Die Analyse der Musik von Naturvölkern und elektronischer Musik
sowie von Collagen natürlicher Schallereignisse, seien diese nun absichtlich
organisiert, oder nicht, erweist sich als gleichermaßen schwierig,
weil diese sich nicht selten eines Klangmaterials bzw. Tonsystems bedienen,
welches durch die abendländischen Notationsformen sowohl zur Dokumentation
als auch für Aufführungszwecke nicht beschrieben werden kann.
Musikethnologen ebenso wie Komponisten elektronischer Musik, bzw. der
musique concrete, sowie der Verbindung beider, haben eine Reihe von Verfahren
zur Beschreibung vorhandenen Klangmaterials entwickelt, von denen aber
keines als so umfassend und richtig angesehen werden kann, daß es
zur endgültigen Tauglichkeit für die Analyse Anerkennung erlangt
hätte.
Allerdings muß festgestellt werden, daß zur Freude der Phonoindustrie
und deren Marktstrategen auch die traditionelle Notenschrift genügend
Spielraum für durchaus widersprüchliche Lesarten bietet. Und
würde man die akustischen Interpretationsergebnisse einer sonagraphischen
Analyse unterziehen, so wäre die Kritik der "Abweichungen" in den
Interpretationen bezogen auf einen Notentext weit durchschlagender, als
eine Kritik der Genauigkeit der sonagraphischen Analyse in Bezug auf eben
diese Interpretationen.
"Die Ungereimtheiten beginnen dort, wo Musik auf anderem Boden als ihre
Analyse gewachsen ist und deshalb die letztere Gegenstand der Reflexion
werden muß, bevor sie angemessen operieren kann. Vollzieht die Analyse
nicht den Wechsel der Fundamente im gleichen Maße wie die zu analysierende
Musik, dann kommt es zu den immer wieder zu beobachtenden Fehlinterpretationen:
neuere Musik wird auf ältere bezogen." (K21)
Und das ist das Problem, von dem wir hier reden. Hinkt die Analysetechnik
der Kompositionstechnik genauso hinterher, wie "die Musiktheorie" dem Denken
der Komponisten, von ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen und von dem
Fall abgesehen, daß der Komponist freundlicherweise selbst Methode
und Theorie liefert?
Der Fatalismus "der Analyse" besteht darin, daß sie niemals endgültig,
abhängig von technischen Entwicklungen und im höchsten Maße
unsinnig-unbegrenzt fortpflanzungsfähig ist. Wenn alles ermittelt
zu sein scheint, kann noch die Gemütsverfassung des Komponisten anhand
des Federdrucks auf das Papier erforscht werden, was die Physik massiv
ins Spiel bringt.
Manchmal erinnert das an den Themenbereich "Mensch und Medizin". Einen
Menschen irgendwie "herzubringen" braucht es relativ mehr oder weniger
Zeit. Die Analyse desselben kann eine Ewigkeit dauern. Die Analyse der
Gehirnvorgänge ist kaum möglich. Und Musik ist ein unter wesentlicher
Beteiligung des Gehirns geschaffenens Kunst-Werk (Siehe dazu auch Hegel!).
Generierung (Er-Zeugung) also, nicht Produktion (Herstellung, Vervielfältigung)!
Ein Herantasten an dieses Kunst-Werk, das Anpassen an den Verstand, setzt
schon eine Analyse unter persönlichen Vorzeichen voraus. Und hier
sei auf den Satz von Konrad Boehmer (KB) über den Nutzen der Analyse
am
Schluß verwiesen. Und wahrscheinlich ist jede individuelle (unteilbare)
Analyse deshalb vom Hörer besonders ganzheitlich umfassend angelegt,
weil sie nicht "mitgeteilt" werden muß, man muß also nicht
Rücksicht nehmen auf die Verständlichkeit der Analyse nach außen
hin, diese aufbereiten zum Mitteilen. Und um dieses Mitteilen überhaupt
erst möglich zu machen, muß eine Zerlegung stattfinden, da das
Gesamtereignis nur in einer Werkaufführung herübergebracht werden
kann. Dieses Zerlegen ist aber auch das Ende der Ganzheit mit allen zum
Teil katastrophalen Folgeerscheinungen.
Trotzdem kann Analyse für Dilettanten und Profis gleichermaßen
eine Hilfe sein, wobei jede Gruppe eine spezifische Analysetiefe verlangt.
Auch daher mag die Vielzahl der Analyseansätze kommen. Analyse kann
durchaus einen pädagogischen Auftrag erfüllen, eben aufgrund
der Spezifizierung und Reduktion, zweifelhaft aufgrund irgendwelcher Vollkommenheit.
Die Zerlegung der Komposition in "Harmonie, Melodie und Rhythmus" (K:21),
läßt sich für elektroakustische Zusammensetzungen in Form
absichtlich komponierter Musik nicht gebrauchen. Aber: "Mit dem Differenzieren
des Phänomens in möglichst viele Teilphänomene beginnt die
im engeren Sinn analytische Tätigkeit." (K:20).
Ein solches Teilphänomen ist die Sonagraphierung eines musikalischen
Abschnittes.
Sonagramme (und weit mehr noch Amplitudenschriebe) können nur mangelhaft
Gesamtsignale erfassen, mit der Problematik der Unauflöslichkeit komplexer
Klangbauten und vor allem der Ignorierung der maschinellen Herkunft, der
Produktion, deren Analyse eine Bewertung der Spektren erst möglich
machen würde. Es ist ein Unterschied, ob jemand die "endlos fallenden
Glissandi" nach der Methode von Risset in Utrecht zustande gebracht hat,
oder mit dem EMS Synthi AKS in Niederbayern.
Die Analyse des "was beabsichtigt", des "wie gemacht", kann mindestens
so spannend sein, wie die des "wie gehört" oder des "wie erscheint
eine Struktur im spektralen Kontext" (also "wie organisiert"), oder "wie
belastbar ist ein Klang". Die Entscheidung des Komponisten an diesem letztgenannten
Punkt ist elementar wichtig für den Fortgang einer Komposition, denn
hier ist nachzudenken über Veränderung oder Wiederholung, oder
gar über die Einführung eines neuen Materials, falls sich das
alte als untauglich zur Weiterführung erweist, weil es sich geplanten
Prozeduren nicht unterziehen läßt. Das gilt besonders bei der
Arbeit mit Vocodern oder der Ring-, bzw. Vierpolmodulation. Je nachdem,
wie ein Komponist an dieser Stelle arbeitet, wird sich dessen Entscheidung
hinterher in der Analyse festmachen und bewerten lassen. Eine Analyse also,
die keine Aussagen über die Handhabung des Materials zuläßt,
weil sie in materielle Formungsprozesse nicht hineinschauen kann, hat keinen
Zugang zum Wesentlichen.
Es könnte wohl hilfreich sein, bei Veröffentlichung einer
Komposition mit anzugeben, wie das Werk hergestellt wurde, damit "die Musikkritik"
und "die Analyse" die Arbeitsbedingungen kennen. Bei einem Streichquartett
ist dies selbstverständlich. Und manches hochgesponserte Institut
würde hier radikal entlackt, wenn man erführe, mit welch gewaltigem
apparativen Aufwand das Werk hergestellt und über ein höchst
audiophiles Equipment aufgezeichnet wurde, denn es würden Rückschlüsse
möglich, inwieweit der Komponist die Maschine, mit der er zu tun hatte,
überhaupt gekannt, bzw. beherrscht hat und damit in der Lage war,
die vorhandenen Mittel auszuschöpfen.
Da niemals eine Analysemethode allein ein vollständiges Ergebnis
liefert, muß man für die Sonagramme die Sache unbedingt relativieren,
also Kunst und Meßtechnik auseinanderhalten. So gesehen, ist das
Medium "Schall" durch seine Komplexität selbst innerhalb einer dreidimensionalen
Darstellung für eine einzelne Meßmethode so "ungenau", daß
die Sonagraphie allemal zur Dokumentation ausreicht, da sie selbst ungenau
ist. Diese Auffassung kann aber, obwohl sie Wahrheit enthält, schwerer
Dilettantismus sein. Trotzdem ist unbestritten, daß Rezeptionsergebnisse
von Auge und Ohr nicht vergleichbar dokumentierbar sind. Das heißt,
das Sonagramm hat für das Auge eine andere Gültigkeit, als der
zugehörige Klangabschnitt für das Ohr. Martha Brech schreibt
völlig richtig und mehrfach, daß es gehöriger Übung
bedarf, um hier Bild und Ton zuordnen zu können.
"Sonagramme sind also 'lesbar', wenn auch nicht immer leicht oder oft
nur auf Umwegen. Die angeführten Beispiele für das unterschiedliche
Auffassungsvermögen von Auge und Ohr dürften jedoch genügen,
um klar zu machen, daß es trotz aller Routine schwer sein wird, auf
Grundlage eines Sonagrammes zu analysieren, ohne gleichzeitig zu hören."
(B:47)
Martha Brech baut ihre Dissertation schlüssig auf. Im ersten Teil
bringt sie einen Abriß über Notation, deskriptive Notation,
Realisationsnotation etc. im Bereich elektroakustischer Musik. Ihr Hauptaugenmerk
richtet sie dabei auf maschinelle Transkriptionen. Es folgt ein Kapitel,
in dem generell Rezeption auch aus hörpsychologischer Sicht beschrieben
und im Hinblick auf "wahrnehmungsorientierte Analysesysteme elektroakustischer
Musik diskutiert" (B:75) wird.
Als Hauptobjekte wählt sie Kompositionen von Trevor Wishart (Vox
5), Ake Pamerud (Repulse) und Jonathan Harvey (Ritual Melodies). Sie bespricht
und vergleicht die Analyseergebnisse sehr sorgfältig und kommt zu
einer Wertung der Ergebnisse. Mutig und richtig, daß sie dabei ökonomische
und ästhetische Faktoren nicht ausklammert. Daß sie bei Analysevorgängen
selbst ins Dilemma gerät, liegt u.U. an maschinellen Gegebenheiten,
wie später aufgezeigt wird.
Das "Sonagramm ist eine maschinelle Transkription", mit dem Ziel der
"spektralen Darstellung der Klänge, die mit unterschiedlichen technischen
Verfahren hergestellt wird. Bei diesen sogenannten Sonagrammen (oder auch
Sonogrammen oder Spektrogrammen) werden Frequenzspektren über die
Zeit und Dynamik dargestellt. Klänge werden so zu visuellen Gestalten."
(B:23)
Bei einer optischen Darstellung von Schallereignissen müssen daher
mindestens drei Größen erkennbar sein, der zeitliche Verlauf,
die spektrale Zusammensetzung und die Amplitudenverhältnisse in einem
Spektrum. Damit ein derartiges Schrieb zur Analyse überhaupt brauchbar
ist, muß in einem Bild ein Mindestzeitraum fixiert werden können,
der aber je nach Analyseansatz ganz verschieden sein kann.
Im Gegensatz zu dem maschinell beschriebenen Papier aus einem Analog-Sonagraphen,
hat eine im Computer vollzogene Analyse den Vorteil, daß mit digitalen
Grundwerkzeugen gearbeitet werden kann.
Aus der Sicht der meßtechnischen Analyse mit heute möglichen
mehrdimensionalen Abläufen, physikalisch definierbaren Analyseansätzen,
von der Farbdarstellung ganz zu schweigen, ist das Sonagramm ungenügend.
Es sollen hier nicht die verschiedenen Systeme (Kay, Medav, Ungvary) mit
ihren technischen Varianten vorgestellt und diskutiert werden, dazu sind
die Handbücher geeigneter. Auch bei Brech findet sich im Kapitel "Maschinelle
Transkriptionen: Sonagramme" (B:23) eine kurze, gelungene Darstellung der
Geschichte der lesbaren Schalldokumentation, wobei dem Sonagrammprogramm
für die MikroVAX (MV) ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Einige grundsätzliche Dinge haben sich seit 1975 nicht geändert.
Zu dieser Zeit gab es ein Modell von Kay, es stand an der Kommission für
Schallforschung an der österreichischen Akademie der Wissenschaften
in Wien, damals unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Graf, der wegen
seiner Zuneigung zu dem Gerät vom Personal respektvoll-leise der "Sono-Graf"
genannt wurde. Zu diesen Grundproblemen gehört die Beziehung zwischen
Frequenzbandbreite und Genauigkeit. Je präziser die Analyse angelegt
wird, umso enger wird naturgemäß die Darstellung der Frequenzbandbreite.
An dieser Stelle sei für diesen Aufsatz um Nachsicht gebeten, wenn
der musikwissenschaftlich richtige Begriff "Schallanalyse-Gegenstand/Objekt"
durch den Ausdruck Soundtrack ersetzt wird. Er ist kürzer.
Hier die (erheblich gekürzt wiedergegebene) Systembeschreibung
der MicroVAX 3600 und des CARL-Systems (nicht Carl-System, wie bei Brech
zu lesen, der Rez.), auf denen das Sonagrammprogramm läuft. Es wurde
auf Anregung von Tamas Unvary (siehe B:29) diesem System durch Holger Becker
angepaßt. Die "kontinuierlichen elektrischen Spannungen bei analogen
Sonagrammen (richtig: Sonagraphen, der Rez.) wird bei den Computersonagrammen
mit Zahlen" (B:29) beschrieben.
Das digitale Einlesen des Soundtracks geschieht nach dem Abtasttheorem
von Shannon, also: doppelte Abtastfrequenz der höchsten erwünschten
Spektrumfrequenz (2O kHz wird mit 4OkHz abgetastet). H. Becker hat das
Programm so abgeändert, daß "die unteren Oktaven ^Ê genauer
erkennbar sind" (B:32). Eindrucksvoll die Abbildungen 9a und 9b (B:33/34),
die im Vergleich die weit bessere Auflösung durch den Eingriff Beckers
zeigen.
Nach der Berechnung des Soundtracks kann das Sonagramm ausgedruckt werden:
Dynamikbereich von (nicht "vom", der Rez.) 120 dB möglich (dBA?,
der Rez.), 16 Graustufen + 1 Weiß, also entspricht 3,75 dB einer
Graustufe (bei einem guten Fax sind es 64, würde also bedeuten etwa
1 dB wäre eine Graustufe, der Rez.). Alle Angaben aus B:32.
Da der Analogsonagraph das Schrieb sofort liefert, läuft der Prozeß
relativ rasch ab und Probleme mit einem Drucker gibt es nicht.
Ganz anders ist das bei Brech. Sie beschreibt die Nachteile des Systems
eingehend (B:31/32) und weist darauf hin, daß andere Systeme (FFT
von Heinbach/Terhardt oder die Wavelett-Analyse) zwar genauer sein könnten,
aber noch mehr Rechenzeit in Anspruch nehmen würden.
Ist der Soundtrack einmal im Rechner, dauert die Rechenarbeit "für
15 Minuten Klang mono mindestens 25 Stunden" (B:32). Wenn Brech genau an
derselben Stelle davon spricht, daß ein MACintosh dafür etwa
30 Minuten brauchen würde, aber das Programm dafür noch nicht
fertig sei, läßt sich darüber nachdenken, mit welchem Rechentempo
die Arbeit gelaufen ist. Diese Geduld ist repektabel! Bei Brech hat die
Darstellung der Druckerausgabe, die nicht an eine Bildschirmausgabe gebunden
ist, so daß man eine Referenz hätte, schon einen gewissen Unterhaltungswert.
Man kann aber darüber nachdenken, ob dieser Sachverhalt letztlich
nicht die gesamte Analysearbeit unbrauchbar macht, wenn man davon ausgeht,
daß irgendwann ein Raster für die Klassifizierung der Schwärzung
in Bezug auf die Lautheit der Signalanteile festgelegt werden muß.
"Im schlimmsten Fall müssen eben mehrere Ausdrucke der gleichen Stelle
mit verschieden eingestellten Parametern angefertigt werden - etwa einen,
um Aufschluß über den Frequenzbereich zu erhalten und ein zweiter
für eine möglichst exakte Zeitdarstellung. Da es keine Möglichkeit
gibt, sich die Sonagramme während des Drucks am Bildschirm anzusehen,
kann das alles nur im 'trial and error' - Verfahren am Drucker geschehen,
was eine ebenfalls zeitaufwendige Prozedur ist (pro 15 Minuten Komposition
ca. 6 - 7 Std.)." (B:32).
Weil in der Elektroakustischen Musik jegliche standardisierte Analyse
fehlt, ist "jede Analyse auf die mit nichts quantifizierbare subjektive
Wahrnehmung des Analytikers angewiesen." (B:2). Nicht nur aus diesem Grunde
konnte Rainer Wehingers Hörpartitur solche Bedeutung erlangen, sondern
sie stützt auch den Rezeptionsvorgang rasch und ernsthaft, was man
von einem Sonagramm nicht behaupten kann. Erfahrung (des Rezensenten) zeigt,
daß - vorausgesetzt, man hat die Zuordnung zwischen Symbol und Klang,
also die graphische Nomenklatur bei Wehinger begriffen - sich beim puren
Lesen der Hörpartitur ein Gefühl für den zu erwartenden
Klang einstellt. Das kann man von einem Sonagramm nicht erwarten. Deshalb
war die Hörpartitur im Grunde die Triebfeder für das am Schluß
gedanklich entwickelte Analysesystem.
In einer maschinellen Analyse spielt das Vorhandensein von Filterkurven
eine enorm wichtige Rolle. Das Analysesystem für die MicroVAX der
TU Berlin verfügt über eine wählbare lineare oder logarithmische
Darstellungsweise. Ein Ohrkurvenfilter hat es offenbar nicht und das dürfte
ein Mangel sein, denn das Ohr hört weder linear, noch logarithmisch.
Die Vergleichbarkeit von Klang und Schrieb wird zusätzlich erschwert.
Es ist auch fraglich, ob dieses Negativum geräteintern korrigiert
oder softwaremäßig ergänzt werden könnte. Für
eine aussagefähige Analyse wäre es ratsam, zwischen Signalgeber
(Tonträger) und dem Eingang des Analysesystems ein Brüel &
Kjaer Ohrkurvenfilter zu schalten. Zwar kann das Ohrkurvenfilter mehrere
Kurven einrichten, aber irgendeine Kurve zur Anpassung an ein normales
Gehör ist vielleicht immer noch besser, als gar keine. Der Hersteller
des MEDAV-Sonagraphen teilte auf Anfrage mit, daß man dort auch keine
Ohrkurve eingebaut habe, aber es rechnerisch möglich sei, das Programm
entsprechend zu erweitern. Zu bedenken ist aber, daß die Analyse
mit Ohrkurvenfilter nirgends ausgetestet und dokumentiert ist.
Man müßte schon einen Unterschied machen zwischen einem Sonagramm
zur Feststellung eines Kugellagerfehlers mittels eines Sondenmikrophons,
weil ja der Fehler in der Maschine sowieso nicht unmittelbar zu hören
ist, es also gleichgültig ist, ob linear oder logarithmisch gemessen
wird und einem Sonagramm, dessen Zweck es ist, Bild und Ton so weit wie
möglich einander anzunähern. Ein Ohrkurvenfilter ist eben zu
dieser Anpassung da. Beim Kugellagerfehler kommt es darauf an, nachzuweisen,
ob eine Frequenz vorhanden ist, die auf den Fehler hinweist, was nur durch
den Vergleich mit einem Sonagramm eines intakten Lagers festzustellen ist.
Verschieden auftretende Frequenzen deuten auf unterschiedliche Fehlerquellen
hin. Dies hat nichts mit Musik zu tun.
Für ein Orchesterkonzert (M) mit elektroakustischem Basisband war
es vor 20 Jahren schwierig, ein Analyseverfahren zur Dokumentation des
Basisbandes zu finden. Ein Sonagramm kam damals nicht in Frage, denn der
analoge Sonagraph in Wien brauchte für 2,4 Sekunden etwa 33 cm Papier
für das Schrieb. Der Not gehorchend mußte ein Amplitudenschrieb
angefertigt werden. Das Schrieb wurde im damaligen Labor für Schallanalyse
der ITT Schaub Lorenz in Straubing hergestellt. Der Papiervorschub am Pegelschreiber
war so eingestellt, daß auf DIN A 4 quer etwas mehr als eine Minute
Musik paßte. Das hatte mehrere Vorteile. Erstens war für Dirigent
und Musiker ein Zyklus von einer Minute zum Umblättern ausreichend.
Zweitens bot das "etwas mehr" als eine Minute reichlich Anpassungsmöglichkeiten
beim Auslegen der Partiturseiten. Es konnten die Stellen so gewählt
werden, daß sie meistens auf eine markante Signalstelle fielen (Pause
z.B.) und daher leicht zu finden waren. Drittens zeigt die Erfahrung von
damals, daß es sicherlich nicht genügt, mit einer Dynamik von
60 dB zu arbeiten, wie das Brech (S. 32) für ausreichend hält.
Die gut eingemessene Revox A77 brachte es damals auf für diese Maschine
enorme 72 dB - ohne Verzerrung natürlich. Es wäre auf dem Schrieb
Platz verschenkt worden. Und 10 dB mehr sind viel für analoge Zeiten.
Wir konnten also den Aufsprechpegel aus der Revox so einstellen, daß
das Grundrauschen restlos verschwand.
Die Ränder an den Seiten von etwa 2 bis 3 cm links und rechts enthalten
ja auch Teile des Schriebs. Das stellte sich beim üben als nützlich
heraus, weil man doch in die letzten Sekunden der vorherigen und in die
ersten Sekunden der nächsten Seite hineinschauen kann (siehe Bildseiten).
Damit das Schrieb eine gewisse Vollständigkeit erhielt, mußten
beide Stereokanäle zu Mono zusammengelegt werden und dadurch kam es
zu einem Dilemma, wie sich später beim Lesen des Schriebs in Verbindung
mit der Partitur herausstellte. Die Zusammenlegung beider Kanäle -
und das ist für die Schallanalysen niemals wegzudiskutieren - erzeugte
auf dem Schrieb markante Fehlinterpretationen (allerdings nur an ganz wenigen
Stellen), die durch Phasenunterschiede bei gleichen Frequenzen im rechten
und linken Kanal entstehen. Das ging hin bis zu fast völligen Auslöschungen
im Signalbild (= Pegelminimum), während das Signal hörbar recht
kräftig aus den Boxen tönte. Dieser Sachverhalt erzeugt Betroffenheit
beim Komponisten. Insbesondere traten diese Fehler dann auf, wenn ein vierkanaliges
Signal (Rotation eines Signals) zu einem Stereosignal und dieses dann noch
einmal zu einem Monosignal zusammengelegt wurde.
Bei der stereophonen Überspielung bildeten die rückwärtigen
der vier Kanäle bereits ein Monosignal, so daß es bei stereophonem
Abhören in der Mitte (Kopfmitte mit Ohrhörern) erschien.
Wichtig war auch das Darstellungsformat. Während es für die
Amplitude beim MicroVAX-Sonagramm (MV) systembedingt nur wenige Zentimeter,
wenn nicht Millimeter (vertikal) sind, ist das Amplitudenschrieb aus Brüel
& Kjaer doch 10 cm hoch, 30 breit (bei Markierung von 1 Minute effektiv
lesbarer Analyse in Bildmitte bleibt rechts und links ein noch lesbarer
Rand von 2 bis 3 cm). Ohne Ohrkurvenfilter war das Schrieb so unleserlich,
daß keiner der Beteiligten einen Zusammenhang zwischen Bild und Soundtrack
erkannte. Es war eine spontane Idee, das Filter einzufügen, nachdem
die Misere auf dem Papier stand.
Prof. Dr. Walter Graf aus Wien, Studenten der Uni Regensburg, ein Gymnasiallehrer
im Falle des Kinderkonzerts (M), das im Prinzip genauso gearbeitet ist,
wie das Orchesterkonzert (M), konnten Schrieb und Partitur mühelos
einander zuordnen, so daß der Einsatz eines eigens entwickelten "Minutenlichts"
nicht nötig war, im Gegenteil, eher störte und wieder entfernt
wurde.
(Das Minutenlicht war eine elektrische Lampe, deren Einschalten von
einem Trigger gesteuert wurde. Der Trigger war so ausgelegt, daß
mit zwei Potentiometern einerseits 1 Minute +/- 10% Einschaltzeit und andererseits
die Leuchtdauer der Lampe innerhalb weniger Sekunden geregelt werden konnte.
Diese Lampe war als Nothelfer gedacht. Wenn sie aufleuchtete, mußten
alle umblättern. Dadurch konnte das Stück niemals aus dem Ruder
laufen. Die oben angegebenen +/- 10% sollen Fertigungstoleranzen bei Bandmaschinen,
wie Gleichlaufungenauigkeiten, Schlupf usw. ausgleichen und sind von der
HiFi-Norm übernommen. Gestartet wurde das Minutenlicht durch Druck
auf einen Knopf bei einer bestimmten Bandmarke. so daß eine akzeptable
Synchronisation gegeben war - das war etwa 1980.)
Auf noch ein Problem sei im Zusammenhang Amplitudenschrieb/Sonagramm
hinweisen. Wie dargestellt, sind beim Zusammenlegen mehrerer Kanäle
Auslöschungen zu befürchten. Da diese Auslöschungen phasengebunden
sind, könnten diesbezügliche Fehler durch eine Phasenkorrektur
vermieden werden. Die Phasenkorrektur müßte dafür sorgen,
daß alle Soundtracks phasengleich zusammenlaufen. Das trübt
zwar die kompositorische Intention, liefert aber einen besseren Zusammenhang
zwischen Bild und Soundtrack. Für Phasendifferenzmessungen genügt
ein Oszilloskop, zur Phasenkorrektur gibt es (selbststeuernde) Regelschaltungen.
Zumindest bei geschnittenen Bändern können mit der Kapstan-Analyse
die Phasenverhältnisse an den Schnittstellen ermittelt werden und
daraus Aussagen über den Phasenverlauf einer Signalfolge getroffen
werden. Jedenfalls ist gerade bei analog gearbeiteten Bändern die
Phasenproblematik sehr deutlich, weil Klänge mittels der Schere sozusagen
gewaltsam aneinandergefügt werden. Auch Brech weist (B:47, Abb. 17)
auf dieses Problem der Auslöschungen hin. Daß sie in diesem
Fall als Tonträger eine Musikcassette bearbeitet hat, mit weißgottwelchem
Frequenzgang, bleibt schleierhaft. Es war wohl das Original, bzw. eine
DAT-Kopie davon nicht zugänglich?
Wäre das Sonagramm präziser, müßten Analyseprobleme
bei Magnetbandaufzeichnungen diskutiert werden: Verzerrungen bei der Aufzeichnung,
Höhenverlust durch Alterung, "Verzeichnen" des Originalklangs durch
16-bit-Wandlung sowie Hochrechnung auf 18, 20, oder 24 bit, Eingriff in
die Klangstruktur durch bit-Mapping (Sony) sowie ähnlichen Verfahren.
Die einkanalige Darstellung mehrkanaliger Musik ermöglicht auch
die Darstellung der "Ortsbestimmung", der Lokalisation eines Klanges nicht.
Medav (ME) kann wenigstens ein Stereosignal darstellen. Auf Phasenbeziehungen
gibt es auch da keine Hinweise.
Die beschriebenen Mängel in der Technik der Sonagraphie - es wäre
im höchsten Maße ungerecht - dürfen niemals Martha Brech
angelastet werden. Brech hat geduldig und exakt gearbeitet und gewiß
alle technischen, ästhetischen, ökonomischen Analyseprobleme
sorgfältig gewichtet und in kritischer Betrachtung in die Rezeptionsanalyse
eingebaut. Daß sie ihre Zweifel am Sinn des Unternehmens gehabt hat,
mag an den gewählten Beispielen liegen.
Martha Brech sei das Buch von Prieberg (P) empfohlen, da steht die Lösung
für ihre Fragen. Oder, sie soll es besser nicht lesen, sonst beschleicht
sie Resignation und da wäre schade, weil sie in der Analyse erstaunliche
Detailkenntnisse besitzt.
Zwei Ergänzungen wären bei der Erarbeitung für den Leser
eine fast unverzichtbare Hilfe. Ein Stichwortverzeichnis und eine CD, Mini-CD
meinetwegen, auf der die Analysebeispiele zu hören sind. Eine beschriebene
Musik-analyse ohne klingendes Analyseobjekt hat keine Aussagekraft, zumal
Brech an mehreren Stellen darauf hinweist, daß das Lesen von Sonagrammen
in Verbindung mit dem Soundtrack gehöriger übung bedarf.
"Wieviele Hördurchgänge benötigt werden, um diese verschachtelte
Konstruktion exakt zu erfassen, ist nicht vorherzusagen". Die eigene Erfahrung
lehrte, daß es viele sind. Sicher scheint zu sein, daß es nicht
unmöglich ist, die Struktur hörend zu erfassen." (B:111).
Eine Mini-CD auf dem Player mit "Repeat A-B" abhören und mit zugehörigem
Sonagramm und den verbalen Analysen von Brech vergleichen zu können,
hätte einen sicheren Nachvollzug der Analyse ermöglicht, zumal
die Beschaffung der Beispiele und das Auffinden der Analysestellen nicht
ganz einfach sein dürfte. Erst in der Zusammenschau von Soundtrack,
Sonagramm und Analyse könnte man die Aussagen von Brech bewerten.
Der klingende Soundtrack würde auch zeigen, nach welchen Kriterien
die Beispiele ausgewählt wurden, ob sie wirklich der Analyse wert
sind, oder ob sie unter dem Vorwand der "Wissenschaftlichkeit" in dieses
Buch und somit an die Öffentlichkeit gelangt sind - immerhin.
Mit sonderlich großem Hörvergnügen scheint die Arbeit
von Martha Brech nicht verbunden gewesen zu sein. In dem Kapitel "Der ökonomische
Faktor" (B:195) beschreibt sie Rezeptionsprobleme, die deutlich auf die
akustische Unverdaulichkeit des Klangmaterials hinweisen. "Dabei spielt
die physische Belastung beim Hören eine nicht unwichtige Rolle. Sie
mündete für die vorliegende Arbeit in erhebliche Tinnitusbeschwerden
auf beiden Ohren, die erst mehrere Wochen nach dem Abschluß einer
Analyse nachließen. Bei einer Komposition ("Cut" von Lutz Glandien)
ergaben sich sogar so starke Hörprobleme, daß die Analyse zum
Schutz der Ohren nicht beendet wurde."
(B 195). Verständlich wird das aus zweierlei Gründen: Einerseits
ist zu bezweifeln, daß viele Komponisten elektroakustischer Musik
wirklich mit dem "Ohr am Klang" arbeiten. Nicht selten steht eine, wie
immer geartete außermusikalische Begründung dafür, ein
Klangereignis in eine Komposition einzufügen, sei es ein Arbeitsprozeß,
ein Algorithmus, die Entwicklung einer Schaltung mit sensationellen, neu
generierten Klangergebnissen, deren Existenz und Anwendung keiner musikalischen
Logik gerecht wird: Man denkt oft zu wenig über die Organisation des
Schalles nach.
Andererseits ist der Analyseprozeß ein nervenaufreibendes Geschäft,
weil unendlich zeitaufwendig. Je nach Klangvorlage können das Wochen,
Monate sein. Zwar weist Brech liebenswert fair darauf hin, daß der
Schaffensprozeß u.U. oft Jahre gedauert hat. Dann aber stellt sie
die Frage nach der Relevanz einer solchen Tätigkeit. Nur um des Mitlesens
wegen lohnt der Aufwand sicher nicht. Wohl aber wäre das komplette
Sonagramm eine wichtige Hilfe zur Erstellung einer Partitur zur Verbindung
elektroakustischer Basisbänder mit einem rein akustischen Instrumentarium,
Orff-Schulwerk, Symphonieorchester, Sprache/Gesang/Laut, usw.
Bei den Analysesytemen von Ungvary/Becker wird ein kleiner Abschnitt
untersucht. Die Farbe wird allenfalls dazu genutzt, dynamische Besonderheiten
zu kennzeichnen. Diese werden denn auch im Ausdruck als Schwärzungen
dargestellt.
Hingegen ist es bei Medav möglich, auch Spektralanteile farblich
auszuweisen, wobei die Intensität der Farbe auf die Lautheitsverhältnisse
schließen läßt.
Das ganze Buch von Martha Brech ist eine einzige Folge von Beweisen,
daß eine Analyse elektroakustischer Kunst in einem Zuge nicht möglich
ist. Und wenn schon viele Arbeitsprozesse notwendig sind, wäre zu
überlegen, ob die Organisation der Analyse nicht anders angegangen
werden kann.
Hier wäre ein Vorschlag, der sich eng an die Computertomographie
in der Medizin anlehnt. Das Ergebnis einer derartigen medizinischen Analyse
ist, daß man schichtweise in die Tiefe einer Aufzeichnung eindringen
kann. Das ist aber nur möglich, weil das Analysesystem Gewebe aufgrund
physikalischer Eigenschaften, z.B. der Dichte unterscheidet.
Nun ist elektroakustische Musik immer ein Ereignis vieler Schichten,
von denen jede in sich eine individuelle Ordnung zeigt, auch bei den komplexesten
Modulationsvorgängen. Mögliche Unordnung muß man dann eben
als negative Ordnung in verschiedenen Graden definieren, obwohl ich überzeugt
bin, daß die Mathematik auch da noch weitgehend irgendeine Ordnung
sieht, wo wir längst Chaos hören; Chaos ist hier nicht streng
mathematisch gedacht. Die innere Ordnung, die eine einzelne Schicht charakterisiert,
kann zur Typisierung benutzt werden. Jede der einzelnen übereinanderliegenden
klanglichen Schichten hat also eine eigene Systematik im Klangaufbau und
wird später in der Darstellung eine eigene Farbe bekommen, deren Intensität
auf die Lautstärke der Anteile schließen läßt. Die
Farbcodierung muß bei einer Analyse frei bestimmbar sein, damit Unklarheiten
in verschiedenen Ansichten durchsichtig werden.
Die Analyse besteht aus mehreren Durchgängen und soll im Ergebnis
den Ablauf eines Stückes in Echtzeit farbig auf einen Bildschirm bringen
und von einem Videosystem aufgezeichnet werden können.
Ein Computerprogramm müßte so angelegt sein, daß der
Rechner selbst einen oder mehrere Durchgänge fordern kann, bis er
die einzelnen spektralen Architekturen der Klanganteile erkannt hat. Zunächst
erscheint das schwierig, ja undurchführbar, aber irgendwo liegt einmal
ein Klang blank oder fast blank, oder er erscheint mehrfach in anderem
spektralen Kontext, dann hat der Rechner die Chance ihn zu identifizieren,
oder aus dem Kontext - mehreren Spekraltexturen - herauszurechnen.
Er legt also selbständig eine Datei der auftretenden Klangfarben
an und weist jeder Klangfarbe eine Bildfarbe zu. Die Bildfarbe kann im
Nachhinein - wie bereits angedeutet - geändert werden.
Auch würde die Anlage einer Spektralbibliothek ermöglicht.
Im letzten Durchgang erfolgt dann die Analyse in Echtzeit und wird auf
einem Farbmonitor zu sehen sein. Es kann u.U. sehr lange dauern, bis das
Ergebnis vorliegt. Sollte die Farbdichte auf dem Bildschirm zu groß
werden, müßte man sie reduzieren können, u.U. stellenweise
insgesamt vereinfachen durch den Zugriff auf die verschiedenen Darstellungstiefen
von Spektren, Dynamik und Analysebandbreite und auf Filter. Dies weniger
für die eigentliche Analyse, sondern eher für die Anlage einer
Partitur zum Mitlesen oder Mitspielen. In kritischen Fällen sollte
man in die Korrekturen manuell über Schiebepotis eingreifen können,
wobei diese Steuerungswerte über MIDI fixiert und reproduzierbar sein
müßten. (Es ist klar, daß hier MIDI gar nichts mit dem
Musiksignal zu tun hat.)
Schneidet man das Ereignis, Ton und Bild auf einem shuttlefähigen
Videorecorder mit, entsteht eine Analyse mit Zusammenhang von Bild und
Ton. Für die Anlage einer Partitur genügt es, in das Videobild
Marken zum Umblättern einzutragen.
Am Ende ihres Buches erwähnt Martha Brech nicht ganz unvermittelt
einen Aufsatz von Konrad Boehmer (KB) und zitiert in einer Fußnote:
"Noch nie hat eine Analyse ein musikalisches Werk zum Sprechen gebracht
oder ihm gar Geheimnisse zu entlocken gewußt, die es klingend dem
feinen Ohr oder dem subtilen Geist nicht ohnehin schon preisgegeben hätte.
Wer nicht adäquat hört, dem hilft auch keine Analyse weiter ...
(Boehmer 1991:37)".
An das ganze Zitat bei Brech seien vor allem analysefreudige Zeitgenossen
erinnert und mit der überlegung konfrontiert, sich einer entspannenderen
Tätigkeit zuzuwenden, nämlich in STOischer (PR) Ruhe zu komponieren
und sich mit Hingabe klanglichen Gestaltungsprozessen zu widmen, anstatt
sich in der x-ten Generation mit der Analyse der Analyse der Analyse zu
plagen.
Es darf beim Lesen dieses Aufsatzes nicht übersehen werden, daß
es heute Analyseverfahren gibt, z.B. im Spektro 3000 von Medav, bei denen
sich die Arbeit weit leichter gestaltet, weil die technischen Merkmale
dem Stand der Zeit angepaßt sind. Aber eine Maschinenbeschreibung
war nicht das hier gesteckte Ziel, und bei solchen Geräten hat man
auch andere finanzielle Dimensionen.
Literaturverzeichnis
B) Martha Brech, Analyse elektroakustischer Musik mit Hilfe von Sonagrammen,
Frankfurt am Main usw.: Europäischer Verlag der Wissenschaften, Peter
Lang GmbH, 1994, 211 Seiten.
K) Karkoschka u.a., Neue Musik Analyse, Musikverlag Döring, Herrenberg
1976 (2 Bände).
KB) Boehmer, Konrad: Vom Un-Sinn des Analysierens; in: DECIME: Die Analyse
Elektroakustischer Musik - Eine Herausforderung an die Musikwissenschaft?
Wiss. Kolloqium im Rahmen der 4. Werkstatt; (26.4. - 28.4.), S. 37-46,
Berlin 1991.
M) Komposition des Rezensenten.
ME) MEDAV, Digitale Signalverarbeitung GmbH , Uttenreuth, hier: Spektro-3000,
2-Kanal-Signalanalysator.
MV) Rechensystem auf der Brech die Sonagramme analysierte:
MicroVAX 36OO (Unix Betriebssystem) und CARL-System des Fachbereichs
Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Berlin.
Nach Angaben von Folkmar Hein/DEGEM (Fax an den Rez. vom 26.9.95):
CARL = Computer Audio Research Laboratory in San Diego
CARL ist auch eine Bezeichnung eines Software-Paketes für Berechnung,
Verwaltung, Organisation etc. von Audio-Daten ... Frau Brech hat ein Programm
zur Sonagraphie benutzt, (auf unserer VAX 78O bzw. MicroVAX 36OO) welches
u.a. Teile von CARL benutzte. CARL ist für eine UNIX-Umgebung gedacht
und in "C" geschrieben.
P) Prieberg, Fred K.: E M Versuch einer Bilanz der elektronischen Musik,
Rohrdorfer Musikverlag, 1980, 297 Seiten.
PR) STO ist die File-Extension des Kompositionsprogramms PRESTO von
Guerino Mazzola.
Antwort auf diesen Artikel von Torbe Reyber im ZeM Heft
Nr. 19: Anmerkung zu Sonogrammen



Die Antwort auf die Frage: "Was ist Elektronische Musik?" beinhaltet
zugleich eine Antwort auf die Frage: "Was ist Kunst?" unabhängig davon,
ob man den Kunstcharakter der Elektronischen Musik bejaht oder ablehnt,
vielleicht auch durch die Suche nach einer Antwort zu einer neuen Kunstauffassung
gelangt. Sucht man nun wiederum für die auf den ersten Blick neue
Kunstauffassung Autoritäten, so kann es durchaus sein, daß eigentlich
alte Geschichten für uns in einer anderen Perspektive aktuell werden.
Eine der wohl bekanntesten Gestalten aus den griechischen Sagen, Dädalos,
ist in der Interpretation von Ovid (Metamorphosen) ein interessantes Beispiel.
Zunächst kurz die - alte - Geschichte: Dädalos, wörtlich
"Der Kunstreiche", ein Architekt und Künstler in Athen, mußte
wegen eines Verbrechens Athen verlassen und floh mit seinem Sohn Ikaros
zum König Minos von Kreta. Dort erhielt er den Auftrag, für das
Ungeheuer mit Namen Minotaurus eine Art Gefängnis zu bauen, das diesem
Mischwesen aus Mensch und Stier eine Flucht unmöglich machen sollte.
Dädalos führte diesen Auftrag mit Erfolg aus, das Ergebnis war
ein Palast mit verwirrenden Gängen, in dem sich kein Fremder zurechtfinden
konnte. Auf die späteren Griechen machte dieses Bauwerk den Eindruck
eines Chaos, und sie nannten es deshalb Labyrinth. Nach der Vollendung
dieses Auftrages sehnte sich Dädalos jedoch danach, wieder nach Athen
zurückzukehren, zumal sich die politischen Verhältnisse geändert
hatten, aber Minos wollte ihn nicht gehen lassen. Dädalos erkannte,
daß er weder zu Land noch zu Wasser fliehen konnte .Also versuchte
er, Mittel zu finden, wie er mit seinem Sohn Ikaros durch die Luft entkommen
könnte. Er beobachtete den Flug der Vögel, studierte genau deren
Flügel und baute die erste Flugmaschine der Welt. Diesen Vorgang beschreibt
Ovid mit den Worten: "Er versenkt sich in die unbekannten Künste und
schafft die Natur neu (... ignotas animum dimittit in artes naturamque
novat, v.198f.)" .
Daß an dieser Stelle der Begriff "artes" steht, dem im Griechischen
"techne" (= Kunst, Wissenschaft, Handwerk, Kunstfertigkeit, Kunstverständnis...)
entspricht, zeigt eine Kunstauffassung, die Kunst nicht nur in dem sucht,
was vom Menschen geschaffen wurde, sondern auch in dem, was von Natur aus
vorhanden ist. Natur wird hier offensichtlich nicht als Gegensatz zur Kunst
gesehen. Die kunstvolle Natur, die hier Gegenstand des Interesses ist,
wird studiert - das meint "animum demittere"-, in diesem Fall die Architektur
eines Flügels, oder allgemein, der Bauplan eines Naturphänomens,
mit dem Zweck, ein solches Objekt selbst zu gestalten. Das Ergebnis soll
aber nicht nur ein Abbild des Vorbildes sein, sondern auch eine Neugestaltung,
da die Flügel nun die neue, in der Natur bislang nicht vorgesehene
Funktion haben, einen Menschen zu tragen, und aus diesem Grund entsprechend
anders gebaut werden müssen.
Was Dädalos hier schafft, ist nach heutiger gängiger Auffassung
sicher eher das Werk eines Ingenieurs, da dieses eine ganz bestimmte Funktion
erfüllen bzw. einem praktischen Zweck dienen soll. Die Trennung zwischen
zweckfreier Kunst und kunstvollem Handwerk war der klassischen Antike jedoch
fremd, auch Dichtung und Musik hatten einem Zweck zu dienen(1). Infolgedessen
können wir in Dädalos nicht nur den Architekten und Ingenieur,
sondern auch den Künstler sehen, was ja sein Name bereits zum Ausdruck
bringt. Hier ist wohl wichtig zu wissen, daß der mythische Dädalos
nicht eine reine Gestalt der Phantasie ist, sondern ein historischer Dädalos
den Stoff für diese Sage geliefert hat. Dieser historische Dädalos
galt als einer der großen Künstler, dessen Neuerungen in der
Statuenplastik das Ende der altägäischen Kunst einleiteten. Er
soll nämlich den Statuen natürlichere Haltung und Aussehen gegeben
haben z.B. durch abgwinkelte Arme, auseinandergestellte Beine und geöffnete
Augen. Damit hat aber der historische Dädalos dasselbe getan wie der
mythische: Er hat - anders wäre seine Neuerung nicht möglich
gewesen - die Natur beobachtet und genau studiert und versucht, sie mit
seinem Material neu zu schaffen.
Was macht also der Künstler Dädalos? Er beobachtet die Natur,
bemüht sich mit den Kräften seines Verstandes darum, ihre Gesetze
zu erkennen und anzuwenden, und zwar in einer neuen Weise, so daß
etwas bisher nicht Dagewesenes entsteht. Ein solcher Künstler geht
rational vor. Auch wenn er sich auf Athene bzw. Minerva als Schutzgottheit
berufen kann, so versetzt ihn keine Muse in den Zustand der Verzückung,
und er schafft sein Werk nicht in einem Zustand der Ekstase, sondern er
läßt sich bei vollem Bewußtsein von der exakten Beobachtung
der Natur leiten. Er ahmt mit seinem Können und Wissen die Natur nach
und verändert sie zugleich nach ihren Gesetzen. Auf diese Weise erweitert
er die Natur, schafft Neues, ist innovativ.
Wie Dädalos in seiner Zeit mit seinen Mitteln die Natur bzw. die
Wirklichkeit versucht hat zu erkennen und auf Grund dieser Erkenntnis in
Teilbereichen neu zu gestalten, so können wir heute mit der Technologie
unserer Zeit die Natur eines Teilbereiches, nämlich die der Klänge,
erforschen und neu gestalten. Das geschieht dadurch, daß wir uns
intensiv mit der Sache beschäftigen (= aimum in artes demittere),
die Gesetze versuchen zu ergründen und verstehen, um sie dann in einem
kreativen Prozeß anzuwenden (= naturamque novare), etwas Neues zu
schaffen, bisher nicht Dagewesenes. So wie Dädalos mit seiner Erfindung
neue Wesen geschaffen hat (nach Ovid mußten Dädalos und Ikaros
bei ihrem Flug einem Betrachter als göttliche Wesen erscheinen), so
können wir mit den Erfindungen bzw. den Geräten unserer Zeit
völlig neue Klänge produzieren, die einem ungewohnten Hörer
auch göttlich, teuflisch oder wie aus einer anderen Welt vorkommen
können.
Sich auf dieses Abenteuer einzulassen, erfordert auch Mut und Risikobereitschaft,
da völlig neue Wege gegangen werden müssen. Bei diesem Höhenflug
ist die Gefahr des Absturzes immer gegeben. In der Sage ist überliefert,
daß Ikaros aus jugendlichem Leichtsinn heraus sich nicht an die Ermahnungen
seines Vaters gehalten hat und in einer Art Höhenrausch der Sonne
schließlich so nahe kam, daß das Wachs schmolz, das die Federn
seiner Flügel zusammenhielt. Er ist in das nach ihm benannte Ikarische
Meer gestürzt.
Der tödliche Absturz des Ikaros wird gerne als Beispiel für
die unberechenbaren Gefahren der modernen Technik herangezogen und als
Argument dafür verwendet, daß diese Technik eigentlich der Feind
des Menschen ist, zumal Ovid selbst sie als "verderblich" (damnosas artes,
v.215) bezeichnet(2). Doch ist bei dieser technikfeindlichen Interpretation
außer acht gelassen, daß Dädalos sehr wohl um die Gefahren
wußte, sie auch richtig eingeschätzt hat und deshalb vor dem
Flug alles geprüft und seinem Sohn die entsprechenden Anweisungen
gegeben hat. Nicht die Technik war das eigentliche Risiko, sondern der
Mensch, der auf Grund seiner Entwicklung für diese neue Technik noch
nicht reif war. Mit J. Weizenbaum könnte man sagen, es sind "gesellschaftliche
Fehler," die zu dem Risiko für den Menschen führen. Dädalos
haben offensichtlich nicht nur die nötige Sachkenntnis vor dem Absturz
bewahrt, sondern auch seine Vernunft. Dädalos wäre - auf unsere
Zeit übertragen - vielleicht ein Repräsentant einer "vernünftigeren
Gesellschaft, die den Computer sorgfältiger und überlegter benutzt."(3)
(1) Zweck der Dichtung und Musik war es nach der klassischen Theorie,
den Charakter zu bilden und auf die Gefühle des Menschen Einfluß
zu nehmen.
(2) Dieses negative Urteil ist nicht nur vor dem Hintergrund der menschlichen
Tragödie zu sehen, sondern ist auch typisch für die antike Einstellung
der Technik gegenüber.
(3) Joseph Weizenbaum ist einer der großen Pioniere auf dem Gebiet
der Informatik, zugleich aber auch ein sehr bedeutender Computerkritiker.
Am 21. Juli 95 war in der Badischen Zeitung ein Interview mit ihm abgedruckt,
auf das sich die Zitate beziehen.