In seinem ebenso interessanten wie amüsanten Artikel
im letzten Mitteilungsblatt (Nr. 18) behandelte Dr. Mundigl eingehend
die Sonographie als mögliche Transkriptionsmethode für Musik
[1]. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Signalverarbeitung
und Signalspektren. So sei eine Anmerkung erlaubt.
Moderne oder gar elektronische Musik ist also schwierig zu notieren,
man sucht nach neuen Wegen. In der Technik und Medizin werden Geräusche
etc. erfolgreich sonographisch untersucht. Es ist daher eine naheliegende
Idee, eine automatische Transkription von Musik mit dieser Methode zu versuchen,
bei der das Kurzzeitspektrum in seinem zeitlichen Verlauf aufgezeichnet
wird. Unabhängig von Herstellernamen möchte ich eine solche Aufnahme
des Signalspektrums in Abhängigkeit von der Zeit, gleich auf welche
Art und Weise (analoge Filter, digitale FFT), gleich auf welches Medium
(Papier, Bildschirm, Harddisk), gleich in welcher Darstellungsform (Graustufen,
Farben, oder ASCII-Zahlenkolonnen), als Sonogramm bezeichnen.
Was passiert dabei eigentlich? Nun, prinzipiell wird das Eingangssignal
(z.B. vom Tonband) in einzelne Frequenzbereiche zerlegt. Es findet also
eine mehrfache, sehr schmalbandige Bandpassfilterung statt. Der Signalpegel
der einzelnen Frequenzbereiche (bzw. Filter) wird gemessen und kann z.B.
nach althergebrachter Weise auf einem Papierstreifen ausgedruckt werden.
Jedes Filter hat dabei eine eigene Spalte und die Signalstärke wird
durch unterschiedliche Schwärzungsgrade abgebildet. Das Papier läuft
also durch den Drucker, so daß am Ende ein Schrieb entsteht, auf
dem zeitlich von links nach rechts, die von oben nach unten säuberlich
aufgereihten Frequenzbereiche (wie Spuren auf dem Mehrkanaltonband), durch
ihre Schwärzung Auskunft über den klanglichen Verlauf geben,
- oder besser - geben sollen. In der Abbildung 1 (aus [2] entnommen) sehen
wir solche Sonogramme, und zwar zuerst zwei Vokalaneinanderreihungen, dann
den gesprochenen Satz "The Number is 836 1246".

Es erfordert schon eine gewisse Übung, solche Sonogramme zu lesen.
Bei gesprochenen Sätzen ist eine Wiedererkennung bereits sehr schwer
und nur mit unterlegtem Text möglich. Ist man hier schon im Bereich
der Autosuggestion angelangt?
Setzen wir einmal die rein technischen Schwierigkeiten, die in [1] genannt
werden, als gelöst voraus, so bleibt das Hauptproblem bestehen:
Eine hohe Frequenzauflösung ist für die Sonographie selbstredend
sehr wichtig, aber auch an die Zeitauflösung sind harte Anforderungen
zu stellen. Musik ist eben ein stark zeitveränderliches spektrales
Gebilde. Deswegen sind Untersuchungen, die ausschließlich mit Sinusdauertönen
arbeiten unsinnig, wie die Lautsprechertests sog. "HiFi-Fachzeitschriften"
immer wieder zeigen (siehe dazu auch [3]). Dieselbe mathematische Beziehung
(Fouriertransformation), die in der Quantenphysik zur Unbestimmtheitsrelation
führt (nach der man bestimmte Paare von Größen eines Systems
nicht gleichzeitig exakt ermitteln kann), hat unerbittlich zur Folge, daß
Zeit- und Frequenzauflösung des Sonogrammes voneinander abhängen
(Abschätzung delta f > 1/delta t). Eine hohe Frequenzauflösung
führt also zu einer sehr schlechten zeitlichen Auflösung, und
umgekehrt.
Ein Beispiel zeigt das Dilemma: Für Sprache wird eine Zeitauflösung
von 20 ms als geeignet angesehen [2]. Dies ist für Musik mit perkussiven
Elementen noch ein recht großes Zeitintervall. Daraus folgt direkt,
daß die Frequenzauflösung nicht besser als 50 Hz sein kann.
Bei einer Signalfrequenz von z.B. 100 Hz hat man also eine Auflösung
gröber als eine halbe Oktave!
Die Sonographie kann also vielleicht einen überblick über
den Ablauf und die Einsatzpunkte eines Werkes geben. Eine gewisse Einschätzung
des Klanges (hoch, tief, hell, mittig und dunkel) ist möglich, und
damit z.B. eine Erkennung vom Instrumenten im Orchester, wenn sie in deutlich
verschiedenen Frequenzbereichen arbeiten, was ein reiner Pegelschrieb nicht
leistet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Andererseits sollte man beachten,
daß das Sonogramm im Gegensatz zu Handskizzen oder Partituren automatisch
aus dem Audiomaterial selbst, ohne Zusatzinformation angefertigt werden
kann, also eine teilweise Entlastung und Zeitgewinn verspricht.
Ich kenne die in [1] angesprochene Dissertation aus dem Jahr 1994 nicht.
Dazu nur eine Bemerkung: Die gute Frau Brech hat sich bei Ihrer Arbeit
wohl sehr gequält. Kein Wunder, denn es wurde die Technik der 70er
Jahre angewendet. Auf einer VAX sollen die Berechnungen Stunden gedauert
haben. Auch das Ausdrucken bereitete Schwierigkeiten. Offenbar hinkt hier
wieder einmal die Musikwissenschaft hinter dem Stand der Technik hinterher.
Eine Überschlagsrechnung zeigt, daß ein preiswerter moderner
Rechner (etwa Pentium 90) 16 Bit Audio Mono mit 44.1 kHz Sampling Rate
in ECHTZEIT, wie oben beschrieben, in 128 Frequenzbänder zerlegen
kann. Hat man etwas mehr Geld für einen vernünftigen Rechner
(etwa SPARC 20), so sollte die Berechnung in Stereo sogar schneller als
das Abhören der Aufnahme selbst vonstatten gehen. Daß das Sonogramm
nicht nur in 16 Grautönen, sondern z.B. in 256 Farben codiert auf
dem Bildschirm darstellt, bei Bedarf ausdruckt und auf alle nur denkbare
Weisen weiterverarbeitet werden kann, ist heute wohl selbstverständlich.
Literaturverzeichnis:
[1] Dr. Joseph Mundigl, "Überlegungen zur
Analyse von Schall...", ZeM Mitteilungsheft Herbst 1995, Nr. 18.
[2] Rabiner, Gold, "Theory and Application of Digital Signal Processing",
Prentice Hall 1975, S. 658 ff.
[3] Pfleiderer, "HiFi auf den Punkt gebracht, Wiedergabetechnik für
unverfälschtes Hören", Pflaum-Verlag.
Dies ist ein ausführlicher Bericht über die Veranstaltung "Die
elektronische Musik und ihre Vermittlung" aus der Reihe "vorEcho" des
Instituts für neue Musik (Musikhochschule Freiburg) in Zusammenarbeit
mit dem Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung beim SWF vom
Freitag den 27.10.1995 und Samstag den 28.10.1995. (Programm-Blatt
d.R.) Ich habe mich bemüht, auch kleine Details der Publikumsreaktionen,
des Tons in den Diskussionen u.s.w. schriftlich sofort festzuhalten. Somit
seien einige Extrapolationen, die über das direkt Gehörte und
Gesehene hinausgehen, erlaubt.
Die Konzerte:
Ich strebte am Freitag um 20.00 Uhr voll freudiger Erwartung dem Aufnahmesaal
des SWF entgegen, zu einer Aufführung des hochgelobten Experimentalstudios
der Heinrich-Strobel-Stiftung. Ich war jedoch schnell enttäuscht,
denn weder das imposant vor dem Eingang aufgebaute Synclavier - leider
nicht betriebsbereit, noch der große Konzertflügel versprachen
elektronische Musik für ein Publikum von ca. 100 Personen, zumeist
Studenten. Bis auf die zwölf Lautsprecherboxen, (zu) hoch an den Wänden,
war es eine klassische Konzertsituation, Flügel vorne, Publikum hinten.
Und so kam es dann auch. Von den fünf an diesem Abend dargebotenen
Stücken war nur eines wirklich Elektronische Musik (8 Kanal-Tonband).
Am Samstag in der Musikhochschule war es ähnlich, vor ungefähr
30 ZUSCHAUERN war von fünf Werken nur das Tonbandstück "Ambre,
Lilac" von Ludger Brümmer, in völliger Dunkelheit aus acht Boxen
mit großer Dynamik abgespielt - sehr gut - wirkliche Elektronische
Musik. Das Konzert im Schloßbergsaal konnte ich aus terminlichen
Gründen nicht besuchen, aber ein Blick auf das Programm sagte mir,
daß die Ausbeute an Elektronischer Musik auch nur ein sechstel betragen
hätte. Fairerweise muß ich aber sagen, daß die Darbietung
am Samstag Abend in der Musikhochschule wenigstens 50 Prozent Elektronische
Musik versprach, ich war nur nicht mehr da.
Es bleibt festzuhalten:
In dieser Veranstaltung für Elektronische Musik war der Anteil
von Elektronischer Musik insgesamt sehr gering, nur etwa 20 Prozent!
Wie ich dies behaupten kann? Nun, niemand hätte einen totalen Stromausfall
in den Konzerten bemerkt. Das Licht war sowieso heruntergefahren, und der
spärliche, leise Einsatz irgendwelcher Echos, mit und ohne Pitch-Shifter
- es hat sogar etwas gerauscht - ist sicherlich nur den Fachleuten aufgefallen
und hat sonst niemanden beunruhigt. Der Ausfall mangels Energie wäre
also zu verschmerzen gewesen. Den Hauptteil besorgte ja besagter Konzertflügel
mit Geige und Cello, ansonsten Cembalo, Vibraphon und Sopranstimme, sowie
am Samstag diverse Saxophone, ein Bassetthorn, Viola, Posaune, Baßflöte
und sogar ein kleines Orchester mit Orgelportativ.
Die räumliche Nähe zur Musikhochschule hatte ganz deutlich
eine weiter erhöhte Dominanz von klassischen Instrumenten zur Folge.
Doch dazu komme ich noch später. Ein elektronisches Instrument - z.B.
ein DX7 - war nicht auszumachen. Ach ja, den NeXT-Computer, der öfters
für die Zuspielung einiger Soundeffekte am Samstag eingesetzt wurde,
hätte ich fast vergessen - warum nur?
Den Bühnenaktionismus mit seiner unfreiwilligen Komik habe ich
allerdings nicht vergessen. Riesengroße Partiturblätter mußten
in Echtzeit gewendet und sortiert werden, was wegen des durch die große
Fläche bedingten Luftwiderstandes nicht einfach war. Mehreren Interpreten
kam so durch teuflischen Gravitationseinfluß die ach so wichtige
Orientierungshilfe abhanden. Für kleinere Pianisten ist ein gleichzeitiges
Zupfen der Flügelsaiten und das notwendige Durchtreten des Dämpferpedals
mit großen Spannungen in der Rückenmuskulatur verbunden. Das
ist auf die Dauer nicht gut, die Gewerkschaften sollten hier einschreiten,
oder die Komponisten sollten eine Mindestkörpergröße in
den Werken vorschreiben. Der absolute Höhepunkt war erreicht, als
ein Piano-Werk mit vier zusätzlichen Pedalen (also insgesamt sieben)
zur Aufführung kam. Hierbei war an einigen Stellen ein mittleres Pedal
mit dem rechten Fuß zu halten, wobei der linke Fuß das äußerst
rechte Pedal bedienen mußte. Aber die Finger hübsch auf den
Tasten gehalten! Spaß pur, Wilhelm Busch hätte seine Freude
gehabt. Es handelte sich übrigens um einen aktiven MIDI-Flügel,
der also auch MIDI-Events in mechanische Aktion und Klang umsetzen kann.
Das kam dann besonders gut, wenn der Pianist sich nach der vorhergehenden
Gymnastik entspannt zurücklehnte und vor staunendem Publikum die Apparatur
machen ließ. Von diesem Showtrick einmal abgesehen, hätte die
Veranstaltung an Ernsthaftigkeit deutlich gewonnen, wenn der Flügel
nur via MIDI angesprochen worden wäre. Den Akteuren wäre bei
rein elektronisch produzierter Musik auch das äußerst angestrengt
wirkende, fast hörbare Zählen der Taktzeit erspart geblieben,
das dann der Sequenzer übernehmen könnte. Aber der Beifall des
Publikums, das schon bei dem Tonbandstück etwas belustigt bzw. beunruhigt
wirkte, weil ja auf dem Podium niemand mehr hantierte, wäre dann sicherlich
spärlicher ausgefallen. Es macht sich ja immer gut, wenn der Komponist
drei Sekunden nach Werksende vom Mischpult mit Blumen nach vorne eilt,
und sichtlich bewegt die Ausführenden herzt. Haben wir schon die Musik
nicht verstanden, so kommt doch dann etwas Gefühl in die ZUSCHAUERseele.
Zur klanglichen Wirkung der Stücke ist zu sagen, daß schon
auf Grund des Instrumentariums wirklich nichts Neues geboten wurde. Das
Zupfen an Konzertflügelsaiten, oder Flageolett-Töne bei Streichern
und Anblasgeräusche bei Saxophonen sind nun wirklich "alte Hüte".
Das bißchen Elektronik, das zu hören war, machte - bis auf eine
Ausnahme, s.o. - keinen kompetenten Eindruck; es schien, als sei den Produzenten
das ungeheure Potential der Elektronik gar nicht zu Bewußtsein gekommen.
Soweit die Konzerte. Trotzdem werde ich wiederkommen, vielleicht sind
die nächsten Aufführungen ja ganz anders.
Und wie gestaltete sich die Vermittlung?
Es gab am Samstag Nachmittag zwei Gesprächsrunden an der Musikhochschule.
Mathias Spahlinger (Professor für Komposition ebenda) hielt am Samstag
um 16.00 Uhr seinen Vortrag "Vermittlung", der im wesentlichen aus 10 Thesen
bestand, die ich hier mit seinen wichtigsten Anmerkungen einfach wiedergebe:
1. Musik ist Vermittlung. (Kunst ist die Transformation von Alltag in
Geschichte.)
2. Musik ist die Vermittlung ihrer selbst durch sich selbst. (Musik
steht auf dem Boden ihrer Historie.)
3. Die neue Musik bildet keine Konventionen aus, die mit der Klassik
vergleichbar sind.
4. Es spricht nicht gegen die neue Musik, daß sie der Erklärung
bedarf (hoher Grad an Individualisierung).
5. Die neue Musik transformiert unsere Alltagserfahrung. (z.B. den Umgang
mit Technik.)
6. Die Traditionelle Musik tritt als Gebilde auf. (Sie ist kontextbezogen.)
7. Die neue Musik hat das Gebilde aufgegeben, daher wird der Vereinbarungscharakter
zum Thema. (Relation zum Hörer.)
8. Die neue Musik hat die Vermittlung thematisiert. (z.T. neue Regelwerke
(12-Ton), computerhafte Strenge.)
9. Die Produktionsbedingungen der neuen Musik haben einen Einfluß
bis tief in die Musik.
10. Musik ist Vermittlung. (Wir stehen auf wackeligem Grund. Es gibt
keine absoluten Gesetze mehr.)
An diesen Thesen ist im Prinzip nichts auszusetzen, jedoch wurde speziell
auf Elektronische Musik gar nicht eingegangen. In einer kurzen Pause schrumpfte
dann die Zuhöreranzahl von 45 auf 30 Personen. Ich hatte den Eindruck,
daß vor allem Herrn Spahlingers Kollegen, also Professoren der Musikhochschule,
das Weite suchten, so daß nur noch ein jüngeres Publikum im
Saal war. Waren die "Flüchtlinge" an Elektronischer Musik vielleicht
gar nicht interessiert?
So begann die Podiumsdiskussion über Elektronische Musik, eingeleitet
mit einem Referat von Mesias Maiguashca (er ist DOZENT für Elektronische
Musik an der Musikhochschule Freiburg - wieso gibt es eigentlichkeine Professur?).
Geladen waren Vertreter des Rundfunks, Komponisten von Elektronischer Musik,
Dozenten für Elektronische Musik und ein Vertreter der Musikverlage.
Herr Maiguashca beklagte die Veränderung des kulturellen Klimas,
man sei ganz auf Einschaltquoten, Wirtschaftlichkeit und öffentliche
Akzeptanz ausgerichtet. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit an den
Universitäten sei in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, nicht vorhanden.
Die Arbeit in den großen Studios gestalte sich unerquicklich, da
sie oft nicht verfügbar seien (ausgebucht, Ferien oder Bürokratie).
Bemerkt wurde, daß Studios für Elektronische Musik gemeinhin
als teuer gelten, es aber tatsächlich gar nicht seien, da wenig Personalkosten
entstünden. Die drohende Schließung von Einrichtungen für
Elektronische Musik sei also nur politisch zu erklären.
Die wichtigsten Aussagen in der nun folgenden Diskussion habe ich im
folgenden zusammengestellt:
Das Verlagswesen:
Die Musikverlage stehen vor erheblichen Schwierigkeiten durch unterschiedliche
Aufnahmeverfahren (Mono, Stereo, Mehrkanal, CD), sowie durch Notationsfragen
der Werke. Zur Zeit wird versucht, ältere Originalaufnahmen vor dem
Verfall zu bewahren. Hier ist Eile geboten, denn erste Schäden sind
schon aufgetreten. Zudem sind die Abspielgeräte manchmal nicht mehr
vorhanden. Die Verlage leben noch im Papierzeitalter und sind auf die neuen
Medien nur unzureichend vorbereitet; darüberhinaus fühlen sie
sich mit der Elektronischen Musik überfordert.
Dozenten und Komponisten:
Interessanterweise haben die U-Musik-Studios extrem viel Know-how was
Elektronik betrifft, im Gegensatz zu E-Musik-Studios. Die Rock-Musiker,
die sich der Elektronischen Musik zuwenden schneiden durchweg besser ab,
als die Klassiker. Durch digitale Vernetzung wird es hier einen weltweiten
Austausch geben. Verlage werden somit obsolet. Die preiswerten Instrumente
des Musikmarktes sind in der Regel ausreichend. Für den Preis eines
Flügels hat man ein sehr gutes, digitales Heimstudio. Nur akustische
Aufnahmen sind zu Hause schwierig. Großer Studios bedarf es offensichtlich
nicht mehr! Und als Ort der Vermittlung, der Lehre? Die Studenten sollten
an erschwinglichen Geräten geschult werden. Eine Ausbildung macht
keinen Sinn, wenn sie später nicht mehr über die gewohnten Apparate
verfügen können. Zudem sind die großen Studios immer dann,
wenn man sie braucht (gute Ideen hat man ja meist zu unmöglichen Zeiten)
geschlossen, oder bereits belegt. Die "Profis" sollten die "Amateure" draußen
im Lande einmal anhören. Sie machen die interessanten Sachen.
Mein Kommentar hierzu:
Trevor Wishart, der in dieser Diskussion einen wesentlichen Beitrag
leistete, zeigte eine besonders offene, fortschrittliche Einstellung den
"Amateuren" gegenüber. Er brachte eine mehrseitige Antwort auf Maiguashcas
Fragen mit, die dem ZeM-Archiv bereits vorliegt. Ein Mann wie Trevor Wishart
sollte im Rahmen einer der nächsten ZeM-Veranstaltung oder Diskussion
als Gast eingeladen werden.
Das Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung:
Hier wurde die Meinung vertreten, daß die Ausrüstung gut
und vor allem teuer sein muß. Ein einigermaßen brauchbarer
Lautsprecher darf nicht unter 12.000.- DM kosten. Nach fünf Jahren
sind die Geräte dann hoffnungslos veraltet. "Amateure" (darunter fallen
auch wir ZeM-Mitglieder) schaden mit ihrem autodidaktischen Dilettantismus
nur dem guten Ruf der "Profis". Viele bleiben an der Oberfläche der
Geräte und haben keine richtige Ahnung. Es muß Institutionen
geben, die Großes logistisch bewältigen (wie die Donaueschinger
Musiktage).
Mein Kommentar hierzu:
Natürlich hat jeder Künstler das Bestreben, sich vom Rest
der Welt abzuheben, seine Individualität auszuleben. Das war in der
Elektronischen Musik früher etwas einfacher einfach, es war nur eine
Frage des Geldes. Ein Digitalhall war z.B. bis in die achtziger Jahre für
Privatpersonen unerschwinglich. Dabei kam es nicht so sehr auf die Musik
an, die damit gemacht wurde. Schon bei der Nennung des Namens "Quantec
Raumsimulator" fiel alles auf die Knie und brach in Verzückung aus.
Vor diesem Hintergrund ist offenbar auch das stillgelegte Synclavier am
Eingang zu sehen. Heute ist eine Abgrenzung gegenüber den "Amateuren"
durch das Equipment nicht mehr so einfach. Es kommt nur noch auf die Qualität
der Musik selbst an. Selbst manche autodidaktische Produktion ist interessanter,
experimenteller und zeitgemäßer als die oben besprochenen Konzerte.
Vielleicht ist man daher über die Demokratisierung der Geräte
für die Produktion Elektronischer Musik alles andere als begeistert.
Vielleicht ist diese Entwicklung für die großen Studios sogar
höchst gefährlich: welche Berechtigung hat denn ein solches,
wenn es zu Hause billiger, schneller und unter Umständen sogar besser
geht? Wenn sich das bis zu den Geldgebern herumspricht, dann sind diese
Anstalten möglicherweise exististenziell gefährdet, wie auch
Herr Maigushca zu bedenken gab. Der gewisse Groll auf die "Amateure" ist
mir daher nur verständlich.
Der Rundfunk:
Der Rundfunk als Mäzen und ureigenstes Medium der Elektronischen
Musik steht unter dem Druck der Einschaltquote. Allerdings wurde betont,
daß alle Aufnahmen aus dem Experimentalstudio auch gesendet werden.
Elektronische Musik ist aber zweifelsohne unterrepräsentiert. Die
Niederlande haben einen freien Konzertsender für E-Musik, der durch
Sponsoren auch solche Minderheitenprogramme bedienen kann.
Zum Schluß der Diskussion fragte ich Herrn Maiguashca, warum denn
in den Konzerten fast keine echte Elektronische Musik zu hören war.
Seine Antwort war ausweichend. Ja das sei richtig festgestellt, aber man
sei schließlich Teil der Musikhochschule, die Tradition, die Integration ...
Ich hatte verstanden. Die Elektronische Musik scheint auch an der Musikhochschule
Freiburg nur ein Wurmfortsatz des Instituts für neue Musik zu sein.
Bezeichnend hierbei ist, daß es noch nicht einmal eine ordentliche
Professur für Elektronische Musik gibt. Man will und kann sich daher
wohl schlecht mit den klassischen Professoren anlegen, indem man z.B. nur
elektronische Klangerzeuger mit den ihnen eigenen Möglichkeiten nutzt.
Zum Bericht in der Badischen Zeitung:
Bei der Besprechung der Diskussionen waren einige Zitate aus dem Zusammenhang
gerissen und daher in unreflektierter Weise abgedruckt: So unter anderem
die geistreichen Bemerkungen: "Brauchbare Lautsprecher kosten mindestens
12.000.- DM","in fünf Jahren ist ein Gerät völlig veraltet"
und "ab einem gewissen Punkt geht es um Kommerz". Dies muß in der
Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, Elektronische Musik sei astronomisch
teuer (s.o.), es ginge hierbei nur um Geld und Autodidakten hätten
deswegen in der Elektronischen Musik keine Chance.
Die Veranstaltung hieß "Die elektronische Musik und ihre Vermittlung".
Echte Elektronische Musik kam aber, wie oben dargestellt, (fast) nicht
zur Aufführung. Dem Berichterstatter der Badischen Zeitung ist dies
offensichtlich nicht aufgefallen. Dies erstaunt um so mehr, als er selbst schreibt: "Das vergangene
Wochende stand - auch mit vier Konzerten und 20 Komponisten - ganz im Zeichen
der elektronischen Musik, jener Sparte der Neuen Musik also, bei der LAUTSPRECHER
als Klangkörper fungieren". Entweder hat er die Veranstaltung gar nicht besucht,
oder eine vorbereitete Notiz einfach abgeschrieben,
oder es zeigt sich, daß
das eigentliche Genre "Elektronische Musik" von diesem Vertreter der schreibenden
Zunft weder erkannt noch entsprechend gewürdigt werden kann. Hier
sollte denn auch eine der zentralen Aufgaben unseres Zentrums für
Elektronische Musik ansetzen, die nötige Aufklärungsarbeit zu
leisten und zu zeigen und erfahrbar werden zu lassen, in welchem Um- und
Spannungsfeld sich die Elektronische Musik bewegt.
In der Badischen Zeitung vom 3. November 1995 wurde über die
ZeM-Veranstaltung in Wasser (28./ 29. Oktober 1995, d. Red.) berichtet:
"Elektronische Musik vor skeptischen Ohren: Klaus Weinhold in der Elzhalle".
Der Rezensent Axel Brüggemann hat sich mit der Veröffentlichung
dieses wie auch des folgenden Artikels im Mitteilungsheft einverstanden
erklärt.
Nehmen wir an, daß der Mensch fast überflüssig und die
klassische Musik - wie wir sie lieben - tot ist. Das Konzert der Zukunft
sähe dann so aus: Aus acht oder mehr Boxen dringen Geräusche.
In diesem Klangraum suchen sich die Menschen ihren eigenen Platz, setzen
sich oder wandern rastlos umher. Komponiert wird nicht mehr. Der Mensch
setzt lediglich den musikalischen Urknall, bestimmt die Grenzen. Den Rest
erledigt die Technik nach dem Zufallsprinzip. Eine Vision für die
Zeit nach der Götterdämmerung? Keinesfalls. Eine solche Klanginstallation
hatte das Zentrum für Elektronische Musik in der Elzhalle in Wasser
aufgebaut.
Seit über 300 Jahren haben wir Bach "Die Technik der Fuge" zu verdanken.
Die Elektromusiker arbeiten nun an der "Technik des Parameters" oder am
"Experiment der Frequenzmodulation". Schlagen wir in 100 Jahren das Riemann
Musiklexikon auf, können wir dort über den Emmendinger Pionier
der Elektronischen Musik, Klaus Weinhold, vielleicht lesen: "Der Musikpädagoge
galt seiner Zeit als verrückt. In seinem Heimatort Emmendingen konnte
er nur ein kleines Häufchen Menschen um sich scharen, mit dem er die
technische Destruktion der klassischen Musik vorantrieb. Doch die kopernikanische
Wende der 90er Jahre gab ihm recht und machte ihn vom Außenseiter
zum Trendsetter: die Komposition wurde zur Produktion, das Werk zum Zufall
und der Computer verdrängte den Menschen."
Soweit aber ist es noch nicht. "Zum Glück!" rufen die Klassik-Fans.
Doch zu spät der Jubel. Auf der Publikumsdiskussion in der Elzhalle
wollte sie Weinhold als virtueller überflieger längst überholt
haben. Aus der Zukunft blickte er zurück in unsere Zeit und resümierte
die ganze gesamte musikalische Klassik: "Die Klassik schafft immer ein
Klima, bietet Befriedigung." Und überhaupt, die Klassik wollen die
Menschen lieber sehen als hören, behauptete Weinhold. Kurz, "Die Klassik
ist immer auch theologisch, geht vom Menschen als Mittelpunkt aus und ist
eine geplante Sache." Ganz anders dagegen sein Musikkonzept, das eigentlich
weniger die Musik als Grundlage hat, sondern den Ton und seine physikalisch
begründbare Obertonreihe. "Unsere Musik folgt einem biologischen Schemata.
In ihrer Mitte steht die Maschine als Dreh- und Angelpunkt. Alles ist ungewiß
und zufällig, so wie die Natur nun einmal ist", erklärt Weinhold
dem skeptischen Publikum.
Leicht könnte man das alles vom Tische wischen und die Elektromusiker
ignorieren. Man könnte einwenden, daß die modernen klassischen
Komponisten ähnliche Ansatzpunkte in ihrer mechanischen Musik vorweisen:
Bereits Cage schuf einen völlig freien Musikbegriff, Nono kannte das
Wandern der Instrumente und Stockhausen baute das Zufallsprinzip durch
die Aleatorik aus.
Und trotzdem sollte man die Elektromusiker ernst nehmen, schließlich
steht ihnen eine unendlich breite Tonpalette zur Verfügung, die es
erlaubt, Töne zu kreieren, die es noch nie gab. Sie sind keine Spinner,
die in der Musik auf das große "Om" warten und in sektenhafter Verzückung
auf den Ursprungston hoffen. Nein, die Elektromusiker beschäftigen
sich mit musiktheoretischen Fragen und nutzen die Möglichkeiten neuer
Instrumente, um sich selber in den Hintergrund zu stellen. Zwar sind sie
Schöpfer des Anfangs, doch dann treten sie zurück und überlassen
der Musik ihre eigene Entwicklung. Sie zwingen uns zur Frage: "Hängen
wir Klassik-Fans bereits einem Anachronismus nach?"
Die Antwort mag ein klares "Nein" sein. Und daß sie es auch immer
bleiben wird, dafür verwette ich meine geliebte Geige: Bach, Beethoven
und Brahms werden neben der virtuellen Musik ihren festen Platz behalten
- immer! Und sei es nur, weil wir in ihren wohlgestalteten Welten Ruhe
vor der Zufälligkeit finden. Sollte Weinhold allerdings recht behalten,
kann ich mein Instrument eh an den Nagel hängen.
Unter diesem Titel erschien in der Badischen Zeitung ein Bericht
über die ZeM-Veranstaltung in Emmendingen: "Zentrum für Elektronische
Musik präsentierte sich zwei Tage in der Steinhalle".
"Baaaihhhh uhhns ihhhm schööööhneeeeen Äehmmmendihngennn..."
- tief wie der Emmendinger Brunnen und gedehnt wie ein Kaugummi plärrt
der Hit der neuen Emmendinger CD aus den acht Boxen in der Steinhalle.
Eine zähe Angelegenheit, schwer verständlich. Immer undeutlicher
unterliegen Rhythmus und Melodie dem technischen Soundprozess. Schrill
und laut legen sich Hupen und Surren über den verzerrten Song - da
erfüllt ein kurzes, sirenenhaftes Quartgeheul den Saal, dann die große
nachemmendinger Ruhe.
Es folgen die technischen Variationen über "Vom Himmel hoch" -
das "Amen" als gehauchtes, sonores Schnarchen, dann die Schicksalsschläge
aus Beethovens fünfter Symphonie, bevor das Geheul im "Stille Nacht"
kulminiert. Keine Frage, der Emmendinger Elektromusiker Klaus Weinhold
hat wieder zugeschlagen. Oder besser sein Computer. Am Wochenende haben
Musiker - oder sind es Techniker, oder beides - vom Zentrum für Elektronische
Musik (ZeM) ihre neuen Werke in der Steinhalle vorgestellt.
Die Gruppe, die das Ende der klassischen Musik prophezeit, präsentierte
Werke, die augenzwinkernd und philosophisch zugleich an der Destruktion
der herkömmlichen Musik arbeiten. Ihr Glaubensbekenntnis: Die Technik
weist den Weg zur Natur. Während Komponisten von Bach bis Berg die
Musik benutzten, um Stimmungen darzustellen, will die ZeM im wahrlich unendlichen
Tonspektrum des Computers und durch seine Willkür die Zufälligkeit
der Natur in der Musik simulieren. Das Ergebnis: Vom Computer errechnete
Klangzusammenhänge, die vom Menschen lediglich ihre Grenzen programmiert
bekommen. Unendliche Tonreihen, die nur beendet werden können, wenn
dem Computer der "Saft" abgedreht wird.
Doch zur Vorweihnachtszeit präsentierte sich besonders Klaus Weinhold
moderat: Er ließ seinen Computer Variationen über konventionelle
Stücke errechnen, gönnte den Zuhörern die Sicherheit eines
Wiedererkennungseffekts, bevor er sie in das bodenlose Klangspektrum stürzte.
Das Ende der Klassik also mit Hilfe der Klassik? Ganz anders kamen Franz
Martin Löhles Soundprozesse daher. Er stellte persönlich ausgewählte
Entwicklungen neben andere, die der Computer eigenständig errechnet
hat.
Peter Kiethes "EM Punkte" waren durch rhythmische und dynamische Wechsel
charakterisiert, in denen sich physische Schwingungen in den kreisförmig
angeordneten Boxen jagten. Doch was macht der Kritiker hier eigentlich?
Er versucht, sich an einer Rezension von Werken, die nicht von Menschen
komponiert sind. Er schreibt über komplizierte Rechenvorgänge
wie über Kompositionen von Mozart, erhebt damit den Computer zum Komponisten.
Das aber will er nicht, denn wie soll er über die Simulation des Universums
schreiben, das er selbst nicht versteht?
Nur eines kann und will er schreiben: Was die ZeM-Musiktechniker in
Emmendingen treiben, ist einzigartig und verdient die Integration in die
sogenannte "seriöse" Musikszene. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese
Musik tatsächlich rezipiert wird, wenn in der Emmendinger Hauptstraße
längst keine Autos mehr fahren, sondern dann atomgetriebene Raumvehikel
über
das Pflaster gleiten.
Was Weinhold, Joachim Stange-Elbe und die anderen versuchen, ist Musik
mit einer neuen, einer an und für sich nicht mehr kritisierbaren eigenen
Dimension. Musik, der nicht die emotionale Idee zugrunde liegt, sondern
die Ortung der Materie, in der die Technik als Schöpfer der Kunst
fungiert. Was zählt, ist allein die Philosophie, und die mag neue
Aspekte bringen, obwohl - oder gerade weil - sie ganz woanders ansetzt
als die vom Kritiker noch immer für unsterbbar gehaltenen Herren Bach,
Mozart und Wagner.