartete
Tradition der
elektronischen Musik ein, bei deren Beurteilung (dieser, wie er sagt,
historischen
Hypothek) ihm denn auch einiges sachlich falsch gerät:
- Gerade Oskar Sala gilt als Vater der experimentellen elektronischen
Musik. Ihn mit seiner Filmmusik als marktgerecht auszuweisen ist Fehler
Nr. 1.
- Die Arbeit in den Experimentalstudios war und ist (denn es
gibt sie noch immer, gell) keineswegs geheimbündlerisch! Von bereitwilliger
Auskunft (beispielsweise in Berlin) habe ich mich selbst überzeugen
können. Stockhausen soll seine Schüler wie man hört regelrecht
zur Auseinandersetzung gezwungen haben. Hier geht es nicht um die Möglichkeit,
sondern um den Bedarf. Das Pferd von hinten aufgezäumt zu haben ist
also Fehler Nr. 2.
Ich komme zum Schluß: Der in der Überschrift bereits angedeutete
Widerspruch zieht sich durch das gesammte Interview. Herrn Lützels
Anliegen ist Pop-Musik, elektronisch erzeugt. Da heute aber Pop-Musik fast
ausschließlich elektronisch generiert wird, stellt sich die Frage:
Ist Pop-Musik mit elektronischer Musik gleichzusetzen? Wohl kaum! Der Unterschied
liegt in dem der Elektronischen Musik immanent experimentellen Charakter
einem idealistischen Ansatz, der mit den bisherigen kommerziellen Marktstrategien
nicht harmonieren kann. Dieser Charakter bildet die einzige Alternative
zur totalitären euphorisierenden Kulturindustrie. Er bietet Erleben
für Bauch und Intellekt! Und vielleicht sind es gerade die (Kommerz)
Weltfremden Stubenhocker, die wirklich zeitgenössische, das heißt
zeitkritische, Musik komponieren, indem sie durch ungenormt fordernde
Musik den Zuhörer zur Konfrontation mit sich selbst und der Wirklichkeit
provozieren.
Dieser Artikel wurde als Leserbrief an die Zeitschrift "KEYS"
geschickt und im Heft 4/1990 auf der Seite 134 abgedruck! (Anm. d. Red.)
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Erwin Koch-Raphael
ZeM nun auch in Norddeutschland
Über die Gründung von "ZeM BREMEN"
Es war schon lange im Gange, das Zusammenfinden mehrerer an Elektronischer
Musik Interessierter an der Universität Bremen im Studiengang Musikpädagogik.
Man traf sich anläßlich des Kurses "Elektroakustische Klangsynthese
mit Hilfe von Computern", die der Bremer Hochschullehrer und Komponist
Erwin KOCH-RAPHAEL (geb. 1949) seit WS 88/89 im Musiklabor der Uni abhielt,
und treibende Kraft bei der erst Gruppen-, dann Vereinsgründung war
Axel MEHLEM, vielen Freiburger ZeMleuten sicher nicht ganz unbekannt.
Es fanden sich zum Kurs und dann auch zur Gruppe nach und nach auch
Gleichgesinnte aus anderen Studiengängen und sogar von der Universität
Oldenburg ein, und als es am 24. April 1990 dann, nach vorheriger öffentlicher
Ankündigung an der Universität, schließlich zur Gründung
des Vereins "ZeM BREMEN" kam, waren es auf einen Schlag 17 Mitglieder,
die sich da einfanden. Das Spektrum der Arbeitsschwerpunkte und Studiengänge
ist dabei denkbar weit gestreut: so finden sich in der ZeM BREMEN ExpertInnen
der Popularmusik, dem SoftwareEngineering, dem HardwareEngineering, dem
Bereich der Kulturwissenschaften, der LiveMusik, der Komposition, der Physik,
der Elektrotechnik, der Informatik und last but not least der Musikpädagogik.
Eine bunte Mischung, nicht explosiv, aber aktiv intensiv interaktiv.
Das HardwareAngebot an der Uni Bremen (im Musiklabor) ist leider bestenfalls
bescheiden, die Arbeitsmittel von ZeM BREMEN rekrutieren sich also folgerichtig
aus eigenen (Haus-) Mitteln. Wir hoffen, in Zukunft mit den anderen Abteilungen
an der Uni kooperieren zu können, beispielsweise mit den dortigen
Graphiklabors, den Labors der Informatiker, dem Rechenzentrum u.s.w., es
kann einfach nicht wahr sein, daß das Interesse an Zeitgenössischer
Elektroakustischer Musik (auch Z.E.M.) ÜBERALL an der Uni Bremen so
gering und unverbindlich ist wie im (in dieser Hinsicht desolaten) Studiengang
Musikpädagogik. Daher war, in der letzten Semesterwoche, eine Abordnung
der ZeM BREMEN im Elektronischen Studio der TU Berlin, hat dort eine exorbitant
dichte und ausführliche, dabei pädagogisch brillante Einführung
in die Programmier- und Arbeitsweisen mit dem SYNCLAVIER und der MICROVAX
3600 (Softwarepaket CARL) von wirklich engagierten und hervorragenden Fachleuten
bekommen, die uns erst so richtig auf den Geschmack brachten, was an einer
wirklich zeitgemäß organisierten Universität alles möglich
wäre, wenn...
Einen Vorstand hat die ZeM BREMEN auch schon gewählt, es sind nicht
die vier Bremer Stadtmusikanten sondern die vier Landesbremer Erwin KOCH-RAPHAEL
(1.Vors.), Axel MEHLEM (2.Vors.), Pierre CHUCHANA (Schatzmeister) und Ingo
BECK (Schriftführer).
Und unsere Pläne? Am 6.10.90 Teilnahme am Bremer KULTURFORUM, zu
dem auch eine Delegation aus der ZeM/Freiburg erwartet wird, und ein Konzert
mit dem schönen Titel "Elektronische Musik für die ganze Familie",
ausgerechnet am Heiligabend 1990 -nachmittags!
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Dr. Walter Birg
Ein neues MIDI-Kontrollgerät:
Der FaderMaster der Firma J.L.
COOPER Electronics
Das war mehr als notwendig: endlich bekommt der Produzent elektronischer
Musik wieder mehr Kontrolle über seine MIDI-Geräte! Und dies
durch ein kleines unscheinbares Kästchen mit acht Flachbahnreglern
und einer großen LED-Anzeige.
Wobei kann uns dieses Gerät eine Hilfe sein?
Nun, zunächst muß man feststellen, daß die MIDI-Geräte
- insbesondere die Synthesizer - immer komplexer geworden sind; die Kontrollfunktionen
wurden vermehrt, die Zahl der Bedienungsknöpfe jedoch immer weiter
reduziert. Das gipfelt darin, daß man sich häufig durch mehrere
Menus hindurcharbeiten muß, um zu einem bestimmten Parameter vorzudringen,
um dann mit hektischem Drücken einer der wenigen Multifunktionstasten
zum gewünschten Wert "durchzusteppen".
Mit dem FaderMaster bekommt man nun die Kontrolle über die MIDI-Geräte
vollständig zurück: Mit einer einzigen Faderbewegung stellt man
ein Klangprogramm ein, ändert die Oszillatorfrequenz, modifiziert
den LFO und setzt den Detune-Level auf den gewünschten Wert - um nur
ein paar Anwendungen zu nennen.
Der FaderMaster wird einfach in den MIDI-Datenstrom eingeklinkt. Solange
kein Fader bedient wird, werden die MIDI- Informationen unverändert
weitergereicht.
Sobald jedoch ein Fader bedient wird, werden Systemexclusiv- Daten dem
Datenstrom hinzugemischt ("gemerged"), so daß, für jeden Kanal
getrennt, Controller oder Noten- oder Klangdaten übertragen werden
können.
Die Liste der Geräte, die direkt ( ohne weitere Programmierung,
die natürlich möglich ist ) kontrolliert werden können umfaßt:
Yamaha DX/TX, Roland D-10, D-20, D-50, D-110, D- 550, Oberheim Matrix 6
und 1000, Kawai K1, K1r, Korg M1, M1R, EMU Proteus, Ensonic VFX. Außerdem
können die Midi-Lautstärke und MIDI-Paneinstellungen für
beliebige Geräte auf allen 16 Kanälen eingestellt werden, was
bei einem komplexen Multimode-Arrangement eine große Hilfe ist.
Fazit:
Sehr empfehlenswert - und: Wir wünschen uns weitere solch kleine
Helfer, die das MIDI-Leben erleichtert und spontane Klangbeeinflussung
ermöglicht.
↑
Frieder Janus
Die Softworkstation Xpert 4
An dieser Stelle soll nun, wie in Mitteilungsblatt 1 angekündigt,
mit der Vorstellung von Soft - und Hardware begonnen werden. Was liegt
da näher, als zunächst mit einem Produkt aus den eigenen Reihen
zu beginnen: dem ATARI-Editor Xpert 4 SWS von unserem Mitglied Franz M.
Löhle. Das Programm wird über das Berliner Softwarehaus GEERDES
midisystems vertrieben.
Die allgemeine Struktur des Programms
Xpert 4 ist ein Global-Editor/Manager, der für alle 4 OP-Synthesizer
der Firma YAMAHA benutzt werden kann. Synthesizer-Sounds können via
Datenbank-Feature verwaltet und über Edit-Seiten verändert bzw.
bearbeitet werden. Somit besteht das Programm aus zwei Hauptteilen: dem
Bank Manager und den Edit Seiten.
Der Bank Manager
Diese Programm-Page bietet dem Yamaha-User umfangreiche Möglichkeiten,
seine Synthi-Sounds zu verwalten. Sie besteht aus drei verschiedenen Features:
- Die Internal Bank
- Der Stack
- Die Database
Mit der Internal Bank können die Sounddaten von einem angeschlossenen
Synthesizer in das Programm geladen werden MIDI-IN-Button und nach einer
Neubearbeitung wieder als aktuelle Sounddatei zum Synthesizer gesendet
werden MIDI-OUT-Button . Diese Funktionen können bequem durch Mausklick
erledigt werden. Die Anzahl der Voices/Performances richtet sich nach dem
über eine Pre-Adjustment-Funktion Voreinstellung eingestellten Synthesizer
DX21/27/100, TX81Z, DX11, YS100/200/B200, DS55 und V50 . Damit der User
bei der Anzahl der Synthis hier nicht die Übersicht verliert, steht
der aktuelle Name des betreffenden Synthesizers rechts oben auf der Bank
Manager-Seite. Diese Funktion kann auch über Mausklick im besagten
Feld geschehen, worauf sich eine File-Select-Box öffnet, in der alle
Synthesizer aufgelistet sind. Hier kann der User also leicht von einem
zum anderen Synthesizer wechseln. Diejenigen Geräte, die über
keine bzw. nur einen Multi-Mode-Sound verfügen, ist die Voice/Performance-Darstellung
in der Internal Bank dementsprechend eingeschränkt.
Ein sogenannter Stack fungiert als Ablage-Bank von Sounds Singles oder
Performances -ein userfreundliches Feature, wie ich meine. Denn hier lassen
sich entweder gerade editierte oder via Random dazu später ausführlicher
erstellte Sounds zwischenlagern und zwischen Internal Bank und Database
problemlos hin- und herkopieren. Als Editbuffer und flexibles Verbindungsglied
zwischen Edit-Mode und Bank Manager macht der Stack das einzeln Mühsame
Hin- und Herwechseln/-kopieren zwischen den Pages überflüssig,
so daß der User in aller Ruhe eine Reihe von Sounds nacheinander
bearbeiten kann, bis er entscheidet, wohin die Sounds aus dem Stack herauskopiert
werden sollen. Am unteren Ende des Stack befindet sich eine Zahl, die dem
User Aufschluß darüber gibt, wieviel Sounds im Stack gerade
vorhanden sind. Das gilt im übrigen auch für alle Kopiervorgänge
mit der Maus - die Zahl ist in einer Ecke des Rechtecks zu sehen.
Die Database dient ausschließlich Verwaltungs-, Sortier- und Suchfunktionen
von
allen zur Verfügung stehenden Sounds nach mehreren selbstwählbaren
Kriterien. Eine Database kann bis zu 2299 Sounds verwalten. Sounds können
verschiedenen Synthesizern zugeordnet, oder gemischt in frei wählbare
Instrumente- oder Klang-Kategorien geordnet werden - oder gar beides. Hier
kann der User nach Belieben und Geschmack über verschiedene Libraries
verfügen und diese nach funktionalen oder sonstigen Gesichtspunkten
einrichten eine neue Database kann ohne Mühe angelegt werden . Die
Sortier- und Suchfunktionen bieten ein übersichtliches Anlegen von
Soundkategorien bzw. einen schnellen Zugriff auf bestimmte Einzelsounds.
Sie werden durch das Anklicken einer Manage-Funktion, die sich wie das
Symbol der Database ein geöffnetes Buch ebenfalls am rechten unteren
Rand der Bank Manager- Seite befindet, ausgelöst. Daraufhin entsteht
ein Manage-Menüfenster, welches nur den Stack und den rechten äußeren
Rand der Internal Bank zudeckt aber nicht die Database, so daß alle
ausgeführten Befehle und die in der Database aktuellen Sounds sofort
sichtbar sind. Auf der linken Seite des Manage-Menüfeldes befinden
sich von oben nach unten im groben drei verschiedene Funktionen : Rename,
Find und Sort in. Bei der ersten kann der Name einer neuen oder bereits
angelegten Soundkategorie eingeben bzw. geändert werden. Die zweite
Funktion erleichtert das Suchen von einzelnen Sounds oder Soundgruppen
aus der Database nach einzeln frei wählbaren oder kombinierten Kriterien.
Hier kann "FM"-spezifisch nach Algorithmen gesucht werden guter Einfall,
denn wie leicht hat man den Namen eines vorher editierten und noch nicht
mittels"Soundgroup" definierten Sounds vergessen, nicht aber seinen Parameter-Aufbau
- hierfür steht eine kleine horizontal angeordnete Leiste mit den
acht Zahlen der 4 OP-Algorithmen zum Anklicken mit der Maus bereit , nach
Charakteren - z.B. "Orgel" oder "Strings", oder nach bereits angelegten
Klangkategorien sogen. Soundgroups in der Database durch vorheriges Selectieren
der gewünschten Soundgroup z.B. alle Bass-Sounds etc. . Die Liste
an freien Soundgroups pro Database ist wirklich lang genug ca. 40 sind
möglich - das müßte auch dem nach den differenziertesten
Kriterien vorgehenden User reichen - sie befindet sich am rechten Rand
des Menüfensters. Unabhängig von individuell angelegten Soundgroups
gibt es auch zwei fest installierte mit Namen "All Sounds" und "Uncoded",
was bedeuten soll, daß immer wieder alle Sounds einer Database aufgelistet
werden können, aber auch diejenigen, die vom User keiner eigenen Soundgroup
zugeordnet wurden, womit man durch einfaches Anklicken erfahren kann, welche
Sounds noch "geordnet" werden müssen oder "ungeordnet" bleiben sollen.
Bei der letzten Funktion können über das Sort In-Button die in
der Database selectierten oder wiederum auch alle Sounds in einer neuen
oder bereits vorhandenen Soundgroup zusammengefaßt bzw. eingefügt
werden. Alle diese Funktionen sind übersichtlich alles auf einen Blick
dargestellt und können schnell und bequem auch mit der Maus ausgeführt
werden. Selbstverständlich gelten diese drei Manage-Funktionen für
jede neue Database.
Der Edit-Mode
Die Edit-Möglichkeiten richten sich in ihrer Vielzahl nach dem
Synthesizer mit den meisten Parametern, also dem V50. Deshalb soll sich
der Test auf ihn stützen, um alle Edit-Menüs des Programms vollständig
beschreiben zu können. Der Edit-Mode teilt sich in zwei Bereiche:
- den Single-Edit, und
- den Performance-Edit Multi-Mode .
Der Single-Edit
Auf die Erklärung der FM-Synthese soll hier verzichtet werden.
Was ausschlaggebend für dieses Programm ist, ist die Tatsache, daß
alle unmittelbaren Parameter zur Soundeditierung auf einer Page versammelt
sind. Diese sind entsprechend ihrem quantitativ-qualitativem Anteil am
Soundcharakter in logischer Reihenfolge von links nach rechts angeordnet.
Zuerst die Algorithmen, grafisch gut dargestellt auch für den Laien
sind Modulatoren und Carriers, die im Gegensatz zu den erstgenannten mit
einem Pfeilsymbol für "Ausgang" versehen sind, sofort ersichtlich
. Wird das Algorithmen-Feld einmal angeklickt, öffnet sich ein Fenster
mit allen 8 Algorithmen - eine Hand anstelle des Mauspfeils erscheint und
nun kann ohne lästiges Gedrückthalten der Maustaste jene einfach
in die verschiedenen Algorithmen-Felder verschoben werden, der zuletzt
selectierte invertierte Darstellung wird durch nochmaliges Drücken
der Maustaste übernommen. Diese Art des Anwählens eines Algorithmus
ist natürlich auch bei laufendem Sequenzer oder "Random Play" dazu
später ausführlicher möglich. Die 4 Hüllkurven sind
sowohl auf grafischem Wege durch Ziehen mit der Maus als auch numerisch
durch einfachen Mausklick editierbar. Im Grafikmode sind die Rates und
Levels einer Hüllkurve durch kleine schwarze Quadrate gekennzeichnet
- wird mit der Maus draufgeklickt, können sie frei verschoben werden.
Durch Mausklick auf die Operatoren können diese entweder stumm geschaltet
werden linke Taste oder die Hüllkurven untereinander kopiert werden
rechte Taste . In der rechten oberen Ecke eines Hülkurven-Feldes sind
etwas kleiner die üblichen Wellenformen ebenfalls grafisch und numerisch
dargestellt. Gleich rechts neben den Hüllkurven befinden sich die
Output-Level der Operatoren, dargestellt in einem vertikalen Balken plus
dem eingestellten Zahlenwert; wählt man durch Schieben oder Klicken
mit der Maus einen Wert höher als 0, wird der Balken automatisch schwarz.
Schon jetzt wird das Geheimnis der vorbildhaften Übersichtlichkeit
dieser Editpage offenbar : alle OP-spezifischen Parameter sind horizontal
auf gleicher Höhe mit den jeweiligen Operatoren mit exakt gleichem
Platzkontingent angeordnet, so daß man stets alle Parameter auf einen
Blick, in "einer Blickrichtung", hat, ohne dabei den Überblick zu
verlieren. Diesbezüglich könnten sich Programmierer anderer Softwarehäuser
eine Scheibe von abschneiden! Also weiter: Das nächste Kästchen
hältdie OP-Frequenzen plus Ratio/Fix-Umschaltung und Detune-Funktion
parat. Auffallend hierbei die doppelte Möglichkeit, einmal schnell
durch direktes Anklicken der numerischen Frequenzzahl, einmal langsam durch
Anklicken eines Symbols für Vor- und Zurückspulen Doppelpfeil,
ähnlichwie beim Kasetten-Recorder den gewünschten Frequenzwert
einzustellen. Die Feinverstimmung einfacher Pfeil funktioniert auf diesselbe
Art und Weise. Hier schlägt wieder die platzsparende und dennoch übersichtlich-eindeutige
Parameter-Darstellung zu Buche. Rechts daneben die Darstellung von EG Bias,
Velocity-Werten Balken , AMS off/on und grafisch-numerisch die Level- und
Rateskaling-Werte. Weiter rechts schließlich der LFO mit den Wellenform-Symbolen,
der Sync-Funktion und den jeweiligen Balken für Pitch- und Amplituden-Modulation.
Die restlichen, sekundären Parameter, Effekte, Namensfeld der Single-Voice,
Portamento, Poly/Mono-Funktion und Transpose sind direkt unter der Menü-Leiste
zu finden. Ein einziger Parameter, der verständlicherweise eine aufwendigere
Grafikdarstellung verlangt, um es wie in diesem Falle dem User so einfach
wie möglich zu machen, muß als zusätzliches "Fenster",
aber durch einfaches Drücken der Taste 'P'angefordert werden : der
PEG. Gleiches System wie bei der Hüllkurvendarstellung - grafisches
"Zeichnen" mit der Maus oder numerische Eingabe durch einfachen Mausklick.
Von allen Editiermöglichkeiten sticht eine Sonderfunktion heraus,
ein besonderes Bonbon, über das sich der User sicherlich freuen darf:
Ein RANDOM -Generator mit eigener Editpage und der Möglichkeit, Parameter-Matrizen
herzustellen. Die Vorteile liegen auf der Hand - schnelles Produzieren
von Soundvarianten, die nach Belieben als Ausgangspunkt zur Nachbearbeitung
verwendet werden können und automatisch im Stack-Modus für Kopierfunktionen
zur Verfügung stehen. Alle primären und sekundären Parameter,
also auch Transpose, Portamento, Effect etc., die auch im normalen Edit-Mode
editierbar sind, können zufallsgeneriert werden. Sie müssen lediglich
durch Mausklick selectiert werden Parameter erscheinen invertiert und die
Randomfunktion nach einer Sicherheitsabfrage Are your sure? bestätigt
werden. Die Anzahl der Random-Sounds kann beliebig eingestellt werden,
und die Produktion von Random-Sounds geht erfreulich schnell vonstatten.
Für manche eingeschworene Soundbastler mag dies eine Spielerei sein.
Aber warum nicht den Computer da voll ausnützen, wo er sich von seiner
stärksten Seite zeigt? Ist für den Sound, der zufallsgeneriert
werden soll, einmal eine geeignete Parameter-Matrize gefunden, hat der
User mit einem Minimalaufwand eine Fülle neuer Sounds parat. Selbst
für Anfänger, welche die Bedeutung der FM-Parameter noch nicht
so gut einschätzen können, lassen sich mit dem Randomgenerator
schon nach kurzer Zeit sehr vernünftige Soundergebnisse erzielen -
und außerdem: gerade für Neulinge dieser Klangsynthese werden
die einzelnen Funktionen der FM-Parameter durch den Umgang mit dem Random-Generator
sehr schnell transparent, ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt
dieses ohnehin schon gelungenen Features. Für die alten Programmierhasen
wird es ein Anstoß sein, ähnliches in ihre Editoren einzubauen,
für User ein nicht mehr wegzudenkendes Hilfsmittel zu höchst
ökonomischer Soundproduktion.
Der Performance-Edit
Hier herrscht exakt die gleiche Grafikaufteilung der Parameter - mit
einem Unterschied, daß die Multi-Mode-Funktion mit Voice-Nummer/-Name,
MIDI-Kanäle für den Seq.-Betrieb, Tastenprogrammierung, Shift/Detune-Funktion,
Effekt off/on, Microtuning off/on, Output-Level, die als "Mischpult"-Balken
vertikal dargestellt sind und direkt darüber die Pan-Funktion L/R,
sich durchgehend in Form einer Tabelle von links nach rechts, getrennt
nach den Voices erstreckt. Die Effect-Section und der Assign-Mode sind
unterhalb der Menü-Leiste angeordnet. Zwischen beiden Edit-Modes kann
durch Drücken der 'Tab'-Taste am Atari bequem hin- und hergeschaltet
werden. Ein wichtiger zusätzlicher Bestandteil der beiden Pages ist
die schon besprochene Stack-Funktion. Sie befindet sich jeweils in der
linken unteren Ecke mit drei Unterfunktionen, welche kurz erläutert
werden sollen. Sie sind durch verschiedene Pfeilkonfigurationen -> /<-
/<-> symbolisiert, so daß man nichts falsch machen kann und eine
genaue Vorstellung davon hat, wohin die editierten Sounds geschickt werden
sollen:
1. -> = rein in den Stack.
2. <- = raus aus dem Stack.
3. <-> = Austausch von Sounds im Stack
Die Utility-Funktion
Sie wird über die Taste 'U' aufgerufen. Im geöffneten Fenster,
das unabhängig von den übrigen Pages aktiviert werden kann, sind
alle notwendigen Parameter zu MIDI-Verbindung, Programm-Change Edit/ Initialize,
Key-Velocity, Mastertuning etc. vorhanden. Wird beim Einstellen ein Fehler
begangen, erscheint sofort eine Fehlermeldung mit dem Hinweis: "No MIDI-Communikations.
Check your MIDI-Connexions!" Unabhängig von möglicher Fehlinstallierung
wird der User daran erinnert, daß das Programm nur dann läuft,
wenn der Basis Receive-Channel des Synthesizers auf 1 gestellt wird. Der
User dürfte somit keine ensthaften Schwierigkeiten haben, das Programm
zum "Laufen" zu bringen. Utility-Einstellungen können selbstverständlich
abgespeichert und wieder geladen werden.
Die Menü-Leiste
Fünf verschiedenen Buttons können aufgerufen werden. Bei allen
erscheint eine
File-Selectbox mit den entsprechenden Funktionen und der dazugehörigen
Tastatur-Sequenz. Der "File"-Button bietet Load-, Save-, Print-Funktionen
einzelner Sounds, falls die Database voll sein sollte, was ich nicht glaube,
eine Erase File Delete - Funktion zum Löschen von Seq.- Grooves oder
Sounds von Diskette und die QUIT-Funktion zum Verlassen des Programms.
Daneben das "Page"-Menü mit Bank Manager Taste 'B' , Single- und Performance-Edit
'Tab'und Utility 'U'. Der "Else"-Button beinhaltet die Microtuning Edit-Funktion
mit eigener Page allen grafisch dargestellten Tasten können selbstwählbare
Cent-Werte zugeordnet werden oder es können entsprechende Skalen programmiert
werden , eine Effekt Edit-Funktion für die Performances Delay, Pan
und Chord und einer MIDI THRU sowie einer Hear Sounds-Funktion mit gewohnter
Häckchendarstellung für aktiv/inaktiv. Unter "Extras" in der
Menü-Leiste findet der User wieder interessantere Features: Keyboard
Tastaturdarstellung zum "Spielen" mit der Maus , eine Initialize Voice-Funktion
für Hartgesottene und Tüftler und vor allen Dingen ... PLAY Random
mit Stop- und einer Adjust-Funktion. Hiermit läßt sich eine
computergesteuerte Zufalls-Melodie aktivieren, die in ihrer Tastaturbreite
und Velocity-Stufen einstellbar ist Random Adjust . Über 'Stop'in
der File-Selectbox kann PLAY Random wieder abgeschaltet werden. Ein Feature,
das Sinn macht, denn mit dieser Funktion kann der User bei laufender Sequenz
ohne gleichzeitiges, ermüdendes Spielen auf dem Synthesizer Soundveränderungen
vornehmen, ihm wird somit eine schnellst mögliche Art der Soundeditierung
beschert. Das letzte Button ist schließlich dem Geerdes spezifischen
Sequenzer 'First Track' vorbehalten. Da mir nur eine Demo-Diskette zum
Testen zur Verfügung stand, muß ein entsprechender Bericht noch
nachgereicht werden.
Fazit
Unabhängig von persönlicher Fürsprache der Autor besitzt
ein 4 OP-Modell von Yamaha muß dem Programm ein dickes Lob zugesprochen
werden. Es ist im Vergleich zu anderen Editoren erschreckend einfach zu
bedienen und zeichnet sich vor allem durch eine exzellente Benutzeroberfläche
aus. Es braucht den direkten Vergleich mit dem Konkurrenz-Editor "Synthworks"
nicht zu schäuen, im Gegenteil, denn es bietet hervorragende Features
wie Random Play, Random-Generator und eine umfangreiche und flexible Handhabung
der Stack-Funktion bisher einmalig, welche dem User einige Erleichterung
bringen werden. Kurz und gut: Der Xpert 4-Editor von Geerdes midisystems
bietet Reichliches fürs Geld. Er wird es auf dem Markt vielleicht
etwas schwerhaben, da es mehr 6 OP-Modelle als 4 OP-Modelle gibt, aber
für Einsteiger und zurecht "Unverbesserliche", die ihren DX 11 oder
V50 einfach nicht verkaufen oder verstauben lassen wollen, sowie den Besitzern
der 'B'- und 'YS'-Familie, kann dieses Programm wärmstens empfohlen
werden.
Vertrieb: GEERDES
midisystems Berlin
Preis: DM 298,-
↑
Dr. Josef Otto Mundigl
Wer die Musik finden will, muß sie suchen
Antwort auf den Leserbrief von Bernt Schilling
(Dieser Leserbrief war bestimmt für das Mitteilungsblatt des Arbeitskreises
Musikelektronik, AME. Der Vollständigkeit halber wird werden auch
die einleitenden Gedanken hier mit abgedruckt, weil sie für das Verständnis
der Thesen wichtig sind.)
In der Ausgabe 2/1984 schneidet Bernd Schilling die fundamentale Frage
nach dem Weg der Elektronischen Musik an. Daß die Ziele der Elektronischen
Musik a priori ganz anders aussahen, als das, was heute landläufig
unter diesem Begriff praktiziert wird, habe ich an anderer Stelle dieses
Blattes (Heft 4/1982, S. 4-6) bereits angesprochen. Im Hinblick auf die
folgenden Thesen ist es für das Verständnis hilfreich, sich diese
Seiten noch einmal vorzunehmen. Die Thesen sind so knapp wie möglich
formuliert und sollen eine Arbeitsgrundlage für eine Diskussion darstellen,
denn eine Interpretation der Thesen würde den Rahmen dieses Heftes
sprengen. Auch zur Quellenlage gibt es nur wichtigste Beispiele, damit
sich der geneigte Leser diese auch wirklich vornehmen wolle und nicht von
der Stoffülle erdrückt wird.
Es sind in diesem Blatt Dinge passiert, die mich doch sehr herausfordern.
Im IME-Kreis bin ich dem Begriff "Schweinway" begegnet, da spricht ein
anderer "Ins Pfandhaus mit der Pianistenhand" (Heft 2/1984, S.3), und doch
ist ein wesentlicher Teil der Leser immer noch mit dem "Keyboard" befaßt,
oder programmiert unbeschwert in Tonarten. Was ist erreicht, wenn ich die
edle Elfenbeintastatur eines Bösendorfer gegen die Plastiktastatur
eines Casio-VL-1 austausche? Das Prinzip, die Anwendung der Tonalität
ändert sich doch nicht! Mir kommt es in den Sinn, daß hier der
Neid auf den Flügel die Basis des Zynismus ist, weil die Pianisten
ein enormes Fundament haben, das Jahrhunderte gewachsen ist und spezifischen,
ausgereiften, kybernetischen Vorgängen gerecht wird.
Die Elektronische Musik spielt sich geistig und materiell in einem ganz
anderen Milieu ab. Seitenhiebe auf die Klassik sind töricht und lassen
auf Unreife schließen. Ich habe immer Angst gehabt um diejenigen
Musikbeflissenen, die sozusagen mit einem Kopfsprung allen Boden verlassen
haben und von der "Mechanik" in die "Elektronik" geflüchtet sind.
Viele waren unvorsichtig und glaubten, dieser Sprung sei die Lösung.
Sie aber kannten das Wasser nicht, in dem sie nun schwammen, sie wußten
nicht um die Schlingpflanzen, deren Überwindung Geschick und Strategie
erfordern und mancher einst am Steinway glückliche, ist dann auch
ersoffen, weil er zum Schluß weder gehen, noch schwimmen konnte.
Der Weg war für ihn zu Ende. Vielleicht hätte er auch ganz gerne
fliegen wollen, aber da war dann der Gedanke an den Schneider von Ulm doch
näher. Die Fehler waren immer dieselben: Flucht ins Gerät anstatt
in die künstlerische Idee. Sie verfielen, weil sie nicht rasch genug
ihre eigenen Strategien im Umgang mit dem Material entwickeln konnten (woher
- um Gottes Willen - soll das auch bei guten Leuten so schnell kommen)
bald in eine leidige Ohrwurmstrategie und wendeten darauf noch den Begriff
"Creativität" an. Dieser aber hat einen doppelten Boden. Einerseits
ist damit gemeint die Creativität in der Interpretation, bezogen auf
die Auslegung einer Komposition, andererseits die Creativität in der
Komposition, bezogen auf die Gestaltung vorhandenen Materials. Ich bin
so unverschämt, zu behaupten: Es wird einer nicht dadurch ein besserer
Musiker, wenn er die Disziplin wechselt und hofft, die neugewonnene Freiheit
verschaffe ihm weniger Probleme. Solche Robinsonaden sind sehr gefährlich.
Man kann sich nicht einfach hineinstellen, man muß sich hinüberdenken
und zwar mit schärfster Strategie und Konsequenz, denn jeder Weg kann
ein Irrweg sein, da gibt es halt keine Wanderkarte! Hier stellt sich die
Frage, ob und wie man ankommt. In der Elektronischen Musik (mehr als anderswo
in der Musik) geht es um einen Kampf zwischen dem Komponisten und dem Material.
Da das Material immer verfügbar ist, der Komponist aber nur begrenzte
Zeit lebt, muß er für diese "seine" Zeit, den Sieg über
das Material erringen, indem er dem Wesen des Materials einen Sinn gibt,
es definiert. So "verbraucht" er das Material, wie z.B. die "Klassik" die
Tonalität "verbraucht" hat, früher der Stil der Niederländer
zu Ende ging usw. Dieser Kampf mit dem Material führte in Spätstadien
nachweislich zu Exzessen, nämlich dann, wenn der Komponist vom Material
mehr verlangte, als es geben konnte. Johann Sebastian Bach hat dieses Problem
für die Fuge genial gelöst durch die "Kristallisierung menschlichen
Wissens in Form dynamischer musikalischer Systeme" (Begleittext zur Schallplattenedition
J. S. Bach, Die Kunst der Fuge, Philips 6747172, 2 LP) in dem Werk "Die
Kunst der Fuge". Er hat die Diskussion um die Fuge für seine Zeit
musikalisch beendet. Es gab auch keinen, der das Wesen der Fuge besser
kannte und beherrschte. Was geschah dagegen nach dem Serialismus, als man
versuchte, die Klangfarbe kompositorisch ebenso in den Griff zu bekommen
wie die Tonreihe? Die Instrumente wurden pervers mißbraucht. Auf
dem feinen Lack einer Geige wurde geschabt, in das Klavier wurden "Bestecke"
gelegt, das Cello mußte jämmerlich kreischende Töne hervorbringen.
Dafür wurden die Instrumente nicht gebaut. Waren diese Komponisten
irre? Nein! Sie wußten strategisch keine anderen Wege mehr. Sie konnten
nicht anders handeln, denn sie haben Transposition, Transformation und
Transmutation im Kopf gehabt - nichts anderes! (Schließlich löste
sich auch der Spätserialismus auf, Cage und seine Mannen bekamen die
Oberhand, weil die akustischen Grenzfälle des extremen Serialismus
sich an den Zufall anlehnten. Das Ohr hat entschieden! Daß die Reihe
dann ausgerechnet im Sequencer fröhlich Urständ feiert, ist schon
bemerkenswert.) Heute ist das viel eleganter und genauer lösbar. Aber
nein, ein guter Freund erzählte mir, da geht einer in Paris her und
versucht in einer langjährigen Dissertationsarbeit mit dem Computer
einen Flügel, ausgerechnet einen Flügel "ideal" zu kopieren -
ein Amerikaner. Hat er darüber nachgedacht, ob er einen Flügel
überhaupt definieren kann, der ändert sich doch ständig.
Wenn heute der Klavierstimmer kommt, um 1O Uhr das Instrument traktiert,
hat sich um 15 Uhr die Verfassung des Instruments geändert. Ein Pianist
hört das. Einer von denen spielt z.B. nicht bei Regenwetter, weil
das Instrument dumpf klingt. Was macht dann der Amerikaner in Paris?
Und andere, die kaufen Keyboards, 1, 2, 3, 15 und jedes exakt gestimmt
----- . Vergleicht man das mit den Gedanken von Ferruccio Busoni, Edgar
Varese oder Karlheinz Stockhausen, so verhält sich das vergötterte
Keyboardtonalitätentum von heute dazu wie ein Bezirksheimatpfleger
zum Sprayer von Zürich.
12 Thesen zur Elektronischen Musik |
1. |
Die elektronische Musik muß sich gegen die Instrumentalmusik
abgrenzen. Zum Wesen der Instrumentalmusik gehört nicht nur die jeweils
spezifische, kaum änderbare Klangfarbe, sondern vor allem die Anwendung
der Tonalität (Komposition in und mit Tonarten). Ebenso wie es sinnlos
erscheint, Klangfarben zu imitieren, so ist es auch fragwürdig, die
Tonalität und ihre Gesetzmäßigkeiten unreflektiert zu übernehmen.
Die Tonartenmusik muß überwunden werden zugunsten einer pluralistischen
Klangfarbenmusik, einer wirklich
"neuen Musik" (1).
|
2. |
Eine Komposition mit Klangfarben kann nur so funktionieren, daß
Gegensätze aufgehoben werden. Um dies zu erreichen, muß Wörners
Theorie der Vermittlung zwischen Gegensätzen zur Anwendung gelangen
(2). Töne stellen Zwischenprozesse in Abläufen dar, wie andere
Klangzustände auch. "Tonreihen" werden durch Klangfarbenmodulationen
ausgelöst. die Führungsrolle der Tonalität ist erloschen.
|
3. |
Da die Komposition nunmehr vom verfügbaren und ausgewählten
Klangmaterial, sowie den differenzierten (durchdachten) Verarbeitungsstrategien
abhängig ist, muß es zu einer neuen Korrelation zwischen Material
und Form kommen. Die klassischen Formbegriffe und Formvorstellungen (bloße
Schemata) sind im Prinzip nicht mehr anwendbar. Die Form resultiert aus
der Bearbeitung des Materials. Sie ist ein Ergebnis der Belastbarkeit des
Materials und der Verarbeitungsstrategie.
|
4. |
Zur Bearbeitung des Materials und um dem Vermittlungsgedanken Rechnung
zu tragen, sind die Reihengesetze aus dem Serialismus aufzugreifen und
um die Erkenntnisse aus der Booleschen Algebra zu erweitern. Auch die Einbeziehung
anderer Reihengesetze aus der Mathematik oder den Theorien der Logistik
ist denkbar. Dies bedeutet den Ausbau des Serialismus durch die mathematische
Logik. Dadurch kann der Serialismus (auch) mit Hilfe des Computers weitergeführt
werden. Dieses Verfahren schließt nahtlos an die Geschichte an und
der Kreis zwischen der Zwölftonmusik und der Computermusik ist geschlossen.
Serialismus, Analog- und Digitaltechnik verbinden sich durch die Logik.
|
5. |
Um dem Prinzip der Vermittlung gerecht zu werden, was dem Hörer
das Verständnis erleichtert, muß die totale Umformung von Klängen
möglich sein, alle Parameter sollen differenziert erfaßt werden
können. Die "Transposition, Transformation und Transmutation" (3)
von Klängen kann perfekt nur auf digitaler Basis gelöst werden,
wenn es gelingt, Spektralmodulatoren zu entwickeln, deren Prozessabläufe
digital und analog steuerbar sind. Der analoge Weg ist dem digitalen gleichzusetzen,
damit sich das Verfahren der (Dativ!) Kybernetik nicht entzieht. Die Modulationswege
sollen vom Komponisten frei bestimmt werden können und sind abhängig
von der Belastbarkeit des Materials. Der Komponist muß in der Lage
sein, die Mikrostruktur der Klänge planmäßig und radikal
zu verändern.
|
6. |
Die Anwendung neuer technischer Verfahrensweisen und eines neuen Klangmaterials
innerhalb eines Kompositionsprozesses muß kompositorisch motiviert
sein. Der Komponist kann dies dann auch rechtfertigen, weil Komponieren
die geistige Auseinandersetzung mit dem Material bedeutet. Die unreflektierte
Flucht von einem Material in ein neues, oder die willkürliche Behandlung
von Parametern aus purem Opportunismus ohne Rücksicht auf das Gesamtkonzept
ist Feigheit oder Unvermögen. Aufgabe des Komponisten ist es, vorhandenes
Material bis zu seiner Erschöpfung auszuloten und künstlerisch
zu gestalten, was Creativität voraussetzt.
|
7. |
Die "klassische" Musik lebt stark von der Wiederholung. (Die Klaviermusik
benutzt einige Oktaven mit typischer Klangfarbe). Die Elektronische Musik
basiert auf dem Grundgedanken der Veränderung. Ein Komponist steht
also in fast jeder Fragesituation vor dem musikalisch binären Problem:
Wiederholung oder Veränderung? Wie er sich in dieser Frage entscheidet,
bestimmt das Wesen (Gesicht) seiner Musik. Die Wiederholung ist nur zu
rechtfertigen, wenn sie zum Verständnis der Struktur unumgänglich
ist. Die Verantwortung des Komponisten beginnt dann, wenn er entscheiden
muß, was dem Hörer zumutbar ist. Andererseits kann vom Hörer
soviel Flexibilität verlangt werden, daß er die Entscheidung
des Komponisten respektiert, wenn dieser überlegt und eindeutig gehandelt
hat. Dies kann Generationen dauern, denn die Richtigkeit einer Entscheidung
wird nur durch die Geschichte bestätigt. Ein ernsthafter Komponist
ohne Geschichtskenntnisse ist folglich undenkbar; Genies sind Ausnahmen,
weil sich ihre Lernprozesse anders abspielen. (4)
|
8. |
Durch die Strategien der Materialbearbeitung wird die Zeitgestalt bestimmt.
Wie in der Kunstsprache das griechische Versmaß und/oder andere Ordnungsformen
durch freie Darstellungsformen abgelöst worden sind, entsteht in der
Musik eine, durch die Autorität des Künstlers und seine Materialgestaltung
freie Zeitgestalt, die Artikulation der Klangabläufe. Ein Rhythmus
als generelle Ordnungsbasis ist überflüssig, kann sich aber durch
die Artikulation kurzfristig ergeben, genauso wie geometrische Verhältnisse
in der bildenden Kunst es tun.
|
9. |
Die doktrinären Musiktheorien können als Denkhilfen herangezogen
werden, innerhalb von Kompositionsvorgängen oder als Kompositionsprinzipien
sind sie mit Skepsis anzuwenden, da die holographische Kompositionsarbeit
Vorrang hat.
|
10. |
Die Elektronische Musik soll in konzertanter Form (wie es z.B. die
Klaviermusik getan hat!) eine Verbindung mit dem Orchester und seinen Instrumenten
eingehen. Als Basis der Partitur muß dazu ein gehörrichtig korrigiertes
Amplitudenschrieb des Elektronikparts dienen, nur so ist bislang die Artikulation
optisch darstellbar (bis sich billigere und genauere Wege gefunden haben).
Der elektronische Kompositionspart muß dann mit höchster Präzision
ablaufen, was einer Planungsarbeit entspricht, die die Bezeichnung "Komposition"
verdient. Deshalb wird in den meisten Fällen der Elektronikpart gespeichert
sein müssen.
|
11. |
Um die Elektronische Musik auch dem "musizierenden Menschen" zugänglich
zu machen, müssen Kompositionen entstehen, die zu einem gewissen Grad
interpretierbar sind. Erst dadurch entsteht der Gegenpol zu absolut fixierten
Kompositionen, daß Interpreten dem Werk persönliche Aspekte
verleihen können. Die Kontrolle durch das Ohr hat hier Vorrang vor
der für die Erstellung notwendigen mechanistischen Studioarbeit. Der
Arbeitsaufwand wird geteilt und verlagert, die Komposition ist "benutzbar",
wird zur "Arte utile" (Begriff von Pino Poggi,5). Technisch ist das Problem
z.B. über Speicher und Photowiderstand zu lösen. (6)
|
12. |
Ein Komponist muß sein Instrumentarium beherrschen, sonst kommt
es zu strategischen Verunsicherungen, die die optimale Problemlösung
im Einzelfall verhindern. Der Hörer merkt die Oberflächlichkeit,
das Werk verliert an Qualität. Eine Komposition muß klar definiert
sein, es muß ein Zusammenhang vorhanden sein, ein Anfang, ein Schluß,
sonst wird sie unverständlich. Der primitivste Zusammenhang kann über
die Tonart erreicht werden und wird auch von der Masse aufgrund der Schulbildung
am raschesten verstanden. Kompliziertere Abläufe verlangen eine anspruchsvollere
Disposition eines Werkes. Heutige technische Mittel setzen beim Komponisten
daher höchste strategische Denkleistungen voraus, zumal sich immer
Ereignisse ergeben, die nicht vorhersehbar sind und über die entschieden
werden muß. Jeder kompositorische Schritt muß vom Komponisten
vertreten werden können, er muß sich über dessen Stellenwert
innerhalb der Komposition bewußt sein. Zufall und Reihe, sowie ihre
Organisation stehen dann gleichwertig nebeneinander. Nicht das Material
entscheidet über den Wert einer Komposition, sondern seine Verarbeitung.
Keine Regel ist allgemein verbindlich. Je subjektiver, gewissenhafter und
präziser ein Komponist seine Regeln selbst schafft, umso leichter
und sicherer ist er aufgrund seiner Individualität identifizierbar
und findet seine Hörer; je anspruchsvoller oder je schlechter er arbeitet,
umso kleiner muß zwangsläufig der Hörerkreis werden. Imitationen
und Kopien irgendwelcher Systeme sind daher schwer zu vertreten, oft minderwertig
und künstlerisch abzulehnen.
|
(a.d.g.)
"Und zum Abschluß setze ich einen alten lateinischen Spruch her:
SATOR
AREPO
TENET
OPERA
ROTAS
(2. März 1932)" (7)
(P.S. Anton sei mir nicht böse, herzlichst, Dein Josef)
Literaturangaben:
1) siehe dazu auch: Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik
der Tonkunst,
Leipzig 1916, Neuausgabe Frankfurt 1974, S. 34
2) siehe dazu auch Kapitel "Serielles Denken" in Karl H. Wörner,
Karlheinz Stockhausen, Werk und Wollen, Kontrapunkte Bd. 6, hrsg. von Heinrich
Lindlar, Rodenkirchen/Rhein, 1963 S. 50/51
3) siehe dazu auch: Pierre Schaeffer, Musique concrete, deutsche Ausgabe
Stuttgart 1974, S. 42 und folgende (Kap. "Praktische Arbeiten") Josef Otto
Mundigl, Elektronische Musik im Unterricht, Dissertation Regensburg 1980,
S. 147/148, erschienen im Selbstverlag
4) siehe dazu auch: Anton Webern, Der Weg zur Neuen Musik, hrsg. von
Willi Reich, Wien 1960, 73 Seiten
5) "Arte Utile (nützliche Kunst) ist für Pino Poggi eine Aktionskunst
unter Beteiligung des Publikums, eine Kunst, die den Betrachter aus der
passiven Rolle des Konsumenten in die Rolle des Akteurs versetzt, ohne
jedoch einen dahingehenden Zwang auf ihn auszuüben. In der Arte-Utile-Aktion
sieht sich der Betrachter... konfrontiert mit der Möglichkeit, dieses
Werk durch seine emotionale und rationale Stellungnahme...zu diskutieren."
Zitat entn. aus: Pino Poggi, Libri, Edizione Genova, 1979, begrenzte Auflage
1000 Exemplare
6) Mundigl, Diss. s.o.S. 177 bis 181
7) Webern, s.o.S, 61
Antwort und Diskussion der 12
Thesen von Dr. Walter Birg - ZeM Heft
Nr. 4 (I/1991)
Bezugnahme der 12 Thesen
von Franz Martin Löhle - ZeM Heft
Nr. 10 (März 1993)
↑
Ein Jahr ist es nun her, daß sich E. M. Interessierte zum ersten
Mal zu einem "Elektroniker"-Stammtisch trafen. Inzwischen hat sich aus
diesem Stammtisch das 'Zentrum für Elektronische Musik e.V." entwickelt.
Obwohl es noch kein Jahr her ist, daß der Verein eingeschrieben wurde,
können wir doch schon auf eine stattliche Anzahl von Aktivitäten
zurückblicken.
Das ZeM - Mitteilungsblatt sollte ursprünglich einmal alle zwei
Monate erscheinen, dann wenigstens alle drei. Nun ist diese Ausgabe leider
erst die zweite in diesem Jahr, jedoch immerhin die dritte überhaupt.
Es gab viele Ideen und Ankündigungen für Artikel, die bestimmt
in den nächsten Ausgaben erscheinen werden. So ist u.a. vorgesehen,
die Reihe über Sampling (Peter Kiethe) fortzusetzen, Berichte über
die pädagogische Arbeit mit E.M. einzubringen, Interessantes über
die Gespräche Dr. Stanges mit Oskar Sala und Rainer Fiedlers Erklärungen
zum Soundchaser (Teil 1 in dieser Ausgabe) abzudrucken.
Weiterhin werden natürlich auch interessante 'Gedanken'(z.B. von
Klaus Weinhold oder dieses Mal auch von J. Mundigl, einem E.M. Pionier),
die User-Testberichte von Hard- und Software (dieses Mal Xpert4 und FaderMaster),
fortgesetzt. Trotzdem soll das ZeM-Mitteilungsblatt nicht zu unrecht so
heißen, es soll in ihm verstärkt auch gerade allgemein Wissenswertes
und Internes über unsere Vereinsarbeit gebracht werden.
Ganz besonders schön ist es, daß das ZeM-MT mit dieser Ausgabe
zum ersten Mal zusammen mit ZeM-Bremen herausgegeben wird und auch zwei
Artikel von ZeM-Bremen Mitgliedern stammen. In der nächsten Ausgabe
soll die Zusammenarbeit noch intensiviert werden, damit in Freiburg erfahren
werden kann, was ZeM-Bremen unternimmt und umgekehrt in Bremen was ZeM-Freiburg
so macht.
Ab dieser Ausgabe kostet das ZeM-MT 2,00 DM. Dies ist deshalb notwendig,
da wir es ohne weiterhin ohne Fremd-Werbung herausbringen wollen. 2,00
DM decken gerade die Kosten für die Herstellung, d.h. wir wollen also
nichts daran verdienen. Für Mitglieder ist das ZeM-MT natürlich
weiterhin gratis.
Freiburg, den 15. September 1990
↑
Rückseite
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