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Klaus Weinhold

Kein Grund zum Feiern

Zehn Jahre alt wurde unsere Arbeit mit Elektronischer Musik, die ich zu einem großen Teile als meine Arbeit bezeichnen kann. In diesen zehn Jahren wurden jährlich, oft mehrmals "Vorführungen" mit Elektronischer Musik, fast ausschließlich in der Aula der PH Freiburg angeboten. Das ist in der Bundesrepublik ein einmaliger Vorgang gewesen, nach zehn Jahren muß man sich fragen, was ist eigentlich geblieben, wo sind zu Buche schlagende, etwa in Zeitungsberichten sich niederschlagende Ergebnisse? Diese sind nicht vorhanden, das müssen wir ehrlich uns vor Augen halten, wir haben einen kleinen Zuhörerkreis gefunden, der treu und mit Begeisterung zu uns steht. Wir haben also keine Außenwirkung erreicht und wir dürften musikalisch die letzte Adresse nicht nur in Freiburg sein. In der Badischen Zeitung (BZ) vom 17.11.92 erschien ein Bericht über das Freiburger SWF Experimentalstudio. Wer von Elektronischer Musik in Freiburg und anderswo spricht, erwähnt dieses Studio. Es scheint mit Elektronischer Musik gleichgesetzt zu werden. Auch in einem anderen Bericht der BZ, kurz vorher, werden Freiburger Institutionen mit Neuer Musik angeführt, darunter auch die "Live- Elektronik" des SWF, was fehlt, ist eines: unsere  Elektronische Musik. Hinzu kommt, daß vor einigen Wochen im "Forum" des SWF ein Bericht über das SWF Experimentalstudio ausgestrahlt wurde. Es war wieder von ersten Adressen, weltbekannten Komponisten und Live-Elektronik die Rede. Ich lauschte diesem Vortrag in der Hoffnung, Elektronische Musik zu hören und vielleicht einmal das Wort "Frequenzmodulation" oder "DX7" zu hören. Nichts dergleichen. Man erfuhr lediglich, daß es neben der hochkarätigen, weltbekannten Live-Elektronik Freiburger Provenienz noch eine mehr oder weniger nach unten gerichtete "Unterhaltungselektronik" gäbe, die auch ganz fortschrittliche Instrumente entwickelt hätte. 
Im erstgenannten BZ-Artikel wird interessanterweise - ich glaube, meine Vermutung ist da nicht falsch - die echte Elektronische Musik zumindestens, wie ich sie in den zehn Jahren versucht habe vorzuführen, beschrieben. Es steht da: "Mit sterilen, enthumanisierten, musikfernen Klangbasteleien hat Live-Elektronik nichts zu tun. Stets ist sie ganz nah am Interpreten, am Puls der Musik, ja sie ist selbst Musik. Da leuchtet auch ein, daß die Studioleute in den Elektronikgerätschaften keine Maschinen, sondern Instrumente sehen." Sehr interessant: Vielleicht überschätze ich meine Auswirkungen, aber diese obengenannten Aussagen sind die Kernaussage über meine Ansicht von Elektronischer Musik. Sie ist steril, d.h. keimfrei, d.h. sauber, ohne die Beimischungen jener Humanität der Musik, die doch nichts anderes ist als Opium für das Volk, das genau weiß, wie schrecklich die Welt ist und dieser Welt das Mäntelchen des Schönen umhängt. Ja, diese Sounds - keine Musik mehr - sind enthumanisiert, sie wenden sich vom Menschen mit seinen, ach so egobezogenen, narzistischen Vorstellungen ab, hin zur Sache der Natur, vielleicht erinnernd an die Devise, daß die Erde nur überleben kann, wenn sie vom Menschen befreit wird, d. h. enthumanisiert wird. Die gesamte klassische Musik als Gesamtkulturleistung ist sicher großartig, geht genau wie die klassische Philosophie, Astronomie und Religion von einem Zentrum aus, dieses war der Mensch. Damit war die Musik ebenso ausschließlich menschenbezogen. Die Kopernikanische Wende dreht es um: Der Mensch rückt es aus dem Mittelpunkt an den Rand des Universums. Die Maschine kann mehr als der Mensch, auch auf die Gefahr hin, daß manches verlorengeht. Was unsere neuen Soundmaschinen jedoch erzeugen, und das in kürzester Zeit, wird kein menschenbezogenes klassisches Musikinstrument je erzeugen können. 
Wir haben versucht und wir werden versuchen, den Zuhörern etwas aus der neuen Soundwelt zu zeigen. Der neue Klang in der Alten Welt. Die Alte Welt will den Neuen Klang weder hören noch begreifen. Es ist sicherlich wohltuender, in eine Klaviertastatur zu greifen, als irgendwelche undurchsichtigen Regler zu betätigen oder Zahlenfolgen aufzustellen. Ich persönlich bin immer wieder erstaunt, daß sich trotz meines pädagogischen Einsatzes nur sehr wenige junge Menschen auf das Neue des Neuen Klanges einlassen. Die Ergebnisse sind deprimierend. Man braucht wohl nicht Psychologe zu sein, um zu ahnen, daß hier der Mensch in einer Grundposition gefordert ist: die der Aufgabe von vertrauter Sicherheit. Kommen wir auf den Begriff der "Klangbastelei". In einem anderen Artikel der BZ vom 11.12.1992 über die traditionelle Gesellschaft, die dahin ist, und die neue, die Angst macht, wird einiges berichtet, was sich auf die neue Musiktechnologie übertragen läßt: Handlungsunsicherheit und Ohnmachtserfahrung. Zu letzterem: Ich gebe zu, ich habe Angst vor neuen Geräten, ich erlebe mich manchmal der Bedienungsanleitung gegenüber ohnmächtig, und auch der Produktmanager der entsprechenden Firmen kann mir nicht weiterhelfen. Zur Handlungsunsicherheit steht in dem genannten Artikel, daß sich die Normalbiografien auflösen. Es könnte also sein, daß man an die neue Soundtechnologie eben nicht mehr als klassisch geschulter Musiker herangehen sollte, ja es entstehen Statusverunsicherungen, die dazu führen, daß man es vielleicht gar nicht wagt, neue Soundproduktionen "ersten Adressen " anzubieten, sondern daß man sich damit bescheiden muß, vielleicht in letzten Räumen neueste Klänge zu bieten. In der neuen Musiktechnologie steigt der Zwang, genau wie in der gesamten heutigen Zeit, sich flexibel verhalten zu müssen. Man weiß nicht mehr, wofür man sich entscheiden soll, z.B. für dies oder jenes Instrument. Notwendig wird - und damit komme ich auf den genannten Zeitungsartikel zurück - vor allem eine Form des flexiblen Umgangs, eine "Bastelmentalität", um mit diesen Anforderungen fertig zu werden. Aha: so liegen wir mit unseren Klangbasteleien offenbar doch nicht so ganz falsch, und so bin ich bereit, vom Produzenten sogar zum Klangbastler mich umbenennen zu lassen. Sicher ist, daß der flexible Umgang mit neuen Instrumenten, ich denke da etwa an den neuen K2000, mit basteleiartigem Experimentieren etwas zu tun hat.
Der langen Reflexionen kurzer Sinn: Der echte elektronische Sound - nicht mehr Musik, denn von den griechischen Musen in ihrem sehr menschlichen Habitus wollen wir nur noch wenig wissen - ist tatsächlich musikfern, ist nicht mehr am Puls der Musik, der jawohl wie der menschliche Herzschlag sehr regelmäßig ist, und er ist durchaus maschinengerecht, in dem Sinn, daß sich in der Maschine Gesetze der Natur für übermenschliche Aufgaben anbieten. Zu diesem elektronischen Sound bekenne ich mich, als Beispiel gebe ich die nackten synthetischen Klänge des ADS-Samplers, an denen man sich verletzen kann, so wie man sich an Granit verletzen kann, und damit lege ich ein Bekenntnis zum elektronischen radikalen Fundamentalismus ab, in der Gewißheit, daß nur wenige diesen engen Pfad mitgehen werden. Zugleich aber in der unumstößlichen Gewißheit, daß man an die Wurzel der Klangerzeugung mit der modernen Technologie vordringen kann, und ein Vordringen zur Wurzel kann man als "radikal" bezeichnen.

 

 


Jens Bendig

Gefangene Freiheit

Am 8.10.92 wurde das Theaterstück "Gefangene Freiheit" im Haus im Park uraufgeführt. Es handelt sich um eine selbstorganisierte Produktion von Schülern der Schule an der Hamburger Straße. Kalina Skordeva schrieb das Stück und führte Regie. Näheres dazu kann man der Lokalpresse entnehmen, z.B. dem "Weser-Kurier" vom 7.10.92. In diesem Stück wurde Musik von Ingo Schebesta (Physiker an der Uni Bremen) und Klangmaterial von Jens Bendig (ZeM-Mitglied) verwendt. Musik und Klangmaterial zu dem Stück ist noch auf Audio-Cassetten erhältlich. Schickt bei Interesse 10 DM Schutzgebür an mich (Absender nicht vergessen), dann bekommt Ihr eine Cassette mit Calamus-Laserdrucker-Cover. Jens Bendig, Katrepeler Str. 96, 28000 Bremen 1, Tel. 0421/352562 (abends).

 

 


Erwin Koch-Raphael

Bericht aus Bremen

Aus organisatorischen Gründen mußten wir diesmal im August eine Vorstandssitzung einberufen. Sie fand bei Jörn BRINKHUS zuhause statt und wir sprachen dort über die künftigen Formate unsres Mitteilungsblattes, mußten außerdem klären, wer alles noch bei uns Mitglied ist und damit auch verbunden: wer noch keine Beiträge für 1992 gezahlt hat. Alltag also, Abwechslung brachte uns Ingo BECKs Bericht seines Kanada-Aufenthalts, sowie abschließend Jörgs NeXT-Computer, den wir in Augenschein nahmen. Mit Jörns Musik, die er am Sampler und mit seiner Popgruppe aufgenommen hatte in den Ohren (sie orientiert sich stilistisch an der höchst schätzenswerten elektronischen Musik von DEPECHE MODE) verließen wir die Sitzung. 
Unser reguläres Mitgliedertreffen im September brachte eine Fülle von Informationen und Plänen, die unsre Zukunft, die von ZeM Bremen, betreffen. Zunächst begannen wir, gemäß Freiburger Vorbild, mit dem gemeinsamen Anhören von Musik. Jens BENDIG spielte uns "Mony in the slaughterhouse" vor, das auch im Freiburger Archiv inzwischen vorliegt. Jens kommt mit diesem Stück in die Nähe von TEKKNO, hält aber entscheidende ästhetische Distanz, die sich in anderer Komplexität und im anderen Tempo zeigt. Wir hörten dann noch "Henner 5" für Synthesizer und LiveTrompete, ein dem Jazz nahes Stück, und schließlich noch eine zwei Minuten lange Komposition in Rock für E-Gitarre und dem Flexatone einer Sample-CD. 
... und dann hagelte es Informationen, jeder wußte was:

1. In Bremerhaven gibt es das "DesignLabor", in dem für den Bereich Klang- und Industriedesign Toningenieure, Informatiker, Künstler und Architekten ausgebildet werden können. 

2. Wir erfuhren, daß an mysteriösen Computerabstürzen auch Kellerasseln Schuld haben können, die sich schon mal in der Hardware einnisten. 

3. In Bremen gibt es jetzt den "Offenen Kanal" (O.K.), ein TV-Programm, in dem jeder mitmachen kann, wer will. Kostenlos. Wer nicht weiß, wie man fürs Profi-TV aufnimmt und produziert, kann sich bei der Gelegenheit von den kompetenten MitarbeiterInnenn beim "Offenen Kanal" helfen und regelrecht "ausbilden" lassen. Notwendig werdende Geräte (Kameras etc.) werden auch begrenzte Zeit kostenlos verliehen. Regelsendezeit ist immer mittwochs, von 17 bis 19 Uhr. Jörn BRINKHUS ist dort bereits regelmäßig tätig, indem er Popbands dort vorstellt, zum Beispiel per Clips und Interviews. Eine detaillierte Darstellung des "Offenen Kanal" von Jens BENDIG befindet sich in dieser MT-Ausgabe. 

4. Das Bremer ZeM-Mitglied Jens BENDIG arbeitet mit SchülerInnen: in Bremens "Haus am Park" wurde am 8.10. ein Theaterstück von 18jährigen SchülerInnen der "Schule an der Hamburger Straße" uraufgeführt. Titel des TeamWerks: "Gefangene Freiheit". Jens machte dazu die Musik im Auftrag der SchülerInnen, etwa nach dem Motto "...mach' mal 'EINSAMKEIT' ...", das heißt, Jens erzeugte Klänge mit psychoakustischen Wirkungen. Eine, wie ich finde, wichtige und interessante Aufgabe. Nach der Uraufführung dieses Stücks fanden drei weitere Aufführungen im Oktober statt. Inzwischen wissen wir: die Resonanz war positiv! Näheres dazu siehe auch Extrabericht in dieser Ausgabe. 

5. In Bremen existiert seit einiger Zeit ein Verein für die Herstellung von Filmen aus Computerbildern, unterlegt mit Musik von CD, die dann zum Beispiel an den "Offenen Kanal", richtig mit GEMA-Berücksichtigung, gehen. Der Verein heißt "Bremer Verein für creative Computerkunst e.V." und ist erreichbar unter 0421/453533. 

6. Georg SICHMA erzählt zum Neidischwerden von einer Rundfunksendereihe, die er in Montreal erlebt hat: "son d'esprit" hieß sie, und sie brachte jede Woche (!) eine ganze Sendung nur mit elektroakustischer Musik. Zauberhafte Verhältnisse für uns, wie schon gesagt: zum Neidischwerden. Eine Aufgabe von ZeM (Freiburg und Bremen) könnte sein, auf "ihre" Rundfunkanstalten einzuwirken, ebenfalls solch eine Sendereihe einzurichten, um endlich auch diese, keineswegs minderheitliche Klientel (davon bin ich überzeugt) zu bedienen. Die Sendereihe sollte dogmafrei sein: so wie wir von ZeM es sind. 

7. Erwin KOCH-RAPHAEL teilt mit, daß der NeXT-Computer für Bremens HfK nun tatsächlich bestellt ist, also definitiv kommt. Da ZeM Bremen der Zusammenschluß exakt der StudentInnen ist, die, an Bremer Hochschulen studierend, für genau dieses Medium, das der elektroakustischen Musik nämlich, vitales Interesse und kompetentes technisches und ästhetisches Können haben, geht Erwin davon aus, daß auch ZeM-Mitglieder ihn so auslasten werden, daß er sich hier gut ins öffentliche Musikleben einbringt. Ein Glück für Bremen und ihre HfK, daß ZeM schon existiert. 

8. Lange sprachen wir über den neuesten ATARI: den FALCON 030. Jens BENDIG weiß schon jetzt, daß der FALCON die Sampler in 2-3 Jahren überflüssig macht. ZeM Bremen informiert sich am 28. Oktober geschlossen bei PS DATA (Fachhandel) über die Möglichkeiten und Vorteile des FALCON, aber auch über seine Schwächen. Zwei Vorteile sind für uns schon jetzt raus: sein Preis (ca. 1500.-DM) und der DSP 56001 (der gleiche, den auch der NeXT hat). 

9. Erwin schlägt vor, mit dem ABK ("Arbeitskreis Bremer Komponisten") enger zusammenzuarbeiten. Praktisch kann das so aussehen, daß, wer Mitglied beim ABK oder bei ZeM ist, an den Sitzungen beider Vereine regelmäßig teilnehmen darf, aber nicht muß. Auch ist die Teilnahme an Konzerten beider Vereine, sowohl aktiv wie auch passiv, möglich und kostenfrei für die Mitglieder beider Vereine. Ebenso soll ein Exemplar des ZeM-Mitteilungsblatts dem Vorsitzenden des ABK zugeschickt werden, damit er es, vervielfältigt, an die ABK-Mitglieder weitergibt. Umgekehrt würde auch ZeM sich freuen, vom ABK laufend informiert zu werden. Lediglich Wahlrechte bleiben intern geregelt. 

10. Ingo BECK lädt alle ABK- und ZeM-Mitglieder zum 23.10. in Bremerhaven zu einer Party ein, in der auch sein Umzug gefeiert wird. Davor gibts "Gruselgeschichten", ein Konzert des ABK.

11. Georg SICHMA macht uns darauf aufmerksam, daß der Vorsitzende der "DecimE", Folkmar HEIN, mehr Informationen über die Aktivitäten von ZeM Bremen wünscht. Er will sie gegebenenfalls auch im Periodikum der DecimE publizieren, auf jeden Fall müssen Konzertaktivitäten dort bekanntgegeben werden, damit sie in den DecimE-Saisonkalender für elektroakustische Musik aufgenommen werden können. Georg hat bereits reagiert und sämtliche bisherigen ZeM-Mitteilungsblätter nach Berlin an die DecimE geschickt. 

12. Das elektronische Studio der TU Berlin hat sich räumlich gesehen erweitert, in den nächsten Jahren soll sogar ein Neubau kommen. Außerdem hat, als frische Errungenschaft, das TU Studio inzwischen einen QUADRAT 950. 

13. Die Zusammenarbeit zwischen der JVMS Bremen und ZeM konkretisiert sich langsam dank der Bemühungen von Georg SICHMA. Es sind inzwischen einige Punkte herausgearbeitet worden, die präzise zu klären sind, damit ZeM im Rahmen der JVMS Computermusik-Kurse geben und zur musischen Fortbildung (auch Erwachsenenbildung) im Bereich elektroakustischer Musik aktiv werden kann für Bremen "und umzu". Allerdings ist die detaillierte Lösung der noch anstehenden Probleme ein sehr hartes Stück Arbeit. Wir bleiben aber am Ball. 

14. Marc PIRA berichtet über seine Aktivität bei der KLANGZEIT in Wuppertal. Im Anschluß daran tauschen wir unsre Erfahrungen aus über eine Installation von Marc PIRA, Andreas PLAß (... und zwei weiteren nicht-ZeM-Mitgliedern), die in einer großen Halle der alten AG Weser (Werft), im sogenannten "Lichthaus", für einen Monat zu sehen und zu hören ist (siehe Extrabericht). 

15. Wir diskutieren das Konzeptpapier von MAZZOLAs IFM, das uns von ZeM Freiburg zugeschickt wurde und finden Idee, Ansatz und das durchdachte Procedere bemerkenswert. Allerdings wird uns nicht ganz klar, wozu das ganze IFM am Ende gut sein soll. In diesem Punkt erwarten wir noch Diskussionshilfen von unsern Freunden aus Freiburg. 

16. Gegen Ende, kurz, bevor der Rotwein kam, sprachen wir noch lobend und mit bereits leuchtenden Augen verklärten Blicks übers PRESTO 1.4 und verteilten die neuen Faltblätter fürs Freiburger ZeM-College an alle Anwesenden. 

Es regnete in Strömen, als müde ZeM-Bremen-Kämpfer sich um Mitternacht mit ihrem Fahrrad auf den Heimweg machten ... bis zum nächsten Treffen! Dieses fand am 9.10. bei Andreas PLAß statt. Wir legten dort den Modus fest, in dem künftig in Bremen die MT kopiert werden soll: mehrheitlich entscheidet man sich für ein Rotationssystem. Andreas ist bereit, die Dezember-MT zu übernehmen. 
Aber auch am 9.10, begannen wir erst mit Musik von ZeM-Mitgliedern: zuerst gab es ein Trio, bei dem eine elektroakustische, vorstrukturierte Improvisation mit Marc PIRA an der Geige, Andreas PLAß an seinem selbstgebauten Real-Time SynthControlComputer und ein Gast am Akkordeon spielten. Eine Musik mit vielen guten und anregenden Ideen und Klangfunden. Dann hörten wir noch ein Stück von Andreas für einen präparierten Notenständer, aus dem per Kontaktmikrophon und Übertragung aus dem freien Schallfeld, beides gemixt, sonst ohne viel signalprocessing dazwischen, schrille und auch zartere Metallklänge herausgeholt und aufgezeichnet wurden. Für Erwin mit das beste, was er in der letzten Zeit von der Idee her sowie auch von der ästhetischen Gestaltung her gehört hatte. Sagte er. Wird also auch vorgemerkt für ein erstes Livekonzert von uns: ... das Spotlight für den Solisten am präparierten Notenständer flackert schon tatendurstig! 
Dann kamen Terminfragen, einmal unsere Mitgliedertreffen angehend, zum andern auch die geplante Begegnung mit dem Hamburger "MusicMediaLab" (MML), das nun wohl bald bevorsteht. Wir haben inzwischen aber schon erfahren, daß das MML im wesentlichen, was Hochschulen, Konzertwesen, Interesse in der Bevölkerung und besonders bei jungen Menschen angeht, ziemlich die gleichen Probleme und Aufgabenstellungen sieht wie wir in Bremen und in Freiburg. Das ist schon mal tröstlich - oder sollte es eher Grund zur Besorgnis sein? Tip für uns alle: "Think positive!" 
Es goß wieder in Strömen, als die unverwüstlichen Mitglieder von ZeM Bremen, zum Teil mit Fahrrädern, am 13.11., einem Freitag (auch das noch!), zum Novembertreffen in die gute Stube kamen, große Wasserlachen hinter sich zurücklassend. Da war es denn eine Wohltat, daß Ingo BECK aus Bremerhaven seinen Sekt dabei hatte für alle Anwesenden, den nämlich hatte er für sein bestandenes Staatsexamen spendiert. Alles gute im ernsten Leben nun, Ingo!
Und dann wurde trotzdem hart gearbeitet: der Austausch mit Oslo nimmt konkrete Formen an, wir werden eine Delegation im Oktober 1993 nach Oslo schicken, die dort mit SchülerInnen an Computern, vorwiegend ATARI 1040 STE und an YAMAHA-Synthesizern Musikprojekte durchführen soll. Die Pianistin Darlen Bakke, die in Norddeutschland lebt aber aus Norwegen stammt, übernimmt die Vermittlung und Organisation dafür.
Zustimmung bei Ingo BECK, der auch zugleich 1. Vorsitzender des ABK e.V. (Arbeitskreis Bremer Komponisten) ist, fand der Vorschlag, beide Vereine, ABK und ZeM, enger kooperieren zu lassen (s.o.). Ingo wird es den ABK-Mitgliedern auf deren nächster Hauptversammlung offiziell bekanntgeben, womit ein für diese Stadt wichtiger Schritt nach vorne getan ist, nicht nur fürs Arbeitsklima sondern auch in sehr praktischer Hinsicht. Herzlichen Glückwunsch, Bremen! 
Desweiteren stand noch ein Angebot der "Tage neuer Musik Hannover" im Raum, im Januar 1993 dort ein Konzert oder einen anderweitigen Beitrag aus dem Bremer Raum zu liefern. Da die Zeit bis dahin sehr knapp ist, und wir alle ja auch sonst sehr hart eingespannt sind, können wir da nur fertige Projekte vorschlagen. Ob sie dann akzeptiert werden, ist eine andere Frage. Wir kamen überein, das Projekt aus Wuppertal von Marc PIRA und Hubertus KIRCHGÄßNER vorzuschlagen, aber auch die Gemeinschaftsarbeit aus dem Bremer Lichthaus von PLAß, PIRA, BLANKE und DIERKS wird vorgeschlagen werden, gut wäre auch der "musizierende Notenständer" von Andreas PLAß. Wir werden sehen und berichten, was daraus wird...das jedenfalls waren die wichtigsten Themen unsres Treffens vom 13.11.
... und die Spannung steigt, was die ZeM-Mitglieder aus den 7 Grundklängen geschaffen haben an 4 minütigen Kompositionen: am 4. Dezember werden wir auch DAS wissen und - berichten! Und dann kommt der Nikolaus, wie gehabt.

...neulich an der Waterkant: 
 

FLIESSENDE GRENZEN - ZeM Bremen bei MML Hamburg 
 

Zwischen unsern regulären monatlichen Mitgliedertreffen gab es am 24. Oktober die erste persönliche Begegnung von ZeM Bremen und dem MML (MusicMediaLab) in Hamburg, in der Privatwohnung des bekannten Hamburger Komponisten Manfred Stahnke. Zugegen waren vom MMl der japanische Komponist, Yun-Schüler und jetzige ZKM-Siemens-Stipendiat Kiyoshi Furukawa sowie der Musikwissenschaftler und Dozent Dr. Wolfgang Thies (Universität Hamburg). Aus Bremen kamen Erwin Koch-Raphael, Andreas Plaß und Georg Sichma. 
Bei Kaffee, Tee und sehr viel gutem Kuchen stellte sich rasch heraus, daß die Gründung der MML aber auch die Probleme, die sich heute immer noch stellen, ziemlich genau übereinstimmen mit denen, die Bremen und Freiburg zur Gründung von ZeM veranlaßten: es fehlt an einem geeigneten Raum für regelmäßige Aktivitäten Richtung elektroakustischer Musik (Studio, Versammlungsraum und Aufführungsmöglichkeit(en)), an Geld (für Anschaffungen, Unterhalt und Konzerte, Öffentlichkeitsarbeit), an Zeit bei den Mitgliedern (alle sind schon voll ausgelastet mit ihrem mühsamen Broterwerb und ihren Familien), aber auch das öffentliche Interesse ist weit hinter den zeitgemäßen Tätigkeiten des MML wie ja auch der ZeM-Organisationen zurück, besonders beschämend auch in Hamburg wie in Bremen und Freiburg das weitgehende Desinteresse von Musikhochschule und Universität gegenüber Elektroakustischer Musik und ihren innovativen, avantgardistisch menschlichen Vertretern, die die Welt von morgen ästhetisch doch wesentlich mitkonzipieren. Es fehlt an allen Ecken und Enden, obwohl es auch ein erklärtes Ziel der MML ist, die populäre MIDItechnologie und das schöpferische Umgehen damit an junge Leute zu bringen. Und Nachfrage ist da. Wie bei uns: es boomt heftig! 
Das MML besitzt aus Behördenmitteln einenNeXT-Computer mit allem, was NeXT braucht, um gute elektronische Musik zu machen. Er steht in einem Privatstudio eines MML-Mitglieds, weil in der Universität die Unterbringung wegen möglichen Diebstahls zu gefährlich wäre: auch die Universität Hamburg ist, wie Bremen, gegen Diebstahl von Arbeitsgeräten nicht versichert. 
Bei MML besteht im Augenblick kein Interesse daran, einen Verein zu gründen, da der Sinn eines solchen Unterfangens für Hamburg nicht ersichtlich ist, es besteht jedoch großes Interesse an Modellen wie dem ZeM-College oder dem Bremer Modell einer Kombination von ZeM-Kursangeboten an den JVMS. Wirtschaftliche, also existentielle Probleme der Mitglieder sind mit andern Worten auch in Hamburg nicht zu übersehen: kennen wir das nicht zu gut auch hier in Bremen? Und in Freiburg ist es sicher auch nicht viel besser.
Fließende Grenzen zeigte unsere gemeinsame Teestunde auch im weiteren Verlauf des Gesprächs: es ging allgemein und zum Teil hitzig über die norddeutsche MIDI- und Computerszene, über die Hochschulpolitik (gibt es die überhaupt noch?) in Norddeutschland, über den neuen ATARI Falcon 030, natürlich auch sehr über den virtuosen und schon legendären NeXT-Computer ... ... aber wir sprachen ebenso über Schwarze Löcher, über Fraktale und Andreas Plaß' zelluläre Automaten sowie über Andreas' Selbstbaucomputer und das diesem zugrundeliegende LiveElektronikModell ... schließlich stießen wir in die SubQuark-Region der Welterklärung vor und kamen über die ägyptischen Pyramiden zurück zu den neuen Theorien des menschlichen Bewußtsein, die ja eng verbunden sind mit den Arbeiten in der "kognitiven Informatik" (KI). Am Ende verabschiedeten wir uns mit Apercus über Siegmund Freud und seiner Traumdeutung - gute Nacht... 
Wir fuhren in Georgs Opel durch die norddeutsche Mondnacht zurück von Hamburg nach Bremen, vorbei an den eindrucksvollen Hafenanlagen, deren nächtliche Beleuchtung im Kunstlicht futuristische Wunschträume auslöste bei uns, aber nicht, ohne vorher noch einen neugierigen Blick in Manfred Stahnkes Studio geworfen zu haben, in dem es nach sehr viel guter Arbeit aussah. 
Es gab bei diesem Treffen sehr viel schöne und gute Aussichten für weitere Begegnungen: so veranstaltet das MML in Zusammenarbeit mit dem Ensemble "l'art pour l'art" vom 13.11.92 bis zum 24.11.92 ein Festival der Gegenwartsmusik mit dem Titel "Fließende Grenzen", und es gibt dort neben Konzerten mit Computermusik auch Workshops dazu mit Risset, Thies Axel Thomas Furukawa, Chen, Stahnke.
Und für das Jahr 1993 ist vom 5. bis zum 7. Februar vorgesehen ein Symposion, bei dem MML auch Mitveranstalter ist, unter dem Thema "Interface II". MML betreut die "Sektion Musik-Maschine-Bilder" und wird sie u.a. gestalten mit neurophysiologischen Experimenten, an denen das Publikum selber mitarbeiten kann. Es geht um Interfaces, leuchtende Wände, brain-direct-controlling, audiovisuelle Environments, computeranimierten Film und - um Computermusik.
 Auskünfte bei: MML c/o Stahnke, Rahlaukamp 29 b, W-2000 Hamburg 70, Tel: 040 668 2970.

 

 


Franz Martin Löhle

Der MSEP

Elektronische Computermusik, die via MIDI produziert wird, leidet eindeutig an der Starrheit der Klänge, da MIDI Klangerzeuger in der Regel danach verlangen, daß die Klänge zunächst programmiert und dann erst in einer Produktion zusammengesetzt werden. 
Seit der Einführung von MIDI System Exclusive Messages (Spezielle MIDI-Meldungen) und der Steuerung von Klangverläufen über div. MIDI-Controller versuchen Generationen von MIDIanern mit Hilfe eben dieser, der obigen Problematik entgegen zu wirken. 
Die meisten MIDI-Sequencer und Kompositionsprogramme bieten die Möglichkeit, Sys Ex und Controller zu verwalten. Doch auch hier sind die Eingabe und Verarbeitungsmöglichkeiten dieser Events, sieht man vom direkten Einspielen ab, recht umständlich. Weiter setzen diese Maßnahmen die genaue Kenntnis der MIDI Sys Ex-Formate oder die vorherige Programmierung von Sound-Parametern auf Controller voraus! 
Bei der Produktion von Elektronischer Computermusik auf Kompaktsystemen (z.B. NeXT und größere) fällt diese Problematik weg, da Klangerzeugung und -steuerung in einer Ebene geschieht. 
Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund startete ich Anfang 1992 im Rahmen von ZeM College ein Projekt, eine Lösung für den Produzenten Elektronischer Computermusik zu finden. Zunächst wurden auch hier in Freiburg Überlegungen angestellt, gemeinsam ein System wie den NeXT oder Mac mit MAX und DSP anzuschaffen und zu nutzen und somit MIDI sein zu lassen. Zum einen wäre dann jedoch die interessierte Öffentlichkeit ausgeschlossen und allein zum Hören "verdammt", zum anderen hätten wir uns dadurch dann wieder neue Schranken auferlegt, da durch das Teilen eines Großsystems nur bestimmte Zeiten zur Produktion zur Verfügung gestanden hätten. 
Hierdurch entstand die Idee, das ganze eben doch mit MIDI durchzuführen. Die Hardware (Computer mit MIDI, MIDI-Klangerzeuger, Kabel und sonst. Peripherie) standen schon zur Verfügung. Es mußte nur noch die entsprechende Software geschrieben werden. Zwar war bekannt, daß es schon Entwicklungen in dieser Richtung gab (z.B. MIDIMICA der MHS Freiburg), doch sind diese speziell für eine Art von Klangerzeugern vorgesehen, da eben Sound-Parameter-Wechsel "exklusiv" sind und setzen Kenntnisse von eigenen Bedienungsebenen voraus! 
Folgende Prämissen wurden für unser Software-Projekt gesetzt:

  1. Die Bedienung soll möglichst numerisch und graphisch sein.
  2. Die Benutzeroberflächen sollen sich an die aktuellen Computerstandards halten (normierte Befehle, GEM/Windows orientiert). 
  3. Die Kenntnis von Hexadezimal-Zahlen und Sys Ex Tabellen ist für die Benutzung des Programms nicht Voraussetzung. 
  4. Möglichst alle MIDI-Geräte (Synthesizer, Sampler, Effekt-Prozessoren, Mischpulte, etc.) sollen angesprochen werden können. 
  5. Die Kompatibilität zu anderen Programmen soll über den MIDI-File-Standard gewährleistet werden. 
  6. KI und algorithmische Kompositions-Prozesse sollen die Erstellung von Produktionen bereichern. 

Inzwischen wurden die meisten Prämissen umgesetzt und das Programm "MIDI System Exclusive Producer", kurz "MSEP" ist in der Version 0.9 für DM 270,- erhältlich. 
Die Arbeitsweise von MSEP entspricht im großen und ganzen den bekannten MIDI-Recording-Programmen. Auf verschiedenen Tracks (hier: Traces) können bestimmte Parts erzeugt werden, die MIDI Events enthalten. Parts werden durch ihre MIDI-Gruppe und einem dazugehörigen Parameter bestimmt. Neben den bekannten Gruppen: Note On/Off, Controller, Pitch Wheel, Aftertouch, etc. können eben auch MIDI-Instrument-Gruppen benutzt werden. In der Regel sind dies die Namen der Geräte (Korg Wavestation, MicroWave, Yamaha SY77) oder wie beim letzten weitere Differenzierungen, die durch die Sys Ex-Architektur des Instrumentes notwendig sind. Die Parameter sind je nach Instrumenten-Gruppe z.B. Cutoff Frequency, Algorithm, Slope, Attack Time, Wavetable Number, etc., etc. pp. geordnet. 
Alle denkbaren Editier-Möglichkeiten sind vorhanden, und werden auf Wunsch ständig erweitert. 
Inzwischen sind die Vorstellungen für die Erweiterung von MSEP soweit fortgeschritten, daß eine komplexere und freiere Programmumgebung von Nöten ist. Das neue WIMOS-StarTrack Programm (Beschreibung in dieser Ausgabe) der Firma GEERDES von Michael Kahlert bietet genau das, was für das MSEP-Konzept diese Erweiterungen ermöglicht. Hieraus ergibt sich für die Zukunft, daß StarTrack (modular aufgebaut) MSEP-Funktionen implementiert und somit eine Software entsteht, die alle Möglichkeiten offen läßt! 
Wer jedoch schon jetzt in den Genuß dieser Möglichkeiten kommen möchte, kann MSEP über ZeM College, [aktuelle Adresse] Wippertstr. 2, 7800-Freiburg, Tel: 0761/409014 für DM 270,- beziehen. Diese Version beinhaltet das Programm mit den gewünschten MIDI-Geräte-Anpassungen und eine ASCII-Bedienungsanleitung. Ab Anfang 1993 wird dann für DM 30,- eine bebilderte Anleitung erhältlich sein. Sobald dann die meisten MSEP-Möglichkeiten in StarTrack zur Verfügung stehen, kann gegen Aufpreis StarTrack erworben werden.

 

 


Erwin Koch-Raphael

Den Falk im Nacken...

Zwischen unserm Novembertreffen und dem Oktobertermin gab es noch einen Besuch von ZeM-Bremen bei PS-DATA, einem Computerhändler, der schwerpunktmäßig in Bremen ATARI vertritt. Georg SICHMA, Andreas PLAß und Erwin KOCH-RAPHAEL waren morgens die ersten, die bei PS-DATA die Vorstellung des FALCON 030 auf der sog. "FALCON-Party" (mit Sekt und Schokoladenkeksen) miterleben durften... Er macht schon mordsmäßig Eindruck, dieser Raubvogel von ATARI. Die Musikwiedergabe aus dem Musikprogramm des FALCON (mit CD-Qualität) über Verstärkeranlage war überzeugend. Die Bearbeitungsmöglichkeiten von Samples und der vergleichsweise enorme Speichervorrat machen Lust auf mehr und noch viel mehr als man ATARI je zugetraut hatte. CUBASE läuft jetzt schon verhältnismäßig sicher auf FALCON, AVALON wird bald auch ganz anwendbar sein, aber NOTATOR wird wohl erst in der Version des NOTATORLOGIC ernsthaft ins FALCON-Konzept integrierbar sein. Was den Preis anbelangt: er liegt jetzt bei DM 2298.- und wird wohl bis Mitte '93 stabil bleiben, erst danach könnte ein "Abrutschen" einsetzen (oder auch das Gegenteil?). Das Musikprogramm kostet zur Zeit noch DM 98.-, ist aber sehr updatebedürftig. Und die Updates werden viel teurer sein. 
Ein paar technische Daten: Digitaler Signalprozessor Motorola DSP 56k, 32 MHz mit 32Kx24 Bit SRAM, Parallel Port, übliche ATARI-MIDI-Ports, Cartridge Port etc., 16 Bit Stereo ADC und DAC in CODEC, Eingang für Stereomikrophon (sauber!), Ausgang für Stereokopfhörer, je 8 Kanäle 16 Bit DMA Aufnahme und Wiedergabe bis 50 kHz, 3 Kanal PSC Sound (kompatibel zu ST), Anschluß für Digital Audio und DSP. RAM: Modulsteckplatz für 1, 4, 14 MByte, ROM: 512 kByte, ausgezeichnete VIDEO-Möglichkeiten (kombinierbar mit Sounds). 

Gesamteindruck: sehr vertrauenerweckend, solide Konzeption, anständiger Preis, eine echte Zukunftsperspektive und eine mögliche Alternative für den NeXT im Bereich HomeWorking für Leute, die weder Geld für einen Sampler noch für den NeXT-Computer haben...nur der Sekt war etwas zu warm. 

 

 


Erwin Koch-Raphael

FORTH-Schritt in Freiburg, Rückschritt in Bremen?

MIDMICA 
Wie das Mitteilungsblatt der DecimE, der der Bremer ZeM e.V. angehört, in der letzten Ausgabe mitteilt, ist an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg ein interessantes Programm entwickelt worden, das auch viele ZeM-User faszinieren kann: MIDIMICA, für den ATARI in FORTH geschrieben, ist das "offizielle" Musikprogramm des Freiburger "Institut für Neue Musik", wie auch FORTH die "offizielle" Programmiersprache dort ist. 
Der Autor des Programms ist Bernard GEYER, fertiggestellt wurde dieses Programm, ebenso wie die bemerkenswerten und guten Programme des Freiburger ZeM College (F.M. LÖHLE), im Sommer 1992. 
In Freiburg muß ein Software-Boom ohne Gleichen sein, nichts wie hin zum Angucken! Das Klima dort scheint gut für die Kreativität in dieser Arbeitsrichtung zu sein. Schade: davon kann man in Bremen immer nur noch träumen, zumal die Musikhochschule in Bremen zur Zeit den Einsatz des inzwischen bereits gelieferten NeXT-Computers erfolgreich durch Verfahrenstricks verhindert, (er verkommt dort seit Anfang Oktober im Hochschulkeller), wie bereits im Vorfeld zu vermuten war - was dort eben nicht nur den Lehrbetrieb unnötig aufhält, sondern auch das Kreativitätsklima in der norddeutschen NeueMusikStadt auf diesem Gebiet beeinträchtigt. Es können doch nicht alle guten Computermusiker auf ewig nur in Freiburg leben!? 
Bernard GEYER lebt zur Zeit von einem Stipendium, das er von der Freiburger Musikhochschule bekommt, und betreut dort die Arbeit in Musikinformatik. 
Zum Programm heißt es im Vorspann des DecimE-Artikels: 
"Wir werden noch lange auf das Superprogramm warten, auf das Programm, das von einer EINZIGEN Arbeitsoberfläche 'alles machen kann'. Die kommerzielle Software wird zunehmend besser, sie ist aber zu sehr an ästhetische und finanzielle Zwänge gebunden, um einer experimentell orientierten Musik gerecht sein zu können. Ist man in der Lage, zu programmieren, so will man selber eine Arbeitsumgebung gestalten und zwar mit Rücksicht auf die vorhandenen Bedürfnisse, seien diese individuell oder gruppenbedingt, etwa eine Kompositionsklasse innerhalb einer Musikhochschule. MIDIMICA ist ein solcher Versuch." 
MIDIMICA arbeitet mit einer freien Gestaltung von Modulen für Input, Output, sequencing, Klangfarbenbänke und von anderen MIDIbezogenen Aufgaben. Außerdem ist es, wegen des Einbaus in einen FORTH-Interpreter, möglich, Fourier-Analysen, jede Art algorhithmischer Prozessierung, Fraktalrechnungen u.s.w. einzubinden, genauso können ATARI-Grundfunktionen integriert werden. Da nicht alle gleich gut und gern mit FORTH arbeiten können, weil es auch erst gelernt werden muß, gibt es sogenannte 'user interfaces', die man ohne große Programmierkenntnisse anwenden kann. 
Und noch was Gutes hat MIDIMICA für Bremer und Freiburger ZeM-Mitglieder: das Programm hat sich auf den YAMAHA TX-802 spezialisiert, alle Funktionen des TX sind leicht von MIDIMICA aus steuerbar, so wird behauptet. 

Es geht das Gerücht, daß man seit Wochen in Bremen, zu mitternächtlicher Stunde, im Kellerraum der Hagenauer Straße 28 den 1. Vorsitzenden von ZeM Bremen am Monitor seines ATARI sitzen sieht, wie ein leibhaftiges Gespenst, mit dem FORTH-Buch vor der Nase ... Was das wohl wieder zu bedeuten hat? Offensichtlich glaubt hier im ZeM Bremen keiner mehr an eine ernstzunehmede Zukunft von NeXT und LISP in Bremen, bei dem Zustand der hiesigen Musik-hochschuladministration und dem ewigen, eifersüchtigen Gezänk unter den Kollegen hier, das positive Arbeit, in die Zukunft gerichtet, bisher erheblich zu erschweren weiß ... Rückschritte statt Fortschritt, also auf zum FORTH-Schritt! 

 

 


Gerhard Wolfstieg

Neue VerMittler

I  Um den Begriff des Mediums

Schön ist es, wenn ein Medium das Übermitteln des gewünschten Inhalts leichter, schneller und effektiver macht. Wenn zudem das Medium neu ist, kann auch die Qualität des Inhaltes neu sein, die Form ist es von vorn herein. 

Der Kontext, in dem dieser Artikel erscheint, erlaubt es, ein besonderes Augenmerk auf den künstlerischen Einsatz eines Mediums zu haben. Unter diesem Aspekt noch einmal: Es ist schön, schneller, effektiver und mit weniger Mühe arbeiten zu - stop! Oben ging es um das Übermitteln und nicht um das Erstellen eines Inhaltes. 

Die Wirkung eines Mediums erstreckt sich in zwei Richtungen. Zuerst wird die Arbeit an dem Medium von diesem bestimmt. Danach beeinflußt es die Situation des Konsumierens / Rezipierens. Bei der Produktion von Kunst wird das Ergebnis von Material und Arbeitsvorgang, vom Medium direkt qualitativ beeinflußt. Dafür ist der Künstler mehr oder weniger frei in der Wahl seines Mediums. 

Ein weiteres Mal: Es ist schön ... - genauer - ein Medium ist selbst so zu gestalten, daß das Übermitteln eines gewünschten Inhaltes schneller leichter und verständlicher vollzogen wird. Ist dies wirklich immer richtig? Es gibt hör- und/oder sichtbare Kunstwerke, in deren Fall der Versuch einer verständlicheren Darstellung die gleiche Wirkung hätte, wie die Erklärung eines Witzes beim Erzählen desselben. Hierbei ist Verständlichkeit grundverschieden zu Klarheit und Einfachheit. 

II  Werkzeug oder Medium 

Welches Ding ist ein Werkzeug, was ist ein Medium, gibt es etwas, das beides ist? Was ist eine Geige? Ist sie das Werkzeug, mit dem Töne erzeugt werden, die wiederum Medium der Musik sind? Wäre es befriedigender, eine Geige als Medium anzusehen, besonders wenn es ein wertvolles Instrument ist? 
Der Begriff 'Werkzeug' braucht hier nicht bestimmt werden. Für 'Medium' sind Alternativen denkbar. Je nach Intention kann - am Beispiel 'Zeitung' - das bedruckte Papier oder bedrucktes Papier plus Redaktion plus Verlag plus Umfeld usw. Ziel des Begriffes 'Medium sein. 

Die Wahl einer dieser beiden Möglichkeiten hat zur Folge / folgt aus einer grundlegenden Art der Anschauung. Gezeigt sei dies am Umgang mit Audio- oder Videoanlagen und am "kreativen" Gebrauch des Computers:

Als Werkzeug dienen Kamera / Mikrofon und Schnittplatz dem, der etwas erarbeiten will und dem das Ergebnis in der Situation der Reproduktion das Entscheidende ist. Ein Werkzeug ist der Computer in der Hand dessen, der Ideen umsetzen und dafür effektiver arbeiten will oder der ihn braucht, um komplexe Vorgänge ( in time ) bewältigen zu können. Medium ist in beiden Fällen eine Abspiel- und Vorführeinrichtung. 

Zum Medium werden Kamera oder Mikrofon in einer Einheit mit Bildschirm oder Lautsprecher, wenn der Informationsfluß zwischen beiden direkt oder hauptsächlich automatisch erfolgt. 'direkt' und 'automatisch' sind hier Attribute eines Zustandes, in dem ein Betrachter und auch der aktive Mensch die technischen Geräte als ( lebenden? ) Organismus begreift. 

Der Computer wird dann zum Medium, wenn er scheinbar oder real auf Knopfdruck komplette Werke / Kunstwerke erzeugen soll.

I Um den Begriff des Mediums ZeM Nr. 9 - 4/1992
II Werkzeug oder Medium  ZeM Nr. 9 - 4/1992
III Was ist ein Computer / nicht ? ZeM Nr. 10 - März 1993
IV "Neue Medien" ZeM Nr. 11 - Juni 1993

 

 


Franz Martin Löhle

StarTrack, der Track Star - oder - 999 BPM

In dieser Ausgabe des ZeM MT's ist nun zum dritten Mal die Fortsetzung von Fritz Mikesch's "999 BPM - oder - Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt" erschienen. 
Vermutlich ist den wenigsten entgangen, daß sich "999 BPM" auf das MIDI-Sequencer Programm StarTrack der Frima Geerdes bezieht, und die höchst mögliche Tempo Einstellung, nämlich 999 Schläge pro Minute (Beats Per Minute), des StarTrack bedeutet. 
Vor fast einem Jahr, beim April Mitgliedertreffen (ZeM FR), stellte ich StarTrack und seine Betriebsumgebungen (MIDIshare, WIMOS) erstmals vor. Inzwischen wurde das Programm mehrmals upgedated und auch die Zeitschrift KEYBOADRS widmete dem Programm in der Ausgabe 9/92 einen 9-seitigen Test, worauf ich bei dieser Gelegenheit verweisen möchte, da ich im folgenden nicht einen weiteren Test liefern, sondern vielmehr auf die Besonderheiten und die Bedeutung des Programms eingehen möchte. 
StarTrack ist eigentlich kein Programm, sondern vielmehr ein Modul, worauf man auch schon beim Programmstart stößt, da es nicht durch Doppelklick auf "STARTRCK.PRG, sondern auf "WIMOS.PRG" gestartet wird. WIMOS stellt einen Modul Manager dar, der die unterschiedlichsten MIDI-Module verwalten kann. Die große Leistungsfähigkeit (s.u.) von WIMOS verdankt es außer natürlich seinem Programmierer (Michael Kahlert) dem französischen MIDI-Multitasking-Betriebssystem "MIDISHARE" der Firma TimeTech auf dem WIMOS "sitzt". MIDISHARE übernimmt die vollständige Kontrolle über alle MIDI-Ein- und Ausgaben und läuft außer auf Atari ST/STE/TT auch auf Apple Macintosh Computern. Interessenten können mit einer MIDISHARE-Linzens selbst Programme in "C" für MIDISHARE schreiben. 
Der Musiker, der mit Atari Computern arbeitet, hat sicher keine Probleme, geeignete Sequencer Software zu finden, da es mindestens ein Dutzend solcher professionellen Programme gibt. Neben den reinen Sequencer-Aufgaben, leisten viele dieser Programme auch zusätzliche Funktionen im Bereich des Composings was hinlänglich bekannt sein dürfte. Somit muß eine neue Sequencer Software, will sie sich durchsetzten, natürlich mehr als die bisherigen bieten. Wer nun verstärkt ein Sequencer-Programm nicht nur als MIDI Recorder benutzt, ist auf die vorhandenen Programmteile seiner Software angewiesen, die ein wenig mehr bieten als "Geld und Zinsen". 
Beiden Punkten wird WIMOS/StarTack gerecht. So bietet zum einen, StarTrack wirklich einige neue Features, zum anderen ist WIMOS, wie erwähnt modular ausgelegt. Durch diesen Umstand ist es möglich, sich verschiedene Programmteile (Module) selbst zu einem Programmpaket zusammenzustellen, Module (z.B. Kompostionsmodule, Sound- u. Sample-Editoren, Notendruckmodule, etc.) nachzukaufen und im besten Falle sogar selbst Module für WIMOS zu programmieren. 

Was ist nun wirklich anders und vielleicht sogar besser? 

1. Tempo 
Das erste was bei Insidern wie eine Bombe einschlug, ist die Möglichkeit, verschiedene Teile eines Song mit unterschiedlichen Tempi zu belegen. Dies ist über eine Tempo-Spur und auch in Real Time live einstell- und veränderbar. Das Tempo kann Werte von 1 - 999 BPM (you remember) annehmen. Es ist zum Beispiel denkbar, die Stimmen einer polyphonen Komposition im Tempo auseinander und wieder zusammenlaufen zu lassen. 

2. Fenster (Windows) 
Was das Windows der IBM's noch nicht kann, der Mac es sich wünschte und der Atari von Hause aus sowieso nicht will, bietet das durchdachte Fensterkonzept von WIMOS: 
- bis zu 40 (in Worten: vierzig) Fenster gleichzeitig 
- Fenster können automatisch am Bildschirm angeordnet werden: kein Überlappen, kein Platzverlust 
- Alle sichtbaren Fenster sind immer alle optisch und zum Bearbeiten aktiv 
- Nicht geöffente Fenster liegen nicht als Icon ("Wo isses denn?"), sondern als Menüeinträge (Menüpunkt: Icons) vor 

3. Zukunftssicherung - optimale Auslastung 
Es wird immer die höchst mögliche Leistung des Rechners ausgenutzt: also ST gut, Mega STE besser, TT am besten und demnächst Falcon 030 am allerbesten und zukünftige Atari Innovationen (Falcon 040 und besser) am allerallerbesten ... 

4. Aufbau 
Die Struktur eines Stückes oder einer Performance bietet die komplexen Möglichkeiten. Als oberste Ebene steht die Performance, die aus bis zu 100 Songs bestehen kann, jeder Song kann eine unbegrenzte Anzahl (s. 3.) von Patterns beinhalten, ebenso jedes Pattern beliebig viele Spuren (Tracks), und jede Spur viele, viele Parts. Damit diese Komplexität wieder durchschaubar wird, bietet StarTrack eine Overview Page, die alle Teile einer Performance darstellen. 
u.v.a.m. 

Z. Zt. wird StarTrack vollkommen überarbeitet und den optischen Erfordernissen der heutigen Zeit angepaßt. Aus diesem Grunde werde ich mit der Beschreibung und vor allem mit Abbildungen in der nächsten ZeM MT Ausgabe fortfahren.

 

 


Franz Martin Löhle

Viele, viele "bunte" Software

Vielleicht gibt es im Musikbereich keine solche Software-Vielfalt wie beim Atari ST/STE/TT. Angefangen bei den "professionellen" Sequencer-Programmen bis hin zu kleinen MIDI-Utilities, die dem MIDIaner spezielle Dienste leisten. 
Der Freiheitsgrad, der Atari-Programmieren gelassen wurde und wird, hat seinen Teil dazu beigetragen. Jeder der ein wenig programmieren kann und etwas von MIDI-Musik versteht, versuchte und versucht, seine Interessen in ein Anwenderprogramm umzusetzen. Auch ich selbst trug und trage dazu bei: immer wieder noch 'n Programm. Wichtig! Hier sind natürlich nicht jene gemeint, die selbst Programmiersprachen nutzten, um im Source-Code fertige Computermusik-Produktionen zu erstellen. 
Für den Anwender hat dies zunächst einmal Vorteile, die Konkurrenz belebt das Geschäft und hierdurch die Entwicklung von immer interessanten Programmen. Trotzdem muß er natürlich auswählen, da nur die wichtigste Software, die in der Regel gebraucht wird, zusammengerechnet, den User auf fast 10.000 DM kommen würde. Weiter ist es schwierig, immer die notwendigen Informationen über neue Programme zu bekommen um die Auswahl zu treffen. 
Dies wurde auch schon von div. Software-Häusern erkannt, und es wurden Programme entwickelt, die mehrere Programme in einem vereinten. Zunächst wurden den Sequencern Kompositions-, Improvisations- und Notendruck-Module mit auf den Weg gegeben, da erschienen Uni-Editoren, die mit den verschiedenen Anpassungen verschiedene Synthesizer ansprechen konnten. Der erste Schritt wurde also schon gemacht, dem User entgegenzukommen. Doch immer noch gibt es Anwendungen, für die der User ein extra Programm braucht, und wenn er Pech hat, mit den bisherigen Programmen nicht einmal kompatibel ist. 
Momentan gibt es eine Entwicklung in eine neue Richtung, die den bisherigen Software-Problemen entgegenwirken wird. Gemeint ist WIMOS, eine Entwicklung von Michael Kahlert aus dem Hause GEERDES, Berlin. WIMOS ist ein Modul-Konzept, das über MIDI-Share, MIDI-Anwendungen verwaltet. Das erste Modul: StarTrack ist ein etwas anderer MIDI-Sequencer (Beschreibung in dieser Ausgabe). Module für andere Anwendungen (Notendruck, Composing, Improvisation, KI, Editoren, Sampling, etc.) sind in Vorbereitung. Wer etwas C kann oder jemanden kennt, der C kann, kann mit einer Objekt-Schnittstelle auch eigene spezielle Anwendungen kreieren. Sobald WIMOS diese Module besitzt, ist es also dem User erstmalig möglich, mit einer Software alle seine gewünschten MIDI-Anwendungen zu erledigen. 
Dieses Konzept ist, denke ich, deshalb sicher eine Alternative zu den bisherigen Konzepten. Auch wenn andere neugegründete Häuser gerade dieses Konzept weiter forcieren. Software an Hochschulen entwickelt, ist in der Regel, durch die finanzielle Freiheit dieser Institutionen, zu speziell programmiert. 
Zu guter letzt ist das offene Modul-Konzept auch deshalb interessant, da besondere User-Wünsche ohne Probleme jederzeit als neues Modul aufgenommen werden können. 

 


Andreas Plaß

Echtzeit-Klangsynthese mit digitalen Synthesizern

Zwar bieten digitale Synthesizer theoretisch eine unbegrenzte Klangvielfalt, davon läßt sich in der Praxis jedoch meist nur ein kleiner Bruchteil nutzen. Dieses Problem verschärft sich, wenn digitale Synthesizer live gespielt werden sollen. Bei einem Midi-Expander verbleiben den Musikern als einzige Möglichkeiten zur Klangveränderung oft nur das Modulationsrad oder ein Programmwechsel. Verglichen mit einem frei programmierbaren Analogsynthesizers stellen die zehn Knöpfe an der Frontplatte eines Midi-Expanders schon einen großen Rückschritt dar. Da ich selbst improvisierte elektroakustische Musik spiele und hier besonders mit Klangfarbenmodulationen experimentiere, habe ich versucht, diese unbefriedigende Situation für mich zu verbessern. 
Glücklicherweise sind digitale Synthesizer über die Midi-Schnittstelle programmierbar und dies ist (bei einem DX-7) auch in Echtzeit möglich. Um auf den Klang beim Spielen direkt einzuwirken, wird also ein Computer benötigt. Für erste Experimente auf einen Atari ST ist ein Programm, das Mausbewegungen (2 Paramter) in System-Exclusive Meldungen umwandelt, schnell geschrieben. Mit etwas Löterfahrung kann man auch eine Erweiterung (z.B. "Aufmacher" mit 8 A/D Kanälen, elrad 10/89) aufbauen, die zusätzliche Hardware zur Verfügung stellt. Ich habe für die Ansteuerung eines Synthesizers einen handlichen Computer gebaut, der speziell für den Live-Einsatz mit elektronischer Musik konzipiert ist. Der Computer besteht aus einem Einplatinencomputer (c't 11/86) der um 16 (8 Bit) Analogeingänge und Schaltereingänge für Tastaturen erweitert wurde. Mit diesem Gerät habe ich eine relativ universelle Hardware, die ich mit entsprechender Software ihrem speziellen Einsatz anpassen kann. Da er denselben Prozessor wie der Atari ST besitzt, kann ich C-Programme auf dem Atari entwickeln und testen, um sie später (dank Batteriepufferung) im RAM des Steuercomputers zu starten. 
Ich nutze ihn jetzt zusammen mit einem TX-802 Synthesizer. Als Eingabeeinheit verwende ich ein Midisaxofon und eine alte Computertastatur, die auch als "Keyboard" dient und um Drehpotis und Fußpedale erweitert wurde. Die Analogspannungen der Regler werden in System-Exclusive-Daten für den Synthesizers gewandelt. Der DX-7 Klangparametersatz ist hier gut geeignet, weil er noch relativ überschaubar ist. Sinnvoll sind Modulationen der Operatorfrequenzen, ihrer Amplitude oder der Frequenz des LFO. Da bei der FM-Synthese kleinste Frequenzveränderungen einzelner Operatoren unvorhersehbare Effekte haben können, die dann oft unerwünscht zu drastischen Veränderungen des Klangcharakters führen, habe ich 32 Grundklänge zusammen mit geeigneten Parametern, die durch die Potis eingestellt werden, ausgewählt. Bei den meisten Klängen blieben zwei oder drei Parameter, deren Modulation musikalisch interessant war, dies können dann aber z.B. auch Kombinationen von DX-7 Parametern sein. Für Experimente existiert zusätzlich ein Editormodus, um die Belegung der Reglerfunktionen zu wechseln. Ergänzt wird das Programm um einen einfachen Sequenzer, der mit zwei Tasten bedient wird. Er kann kurze Klangfolgen schnell aufnehmen und abspielen, aber auch komplexe Klangmodulationen erzeugen, wenn z. B. Veränderungen an den Reglern zyklisch abgespielt werden. 
Die ersten Experimente zeigten, daß mit diesen Einflußmöglichkeiten der Synthesizerklang enorm bereichert werden kann. Speziell die direkte Klangmodulation erlaubt neue dynamischere Klangfarben, die mit einem Editor/Sequenzer allein nur schwer bzw. gar nicht denkbar ist. Man gewinnt so ein Stück des Spielgefühls eines Analogsynthesizers zurück. Besonders wertvoll ist auch das Midisaxofon, das den Blasdruck in Midisignale wandelt, so daß der Klang mit dem Mund sehr fein moduliert werden kann. 
Meine Wunschvorstellung bei der Entwicklung dieses Computers ist ein elektronisches Musikinstrument, das sich mehr wie ein akustisches mechanisches Instrument spielen läßt, wo ja eine direkte Rückkopplung zwischen den Aktionen des Musikers (Schlagen, Zupfen, Streichen, Blasen, usw.) und dem entstehenden Klang besteht. Bis zu einem solchen Instrument ist es jedoch noch ein weiter Weg. So wären andere Sensoren zu suchen, wie z.B. Dehnungsmeßstreifen, Drucksensoren, Entfernungsmesser oder Photowiderstände, die anstelle der Potentiometer die analogen Steuerspannungen liefern. Aufwendigere Sensoren könnten vielleicht komplexe Vorgänge, wie die Bewegungen eines Tänzers oder eines externen Musiksignals analysieren und diese auf den elektronischen Klang rückwirken lassen. Irgendwann sind hier aber die Grenzen der Hardware und der Midi-Schnittstelle erreicht, dann wird dies zu einer Aufgabe für einen Signalprozessor in Verbindung mit einer direkten Klangsynthese.

 

 


Jens Bendig

DER OFFENE KANAL BREMEN

Vielleicht ist es dem einen oder der anderen bereits bekannt, daß der OFFENE KANAL BREMEN mittwochs von 17.00-19.00 Uhr auf dem Sonderkabelkanal 4 sein Bürgerfernsehprogramm sendet. Im Folgenden möchte ich zunächst über den OFFENEN KANAL BREMEN informieren, dann berichte ich über meine eigenen Erfahrungen mit dem OFFENEN KANAL, und schließe mit einem Aufruf an alle Zem-Mitglieder, diese interessante Einrichtung zu nutzen. 

1. Informationen über den OFFENEN KANAL 
Der OFFENE KANAL BREMEN hat seinen Sitz in der Findorffstraße 22-24, 2800 Bremen 1. Wenn man vom Schlachthof aus diagonal über die Kreuzung geht (was verboten ist), bewegt man sich direkt auf den OFFENEN KANAL zu. Jeder, der in Bremen gemeldet ist, kann mit Hilfe der technischen Mittel des OFFENEN KANALS Beiträge produzieren und senden. Der OFFENE KANAL nimmt dabei keinen inhaltlichen Einfluß. Man kann dort Kameras ausleihen (Super-VHS), Schnittplätze nutzen und auch Radiobeiträge (!) vorbereiten. Das Radioprogramm wird leider erst ab 1993 gesendet (Och!) und zwar terrestrisch (Mmmh?), das heißt, man kann es über Antenne im Raum Bremen empfangen (Aahh!). Telefon/Zentrale 0421 / 35010-0 Telefon/Info 0421 / 35010-35 Telefax 0421 / 35010-50 

2. Meine persönlichen Erfahrungen mit dem OFFENEN KANAL 
Es gibt leider keinen vernünftigen Fahrradständer vor dem Eingang. Das ist aber auch schon alles Negative aus meiner Sicht. Man wird von den sogenannten "Medienberatern" sehr nett informiert und braucht keine Angst vor der vielleicht noch etwas unbekannten Technik zu haben. Wer keinen Kabelanschluß hat, kann im Gemeinschaftsraum des O.K. fernsehen, wie früher, als nur die reichen Nachbarn Farbe hatten. Ich selbst sende gelegentlich etwas im Fernsehen und habe auch schon einen Radiobeitrag mit eigener Musik vorbereitet. 

3. ZeM und der OFFENE KANAL 
Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß das Radioprogramm des O.K. ein ideales Forum für das ZeM darstellen kann. Wir können dem Hörer endlich wieder Beiträge zumuten, die sich ein bißchen weitab vom alltäglichen Popmusik-blabla (Noch 'ne LP von ...) bewegen. 
Aber auch der Fernsehkanal kann für das ZeM von Interesse sein. Wir können unsere Klang-Installationen und sonstige Ausstellungen mit Videokameras dokumentieren und senden. Wir können uns in Form einer Talk-Show selbst vorstellen oder uns als einzelne ZeM-Aktivisten in Ton und Bild darstellen. Insbesondere auf die technische Seite der Klangproduktion kann man mit Hilfe des Bewegtbildes besser eingehen als nur mit Texten. Es könnte auch Mitglieder bringen, wenn wir uns im Fernsehen vorstellen. Ich könnte wohl die Leitung einer solchen Produktion übernehmen, benötige dafür aber Euer Feedback (Rückfütterung). Falls ich es selbst mache, wird es eine 10 - 20-minütige Dokumentation. (Sammlung eurer Statements, kurzer Blick in Eure Produktionsstätten). Sagt was. 
Sicher habt Ihr noch viele eigene Ideen, was die Nutzung des O.K. angeht. Hoffentlich, er schreit danach.

 

 


Walter Birg

Warum ich Elektronische Musik mache

Die Frage, warum ich Elektronische Musik mache, ist nicht leicht zu beantworten. Schließlich sind bei allen solchen Fragen innerste Beweggründe berührt, die vielleicht uns selber nicht immer ganz klar sind. 

Zunächst ist die Frage, warum ich Elektronische Musik mache, eng verwoben mit der Frage, warum ich überhaupt Musik mache. (Dies scheint mir nicht für alle Komponisten/Produzenten zu gelten). In meiner Beschäftigung mit Musik liegt sicher einerseits ein spielerisches Element - andererseits ist Musik für mich eine Möglichkeit, Dinge zu sagen, die mit der normalen Sprache unsagbar sind. ( Nicht im Sinne der Programm-Musik! ) Im Ganzen scheinen mir - bei ehrlicher Selbstprüfung - fünf Gründe im Vordergrund zu stehen:

1. Die Elektronische Musik bietet Klänge, "Sounds", die mit herkömmlichen Instrumenten nicht erzeugbar sind. Die modernen Instrumente (Synthesizer, Sampler und Computer mit Soundgeneratoren), die komplexeste Synthesetechniken beherrschen wie FM, PD, LA usw., bieten eine unübersehbare Fülle interessanter, neuartiger Sounds, die durch den Einbezug von Samplingtechniken noch erweitert werden können. Wir stehen an der Schwelle einer Zeit - und das ist das Neue an unserer historischen Situation - daß wir jeden denkbaren Klang erzeugen können. Aber - und dies in Parenthese - gerade diese fast unendliche Vielfalt birgt auch die Gefahr, sich in der unendlichen Vielfalt zu verlieren. Denn Musik besteht meiner Meinung nach nicht nur aus Sound, sondern ist auch Architektur, Form und Gehalt. Dennoch: Auf die neuen Klänge können und wollen wir nicht verzichten! Zwar sind auch bis heute - leider - die Klangfarben mechanischer Instrumente nicht ganz exakt elektronisch realisierbar, jedoch ist die Erzeugung von Klangspektren mechanischer Instrumente heute soweit fortgeschritten, daß man damit durchaus leben kann. Außerdem wird die Nachbildung mechanischer Musikinstrumente einerseits immer besser, andererseits gibt es zunehmend Instrumente wie das Disklavier, die Elektronik und Mechanik äußerst glücklich verbinden. Häufig wird die Meinung vertreten, es entspreche nicht der reinen Lehre, wenn man in die Elektronische Musik mechanische Instrumente einbeziehe bzw. elektronische Nachbildungen von mechanischen Musikinstrumenten benutze. Ich halte dies für ein schlechtes Argument: Wenn der Komponist bzw. Produzent heutiger Musik mehr Freiheit haben will, sollte er sich nicht selbst um die reiche Klangfarbenpalette bringen, die sich in zweitausend Jahren Musikgeschichte ergeben hat. (Dies gilt meiner Meinung nach auch für andere Bereiche der Musik wie Harmonielehre usw.). 
Ich glaube auch, daß es kein gutes Argument ist, das man häufig von Produzenten Elektronischer Musik hört: Wenn man einen Celloklang braucht, sollte man auch ein echtes Cello nehmen! Das Argument klingt zwar auf den ersten Blick bestechend, und ich bin weit entfernt davon, das echte Cello als die schlechtere Wahl anzusehen. Jedoch: Mit dem echten Instrument begibt man sich einiger Segnungen der Elektronik: Ein normaler Cellospieler kann z.B. nicht mit hoher Präzision mikrotonal spielen, oder 5-stimmig spielen, oder... 

2. In der Elektronischen Musik besteht Unabhängigkeit:
Wenn ich selbst die Musik komponiere, instrumentiere, abmische bzw. live-elektronisch produziere - habe ich keine Beschränkung durch überforderte Mitspieler, nichtgelernte Parts, mißgelaunte Dirigenten, schlechtgestimmte Instrumente oder ähnliches. Dafür ist man natürlich mehr der Technik ausgeliefert. Aber da die modernen elektronischen Geräte i.a. sehr zuverlässig funktionieren, ist der Freiheitsgrad für den Produzenten Elektronischer Musik wesentlich größer als für den traditioneller Musik. 

3. Spiel- und Experimentierfreude:
Gewisse Experimente, die mit Elektronischer Musik machbar sind, sind ohne die Mittel der Elektronik fast nicht oder nur mit riesigem Aufwand durchzuführen: Die Umsetzung von Formeln in Melodiestrukturen, die Umsetzung von Bildern oder Graphiken in Klänge oder die Erzeugung komplexer polyrhythmischer Strukturen. 

4. Interaktion - nicht Reproduktion eingelernter musikalischer Verhaltensweisen:
Im Gegensatz zum herkömmlichen musikalischen Improvisieren bietet die Live-Elektronik die Möglichkeit, interaktiv mit mathematischen (oder auch physikalischen) Prozessen zu interagieren. Dabei können Zufallsprozesse und/oder Prozesse der Chaostheorie in die Musik einfließen, die "Neues" Material in den Musik- oder Klangprozess einbringt. Dies vermindert auch die Wahrscheinlichkeit, "Klischees" zu benutzen, die häufig in unser improvisiertes Spiel einfließen. 

5. Verbesserung, Edition:
Schließlich bietet die Elektronische Musik, wie sie heute mit den modernen Synthesizern, Klangprozessoren, Computern und unter Einbezug der MIDI-Technik möglich ist, die Option, daß man quasi "am Schreibtisch" komplexeste Instrumentierungen und Klangprozesse durchprobieren und verbessern oder verwerfen kann, was ein Produzent, der mit herkömmlichen Mitteln arbeitet, häufig nicht tun würde, weil der Aufwand viel zu groß wäre. (Uminstrumentierung, Notendruck für andere Instrumente, damit evtl. Umtransponierung usw.) 

Bei all diesen Möglichkeiten sollte uns allerdings eines im Mittelpunkt stehen: Die Musik selber. Und das Klangereignis sollte (nach meiner Meinung) den Menschen ansprechen, ihn emotional bewegen oder ihn faszinieren, auf jeden Fall aber interessieren. Wenn dies erreicht ist, ist die Frage - elektronisch oder mechanisch erzeugt - absolut müßig. Nur: die Elektronische Musik bietet uns als Komponisten oder Produzenten die einmalige Möglichkeit, diese oben dargestellten neuen Freiheitsgrade nützen zu können ohne alle Tugenden herkömmlicher Musik opfern zu müssen. Dies bedeutet für uns eine einzigartige Chance.

 

 


Andreas Plaß

Lichthaus

Seit der Schließung der AG-Weser Werft vor neun Jahren stand das alte Arbeiteramt am Eingang zu dem ehemaligen Werftgelände leer und verrottete. Im Rahmen des Symposions LICHTHAUS haben sich im August 23 Künstlerinnen und Künstler getroffen, um hier zu arbeiten. Charakteristisch für dieses Gebäude ist der großzügige, über vier Etagen reichende Lichthof im Inneren, ihm verdankt das Haus auch seinen Namen LICHTHAUS, der ihm von den Künstler gegeben wurde. 

In der ehemaligen Eingangshalle des Lichthauses hat Nina Beckmann eine Klanginstallation aufgebaut. Siebzig Fässer, in denen vorher Flüssigkeiten transportiert worden waren, hat sie gestellt, gehängt und schweben lassen und einen Rundgang geformt. Es wurde so ein neuer Raum im Inneren geschaffen, der einen Teil des Hafens von Außen in das Lichthaus holte. Zusammen mit Nina Beckmann haben wir (Jens Blanke, Marc Pira und Andreas Plaß) Klänge hergestellt, die in der Installation zu hören waren. 

Der Stadtteil Gröpelingen, das Hafengelände, die Fabriken, und auch das Lichthaus selbst boten eine Fülle von Klangmaterial. Dieses haben wir mit künstlichen Klängen kombiniert und in zwanzig Spuren auf Endloskassetten zusammengestellt. Aus Lautsprechern in den Tonnen waren diese "Lichthausklänge" leise zu hören. Einerseits konnten die Besucher sich einzelne Klänge beim Gang durch die Installation anhören, andererseits war durch die Gesamtheit aller Klänge auch ein neuer akustischer Raum im Lichthaus entstanden. 

Als Musiker, die mit elektroakustischer Musik improvisieren, hat es uns natürlich gereizt, im Lichthaus und mit seinen Klängen zu spielen. Im Quartett, mit Sylvia Dierks (Kontrabaß), Jens Blanke (Tasten), Marc Pira (Tonband, Stimme) und Andreas Plaß (Synthesizer) haben wir hier während des Symposions experimentiert und im Rahmen einer Vernissage zur Eröffnung der Ausstellung gespielt. Dabei haben wir versucht, das vorhandene konkrete Material, die Tonnen selbst, die teilweise bearbeiteten Aufnahmen für die Lichthausklänge und Sprache aus Interviews zur Geschichte des Hauses in unsere Musik einzubinden und uns so auf das Lichthaus und seine Umgebung zu beziehen. 

Nach dem Ende des Symposions und der anschließenden Ausstellung haben wir die Fässer zurückgegeben, jetzt dienen sie wieder ihrem ursprünglichem Zweck und transportieren Flüssigkeiten

 

 


Fritz Mikesch

999 BPM - oder - Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt

Fortsetzung aus ZeM Mitteilungsblatt Nr. 8 - Teil 3/3

Teil 1
Teil 2

Apparate kodifizieren die Welt der Zerstreuung, bald wird es gelingen, auch unsere Leiden und sogar den Tod entsprechend zu programmieren. Man wird sich erinnern, die Krankheit muß vollständig ausbrechen. Da, eine Mücke. Vorsicht, - wer sich umbringt, ist  t o t  - zu spät. Hundert Watt sind starker Durch Nacht zum Licht. War  d a s  die richtige Formel? Menschen sind keine Mücken. Aber wenn wir den Fortschritt mit sengender Hitze vergleichen, dann schließt sich ein Kreis. Wir beten Bilder an, die Bilder zeigen, wie Beschleunigung den Raum verschlingt, das Tempo hat ein Ziel, man nennt es Lichtgeschwindigkeit, die Helligkeit nimmt zu, unsere Wahrnehmung dehnt sich aus, bis alles verschwindet. Das Licht der Erkenntnis streift den Boden der Verzweiflung, der unsere Gedanken mit Feingefühl in winzige Splitter zerlegt. Es wird so hell, daß alles flimmert, wie ein leerer Bildschirm. Geblendet schließen wir die Augen. Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt.

Ein Sechszeiler von Rilke mag diese vorläufige Diagnose ergänzen: Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten wie schwache Fontänen, die sich zeitig und zitternd neigen. Aber, die sich uns sonst verschweigen, unsere fröhlichen Kräfte - zeigen sich in diesen tanzenden Tränen. Als würde gelöscht, was noch nie brennen durfte. Klage des glimmenden Funkens, dem eine Ahnung seiner ursprünglichen Natur aus dem nächtlichen Ozean leuchtet, dessen Wellen im Licht des Mondes glänzen, das von der Sonne stammt. Sind wir der Wille dessen, was uns schuf? Gibt es zweierlei Licht und zweierlei Zeit? Kann sein. Vielleicht. Ob wir den Urknall voraussetzen, oder nicht, irgendetwas werden wir immer voraussetzen müssen. Denn noch immer lautet die Frage: Was war die Voraussetzung für das, was wir gerade nach neuesten Erkenntnissen an den Anfang stellen? Was also hat wo und wie sich selbst entzündet, wenn es vorher keinen Raum gab, und keine Zeit? Einer von diesen Denkanstößen, die aus dem Ereignis hervorgehen, um nachträglich die Ursache zu bedenken. Eine Aufgabe, die den Menschen überfordert. Denn die Gesetze, die in einem unendlichen, aber geschlossenen System herrschen, gestatten keine Rückschlüsse auf irgendetwas außerhalb seiner Grenzen. Auch wenn die Grenzen nicht zu finden sind. Was offenbar zum System gehört.

Entspricht das weitläufige Gefängnis der Zeit einem göttlichen Ausdruck? Fragen über Fragen. Mit hoher Beschleunigung kristallisieren neue Wissenszweige. Informationsmengen schießen zusammen h dieser Welt der schillernden Fakten, die alles ist, was da täuschend fällt, wie die Würfel fallen. Immer mehr müßte immer schneller gelernt werden, obwohl immer weniger Zeit dafür bleibt. Denn unser Zeitgewinn wird von Terminen verschlungen, die immer enger zusammenrücken. Mit Sicherheit ist das Universum ungeheuer schnell entstanden. Ist es nicht, als wäre das unfaßliche Tempo verschlüsselt heraufgewandert bis ins zwanzigste Jahrhundert, um als offener Code plötzlich loszubrechen in den Köpfen der denkenden Menschen? Und einen riskanten Trend zu entfesseln, dem die Urmaterie besser gewachsen wäre, als ihr spätes Produkt, dieser empfindlich beschaffene, unerbittlich wißbegierige und grausam tüchtige Homo sapiens der technischen Zivilisation? Deren erfindungsreichen Hang zur expansiven Selbstverwirklichung man vielleicht als unbewußte Nachahmung des Urknalls deuten könnte, ohne den milderen Begriff der Sehnsucht nach dem Ursprung zu bemühen. Wir schweben in der Sprache.

Aber wir schweben falsch. Denn die Hauptrichtung aller energischen Bemühungen provoziert den Zusammenbruch alter Systeme, die sich auf menschliches Maßgründen. Dort wartet möglicherweise der Sinn des unsinnigen Unternehmens. Nämlich die Erkenntnis, daß es nur eine einzige Alternative gibt: den Entschluß, wieder langsamer zu werden.

Denn wie lautet das Paradox des Abendlandes? Was funktioniert. Ist bereits überholt. Es steht zu hoffen, daß dieser Kernsatz auch auf den menschlichen Größenwahn zutrifft und auf alle Insignien der Erbarmungslosigkeit, die wir uns zugelegt haben. Alles haben wir vorgefunden. Nichts können wir machen. Nicht das Bescheidenste der Geschöpfe, die uns preisgegeben sind, am aller wenigsten das Wasser oder die Luft. Und wenn Descartes unseligerweise vorschlägt, auch die Natur als "gemacht" zu begreifen, sozusagen als hyperkomplexe Maschine oder als grenzenloses Werkstück, dann übertreffen die Fähigkeiten der wie auch immer gearteten Hand alle Möglichkeiten menschlichen Herstellens so sehr, daß der Vergleich zusammenbricht. Aristoteles hat es zeitlos formuliert: Vergräbt man ein Bettgestell aus Weidenholz, so wächst an dieser Stelle (wir fügen hinzu: falls überhaupt etwas wächst), kein Bettgestell, sondern ehe Weide. Umrunden wir also im Namen der Biosphäre den drohenden Flächenbrand unüberwindlicher Dummheit und ziehen wir den Hut vor den Bäumen.

Es gibt nichts, womit wir nicht gemeinsam in der Falle gesessen hätten, ohne uns von irgendetwas anderem unterscheiden. Man stelle sich Elementarteilchen, Licht, Raum und Zeit vor, Schwerkraft über jeden meßbaren Wert hinaus, alles punktförmig verdichtet. Dieser Punkt hat allem die Existenz beschert. Ob wir ihn als Singularität begreifen, oder als Quelle gestauten göttlichen Atems, spielt keine Rolle. Diesseits der Ereignishorizonte muß dieser Punkt zwingend identisch sein mit dem Nichts und das Nichts kann es nicht geben. Daraus folgt mit entsprechender Logik, daß etwas Nicht-Mögliches die Summe aller Möglichkeiten enthalten kann. Und wenn wir den Gedanken umdrehen, dann muß die Fülle der Erscheinungen zugleich eine einzige Täuschung sein. An deren Schattenspielen wir mit allem anderen teilhaben, weil wir uns in einem kosmischen Film befinden und auf der Leinwand bewegen. Als hätte die Einsamkeit das Kino erschaffen, um ihre Selbsterkenntnis zu zerstreuen. Myriaden vergänglicher Schicksale von unterschiedlicher Dauer spiegeln das Licht der Projektionen in den Projektor zurück, der sie erscheinen laßt, indem er das Drama von Werden und Vergehen weit hinauswirft in den leeren schwarzen Raum. Bleibt nur die Frage: Wer täuscht hier wen oder was täuscht sich selbst? Leidvolle Praxis.

Man muß kein Buddhist sein. um aus dieser Betrachtung die Gründe für eh allumfassendes Mitgefühl abzuleiten. Vielleicht ist es das, was der Schöpfung fehlt. Und vielleicht sind wir "Kinder des Zufalls" die vorgesehene Chance, diese Qualität zu verwirklichen. Falls wir uns nicht vorher von der Tafel wischen, weil es uns gefallen hat, die Gabe der Einsicht dem Trotz der abhängigen Kreatur zu opfern.

Da fällt mir ein Knabe ein, der seine Mutter das Wort Urknall sagen hört. Aha. sagt der Sohn, etwas knallt, die Uhr platzt, und die Zeit hört auf. Nein, sagt die Mutter, es knallt, etwas platzt, und die Zeit fängt an. Die Anekdote beschreibt entgegengesetzte Denk-Enden und charakterisiert die Spannweite möglicher Entwicklung in der Sphäre des Plötzlichen. Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt. Werden sich die geblendeten Augen öffnen? Vertrauen wir dem gesunden Chaos.

Wenn es stimmt, daß bekannte Ursachen unter gewissen Bedingungen unbekannte Wirkungen hervorbringen, dann gibt es Hoffnung für die Hoffnungslosen, einen Ausweg aus der Falle, die sich geschlossen hat und endlich Spielraum für unsere fröhlichen Kräfte. Wenn auch in letzter Minute. Fünf nach zwölf Leicht gehen die Gedanken über die Lippen, fest sitzt die Schwere in allen Gliedern. Das ist der Mensch.

Im Zentrum der Milchstraße lauert Schütze A WEST auf eine Gelegenheit, das Licht des Jesus Rex Salvator IRS 16 zu verschlingen. Hundert eingestürzte Sonnen gegen dichte Haufen massenreicher Sterne. Ein Schwarm von Infrarotimpulsen im Sog einer Radio-Quelle, zusammen gebrochen unter dem Ansturm der eigenen Anziehungskraft. Millionen von Planeten platzen wie Seifenblasen und fallen zurück in die Mütter Endspiel der obersten Liga. Diese Auseinandersetzung beugt sogar die Zeit. Es ist kaum anzunehmen, daß wir den Sieger der letzten Runde erfahren. Das Ist der Himmel. Man vermute "einen schwarzen Zwerg" in der Mitte der Galaxis, sagen die Astronomen. Das ist es, was wir zu wissen glauben.

© 1992 by GEERDES Berlin

999 BPM - oder - Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt - Teil 1 - ZeM  Nr. 7 - 2/1992
999 BPM - oder - Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt - Teil 2 - ZeM  Nr. 8 - 3/1992
999 BPM - oder - Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt - Teil 3 - ZeM  Nr. 9 - 4/1992


 

Rückseite


© ZeM e.V. | ZeM Mitteilungsblatt Nr. 9 - 4/1992

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