Im Prospekt für die Ars Electronica dieses Jahres werden u. a.
folgende Veranstaltungen angekündigt:
"Cartesian Chaos": Cartesian Chaos zeigt die Unmöglichkeit auf,
sich selbst und die umgebende Welt unverzerrt zu sehen, da man sich inmitten
eines Systems befindet und so keinen Außenstandpunkt einnehmen kann.
"Endo und Nano": Mehrmals im 20. Jahrhundert ist sowohl unser Realitäts-
wie unser Selbstverständnis radikal in Frage gestellt worden. Relativitäts-
und Quantentheorie haben den objektiven Charakter der Welt relativiert.
Die elektronischen Medien haben eine Techno-Transformation der Welt bewirkt,
die einem Verschwinden der vertrauten Wirklichkeit gleichkommt.
Im Vorwort für den Medienkunstpreis 92 kann man auf die Musik
bezogen dem Sinn nach folgendes lesen: Die zeitgenössische Kunst hat
in den letzten 30 Jahren eine Entwicklung vollzogen, die ein bis dahin
ungeahntes Spektrum neuer Möglichkeiten vor uns ausbreitet. Eine neue
Gattung springt dabei ins Auge und ins Ohr: die Medienkunst. Es sind die
elektronischen Klänge, die den traditionellen Musikbegriff erweitert,
ja sogar grundlegend in Frage gestellt haben. Auffällige Merkmale
dieser neuen Klänge sind vor allem ihre Bewegung, ihre Veränderlichkeit
und Selbstbestimmung durch das Phänomen des Erlebens eines neuen Zeit-
und Raumbegriffs. Mit der Aufhebung der statisch-kontemplativen Form geht
eine ungewohnte Vielschichtigkeit der Sinnesreizung einher. Der Verzicht
auf einen kompositorischen Fixpunkt ist ein weiteres kennzeichnendes Merkmal.
"Polyzentrisch" im Sinne einer formalen Neuorientierung und "pluralistisch"
sind wichtige konstituierende Elemente der neuen Kunst. Diese verlangt
ein völlig neues Rezeptionsverhalten. Die überkommenen Maßstäbe
zur Beurteilung zur Herstellungstechnik, Form, Inhalt und ästhetische
Relevanz lassen sich kaum mehr anwenden. Unruhe, Irritation, Ablehnung,
genauso wie Euphorie, Katharsis und Aufbruchstimmung wie vor einer Reise
mit unbekanntem Ziel sind die Folge.
Diese Zitate können Anlaß sein für uns und unser Anliegen,
darüber nachzudenken. Wir befinden uns als Musiker in einem System,
das zu beherrschen und zu kennen man sich bemüht, in Theorie und Praxis,
wir erkennen jedoch nicht die Grenzen dieses Systems, wir wollen nur etwas
sein, werden und schaffen innerhalb desselben. Die neuen Technologien erlauben
uns, die Grenzen des Systems zu überschreiten und damit den geforderten
Standpunkt außerhalb desselben einzunehmen. Wir können die klassische
Musik nun von außerhalb sehen und nicht umgekehrt die neue technische
Musik von der Klassik her. Wer die Elektronische Musik von hinten, vom
traditionellen System her sieht, muß zwangsläufig zur Ablehnung
derselben kommen, da das traditionelle System überall Grenzen aufrichtet.
Die Techno-Transformation der Musik kann eine Veränderung bewirken,
das mögliche Verschwinden der vertrauten Elemente, der Muster, der
Pattern. Wir erkennen dies als in sich geschlossenes historisches System
an und für sich großartig, in sich schlüssig, nur zu vertraut
und inzwischen zu naheliegend, zu eng an den Menschen mit seinen die Wirklichkeit
reduzierenden Wahrnehmnungsprogrammen gekoppelt.
Die dritte Aussage trägt uns zu unseren möglichen Produkten
und Vorhaben: "Aufhebung der statisch-kontemplativen Form": Das klassische
Musikwerk wird sitzend rezeptiv gehört, die elektronische Soundproduktion
entzieht sich dieser Hörweise, sie will bewegt, anregend, im "Vorüberhören"
angegangen werden, will Unruhe erzeugen, nicht im Tempel ritualisiert "kontempliert"
werden, sondern in quasi alltäglicher grauer Umgebung wahrgenommen
werden. "Polyzentrisch": Der Sound ist nicht an Ausführende fixiert,
er dezentralisiert sich, die Raumhierarchie wird ständig in Frage
gestellt und durchbrochen. "Polyzentrisch" weist hin auf die endgültige
Wegnahme des Begriffes der "Tonalität", der Eingrenzung auf periodische
Schwingungsmuster in guten Zahlenverhältnissen.
Die Elektronische Musik kann nicht überleben, nicht gewinnen,
wenn sie sich als Fortsetzung der tradtitionellen Kunst sieht. Klaviere
und Geigen sind allemal besser als Preset-Pianos oder "Strings", die temperierte
Stimmung ist allemal besser als jede in kürzester Zeit erzeugte künstliche
Stimmung.
Es gilt, einen Neuanfang zu wagen, konsequent und umfassend, eine kopernikanische
Wende wenigstens einzuleiten. Die Musik dreht sich nicht mehr um den Menschen,
dieser hat sich um die naturgegebenen Möglichkeiten zu drehen.
Ob es auch nur annähernd gelingen wird, muß man bezweifeln,
denn was der Mensch sucht, ist nicht die Natur des Sounds, sondern sich
selbst, seinen Erfolg, seine Kommunikation und seine Umwelt.
Erstmals können die musikelektronischen Medien eine Transformation
der traditionellen akustischen Welt zumindest anregen, können die
vertrauten Wirklichkeiten des traditionellen Klanges verschwinden lassen,
zugunsten dessen, was allem zugrunde liegt: der Substanzen, aus denen stets
neue Synthesen klanglicher Art entstehen können.