
ZeM Mitteilungsheft Nr. 12 - Oktober 1993
Redaktion:
Information
Klangausstellungen im ZeM Ambiente
Rainer Fiedler stellt seine Galerie ZeM Ambiente (Freiburg) zur Ausstellung von Klängen zr.rr
Verfügung. Seine bisherige Bilderausstellung ist
weitergewandert. Jeder, der etwas vorführen
möchte, soll sich bei Rainer Fiedler melden.
Das ZeM Ambiente steht ab Ende Oktober alle
14 Tage regelmäßig zu Vorführungen bereit,
entweder Sonntag vormittags oder Samstags.
Diskussionswochenende im Schwarzwald
Am 20. und 21. November [1993]veranstaltet ZeM
Freiburg ein Diskussionswochenende im Fachschaftshaus am Schauinsland. Alle Fragen, die
die Elektronische Musik betreffen, sollen ausführlich erörtert werden.
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Gerda Schneider
Vorführen, was die Leute hören wollen?
Angenommen, wir wollten uns bei unseren Vorführungen genau nach
dem Geschmack der Leute richten, so müßten wir wissen, was die
Leute wirklich hören wollen.
Um eine Antwort darauf zu finden, kann man einfach die eigenen Erfahrungen
auswerten, man kann sich auf Umfragen, die die sog. Hörgewohnheiten
erfassen, stützen, und man kann natürlich auch einfach eine Zeitlang
sich die Programme mit den höchsten Einschaltquoten anhören.
Als Ergebnis der Untersuchungen kann dann der musikalische Geschmack der
übergroßen Mehrheit in unserer Gesellschaft festgestellt werden,
der etwa folgendermaßen beschrieben werden kann: "Man wollte da nichts
Ausgefallenes vorgesetzt bekommen, keine Tonkombinationen, an die sich
das Ohr erst gewöhnen mußte. Man wollte Musikstücke des
vertrauten Stils, vielleicht in der neuesten, modernen Fassung hören,
aber nichts Schwieriges, nichts hoch Individualisiertes, nichts Anstrengendes.
Kurzum, man erwartete von den jungen Künstlern gefällige, angenehme
Musik. Nur technisch, nicht ihrer Gestaltqualität nach, durfte sie
schwierig sein. Virtuosen wurden bewundert." (S.106) "Der Konsens der Mächtigen
diktierte den Geschmack in den Künsten" (S.118)... "das breitere ...
Publikum wollte vor allem unterhalten sein, es suchte nach Abwechslung"
(S.119).
Beim Lesen des Zitats ist sicher aufgefallen, daß sich die Beschreibung
auf ein Publikum der Vergangenheit beziehen muß. Gemeint ist das
höfische Publikum zur Zeit Mozarts (1), doch lassen sich diese Aussagen
ohne weiteres auf heute übertragen. Wenn sich auch die Gesellschaft
stark verändert hat und wir dadurch ein weitaus größeres
Maß an Freiheit und damit die Möglichkeit zur Individualität
haben, und wenn auch die Institution des freien Künstlers für
uns selbstverständlich ist - so gibt es doch auch in unserer Gesellschaft
"Mächtige", die den Kunstgeschmack bestimmen, und es gibt ein breites
Publikum, das in der Weise, wie beschrieben, Kunst genießen und konsumieren
will. Und so wie zu Mozarts Zeiten innerhalb des breiteren Publikums ein
kleiner Kreis von "enthusiastischen Musikliebhabern" auszumachen ist, die
das Neue begeistert aufnahmen, so wird man auch bei uns ein kleines Publikum
finden, das dem Neuen gegenüber aufgeschlossen ist.
Man wird sich vielleicht noch darüber wundern, daß bei dem
großen Maß an Bildung, das in unserer Zeit breiten Volksschichten
zuteil wird, eben diese Bildung sich nicht anders auf den musikalischen
Geschmack auswirkt, und man wird dafür auch Erklärungen finden...
Man wird auch feststellen, daß es den Geschmack nicht
gibt, daß der Geschmack des Publikums sich ändert und daß
ein- und dieselbe Musik zu entgegengesetzten Wirkungen führen kann:
Was die einen zu Tränen rührt, läßt andere kalt, und
was viele Menschen seelisch ins Gleichgewicht bringt und psychisch aufbaut,
führt bei anderen zu entgegengesetzten Reaktionen. So wird z. B. in
den USA klassische Musik zur "psychologischen Kriegsführung" gegen
Jugendbanden eingesetzt, weil man in Erfahrung gebracht hat, daß
diese solche Musik so hassen, daß sie schleunigst die Parkplätze
vor den Einkaufsläden verlassen. (2)
Ergebnis also: Wenn es den einen beständigen Geschmack des Publikums
nicht gibt, so muß der Künstler, der sich am Geschmack des Publikums
orientieren will, aus der Gesellschaft einen Teil aussuchen, den er als
Publikum haben möchte, und er muß dann versuchen, dessen Geschmack
zu treffen. Das werden nun nicht gerade die Jugendbanden sein, vielmehr
ist davon auszugehen, daß er ein kunstinteressiertes Publikum ansprechen
will. Doch da treten neue Schwierigkeiten auf: Was versteht denn dieses
Publikum unter Kunst und was für Kunst erwartet es? Ich würde
es gerne wissen und schlage in einem Buch nach mit dem Titel "Was ist Kunst"
(3) und finde über 1000 interessante, sehr unterschiedliche und z.
T. kontroverse Antworten: Die einen betonen das Können, andere das
nicht auf einen Zweck Ausgerichtetsein, wieder andere sehen in der Kunst
eine typisch menschliche Fähigkeit, noch mal andere betrachten die
Kunst als Schöpfung, die etwas Neues, noch nicht Vorhandenes hervorbringt,
dann Kunst als ein gleiches und zugleich ungleiches Abbild der Welt, oder
Kunst als Form, als eine klare gesetzmäßige Sache; Kunst wird
auch definiert als Nachahmung der Natur, für andere wiederum ist Kunst
zunächst der Gegensatz von Natur; Kunst wird auch als das Heilmittel
gegen den Pessimismus angesehen, als eine Sprache von Menschen zu Menschen,
als beruhigende Illusion und auch als Aufruhr, Kunst wird gedeutet als
Mittlerin zwischen Gott und unserer Seele, Verzierung dieser Welt, Konsumware,
eine Form der Erkenntnis, aber auch als ein wunderbares Gegenstück
zur Wissenschaft... usw.
Welche Auffassung von Kunst wird denn nun erwartet? Für welche
Auffassung von Kunst soll dann derjenige, der bringen will, was die Leute
hören wollen, sich entscheiden? Diese Frage muß ich zwar stellen,
wenn ich davon ausgehe, daß die Kunst das bringen soll, was die Leute
hören wollen, sie ist aber andererseits Unsinn. Die vielen Aussagen
lassen wohl erkennen, daß die Auffassung von Kunst sich ändert.
Dieser Wandel ist aber nicht auf eine Anpassung des Künstlers an den
jeweiligen Publikumsgeschmack zurückzuführen, sondern er ist
abhängig von der Zeit, in der der Künstler lebt. Eine solche
Zeitbedingtheit, der sich wohl auch ein Künstler kaum entziehen kann,
ist aber etwas anderes als eine willentliche Ausrichtung am jeweiligen
Geschmack des Publikums. Viele Aussagen in dem genannten Buch lassen vielmehr
erkennen, daß die Künstler ihre Auffassung von Kunst im Gegensatz
zum herrschenden Geschmack vertreten haben, als eine Auffassung, die von
der Person des Künstlers nicht zu trennen war. Bei der Frage, ob Anpassung
oder nicht, geht es also nicht nur um Frage des Geschmacks, sondern auch
um die Frage der Identität oder der Wahrheit.
Doch unabhängig davon, was die 'Autoritäten' sagen, ergibt
sich eine Antwort aus folgender Überlegung: Da der Künstler kreativ
ist, ist er nicht nur 'Kind seiner Zeit', sondern auch seiner Zeit bzw.
seinen Zeitgenossen voraus. Das Neue, das er bringen wird, kann das Publikum
ja noch gar nicht kennen. Der Künstler kann demnach auch nicht genau
wissen, wie das Neue beim Publikum ankommen wird. Sicher ist nur, daß
das Neue zwangsläufig im Widerspruch zu den Gewohnheiten der - wenn
es um Musik geht - Zuhörer steht und daß viele Zuhörer,
je nach dem Grad ihrer Offenheit, zunächst eine Abwehrhaltung gegenüber
dem Neuen und damit auch Fremden einnehmen werden. Vielleicht werden auch
einige oder viele mit Verärgerung reagieren, weil sie sich persönlich
nicht angesprochen fühlen. Und wenn nun, stellvertretend für
diese, nach Chr. Morgenstern "Herr Meier sagt, wozu doch eure Kunst, wenn
nicht für mich! Sonst ist sie eitel Dunst"? (4), was soll man dann
darauf antworten?
Man könnte mit Arnold Schönberg sagen: "Denn wenn sie Kunst
ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie
keine Kunst" (5), doch soll ja gerade mit der E.M. die elitäre Abgrenzung
aufgehoben werden. Als Antwort auf Herrn Meiers Frage möchte ich aus
dem bereits genannten Buch ein anderes Zitat nehmen: "Kunst ist heute nicht
nur für eine kleine Elite, sie ist heute für alle gleich zugänglich,
die sich darum bemühen" (6). Es wird niemand ausgeschlossen, insofern
ist die Kunst für alle, aber jeder muß sich darum bemühen.
Da dies nicht alle tun, ist natürlich Kunst nicht für alle. Entscheidend
ist, daß der Künstler niemandem den Zugang verwehrt, daß
die Zuhörer nicht nach bestimmten Kriterien gewählt werden wie
z. B. Bildungsstand, Beruf, Status... Nicht die Anpassung an den Geschmack
des Publikums ist also gefordert, sondern die Öffentlichkeit der Kunst.
Ist Kunst in diesem Sinn "für alle", dann muß von den Zuhörern
Interesse und Aufgeschlossenheit erwartet werden und die Bereitschaft,
sich um das Neue zu bemühen.
(1) N. Elias: Mozart, suhrkamp Taschenbuch 2198,1993
(2) Badische Zeitung vom 12.08.93
(3) A. Mäckler, Hrsg.: Was ist Kunst? DuMont Tb.197, 1989
(4) S.82, (5) S.84, (6) S.84
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Klaus Weinhold
Ein relativer Standpunkt
Die Diskussion über die Arbeit mit und um die Elektronische Musik
und damit um die Musik überhaupt ist in diesem Jahr 1993 in unseren
Kreisen voll entbrannt. Wir mögen das bedauern, erfordert doch die
Diskussion über einen Sachverhalt, den wir eigentlich für geklärt
halten könnten, viel Zeit und Kraft. Aber offenbar ist es in keiner
Weise klar, was diese sogenannte Elektronische Musik ist. Ein aktuelles
Beispiel: Die Veranstaltung elektronischer Musikproduktion in Osnabrück
in diesem Sommer nannte sich "Klangart", das Wort Musik kam darin nicht
vor. In einer Besprechung in einer Musikzeitung wird dazu formuliert, daß
der Begriff Elektronische Musik inzwischen von der Popularmusik vollständig
okkupiert worden ist. So wird sicherlich manch einer von den Interessenten
Elektronischer Musik glauben, daß er auch bei uns solche "Popularmusik",
ganz gleich welcher Art, zu hören bekommt, und wird enttäuscht
von dannen ziehen, da etwas ganz anderes bei uns aus den Lautsprechern
tönt. Auch bei uns kam der Gedanke "Klangart" auf, wir wollten jedoch
sprachlich korrekter sein und kamen auf den Begriff "Audioart", beide Teile
des Begriffes wären dann aus der lateinischen Sprache genommen. Damit
zur Grundfrage: Machen wir, sollen wir Musik machen? Und sollen wir das,
was vielleicht anders als Musik ist, diese Audioart, auch als Musik anbieten?
Was traditionelle Musik ist, sollte klar sein. Seit Plato haben sich die
Theoretiker über diese Frage ausgelassen, man kann dies in jedem Musiklexikon
unter dem Begriff musica nachlesen. Es ist immer von der göttlichen
Offenbarung, von den Musen und dem Geschenk des Himmels die Rede. Ein ganz
wichtiger Gesichtspunkt spielte immer eine Rolle: Musik als Mittel zur
Beruhigung, zur Ruhigstellung, zur Stimmungsmache bis heute, wo sich dies
in der Form der Musiktherapie niederschlägt. Musik sollte deshalb
verboten werden, denn damit ist ein ganz zentraler Punkt angesprochen:
Musik zeigt immer eine harmonische Welt, und unser Begriff der Harmonie
hat sich verengt auf gute und schöne und angenehme Klangverhältnisse.
Die Musik offeriert uns im Abendland ein System. Dieses ist von Menschen
für Menschen menschlich zubereitet worden. Nur selten erfährt
der Hörer etwas von den Inhalten dieses Systems. Wenn man einmal in
einer Radioansage, was immer seltener wird, gesagt bekommt, daß ein
Stück in G-Dur steht, ist es schon viel, was man vom System mitbekommt,
meistens erfährt man nur die Namen der Musizierenden. Die theoretisch-analytische
Auseinandersetzung über die Grundlagen des Systems steht im Moment
nicht nur in der musikalischen, sondern auch in der politischen Diskussion
nicht an erster Stelle.
Das traditionelle Musiksystem ist vordergründig. Es geht vom Menschen
aus, so wie der den Sternenhimmel betrachtende Mensch glaubt, daß
sich die Sterne bewegten, und wie der den Sonnenuntergang beobachtende
Zeitgenosse tatsächlich der Meinung ist, daß die Sonne sich
um die Erde bewege. Kurz und gut, das sind kulturelle und konventionelle
Betrachtungsweisen, die Realität ist eine andere. Die klassische Musikbetrachtung
verstellt uns nun auch den Zugang zu der eigentlichen Realität dessen,
was Grundlage von Hörerlebnissen ist: Die Erkenntnis von Schwingung
und deren ungezählte Überlagerungen. Wir kommen damit zu einer
anderen Betrachtung der schwingungsfähigen Realität, wir dringen
in sie nicht über die Kultur von oben ein, sondern von unten, von
der Natur her und versuchen sie von dort neu aufzubauen und erst einmal
zu erkennen. Und damit sind wir bei den nackten Elementen, den Urphänomenen:
Ein solches nacktes, farbloses, uninteressantes, langweiliges Element ist
der Sinuston, den wir leider nicht mehr oder nur mühsam aus den neuesten
elektronischen Instrumenten herausholen können. Der Sinuston als regelmäßige
Schwingung, sich nach einem Zufallsprinzip verändernd: Das wäre
der Anfang einer neuen "Klangart". Indem wir diesen immer weiter und immer
mehr übereinander schichten, kommen wir zu dem, was die traditionelle
Musik mit dem Übereinanderschichten vorgefertigter Produkte, den Tönen
erreicht hat, zu einem neuen Klang. Damit ist etwas gesagt, was gegen manche
neue elektronische Musikinstrumente spricht, indem sie uns in diesem Hintergrund
von unten keinen Einlaß gewähren und indem sie uns doch wieder
nur eine Fortsetzung mit anderen Mitteln bieten. Im Gegensatz dazu: Der
ständige unendliche Neuanfang, das unendliche Suchen, das man mit
dem Wort Experiment übersetzen kann. Dieses Experimentieren führt
sicher zu vielen Mißerfolgen, und dennoch: Vielleicht ist dieses
Gefundene allemal interessanter als das Vorgefertigte, wo man immer weiß,
"wie es weitergeht".
Wir haben versucht, eine Betrachtung der Elektronischen und klassischen
Musik zu geben. Wichtige Begriffe dieser beiden Klangformen sind auf der
einen Seite Zubereitung und Anpassung für das traditionelle System
und experimentelle Innovation auf der anderen Seite, Sicherheit und Geborgenheit,
ja Therapiefähigkeit auf der einen Seite, Unordentlichkeit, Unsicherheit,
Destabilisierung auf der andern Seite. Wir wissen, was der Mensch braucht
oder glaubt zu brauchen. Die Kultur sorgt für diese Notwendigkeit,
die Natur tut es nur teilweise. So sollten wir uns klarmachen, daß
die Soundelektronik uns von der Kultur hinweg führt, hinein in die
von Menschen unabhängige Natur. Daß in dieser Natur auch einmal
dem Menschen Entsprechendes herauskommen kann, ist keineswegs ausgeschlossen
und abzulehnen. Wer heute sich für das Ohr und damit das Hörbare
interessiert und dafür begabt ist, wird kaum als Grundlage seiner
musikalischen Erlebnisse das Heulen des Windes. das Rauschen des Baches
oder Geräusche der Müllabfuhr nehmen, obwohl gerade diese Dinge
der Ausgangspunkt einer Hörwahrnehmung und damit einer Welterkenntnis
sein könnten. Der musikalische Mensch wird im Kreislauf zwischen eigenem
Bedürfnis und Erziehenden, z.B. Eltern, oft schon in früher Jugend
in die musikalische Kulturwelt eingeführt. Der Adept ist damit für
sein Leben für einen anderen Zugang zur "Klangart" nicht mehr oder
nur kaum befähigt. Damit wird deutlich, und wir kehren so zum Anfang
zurück, daß in der Diskussion der sog. Elektronischen Musik
es nicht darum geht, ob DX7 oder ein Presetinstrument mit schönen
Klängen, sondern daß es darum gehen muß, die Grundlagen
des Menschen und des menschlichen Bewußtseins neu zu überdenken.
Das zu Ende gehende Jahrhundert hat uns eine neue Physik und eine neue
Astronomie beschert, was bisher fehlt, ist eine dazugehörige "Klangart",
die sich grundsätzlich von Prinzipien wie Tonalität in der Musik,
Zentralperspektive in der Malerei und der Newtonischen Physik trennt. Dieses
waren geschlossenen Systeme, und der Mensch glaubte, so sei es. Wir wissen
heute, daß es weitgehend nicht so ist, daß man es aber so sehen
kann und so hören kann. Wir könnten dazu beitragen, mit unseren
neuen Mitteln etwas zu dieser neuen Weltsicht beizusteuern.
Ein letzter rückblickender Hinweis: Die 68er Bewegung machte uns
glauben, daß es so etwas Neues gibt. Die musikalischen Aktivitäten
der 70er Jahre führten zu einer Befreiung, die es ermöglichte,
sich der Systemkritik und damit der musikalischen "Unterwelt" überhaupt
zuzuwenden. Wir alle wissen, was heute gefragt ist, und damit haben wir
keine Aussicht auf Erfolg. Denn die Therapie der elektronischen "unterweltlichen"
Klangerzeugung ist zwar auch eine Heilung, aber eine von den Ideologien
und Illusionen einer schönen Welt, wie sie uns jede klassische Kunst
glaubt vorstellen zu müssen.
↑
Wilhelm Sauter
Doepfer VMC 32 - der Test
Das VMC 32 ist ein Produkt der Firma Doepfer
aus München. Dieses Gerät kann als Bausatz in verschiedenen Ausbaustufen
oder aber als 19'' Zoll Fertiggerät bezogen werden. Hinter dem Namen
verbirgt sich Voltage to MIDI Converter oder spannungsgesteuerter Controllergenerator.
Aber alles erst der Reihe nach.
Der Controllermodus:
Das VMC 32 kann alle 128 Controller mit vollem Wertebereich von 0 bis
127 generieren, falls man es am Eingang mit einer Spannung im Bereich von
0 bis 5 Volt "füttert". Bei Bezug des Fertiggerätes braucht man
sich darüber keine Gedanken machen, hier übernimmt ein Schieberegler
diese Aufgabe. Interessant ist dies jedoch für den Klangtüftler:
Er kann seinen Controller durch einen "alten" analogen Randomgenerator,
Drucksensor oder LFO steuern. Ein Beispiel: Man lege Controller "0" als
Steuercontroller für den Filter innerhalb seines Synthesizers fest
und steuere denselben mit dem VMC 32 an. Dadurch ist das Filter bequem
mit dem Regler oder anderen oben genannten Accessoires zu steuern. Je nach
Synthesizer können mehrere Controller intern festgelegt werden und
schon hat man im Zusammenspiel mit dem VMC 32 eine quasi analoge Bedieneroberfläche.
Bis zu 32 Controller stehen sofort zur Verfügung, die anderen Controller
werden durch weiterschalten in 16er Schritten erreicht. Beim Bausatz wird
man sich überlegen wieviel Controller tatsächlich nötig
sind, und seinen Aufbau entsprechend gestalten. Das 19'' Fertiggerät
hat eine Frontplatte mit 32 Schiebereglern. Der MIDI-Kanal sowie das Weiterschalten
der Controller-Nummern kann nur durch Umschalten von Miniaturschaltern
auf der Platine erfolgen. Da dieses Prozedere nicht gerade anwenderfreundlich
ist, hat die Firma Doepfer die Software Version 2 erstellt: Ein neues Betriebssystem,
ein nichtflüchtiger Speicher, ein einfaches MIDI-Programm (wird mitgeliefert),
und schon ist es möglich, jedem Regler eine beliebige Controller-Nummer
plus MIDI-Kanal zuzuweisen. Gerade für Live-Anwendung (d.h. ohne Computer)
ist dies unschätzbar: jeder Klangerzeuger kann individuell angesprochen
werden.
Volumenmodus:
Doch noch sind die Möglichkeiten nicht ausgenutzt. Der VMC 32 kann
in den Volume-Modus umgeschaltet werden: Es wird auf 16 aufeinanderfolgenden
MIDI-Kanälen der Controller 7 (=Volume) plus zwei weitere Controller
erzeugt, z.B. kann man damit einen dynamischen Mix auf seinem Software-Sequencer
erstellen.
Zusammenfassung:
Wer mit der Software Version 1 arbeitet wird vermissen, daß auf
der Frontplatte keine Möglichkeit besteht, den MIDI-Kanal umzuschalten.
Dieser Mangel wird durch die Arbeit mit einem Software-Sequencer eingeschränkt,
vorausgesetzt das VMC 32 ist vor den Computer geschaltet.
Die Software Version 2 ist für die Livearbeiter besonders zu empfehlen,
weil damit jeder Synthesizer übersichtlich anzusteuern ist. Unbedingt
wünschenswert wäre es, den Wertebereich des einzelnen Reglers
programmieren zu können, denn damit hätte man ein Werkzeug für
wirklich alle denkbaren Einsatzmöglichkeiten, da es Geräte gibt,
deren Controller-Nummern nur wenige Wertebereiche umfassen (z.B. div. LXP
5 Parameter). In diesen Fällen muß bisher mit größtem
Feingefühl gearbeitet werden. Dem Selbstbauer sei mit auf den Weg
gegeben: Gute Löt- und Elektronikkenntnisse sind nötig. Ansonsten
ist der Aufbau unkritisch und bestens dokumentiert.
Das VMC 32 ist eine hervorragende Ergänzung für die "reglerlose"
MIDI-Generation und gibt dem Anwender die Möglichkeit der Echtzeitsteuerung.
Das Gerät läuft seit dem ich es aufgebaut habe zuverlässig
und der überaus günstige Preis läßt auch die leidige
Steckernetzverbindung und das Fehlen eines Displays verschmerzen.
↑
Walter Birg
Die Inakzeptanz moderner Musikinstrumente durch die zeitgenössischen
Komponisten
Häufig wird, besonders von denjenigen Musikschaffenden, die dem
Neuen zugewandt sind, die Frage gestellt: Warum werden die neuen Instrumente
mit ihren faszinierenden Klängen von der Mehrzahl der Komponisten
nicht in ihren Kompositionen verwendet?
Dies hat möglicherweise mehrere Gründe, von denen einige
mit Sicherheit Trägheit, mangelnde Kenntnis und Kleben am Althergebrachten
sind. Insoweit könnte man sich die Analyse sehr einfach machen.
Es gibt jedoch noch einen tieferliegenden Grund, der nicht zu übersehen
ist: Die Lebensdauer der neuen Instrumente!
Wenn 1983 ein Komponist ein Stück für zehn DX7 geschrieben
hätte, könnte man es heute (1993) kaum noch aufführen, da
diese Geräte nicht mehr gebaut werden. Natürlich gibt es heute
Besseres, und man könnte sich mit Samplern behelfen usw., aber das
spezielle Gerät, der DX7 ist in der historischen Versenkung verschwunden.
Und was für dieses Gerät - den wohl wichtigsten Synthesizer bisher
- gilt, gilt in verstärktem Maße für alle anderen.
Was tut der Komponist, der ein "epochemachendes Werk der Menschheit
für die nächsten Jahrhunderte" schenken will? - Er verwendet
Violinen, Trompeten und Pianos, wie sie seit langem in hervorragender Qualität
gebaut wurden und immer wieder neu gebaut werden!
Fazit für die Musikinstrumenten-Hersteller, wenn sie wirklich
ihre neuen Instrumente von der Neuen Musik akzeptiert sehen möchten:
(oder wollen sie das gar nicht?): Es müssen verbindliche Konstruktionsbeschreibungen
her, so daß die Instrumente jederzeit mit gleicher Qualität
reproduziert werden können, damit der Komponist/ Produzent darauf
vertrauen kann, daß sein Werk auch noch in Jahren adäquat aufgeführt
werden kann.
[Erwiderung von Gerda Schneider in ZeMT Nr. 13 „Eine andere Konsequenz”]
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Corinna Uhl
Wo ist das Publikum?
Keine Veranstaltung kommt ohne Publikum aus. Zuhörer- bzw. Zuschauerzahlen
gelten als Maßstab für den Erfolg. Bezieht man diese Aussage
auf musikalische Veranstaltungen, so stellt man fest: Je moderner die Vorführung,
desto geringer ist die Anzahl der Zuhörer. Dies betrifft nicht nur
uns als elektronische Musiker, dieses Phänomen existiert ebenso im
Jazzbereich wie in der "klassischen" zeitgenössischen Musik.
Ein Vergleich der Publikumsituation mit zeitgenössischen Jazz-Musikern
ist durchaus angebracht. Aufgrund der Entwicklungen in der Musik ist zu
einem bestimmten Zeitpunkt in der Musikgeschichte eine Kluft zwischen Musikern
und Zuhörern entstanden, die die Fähigkeit des Zuhörers,
diese Musik zu verstehen, überstieg. Es gibt ebenso Parallelen in
der klassischen Musik. Bach, Händel, Haydn und Mozart schrieben für
eine bestimmte Funktion, für Kirche oder Staat. Das Ausmaß,
inwieweit sie Ihre Auftraggeber zufriedenstellen konnten, war der Maßstab
Ihres Erfolgs. Erst mit den Romantikern entstand eine neue Haltung. Jetzt
wurde Musik geschrieben, in der sich der Komponist persönlich ausdrückte.
Die romantischen Komponisten entfernten sich immer mehr von volkstümlichen
Melodien und einfachen Tanzrhythmen und konzentrierten sich auf ihren individuellen
musikalischen Ausdruck. Diese Diskrepanz zwischen der Vision des Komponisten
und dem Verständnis des Publikums erreichte Ihren Höhepunkt im
20. Jahrhundert mit den Innovationen Schönbergs und seinen Anhängern.
Die Erweiterung der Tonalität und die Emanzipation der Dissonanz waren
Teil einer stilistischen Evolution von Bach bis zum 20. Jahrhundert.
In einem Zeitraum von 65 Jahren passierte das gleiche im Jazz. "Die
Tatsache, daß man weder tanzen noch mitsummen konnte, verursachte
den ersten Riß zwischen Jazzmusiker und dem Publikum."(1) Auch Elektronische
Musik ist weder tanzbar noch melodiös. Der Zuhörer muß
sich mit der Musik selbst auseinandersetzen, da sie keine anderweitige
Interpretation zuläßt. Ist sie tanzbar, wird sie als Pop- oder
Discomusik klassifiziert, stellt man sich Meereswellen oder Roboterfabriken
beim Hören vor, fällt dies unter Programm-Musik. Elektronische
Musik ist anders. Sie konzentriert und reduziert sich auf sich selbst.
Sie enthält genügend Information, so daß sie keine Ablenkung
braucht.
Vielen fällt es schwer, ohne eine Erklärung diese Art von
Musik zu verstehen. "Die Durchbrüche von Coltrane und seinen Kollegen,
wie die von Schönberg, waren so allumfassend, daß sie die ganze
Struktur der Musik transformierten, und machten es dadurch unmöglich
für die meisten Zuhörer und professionellen Musiker, abzuschätzen,
was passierte in dieser Zeit, ohne eine Art von Erklärung."(1)
Dennoch, genauso wie jemandem ein Bild spontan sehr gut gefallen kann,
genauso kann auch Elektronische Musik auf einem emotionalen Level spontan
Gefallen hervorrufen. "Zuerst einmal müssen wir akzeptieren, daß
innovative Musik angenommen werden kann, sogar auf einem einfachen emotionalen
Level, ohne irgendeine intellektuelle Analyse."(1)
Elektronische Musik ist immer anders und immer neu.
"Als zeitgenössische Musiker müssen wir alles tun was wir
können, um unsere Musik so vielen Leuten wie möglich zu präsentieren."(1)
Sicherlich können wir nie mit Massen von Zuhörern rechnen.
Dennoch: Je häufiger wir unsere Musik präsentieren, desto mehr
werden davon erfahren. Und sie werden kommen - nicht immer, aber immer
öfter.
(1) Richie Beirach: Where is the audience? In: Keyboard (amerik.)/June
1987, S. 12
↑
Walter Birg
Materialien zur Diskussion auf dem Fachschaftshaus über
Elektronische Musik
Meine derzeitige Position bezüglich Elektronischer Musik:
Elektronische Musik ist ein Teilbereich der Musik. Damit gelten alle
Kriterien, die für die Musik allgemein gelten, auch für die Elektronische
Musik, insbesonders ästhetische Kriterien. Es gibt keinerlei Beschränkungen
bezüglich irgendwelcher Parameter, außer den ästhetischen,
die der Komponist/Produzent sich selbst auferlegt. Insbesondere ist es
erlaubt, beliebig elektronische Instrumente mit nichtelektronischen Instrumenten
zu mischen, nichtelektronische auf elektronischem Weg zu erzeugen (Sampler,
Synthesizer). Es gibt auch keine Verbote der Art: keine Dreiklänge!
keine Rhythmen! keine klassischen Formen! usw. Oder Vorschriften der Art:
Nur Serielles! Nur Atonales! Nur Experimentelles!
Der Komponist/Produzent der Elektronischen Musik hat gegenüber
dem traditionellen Komponisten allerdings den Vorteil, daß er faszinierende
neue Klänge zur Verfügung hat und daß er sein "Orchester"
- soweit er Synthesizer und Sampler benutzt - über Computer steuern
kann. Damit stehen ihm eine Fülle von Zusatzmöglichkeiten der
Klangbeeinflussung zur Verfügung, die der traditionelle Komponist
nicht besitzt. Außerdem hat er die Möglichkeit, algorithmische
Kompositionen zu gestalten, bei denen alle Parameter (wie Frequenzen, Klänge,
Hüllkurven, Obertonspektren, Skalen oder Tondauern) das Ergebnis mathematischer
Berechnungen sein können so daß sie sich erheblich von herkömmlichen
Frequenzen, Klängen, Hüllkurven, Obertonspektren, Skalen und
Tondauern unterscheiden können.
Diese algorithmischen Kompositionen werden entweder in Realzeit ausgeführt
und instantan wiedergegeben oder - bei entsprechend komplexeren Berechnungen
- erst nach dem Abspeichern durch das abspielende Computerprogramm ausgeführt.
Werke der Elektronischen Musik werden normalerweise vom Tonträger
dargeboten werden, sie können aber durchaus auch in Form eines Konzertes
dargeboten werden, wobei Mischformen (Menschlicher Interpret + Computer,
oder Algorithmische Komposition mit traditionellen Passagen) durchaus möglich
sind.
Anmerkung der Redaktion:
Am 20. und 21. November 1993 wird ein Treffen im Fachschaftshaus am
Schauinsland für ZeM-Mitglieder und sonstige Interessierte veranstaltet.
Dazu stehen verschiedene Themen auf dem Programm. Teilnahme nur nach Voranmeldung.
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Rückseite
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