
ZeM Sonderausgabe - Juni 1994
Dem 1. Vorsitzenden Klaus Weinhold zum 60. Geburtstag.
- Für
Klaus Weinhold zum 60. Geburtstag
(gs)
- Grußadresse
(jse)
- Zum 60. Geburtstag
von Klaus Weinhold
(wb)
- Grußworte
(fml)
- Die Sehnsucht
nach einer ganz anderen Musik - Betrachtungen eines Nichtelektronikers
(pg, Nr.15)
- Gedanken
zur Soundelektronik
(kw, Nr.1)
- Gedanken
zur Elektronischen Musik
(kw, Nr.2)
- Gedanken
zur Pädagogik der Elektronischen Musik
(kw, Nr.2)
- Soundgedanken
(kw, Nr.3)
- Ein noch
kurzes Kapitel
(kw, Nr.4)
- Wenn Computer
Bach spielen
(ar, BZ 21.5.1985)
- Struktur
und Bedeutung
(kw, Nr.6)
- Von der
Musik zum Sound
(kw, Nr.7)
- Cage und
wir
(kw, Nr.8)
- Kein
Grund zum Feiern
(kw, Nr.9)
- Ein
relativer Standpunkt
(kw, Nr.12)
- Die Zukunft
findet statt
(kw, Nr.14)
- 10 Jahre
Elektronische Musik - Interview mit dem ZeM-Pionier Klaus
Weinhold
(cu, Nr.7)
Redaktion: Gerda Schneider
Gerda Schneider
Für Klaus Weinhold zum 60. Geburtstag
Klaus Weinhold wurde am 17. Juni 1994 60 Jahre alt. Aus diesem Anlaß
hat das Zentrum für Elektronische Musik, das seiner Pionierarbeit
für die Elektronische Musik sein Entstehen verdankt, es unternommen,
seine in den verschiedenen Mitteilungsblättern des Vereins erschienenen
Artikel in einer Sonderausgabe zu veröffentlichen. Sinn dieser Festschrift
ist es nicht nur, den Weg von Klaus Weinhold auf dem Gebiet der Elektronischen
Musik nachzuzeichnen, sondern damit auch anzuregen, diesen Weg weiterzugehen,
die Impulse, die von ihm bis jetzt ausgingen und sicher auch nach diesem
Datum noch von ihm ausgehen werden, aufzunehmen und fortzuschreiben.
Das Verdienst von Klaus Weinhold ist es, in der Praxis der Elektronischen
Musik Neuland erschlossen und für andere begehbar gemacht zu haben,
Wege gesucht und das neue Gebiet experimentell und für andere exemplarisch
erforscht zu haben. Sein Verdienst ist aber in mindestens dem gleichen
Maße die geistige Durchdringung des neuen Gebietes mit derselben
unermüdlichen Energie und brennenden Neugierde. Die Artikel dieses
Heftes lassen erkennen, welche Bedeutung für ihn die Frage nach dem
geistigen Hintergrund hat, die Suche nach einer Philosophie der Elektronischen
Musik, einer Philosophie, in der Kunst und Wissenschaft, Geistes- und Naturwissenschaften,
Aktualität und Geschichte, Individuelles und Allgemeines, Konkretes
und Abstraktes, Alltägliches und Besonderes in Beziehung gesetzt und
zu einem vernetzten Gebilde werden. Diese Philosophie bildet kein geschlossenes
System, sondern zeigt vielmehr von verschiedenen Aspekten aus auf die Sache
und deren Beziehung zu anderen Bereichen, öffnet für vieles die
Augen, läßt manches offen, gibt Anstöße und erregt
Anstoß, provoziert zu Fragen, vielleicht auch zu Widerspruch. Sie
beunruhigt, sie ist anstrengend, sie ist anregend - wie die Elektronische
Musik. Immer wieder stellt sich die Frage: "Wo stehen wir?" Sicher "In
between", zwischen Tradition und Zukunft. Wie nahe wir selbst der Zukunft
sind, wieweit wir in der Gegenwart auf die Zukunft hin leben, können
wir vielleicht nach der Lektüre dieses Heftes besser beurteilen.
↑
Joachim Stange-Elbe
Grußadresse
Die Tonkunst am Ende des Jahrhunderts hat einen Klangkünstler wie
Sie nur verdient, der mit der kompromißlosen Hingabe an die Elektronik
neue akustische Räume und Erlebnisse vermittelt. Herzliche Glückwünsche
zum 60. Geburtstag.
Möge auch in Zukunft das Desintegrative Ihrer Gedanken und Ihrer
auditiven Äußerungen die verkrusteten musikalischen Traditionen
zu durchbrechen helfen, das radikale improvisatorische Element in Ihrer
Elektronischen Musik uns eine gesunde Skepsis gegenüber der herrschenden
Gesellschaftsnorm vermitteln. Haben Sie auch weiterhin den Mut, uns, aufbauend
auf dem heutigen Weltbild, mit einer Klangwelt zu konfrontieren, die sich
überkommenen Attributen und Hörgewohnheiten entzieht. Was Sie
in der Pädagogischen Hochschule als Einzelner begannen und sich jetzt
als Zentrum für Elektronische Musik e.V. seit fast fünf Jahren
fortgesetzt hat, wird auch in Zukunft Dank Ihrer Inspirationskraft Zeichen
setzen.
Vielen Dank für die vergangenen und folgenden Jahre.
↑
Walter Birg
Zum 60. Geburtstag von Klaus Weinhold
Am 17. Juni feiert Klaus Weinhold seinen 60. Geburtstag. Wir alle als
Mitglieder von ZeM wünschen Ihm Alles Gute, weiterhin gute Gesundheit
und Schaffenskraft für viele weitere Jahre.
Als Klaus Weinhold in den siebziger Jahren zum ersten Mal mit einem
Synthesizer konfrontiert wurde - so hat er es uns häufig erzählt
- war er - als Organist und damit als einer, für den Klang immer einen
wichtigen Stellenwert hatte, wie elektrisiert: genau das war es, was ein
zukünftiger Klangschöpfer braucht! Ein Synthesizer muß
her, und wenn es sein muß, zusätzlich zur Orgel. Und so konnte
ein kleines aber äußerst erstauntes Publikum in der Stadtkirche
in Offenburg - wohl zum erstenmal überhaupt - die neuartigen Klänge
des Synthesizers im Zusammenspiel mit Orgel bewundern.
Seither hat Klaus Weinholds Begeisterung für elektronische Klänge
nicht nachgelassen: An der PH Freiburg, wo er als Dozent das Fach "tontechnische
Medien" gibt - die Hochschulverwaltung hatte dabei offensichtlich das Erlernen
der Bedienung von Plattenspieler und Tonband im Sinn - hat Klaus Weinhold
für die Studenten die Einführung in die modernste Technologie
der Musikelektronik gesetzt. Daß damit nebenbei auch die Beherrschung
von Mischpult, Mehrspurrecorder und Sampling erlernt wurde, war selbstverständlich.
Jedoch auch die klassischen Fächer Harmonielehre und Kontrapunkt
wurden ebenfalls gegeben, so daß Weinhold niemand den Vorwurf machen
kann, seine Begeisterung für die Sache der Elektronischen Musik und
die damit verbundene Abwendung von den traditionellen Formen der Harmonik
und des Kontrapunkts geschähen - wie dies bei manchem Musikelektroniker
der Fall ist - aus Frust über mangelnde Beherrschung der musikalischen
Grundlagen.
Die Hinwendung zu den neuen Klangmöglichkeiten, die der Computer
bot, war für Klaus Weinhold ganz entscheidend. Die alten Formen von
Tonalität, Harmonik, Kontrapunkt wurden durch die neuen Klänge
weitgehend obsolet, da die Spektren der beteiligten Sounds oft - durch
ihre Obertöne - ihre eigene Harmonik enthielten und die harmonischen
Funktionen wie z.B. Tonika und Dominante wie ein Fremdkörper wirkten.
Ganz andere Termini waren hinfort angesagt: Fourierspektren, Amplituden-,
Ring- und Frequenzmodulation waren die neuen Begriffe, um die es ging,
die man sich aber erst einmal erarbeiten mußte. Als schließlich
auch noch das Sampling hinzukam war es möglich geworden, jedes beliebige
Geräusch in die elektronische Musik zu integrieren, und die Computer
und ihre Midifizierung machten es möglich, die neuen Klänge in
fast jeder beliebigen Geschwindigkeit, Frequenz und Dynamik künstlerisch
einzusetzen. In allen Bereichen war Klaus Weinhold einer der ersten, der
die neuen Möglichkeiten nicht nur erkannte, sondern auch begeistert
anwandte.
Im November 1988 hatte sich durch seine häufige Konzert- und Lehrtätigkeit
an der Pädagogischen Hochschule ein kleiner Kreis von Leuten gebildet,
die sehr an Elektronischer Musik interessiert war. Dieser Kreis gründete
zusammen mit Klaus Weinhold an der Spitze das "Zentrum für Elektronische
Musik" - und bald feiern wir den 5. Geburtstag des Zentrums.
Die letzten zwei Jahre von ZeM waren gekennzeichnet durch große
Diskussionen, welchen Anteil die Elektronische Musik aus der traditionellen
Musik übernehmen soll und inwieweit sie vollkommen ihren eigenen Gesetzen
folgen soll. Hier hat sich Klaus Weinhold stets für letzteren Weg
eingesetzt - im Gegensatz zu mir selbst, der ich die Segnungen von 1000
Jahren Musikgeschichte "retten" möchte.
Dennoch ist diese Diskussion immer sehr fair geführt worden und
hat schon einige Klärung gebracht. Die Sache der Elektronischen Musik
bleibt spannend.
Wir, die wir diesen epochemachenden Schritt der Musik mit vollziehen
können, in dem zum ersten Mal in der Musikgeschichte der Mensch alle
Klänge, die überhaupt denkbar sind, erzeugen kann, wünschen
Klaus Weinhold zu seinem 60. Geburtstag viel Kraft und gutes Gelingen,
auf daß er die Sache der Elektronischen Musik auch weiterhin so begeistert
weiter gestalten kann.
↑
Franz Martin Löhle
Grußworte
Wie viele von uns erfahren konnten, sind die Möglichkeiten der
Elektronischen Musik nahezu unbegrenzt. Wir alle arbeiten deshalb in der
Begrenzung der technischen Möglichkeiten, die uns unser Equipment
auferlegt. Diese Begrenzungen jedoch sind natürlich in keiner Weise
formaler oder ästhetischer Natur. Die Leitfäden also, die wir
benutzen, kommen von der eigenen Erfahrung und Musiksozialisation.
Nur wenigen gelang es, sich von dieser Sozialisation zu befreien und
sich auf die neuen Wege, die uns die Elektronische Musik öffnet, zu
begeben.
Klaus Weinhold, dem diese ZeM-Sonderausgabe gewidmet ist, zeigt uns
seit Jahren diese neuen Wege in konsequenter und kompromißloser Weise
auf.
Gerade seinen Studenten, zu denen ich mich zählen durfte, wurde
die Neuartigkeit der Elektronische Musik in ihrem Bezug zur historischen
Musiktradition als der Eröffnung eines neuen Ansatzes durch Klaus
Weinhold immer wieder verdeutlicht.
Doch nicht nur seine Studenten sondern jeder, der sich für Elektronische
Musik interessiert, konnte und kann an seinen Darlegungen der neuen Möglichkeiten
der Elektronische Musik schon seit Jahren kostenlos teilhaben. In seinen
Soundausstellungen, die Herr Weinhold schon seit 1982 durchführt,
zeigte er diese sinnlich-akustisch, durch die Vorführung seiner Produktionen
und auch immer wieder theoretisch durch Erläuterungen.
Trotzdem wurden und werden von ihm nie Dogmen gesetzt, sondern Fragen
gestellt, die deutlich machten, daß eine neue Ästhetik immer
noch zu suchen ist. Beim "Behören" des bisherigen Werkes fällt
jedoch auch auf, daß eine gewisse Ästhetik, die sich aus der
Sache ergibt, von Klaus Weinhold schon gefunden wurde, die spätere
Generationen beschreiben werden.
Schon früh erkannte Klaus Weinhold, daß ein solch umfassendes
neues Gebiet wie die Elektronische Musik mehr Außenwirkung erreicht,
wenn man in einer Gruppe auftritt. Als maßgebendes Gründungsmitglied
von ZeM e.V. trug er diesem Umstand 1989 Rechnung. Klaus Weinhold steht
dem Verein seither als 1. Vorsitzender vor.
↑
Paul Gross
Die Sehnsucht nach einer ganz anderen Musik
Betrachtungen eines Nichtelektronikers - Klaus Weinhold zum sechzigsten Geburtstag
Meine ersten Erfahrungen mit elektronischer Musik sind Hörerfahrungen
in der Schule: Eimert und Stockhausen in den 60er Jahren. Dann genießendes
Erstaunen über Moog's Synthesizerspielereien. Am Ende meines Schulmusikreferendariats
eine Projektwoche in elektronischem Basteln, Schüler begleitend. Zum
ersten Mal die Berührschwelle überschreitend. Dennoch bis heute
nur wahrnehmend, Vorabendgefühle im Umgang mit dem elektronischen
Medium. Ich hoffe auf den ersten wirklichen heilsamen Praxisschock, der
die folgenden Betrachtungen "vom Kopf auf die Füße stellt".
-
Faszinierende, unbeschreibliche Hörerlebnisse bei den Sound-Ausstellungen
in der Freiburger Pädagogischen Hochschule allein hätten es nicht
vermocht, mir diese "MUSIK"-Kultur bleibend einzuwurzeln, wären da
nicht die persönlichen Hinführungen durch Klaus Weinhold gewesen!
Er versuchte, mir begreiflich zu machen, analog zu Strawinskys kompositorischem
"Ordnen der Töne" vom "Ordnen der SOUNDS" als kompositorischem Prozeßgeschehen
zu reden. Wer geistlos nur Sounds produziert, nur Material zeigen kann,
Wesentliches vom Unwesentlichen nicht unterscheiden kann, komponiert nicht,
schafft keine andere Musik. Klaus Weinhold will - in unzähligen Anläufen,
fast beschwörend - eine Kontinuität mit der uns überkommenen
Musikkultur formulieren, deutlich machen, den Schleier lüften, wie
Komponieren schon immer gelingt: Elektronische Musik, nicht elektronischer
Fuhrpark für Klischee und Hülse.
- Kann es eine ganz andere Musik geben, wenn das Ausgangsmaterial ein
auf dem freien Markt vorgefertigtes, begrenztes, allgemein erhältliches
Produkt ist? Genauer: wenn ich "meine" Soundentwicklung einem begrenzten
Soundvorrat eines alltäglichen Produkts verdanke: Synclavier der Marke
X, Synthesizer Y dieses Jahrgangs?
Entlastung bringt mir die Vorstellung, daß mein Flügel der
Marke Y oder mein Cembalo Z ja auch nicht von mir hergestellt ist, wenn
ich Klänge produziere. Aber was für Klänge? Ich kann Tonhöhen
akkordisch oder sukzessiv aneinanderreihen, mit artikulatorischen Finessen
versehen, das Pedal aussparen oder einbeziehen, ich kann das Klavier "präparieren"
und mich über so viele Möglichkeiten glücklich zurücklehnen.
Vereinfacht gesagt, ich akzeptiere das Produkt Klavier für meine konservative
traditionelle Kompositionsweise: Ich komponiere das Komponierte; welche
Sonate will ich nach Beethoven komponieren, die von Hindemith oder von Berg?
- Ich komponiere das Alte, Herkömmliche und nenne mich Avantgarde-Musiker,
weil ich im 20. Jahrhundert lebe und klassische Formen technisch bewältige.
Vor kurzem fiel mir ein u.a. von der GEMA-Stiftung gefördertes Verzeichnis
zeitgenössischer symphonischer Werke, betitelt mit "Süddeutsche
Komponisten im 20. Jahrhundert", in die Hände. Fein säuberlich
werden die wichtigsten Klassiker (ein Werk der letzten Seite heißt
"Denk ich an Haydn"!) unserer Zeit in unserem Raum aufgelistet. GEMA-Musik
ist das Reizwort, anerkannt, bewährt, tüchtig und geehrt! Schnee
von gestern in ängstlich-epigonalem Gewande. Sicher etwas überspitzt,
denn auch elektronische Klänge sind da, doch immer als Accessoire:
36 Musiker und ... etwas Elektronik, Sicherheit und ein bißchen Ausblick,
aber nichts Neues unter der Sonne. Ob dieser Zwitterzustand der gegenwärtigen
Musikkultur bleibender Ausdruck unserer Zeit werden kann? Ich denke an
die vielen Müllhalden, die der Beseitigung harren, aber noch da sind, weil über die Abfallbeseitigungsmethode noch nicht entschieden ist.
- Meine Sehnsucht nach einer ganz anderen Musik mag als Desiderat eines
erwachten romantischen Bewußtseins abgetan werden: Ich denke mir
eine Musik, die ein Medium unserer Zeit aufgreifend - vielleicht das elektronische
- wirklich Neues schafft: Ob Fraktale - evolutive Evolutionen - ein Anfang
sind, vielleicht fraktale Musik zu generieren? Damit wäre ich aber
bereits in den Niederungen, meine Sehnsucht konkretisierend einzugrenzen,
wo ich doch den freien Lauf, die noch nicht gestillte Weite denkbarer Musik
retten möchte. Werden uns neue Formen zufliegen, die nicht den Hegelschen
Dreischritt atmen? Musikgewordene Bilder? Bildgewordene Musik? Als naturidentischer,
gesampelter Klangrausch?
- Wenn elektronische Klanginstallation präsentiert wird, dann mit
welchem Ambiente? Werkstattcharakter? Welche Lautsprecherqualität
wird meinem Ohr zugemutet? Die Ästhetik der elektronischen Darbietung
kann ausgeblendet werden: Welche Klänge nisten sich in meinem Ohr
ein? Lautsprechermarke A oder eher B, ist das egal? Hätte ich diese
Box zur Verfügung, wäre das klangliche Ergebnis so oder vielleicht
anders? Wenn die Sounds da sind, sind es bestenfalls Kopfhörersounds?
Sind sie in ihrer optimalen Wiedergabe nur denkbar?
- Was elektronische Musik nicht ist: Pop-, Rock-, Folk-, Jazz-Elektronik.
Es mag genügend Liebhaber geben, die ihre Sounds nicht komponieren
können, die schon Zufriedenheit ausstrahlen, wenn ihre Elektronik-Häppchen
irgendwelchen Zeitgenossen zur Meditation verhelfen, vielleicht gar finanziell
etwas abwerfen, vermarktungsfähig werden plötzlich Massencharakter
bekommen. Dann, dann ist das Ende bereits eingeläutet. Musik entzieht
sich immer dem Zugriff der Massen, das ist ihr erstes wichtigstes Kriterium:
Sie ist kein Massenprodukt, sie kann nur mit Mühe von wenigen erfaßt,
gefühlt und begriffen werden. Sie ist nicht mit Händen zu greifen,
sie berührt - wie die Liebe!
- Die Möglichkeiten elektronischer Musik seien erschöpft, hieß
es bereits vor Jahren. Ich empfinde, daß die Möglichkeiten herkömmlichen
Umgangs nur ein Moment darstellten. Wir sind auf der Suche, wir stehen
vor neuen hoffnungsvollen Gangarten, wir tasten uns, Abgründe wähnend,
im Dunklen tappend, durch einen Dschungel. Ob uns die Luft ausgeht bei
solch klimatischer Verunsicherung? Gibt es solche "Gefäße",
die die Belastung auf sich nehmen können und die vor allem die Begabung
mitbringen, den Sehnsuchtsweg beschreiten zu können?
Fragen über Fragen! Ich ziehe mich in mein "Poetenstübchen"
zurück und wage mich staunend wieder heraus, wenn die Luft rein ist,
wenn ich neue Töne fühle.
Sie lieber Herr Weinhold, haben die neue Atmosphäre wohl schon
geschnuppert, vielleicht haben Sie das neue Land auch schon betreten. Wir
werden hören, was Sie dort entdeckt haben!
↑
Klaus Weinhold
Gedanken zur Soundelektronik
Wenn man Hörern zufällig oder intendiert
elektronische Sounds "zu Gehör" bringt, gibt es
eine Reihe inzwischen bekannter Antworten:
"Das ist doch keine Musik",
"anstrengend",
"das macht mich aggressiv",
"so eine Geschnatter",
und meistens sind die Reaktionen Gekicher und
Gelächter.
Bleibt die Frage zur letztgenannten Reaktion:
Wann und warum lacht der Mensch?...
"Das ist doch keine Musik..."
Nein, das sind sie auch nicht, die elektronischen
Sounds. Aber eines haben sie mit den
musikalischen Klängen gemeinsam:
Schwingungen und deren einfache oder
komplexe Zusammensetzung.
Was ist Musik?
Schwingung, aber einfach in "harmonisch"
ganzzahligen Verhältnissen, 1:2:3:4, was schon
Pythagoras vor 2500 Jahren und Kepler vor 500
Jahren so begeisterte, hörsam, angenehm, warm,
schön.
Was sind "elektronische Sounds"?
Fundamental komplexe Schwingungen, nicht
auflösbare Schwingungsbänder, Fraktale,
Turbulenzen, nicht ganzzahlige Verhältnisse,
Brüche.
Was ist "Musik"?
Vorhersehbar, besser vorherhörbar, determiniert,
ohne Überraschung, ein geschlossenes
überschaubares und "überhörbares" System,
dazu ein geschlossener Konzertsaal "Bitte nicht
stören", ein festgelegtes Programm.
Was sind "elektronische Sounds"?
Etwa das Gegenteil des oben Genannten ohne
bestimmte Norm, ohne eine der vom Menschen
so geschätzten Normierungen, nein, ein System
mit vielen, schier unbegrenzten Freiheiten.
In der Musik gibt es einfache Gesetze, Formen,
vielleicht sich erweiternd zu offenen statistischen
Gesetzen. In der Soundelektronik hingegen sind
die Gesetze genauso groß wie die experimentell
gesuchten und gefundenen Daten.
Die klassische Musik erzieht zu einsehbaren und
hörbaren Ordnungsprinzipien, die den Hörer
ordnen und in ruhende Harmonie versetzen
sollen.
Der elektronische Sound befreit zu ständig neue
Gesetze gebender Kreativität und macht unruhig,
ja aggressiv dem neuen Material gegenüber.
"Die Erziehung durch Musik ist damit die
vorzüglichste, weil der Rhythmus und die
Harmonie am meisten in das Innerste der Seele
dringen und sie am stärksten erfaßt und
Anstand bringt und anständig macht."(Platon)
Der elektronische Sound will sicher nicht
unanständig machen, aber dafür offenständig, er
will zeigen, was die Mikrowelt, aus der er
kommt, alles bereithält, was sich in dieser
geheimnisvollen Unterwelt zusammensetzen und
komponieren läßt.
Nicht Komposition von Makroelementen im
Mikrobereich, "Stücke", sondern
Zusammensetzung von Mikroelementen im
Mikrobereich, "Soundproduktion".
Man kann unsere sichtbare Welt einteilen in eine
gegenständliche und in eine ungegenständliche.
Erstere sind feste, determinierte Einheiten, z.B.
ein Haus, ein Berg, mit aussagekräftiger
Bedeutung (Semantik), letztere sind die
Elemente, in die sich ein Gegenstand zerlegen
läßt, z.B. geometrische Figuren, Farben, Linien,
Flächen mit aussageloser Struktur.
Das klassische Bild ist ein gegenständlicher,
zentralperspektivisch festgelegter Ausschnitt aus
der Welt, eine determinierte, festgestellte, aus
vielen Gegenständen bestehende Welt.
Das moderne Bild, etwa seit Turner, stellt die
Welt in Bewegung, z.B. aus dem fahrendem
Eisenbahnzug dar. Bei Turner wird die Welt
nicht mehr als statisch festgemachte Materie
betrachtet, sondern als ständig in Umwandlung
begriffene Energie.
In der klassischen Musik sind die Ausschnitte
ebenso festgelegt: Der Ton bezieht sich
zentralperspektivisch auf die Tonart, den
"Fluchtpunkt". Der Abstand der Töne bezieht
sich auf einen Ausgangs- und Endpunkt, den
"Bildrahmen". Die "Farbe" des Klanges bezieht
sich auf ein Instrument.
In der Elektronischen Musik müssen
Bezugspunkte stets neu gesucht und gefunden
werden, im permanenten Experiment. Das
Material ist in Bewegung, wird
auseinandergenommen und formt sich ständig
zu neuen Konstellationen, z.B. der heute
verfügbaren Oberschwingungen.
Soll man der Elektronischen Musik in der
Musikpädagogik einen Stellenwert zumessen?
Die Frage ist, ob man der Kultur, der Pflege des
Überkommenen, oder der Natur, dem was ist,
den Vorrang geben soll.
Unsere klassische Musik beruht zwar, wie alles
auf der Natur, ist aber ein gestaltetes
Kulturprodukt, das auswählen mußte, vieles auf
einen einfachen Nenner gebracht hat, das die
Fülle der natürlichen Möglichkeiten einer
grandiosen Flurbereinigung unterzogen hat, die
z.B. in der klassischen Orgelmusik nur den 2., 3.,
5., 6. Oberton einbezog.
Diese Musik ist nicht anstrengend, regt uns
nicht auf, beruhigt uns, macht uns anständig und
ausgeglichen, erzeugt Stimmung und Harmonie.
Der Mensch hat es immer vorgezogen, die Natur
zu verdrängen, zu beseitigen, so wie er durch die
von ihm geschaffene Fernsehwelt die Realität
allmählich verdrängt; er wird es auch weiter so
handhaben, obwohl er eigentlich im Einklang mit
der Natur leben sollte. Aber diese Natur ist für
den Menschen eben zu anstrengend. So würde
ich der Elektronischen Musik, zumindest in der
Musikpädagogik, kaum eine Chance einräumen,
denn sie würde beunruhigen und die
Fragwürdigkeit der Harmonie aufdecken.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1 - November/ Dezember 1989, S. 2f]
↑
Klaus Weinhold
Gedanken zur Elektronischen Musik
Im ersten Heft unserer Zeitschrift warf ich in einer Betrachtung der
Elektronischen Musik die Frage auf, ob diese in der Musikpädagogik
eine Chance hätte, und verneinte diese Möglichkeit. Elektronische
Musik ist, sofern man die ihr innewohnenden innovativen Möglichkeiten
erkennt und auch nutzt, "programmiert", nicht nur "neue Kunst", sondern
neueste, vielleicht sogar alternative Kunst. Sie enthält erstmals
in der Geschichte der Musik die Möglichkeit, sich von historisch-
traditionellen Mustern radikal zu lösen oder zumindest der klassischen
Musik etwas radikal Neues hinzuzufügen.
Ortega y Gasset schreibt in einem 1925 erschienenen Artikel "Die Vertreibung
des Menschen aus der Kunst"(1) - was für die Elektronische Musik wirklich
wörtlich zu nehmen ist, denn die "Handhabung" und "Singbarkeit" der
klassischen Musik ist radikal durch Maschinen ersetzt -, über diese:
"Die neue Kunst aber hat die Masse gegen sich und wird sie
immer gegen sich haben. Sie ist wesentlich volksfremd; mehr als das, sie
ist volksfeindlich. Jedes beliebige Erzeugnis der neuen Kunst ruft bei
der Masse ganz automatisch eine merkwürdigen Effekt hervor.
Er spaltet sie in zwei Parteien, eine kleine von wenigen Geneigten, eine
große zahllose von Feinden (wobei wir die fragwürdige Fauna
der Snobs unberücksichtigt lassen). Das Kunstwerk wirkt also wie ein
soziales Scheidewasser, das zwei gegensätzliche Gruppen schafft; aus
dem ungegliederten Haufen der vielen sondert es zwei Kasten aus." (S.8)
Damit ist zu unserer Entlastung ein Grund gegeben für die zu erwartende
Erfolglosigkeit und pädagogische Chancenlosigkeit (bei Menschen),
die korrespondiert mit einer enormen Entwicklung bei der Beherrschung von
Soundmaschinen. Ortega y Gasset fährt fort:
"Wenn die neue Kunst nicht für jedermann verständlich
ist, besagt das, daß ihre Antriebe nicht die allgemein menschlichen
sind. Es ist keine Kunst für die Menschen überhaupt, sondern
für eine sehr besondere Gruppe von Menschen, die vielleicht nicht
mehr taugen als die anderen, jedenfalls aber von ihnen verschieden sind."
(S.10)
Das Stichwort ist gegeben: Der Mensch will in der Kunst den Menschen. Doch:
Wo ist bei der Produktion der Elektronische Musik der Mensch? Wo ist er
beim Hören der Elektronischen Musik?
Der Mensch ist ein organisches System, analog dazu kann man ein klassisches
Musikwerk im übertragenen Sinn als ein solches, in dem alles in vielfältiger
Weise aufeinander bezogen ist, bezeichnen. Dem gegenüber steht das
"Anorganische", die anorganischen Sounds als quasi nackte Naturphänomene.
Ortega y Gasset sagt dazu:
"Die Neuen haben jede Einmischung des Menschlichen in die Kunst
für 'Tabu' erklärt. Das Menschliche, der Inbegriff der Elemente,
die unsere Umwelt ausmachen, gliedert sich in drei Stufen. Die erste ist
die Stufe der Personen, die zweite die der Lebewesen, die dritte die der
anorganischen Dinge. Die Energie des neuen Veto in der Kunst ist proportional
zu dem Rang des betreffenden Gegenstandes in dieser Wertfolge. Das Persönliche,
da es das Menschlichste des Menschlichen ist, wird am strengsten gemieden.
In der Musik und der Dichtung tritt das deutlich hervor. Von Beethoven
bis Wagner waren die persönlichen Gefühle des Musikers
das Thema der Musik. Der Musiker türmte gewaltige Klanggebäude
auf, um darin seine Autobiographie unterzubringen." (S.19)
Das soll genügen zur Standortbestimmung der Elektronischen Musik.
Doch die Analogien gehen noch einen Schritt weiter. Mallarmé war
einer der ersten Künstler des 19. Jahrhunderts, der das "natürliche
Material" ablehnte. Er schuf kleine lyrische Stücke, die so in der
menschlichen Flora und Fauna nicht vorkamen. Diese Dichtung braucht nicht
gefühlt zu werden, es gibt in ihr nichts Menschliches, auch kein Pathos.
Wenn sich schon Sprache in eine unmenschliche Ebene transponieren läßt,
um wieviel leichter muß das möglich sein mit dem ohnehin abstrakten
Sound, sofern er nicht durch System, Code und Tradition vermenschlicht
wurde. Kleine "Soundstücke" abstrakter Art, in denen nicht die Seele
spricht, sondern die Kombination der gegebenen Elemente. Was ist in der
Musik das "natürliche Material"? Zweierlei: Es ist der Code des geordneten
Tonsystems, in dem der Mensch die beängstigende Naturvielfalt des
Schalls gebändigt hat und auf ganz wenige Elemente zurückgeschnitten
hat, und es sind die Werke in diesem System, die dem unreflektierenden
Hörer geradezu naturgegeben und ewig erscheinen. Und diese Natur der
Kultur, die eben keine Natur ist, hebt die Elektronischen Musik radikal
auf. Sie erreicht die Beherrschung der Natur nicht durch Kodifizierung
und Systematisierung, sondern durch die Potentialität, d.h. die Möglichkeit,
in der Natur der Dinge (hier des Schalls) und der Kultur der Dinge (hier
der Werke) zu arbeiten, zu stören, zu bauen, zu transponieren. Die
erste Transposition solcher Art von Natur in artifizielle Maschinenkultur
war die Übertragung der Gesanglichkeit auf eine vor vierhundert Jahren
damals hoch artifizielle Maschine: die Orgel. Diese übernahm, nahezu
problemlos, die Stimmen, stellte sie dar, mutierte sie, alterierte sie,
schuf aus dem einfachen menschlichen Stimmgefüge eine instrumentale
quasi unmenschliche Fuge, die nur auf der Maschine Orgel darstellbar war.
Für uns ist diese Vertreibung des Menschen aus der Kunst eine Selbstverständlichkeit.
Die Orgel hatte jedoch Verbindung zu ihrer geschichtlichen Grundlage, zur
menschlichen Kunst des Gesanges, nie erfolgte eine radikale Ablösung
von dieser Vorlage. Anders die Elektronische Musik: Die Tasten eines Synthesizers
und manche Aufschriften "Piano" oder "Trompete" erinnern an die Herkunft
aus der Musikgeschichte, aber dahinter, bei den Zerlegungen, den "Samplewörtern",
den "Frequenzverhältnissen" und möglichen Neuzusammensetzungen,
da liegen die Chancen der Elektronische Musik und damit die endgültige
"Vertreibung des Menschen aus der Kunst".
Die Orgel hat nur selten zu ihrer eigentlichen Potentialität gefunden,
sie blieb abhängig von ideologischen Rahmenbedingungen und geschichtlichen
Vorbildern. Nur in wenigen Fällen fanden Komponisten mit ihren Instrumenten
zu den schier grenzenlosen Möglichkeiten der Orgel. Erwähnt seien
hier Viernes Orgelsymphonien oder Ligetis Komposition "Volumina". Ob die
Elektronische Musik sich befreien kann von der Last des "natürlichen
Materials", bleibt abzuwarten. Dies zu erreichen, wird eine der Aufgaben
unseres Vereins sein.
(1) Ortega y Gasset: Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst, Auswahl
aus seinem Werk, DTV München 1964
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 2 - März 1990, S. 1f]
↑
Klaus Weinhold
Gedanken zur Pädagogik der Elektronischen Musik
Wer vor ca. 30 Jahren Musik studierte, fand im
wesentlichen die gleichen Rahmenbedingungen
vor wie heutzutage: Akustische Instrumente und
als "Programme" die in Druckerzeugnissen
kodifizierten Werke der klassischen
Komponisten, verbunden mit einem Wertekanon,
der sich in den letzten 200 Jahren gebildet hatte
und der, nahezu unverändert weitergegeben, bis
heute unumstößlich wirkt.
Der Interessent Elektronischer Musik erlebt eine
geradezu entgegengesetzte, geschichtslose, stets
weiterschreitende, sich verändernde Soundwelt,
die weder ein festes Instrumentarium, noch ein
Repertoire gängiger Konvention der Gestaltung
aufweist.
Wie soll man heute an elektronische
Instrumente herangehen, was auf ihnen spielen?
Dabei müßte der Ausdruck "spielen" gedeutet
werden: Spielt z.B. der Computer?
Diese neuen Umstände erfordern ein gänzliches
Umdenken, eine Perestroika bzgl. der Produktion
von Elektronischer Musik mit allen
Konsequenzen für die zukünftige
Musikpädagogik. Zwei Wege sollen kurz
aufgezeigt werden:
1. Der Weg der Entwicklung der Elektronischen
Musik wird in groben Schritten anhand des
meist noch vorhandenen älteren
Instrumentariums nachvollzogen. Der Lernende
wird mit einem klassischen Modulsystem
bekanntgemacht. Nach wie vor bietet sich hier
der EMS-Logik-Synthesizer an, mit dem alle
Formen der elektronischen Synthese vollzogen
werden können. Insbesondere seien die Formen
der Hüllkurven von Klängen (Pitch und
Amplitude), die eine ganz entscheidende Rolle
bei der Soundprogrammierung spielen,
hervorgehoben und die Gestaltung der additiven
und multiplikativen Verknüpfungen von
Schwingungen bis hin zur FM-Synthese. Der
Studierende lernt hier an relativ wenig
Parametern (ca. 20) einen Sound von Grund auf
zu realisieren.
2. Der kürzere und umso schwierigere Weg ist
die kurzzeitige Einarbeitung in ein aktuelles,
gerade auf dem Markt befindliches Instrument
(z.B. V50 von Yamaha). Hier bieten sich wieder
zwei Abzweigungen an: Entweder man
verzichtet gänzlich auf die Erstellung eigener
Sounds und beschränkt sich auf die vom
Hersteller kreierten, meist nicht besonders
reizvollen sog. Preset-Klänge, nützt aber die
Steuermöglichkeiten (das Spielen des
Instrumentes) des Sequencers voll aus, oder
man beginnt mit den meist enormen
Möglichkeiten einer zunächst einfachen, aber
allmählich schwieriger werdenden
Programmierung der Soundparamter, die
schließlich zu immer neuen, stets "unerhörten"
Klängen führen wird. Der EMS-Synthesizer hat,
wie oben erwähnt, ca. 20 Parameter, der neu
SY77 von Yamaha wird deren über 1000 haben.
Abschließend der Gang einer Synthesizer-Prüfung
an der PH Freiburg: Ein Student kaufte sich im
Sommer 89 einen neu auf den Markt
gekommenen V50 und stieg unmittelbar in die
sich aus der Bedienungsanleitung ergebenden
Möglichkeiten des Gerätes ein. Er legte den
Hauptwert auf die Gestaltung von Stücken, nur
am Rande wurden neue Sounds, in FM-Synthese
programmiert.
"Zurückgegriffen" (im wörtlichen Sinne) wurde
auf klassisches Repertoire: 2 Stücke wurden in
den Sequencer eingespielt, das Präludium C-Dur
von Bach und ein Prélude von Debussy
(Minstrels). Der entscheidene neue
Gestaltungsimpuls war die Instrumentierung der
Stücke durch Werksounds, die sich teilweise
hervorragend für die Soundabfolge eigneten.
Selbstverständlich stand als Abschluß eine
eigene Produktion: Unter Ausnützung des
Rhythmus-Gerätes des V50 wurden jazzige
Akkorde, Melodien und Rhythmen zu einem
individuellen Stück komponiert.
Der Spieler wurde hier zum Produzenten und
Reproduzenten anderer und eigener
Musikvorstellungen. Die "Einsamkeit" des
Einspielens und Programmierens wurde sicherlich
wettgemacht durch die schier unendlichen
Möglichkeiten neuer Zugänge zu musikalischem
Spiel und Klang.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 2 - März 1990, S. 6]
↑
Klaus Weinhold
Soundgedanken
Nimmt man die "Musik unserer Zeit" in Theorie
und Praxis, so bildet die Elektronische Musik das
letzte und unwichtigste Kapitel, einen Anhang,
umstritten, abgelehnt, weil es sich ungefragt
hineindrängt und die geschlossene Gesellschaft,
stört. Trotzdem haben inzwischen akademische
Abhandlungen und pädagogische Kurse
wenigstens von der Elektronischen Musik. Notiz
genommen und hinter vorgehaltener Hand ist die
Meinung: "Daß da wohl doch etwas dahinter
sein muß" zu hören. In Freiburg haben wir seit
etwa einem Jahr einen Verein "ZeM" e.V. In der
"Lindenmatte", einem Studentenlokal in der
Nähe der PH Freiburg als dem Ausgangspunkt
der Bewegung, wurden im Sommer 89 erste
Gespräche geführt, Pläne geschmiedet und
schließlich der Name gefunden.
Wir haben viel vor: Ab 1991 soll die Arbeit richtig
anlaufen, intensiviert, verbessert werden.
Zur Person: Als Vorsitzender des Vereins sollte
man einen Lebenslauf geben, sagen, woher man
kommt und was man eigentlich will. Ich
persönlich halte das nicht unbedingt für
erforderlich. Die Elektronische Musik hat bisher
keine Institutionalisierung erfahren, kennt damit
keine Personenhierarchie und keine Geschichte.
Das Studium klassischer Kompositionsprinzipien,
das Unterrichten klassischer Musik in Theorie
und Praxis, das Erkennen der Ordnungen,
Strukturen und Systeme ließen für mich eine
Frage immer brennender werden: Ist das alles,
was die Welt an Klang zu bieten hat? In der
griechischen Mythologie wird die Musik als ein
Geschenk Apollons und der Musen an die
Menschen bezeichnet. Durch die besondere
Gunst der Götter, die ihm seine besondere
Begabung verliehen hat, wird er zur musischen
Tätigkeit berufen und befähigt.
Und heute? In den letzten 10 Jahren kann man
die Soundsynthese als ein Geschenk der neuen
Götter der Elektronikindustrie an die Menschheit
bezeichnen. Den Menschen wird die Begabung
verliehen, mit den Soundelementen frei schalten
und walten zu können. "Endlich!" möchte man
ausrufen. Endlich steht damit dem Menschen die
Soundwelt frei zur Verfügung. Doch leider, auch
für uns immer deutlicher werdend, der Mensch
will diese Freiheit gar nicht. Er bleibt bei den
alten Systemen, den alten Skalen, den alten
Instrumenten. Warum das so ist, werden uns
Psychologen und Soziologen sagen können.
Auch das kommende Funkkolleg "Medien und
Kommunikation" wird uns darüber aufklären,
daß der Mensch nicht die Natur der Sache und
des Sounds will, sondern die Kultur der
Wirklichkeit, eine kognitive Konstruktion, die
sich über die Natur wie ein Schnee breitet, die
normativ auftretenden Regulierungen der
schlicht daseienden Natur, aus der eine Fülle von
Systemen ausgefiltert werden kann.
Zurück zur Elektronischen Musik. Soll sie sich
anpassen, sich den klassischen Systemen
beugen, oder soll sie sich emanzipieren, wo sie
erstmalig die Möglichkeit dazu hat?
Ich trete uneingeschränkt für letzteres ein. Und
so war die Arbeit in den vergangenen 10 Jahren
als Befreiung und Erweiterung ausgerichtet: Im
Sound der ersten Rehberg-Synthesizer. Später
standen der Jupiter 8, der PPG 2.2 im
Mittelpunkt, der Höhepunkt war und ist der FM
(Frequenzmodulataions)-Syntheseklang, der alle
Klangstrukturen ermöglicht. Wir wollten zeigen,
was die Mikrowelt bereithält, was es gibt,
inzwischen erweitert um eine Vielzahl von
Instrumenten und Synthesearten.
So meine ich eines: Der Produzent
Elektronischer Musik findet zurück zur Vielfalt
der Natur, löst sich von einengend diktatorisch
auftretenden Kultursystemen, läßt sich tragen
von den Möglichkeiten der Kreation, des bisher
nicht Seienden, von den unendlichen Fähigkeiten
des neugewonnenen Materials. Die Elektronische
Musik quillt aus den Elementen und installiert
stets neue Ordnungssysteme, auch auf die
Gefahr hin, daß sie alte Tonsysteme liquidiert.
Eine große Chance gebe ich ihr allerdings nicht.
Der Mensch will der Natur nicht in all ihrer
Fremdartigkeit und Dämonie ins Angesicht
schauen und alle ihre akustischen Äußerungen
wahrnehmen. Er will immer nur sich selbst, den
Menschen sehen. Aber die menschliche Aussage
trägt nicht weit. Die Umwandlung zur Lüge,
Vereinfachung, Verfremdung lauert ständig in
jedem Wort. Die erhabene Unendlichkeit der
Natur gegen die gebundene Schönheit der
Kultur: Da liegt die eigentliche Chance der
Elektronische Musik.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 3 - September 1990, S. 3]
↑
Klaus Weinhold
Ein noch kurzes Kapitel
Fast 2 Jahre Verein für Elektronische Musik und
8 Jahre regelmäßiger Aufführungen von
Elektronischer Musik mit studiogefertigten
Cassetten oder in unmittelbarer klassischer
Aufführungsart am aufgestellten
Instrumentarium. Ein kurzer Rückblick, ein
Nachdenken ist vonnöten zur
Standortbestimmung und zum Suchen und
Finden neuer, vielleicht ungeahnter
Möglichkeiten. 1982 waren erste Experimente an
EMS-Synthesizer beendet, der Weg in die
Öffentlichkeit konnte beginnen. Für Juni/Juli
waren in der Stadtkirche Offenburg Konzerte
mit Elektronischer Musik angesagt. Der
Freiburger Komponist U. Kopka brachte jedoch -
für den Schreiber dieser Zeilen unerwartet -
einen damals neuen Jupiter4 mit, um darauf
allein und zusammen mit der großen Orgel zu
spielen. Die Aufführungen entwickelten sich
jedoch aleatorisch, Zusammenspiele der
Ausführenden auf Jupiter4 und Orgel, Alleinspiel
der Finger und Füße auf Jupiter4 und großer
Orgel, teilweise völlig frei sich ergebende
Improvisationen und Soundprozesse. Ein damals
hochaktueller Teisco SX400 kam hinzu, so daß
ein sicher einmaliges und erstmaliges, leider auch
letztmaliges Zusammenspiel von synthetischen
und natürlichen Klängen entstehen konnte. Die
Besucherzahl hielt sich, wie zu erwarten war, in
bescheidenen Grenzen, ein intelligenter Zuhörer
prägte damals den Kommentar
"Soundalchemie", der das Anliegen und die
Ausführung der Person und Instrumente genau
traf.
Im Wintersemester 82/83 wurde erstmals der
Versuch unternommen, in der Aula der PH
"Vorführungen" Elektronischer Musik anzubieten.
Es gab eine Mischung aus Live und
Vorfertigung. Bänder für EMS-Synthesizer und
Teiscos waren vorproduziert, Klavier und Orgel
wurde dazugespielt. Es entstanden aus der
Interaktion von Spieler und Band aleatorische
Soundprozesse. Auch Live-Improvisationen für
AKS wurden angeboten.
1984 fand wiederum in der Aula der PH ein
erstes Wochenende "Electronic Sound" statt.
Das "Programm" des Programms war kein
Programm.... "Programm im herkömmlichen Sinn
gibt es in der experimentellen Elektronischen
Musik nicht mehr. Es gibt sie hier nur noch in
einem neuen Sinn: Programme sind jetzt die
programmierten und damit geordneten
Sounderzeuger und die zu deren Modulation
eingerichteten Steuerprozesse." Quadrophonie
war erstmals angesagt und durchgeführt.
Vorführungen von Synthesizer-Systemen
ergänzten die Abfolge, und eine Live-Vorführung
des damals aktuellen Jupiter8 wurde
eingeschoben.
1985: "Bach-Jahr". Das Thema hieß "Bach -
Metamorphosen, Bach für synthetische
experimentelle Klänge". "Musikalische Partituren
kann man als Programme oder Algorithmen und
somit als Handlungsanweisungen zum Bedienen
mechanischer Musikinstrumente auffassen.
Zugleich sind sie eine komponierte Anordnung
von Daten, die nicht nur vom Menschen,
sondern auch von einem datenverarbeitenden
Computer übernommen und reproduziert werden
können."
Mit diesen Bach-Konzerten war die Frage nach
der Aufführung klassischer Stücke durch
elektronische Instrumente gestellt. Die
Diskussion darüber sollte weitergeführt werden,
besonders in pädagogischer Hinsicht, denn ob in
heutiger Zeit der elektronischen Medien eine
mechanische Reproduktion "handmade" noch
vertretbar ist, scheint mehr als fraglich.
In den folgenden Jahren pendelte sich die
Darbietungsform Elektronischer Musik für den
Raum Aula der PH endgültig ein: Quadrophonie,
Sexophonie, vorgefertigte Produktionen,
Erläuterungen, zur Auflockerung manchmal
Live-Spiel auf Instrumenten (DX, VS, u.a.). Die
Dauer der Darbietungen begrenzte sich auf
jeweils drei Stunden.
Eine Spaltung erfolgte dann mit der
Einbeziehung von Produktionen einiger
Vereinsmitglieder im vorigen Jahr. "Konzert" mit
festem Programm, Zeiten und Namen, sogar
Opus-Zahlen und die völlig aleatorisch gestaltete
"Sound-Ausstellung", in der alles offen bleibt:
die Türe, die Abfolge, der Zusammenmix der
Stücke, die Besucherzahl und seit neuestem
auch die Sektflaschen.
Das Jahr 91 wird eine Klärung und
Institutionalisierung der Aufführungsart
Elektronischer Musik bringen: Auf der einen
Seite die auf sich selbst bezogene, sich hörbar
machende, sich darstellende, sich selbst
spiegelnde "Sound-Ausstellung", wie sie im
Sommer 90 eigentlich perfekt im Raum erklang,
und das publikumsbezogene, etwas darstellende,
auf den Zuhörer zugehende Konzert.
Bei alledem ist von großer Wichtigkeit:
Elektronische Musik sollte nicht "gesehen"
werden wollen, die Interpreten, die Instrumente,
die Produktionsmaschinen, sondern sie sollte
erst einmal intensiv gehört werden. Das muß
unsere eigentliche Aufgabe werden:
Elektronische Musik nicht vorzuzeigen, sondern
über das Ohr nahezubringen, den Hörer darauf
einzustimmen, nicht zu reden, sondern erst
einmal zu hören.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 4 - März 1991, S. 6]
↑
Albrecht Riethmüller
Wenn Computer Bach spielen
Experimente, in Freiburg vorgeführt
Vorbei ist die Zeit da man das jämmerliche Wimmern von Hammond-Orgeln
ertragen und beklagen musste. Die synthetische Klangerzeugung und ihre
Steuerung durch Computer mag noch am Anfang einer äußerst
dynamischen Entwicklung stehen, aber sie ergreift von der Musik mehr
und mehr Besitz.
Instrumentalisten ebenso wie Instrumentenbauer sollten durchaus hellhörig
werden, wenn Computer nun etwa damit beginnen, ihnen eingespeicherte
Orgel- und Klavierwerke von Bach auf Synthesizern zu "spielen" oder
wiederzugeben. Denn sie tun es mühelos, und was den Maschinen an
menschlicher Nähe
und lebendiger Ausstrahlung fehlt, machen sie durch unerhört erweiterte
Klangmöglichkeiten wett An zwei Nachmittagen hat dies Klaus Weinhold,
von Hause aus Organist, in der Aula der Freiburger Pädagogischen
Hochschule demonstriert, wo er einschlägige Studioproduktionen
von
"Bach-Metamorphosen" erläuterte.
In diesem außergewöhnlichen Beitrag zum Bach-Jahr reichten
die Beispiele (teilweise am selben Stuck dargestellt) von der Annäherung
an bekannte Instrumentalklänge bis hin zur radikalen Veränderung
vor allem der Klangfarben, aber auch der Tonhöhen und des Tempos
(nicht freilich des Rhythmus). Angesichts der zahllosen Transformations-Möglichkeiten
wurden überall neue Strukturen und Klangfarben hör- und die
musikalische Zeit verändert erlebbar: sozusagen Bachs Klangwelt teils
unterm Mikroskop, teils im Teleskop, teils vom Auto, teils vom Flugzeug
aus betrachtet, wie Weinhold unterstrich. Immer wieder stellten die Computer/Synthesizer
großes Geschick zur Verdeutlichung der Polyphonie unter Beweis.
Das Erstaunliche bei alledem war jedoch, dass die Bach-Stücke selbst
in der äußersten Verfremdung kenntlich blieben.
Weinhold experimentiert mit den Möglichkeiten der klanglichen Realisierung.
Er sucht und er weiß, dass es einerseits auf das ankommt was das
von den Klang-Technikern fast jährlich neu bereitgestellte Instrumentarium
jeweils kann und was ihm angemessen ist Auch jede traditionelle Uminstrumentierung
(Transkription) musste darauf Rücksicht nehmen. Andererseits
weiß er, dass die Phantasie und der Geschmack des Programmierers die letzten
Instanzen bilden. Neben außerordentlich eindrücklichen kam
es tatsächlich zu einigen geschmäcklerischen Versionen, die
es freilich in der langen Geschichte der Bach-Bearbeitungen nicht
erst seit Gounods kitschigem "Ave Maria" immer wieder gegeben
hat Zwar fasziniert und überzeugt von dem, was er tut nimmt Weinhold
seine Person bescheiden, fast allzu bescheiden zurück: jeder
könne die Ergebnisse scheußlich
finden, und wem seine Programme nicht gefielen, der solle die Stücke
eben anders programmieren.
Badische Zeitung, 21. Mai 1985
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages
↑
Klaus Weinhold
Struktur und Bedeutung
Zwei Denkrichtungen - vereinfachend - bestimmen auch die Diskussion
um die Rezeption Elektronischer Musik: Der "Strukturalismus" und die "Hermeneutik".
Der strukturalistische Ansatz sucht nach objektiven Gesetzen, er kann daher
sozusagen ohne Bedeutung und ohne Subjekt auskommen, der hermeneutische
Ansatz beinhaltet die Kunst möglicher Ausdeutung, Bedeutung, Sinngebung
für das Subjekt, dieses ist der Mensch. Der hermeneutische Ansatz
läßt sich leiten von der Voraussetzung, den Menschen und seine
Tätigkeiten (z.B. als Musikproduzent) als bedeutungsstiftendes Subjekt
zu verstehen. Man muß und kann natürlich fragen, ob diese Bedeutungen
nur als gesellschaftliche Praxis infolge Übereinkunft (konventionell)
exisitieren, oder ob sich diese quasi objektiv als übergreifend geschichtslos
manifestieren. Bedeutung kann nun auch in zweierlei Hinsicht aufgefaßt
werden: Die strukturelle Bedeutung versucht, Grundelemente und deren Kombinationsregeln
zu bestimmen, die hermeneutische Bedeutung geht hingegen vom Subjekt, von
dessen Geschichte und Tradition, eben vom Menschen und dessen Fähigkeiten
aus. Die klassische musikalische Hermeneutik hat als Ausgangsebene, daß
nicht musikalische Prozesse wie Natur, Gefühle, Stimmungen, seelische
Abläufe in Musik ausgedrückt werden können. Der Musik wohnt
dann ein allgemein menschlicher Inhalt inne. Die geschichtliche Linie geht
von der antiken Ethoslehre bis zur klassischen Ausdruckskästhetik,
die noch heute weitgehend die Musikrezeption beherrscht. Musikalischen
Formeln und Formteilen wird hier ein emotionaler Gehalt zugeordnet. Die
Musik ist abhängig von einem menschlichen Kategorialsystem des Erlebens
und Fühlens. Eine Grundkategorie ist z.B. der Prozeß "Spannung
und Lösung": Dominante - Tonika, Vorder- Nachsatz, Beginn - Ende,
leise - laut, Hebung - Senkung, betont - unbetont. Das Hören und Rezipieren
Elektronischer Musik, zumindest solcher, die sich traditionellen Mustern
verschließt, ist über den hermeneutischen Ansatz kaum anzugehen.
Für die Elemente Elektronischer Musik fehlen bisher alle konventionellen
Standards, fehlt jede lehr- und lernbare Grammatik, in der man sich verstehen
und damit verständigen kann. Es fehlt jede Kommunikationsmöglichkeit.
Es ist auch in der Elektronischen Musik so, daß der Ausdrucksgehalt
gesucht wird. Die Ausdrucksmodelle von Musik liegen eben in allgemeinen
Erfahrungen und konventionalisierten kulturellen Mustern, die vielleicht
sogar inzwischen in der zweiten Natur zumindest des abendländischen
Menschen liegen. Für die Elektronische Musik kann es nur von Vorteil
sein, von diesen soziokulturellen Verstehensmustern gänzlich abzugehen
und das "Verstehen" auf eine ganz andere Ebene zu lenken: der von immanenten
syntaktischen Verknüpfungen von Elementen, deren bedeutungslose Kenntnisnahme
und Wahrnehmung.
Die Syntax der Elektronischen Musik wird, falls sie überhaupt
erstellbar ist, zunehmend komplexer, damit kaum noch erkennbar und nachvollziehbar.
Die syntaktischen Funktionen müssen sich deswegen auf elementare Kategorien
wie "gleich - ungleich, ähnlich - anders, verändert, komplex
- weniger komplex, elementar - kompliziert, anhörbar - unerträglich"
beschränken.
Hinzu kommt, daß die klassische Musikpraxis etwas ganz Wesentliches
nebenbei herausgebildet hat, die sogenannte "Segmentierung" des akustisch
komplexen Gefüges in ein anderes Medium: die Partitur. Beim Hören
und der Rezeption geht man von dieser visuellen Elementarisierung und Klarstellung
aus, rein physikalische Größen (z.B. Frequenz) werden hier in
intellektuell nachvollziehbare Wahrnehmungsparameter (z.B. Noten) verwandelt.
Diese Größen sind konventionalisiert, tradiert, lernbar eindeutig
und geschichtlich bedeutungsvoll.
Für die Elektronische Musik gibt es solche Segmentierungsmethoden
noch nicht, es gibt noch überhaupt keine Methode, etwa die grenzenlosen
Klangmöglichkeiten auf einen eindeutig verwendeten Zeichenvorrat zu
reduzieren und damit auch zu tradieren.
Die Frage ist, ob sich also eine Theorie, eine Konvention, ein Ausdruckscharakter,
eine Bedeutung von elektronischen Klängen schaffen läßt,
oder ob dieser "physikogene" Zugang zu Soundphänomenen sich grundsätzlich
einer Eindeutigkeit und damit Bedeutung entzieht.
Letztlich steht daher die Frage nach der Bedeutung von etwas oder von
der Welt schlechthin im Raum. Ein Mensch kann einem etwas bedeuten, ein
Baum, die Welt als Ganzes, sie deutet vielleicht auf etwas hin, zunächst
einmal ist sie - ganz einfach - da.
So sind Elektronische Klänge zunächst einmal da, werden angeboten,
gebieten ein Zuhören und haben zumindest die Bedeutung, daß
sie sich uns vorstellen, sich vor unsere persönliche Bedeutung und
unsere Bedeutungen stellen. Deshalb sind heute die Instrumente als Werkzeuge
"bedeutender" als die Menschen: Die Emissionen und Emanationen dieser Instrumente
deuten hin auf Grundlagen, Substanzen, Elemente. Ob sich freilich dieser
Bedeutung eine Bedeutung zumessen läßt, bleibt fraglich, zumindest
für den abendländischen Raum, der sich so bedeutungsvoll auf
die Bedeutung der Bedeutungen der konventionellen Bedeutung (von bedeutender
Musik) festgelegt hat.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 6 - März 1992, S. 3]
↑
Klaus Weinhold
Von der Musik zum Sound
Im Prospekt für die Ars Electronica dieses Jahres werden u. a.
folgende Veranstaltungen angekündigt:
"Cartesian Chaos": Cartesian Chaos zeigt die Unmöglichkeit auf,
sich selbst und die umgebende Welt unverzerrt zu sehen, da man sich inmitten
eines Systems befindet und so keinen Außenstandpunkt einnehmen kann.
"Endo und Nano": Mehrmals im 20. Jahrhundert ist sowohl unser Realitäts-
wie unser Selbstverständnis radikal in Frage gestellt worden. Relativitäts-
und Quantentheorie haben den objektiven Charakter der Welt relativiert.
Die elektronischen Medien haben eine Techno-Transformation der Welt bewirkt,
die einem Verschwinden der vertrauten Wirklichkeit gleichkommt.
Im Vorwort für den Medienkunstpreis 92 kann man auf die Musik
bezogen dem Sinn nach folgendes lesen: Die zeitgenössische Kunst hat
in den letzten 30 Jahren eine Entwicklung vollzogen, die ein bis dahin
ungeahntes Spektrum neuer Möglichkeiten vor uns ausbreitet. Eine neue
Gattung springt dabei ins Auge und ins Ohr: die Medienkunst. Es sind die
elektronischen Klänge, die den traditionellen Musikbegriff erweitert,
ja sogar grundlegend in Frage gestellt haben. Auffällige Merkmale
dieser neuen Klänge sind vor allem ihre Bewegung, ihre Veränderlichkeit
und Selbstbestimmung durch das Phänomen des Erlebens eines neuen Zeit-
und Raumbegriffs. Mit der Aufhebung der statisch-kontemplativen Form geht
eine ungewohnte Vielschichtigkeit der Sinnesreizung einher. Der Verzicht
auf einen kompositorischen Fixpunkt ist ein weiteres kennzeichnendes Merkmal.
"Polyzentrisch" im Sinne einer formalen Neuorientierung und "pluralistisch"
sind wichtige konstituierende Elemente der neuen Kunst. Diese verlangt
ein völlig neues Rezeptionsverhalten. Die überkommenen Maßstäbe
zur Beurteilung zur Herstellungstechnik, Form, Inhalt und ästhetische
Relevanz lassen sich kaum mehr anwenden. Unruhe, Irritation, Ablehnung,
genauso wie Euphorie, Katharsis und Aufbruchstimmung wie vor einer Reise
mit unbekanntem Ziel sind die Folge.
Diese Zitate können Anlaß sein für uns und unser Anliegen,
darüber nachzudenken. Wir befinden uns als Musiker in einem System,
das zu beherrschen und zu kennen man sich bemüht, in Theorie und Praxis,
wir erkennen jedoch nicht die Grenzen dieses Systems, wir wollen nur etwas
sein, werden und schaffen innerhalb desselben. Die neuen Technologien erlauben
uns, die Grenzen des Systems zu überschreiten und damit den geforderten
Standpunkt außerhalb desselben einzunehmen. Wir können die klassische
Musik nun von außerhalb sehen und nicht umgekehrt die neue technische
Musik von der Klassik her. Wer die Elektronische Musik von hinten, vom
traditionellen System her sieht, muß zwangsläufig zur Ablehnung
derselben kommen, da das traditionelle System überall Grenzen aufrichtet.
Die Techno-Transformation der Musik kann eine Veränderung bewirken,
das mögliche Verschwinden der vertrauten Elemente, der Muster, der
Pattern. Wir erkennen dies als in sich geschlossenes historisches System
an und für sich großartig, in sich schlüssig, nur zu vertraut
und inzwischen zu naheliegend, zu eng an den Menschen mit seinen die Wirklichkeit
reduzierenden Wahrnehmnungsprogrammen gekoppelt.
Die dritte Aussage trägt uns zu unseren möglichen Produkten
und Vorhaben: "Aufhebung der statisch-kontemplativen Form": Das klassische
Musikwerk wird sitzend rezeptiv gehört, die elektronische Soundproduktion
entzieht sich dieser Hörweise, sie will bewegt, anregend, im "Vorüberhören"
angegangen werden, will Unruhe erzeugen, nicht im Tempel ritualisiert "kontempliert"
werden, sondern in quasi alltäglicher grauer Umgebung wahrgenommen
werden. "Polyzentrisch": Der Sound ist nicht an Ausführende fixiert,
er dezentralisiert sich, die Raumhierarchie wird ständig in Frage
gestellt und durchbrochen. "Polyzentrisch" weist hin auf die endgültige
Wegnahme des Begriffes der "Tonalität", der Eingrenzung auf periodische
Schwingungsmuster in guten Zahlenverhältnissen.
Die Elektronische Musik kann nicht überleben, nicht gewinnen,
wenn sie sich als Fortsetzung der tradtitionellen Kunst sieht. Klaviere
und Geigen sind allemal besser als Preset-Pianos oder "Strings", die temperierte
Stimmung ist allemal besser als jede in kürzester Zeit erzeugte künstliche
Stimmung.
Es gilt, einen Neuanfang zu wagen, konsequent und umfassend, eine kopernikanische
Wende wenigstens einzuleiten. Die Musik dreht sich nicht mehr um den Menschen,
dieser hat sich um die naturgegebenen Möglichkeiten zu drehen.
Ob es auch nur annähernd gelingen wird, muß man bezweifeln,
denn was der Mensch sucht, ist nicht die Natur des Sounds, sondern sich
selbst, seinen Erfolg, seine Kommunikation und seine Umwelt.
Erstmals können die musikelektronischen Medien eine Transformation
der traditionellen akustischen Welt zumindest anregen, können die
vertrauten Wirklichkeiten des traditionellen Klanges verschwinden lassen,
zugunsten dessen, was allem zugrunde liegt: der Substanzen, aus denen stets
neue Synthesen klanglicher Art entstehen können.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 7 - Juni 1992, S. 3]
↑
Klaus Weinhold
Cage und wir
Vor einigen Wochen starb fast achtzigjährig John Cage, einer der
großen Neuerer und Seher unseres Jahrhunderts. Auch wer sein Werk
nicht genau kannte und nur sporadisch etwas von ihm weltanschaulich oder
musikalisch hörte, merkte: Hier wird etwas anderes gesagt, etwas gesucht
und gefunden, was irgendwie immer im Gegensatz steht zum Klassischen, damit
Normierten, zum Bewährten und damit Erhaltenswürdigen. Wer klassische
Kunst studiert hat, dazu gehört Musik, geht aus und zurück zum
Kunstwerk, zum Opus, zum begrenzten Raum, zum Stück mit Anfang und
Ende (auch der menschliche Raum ist ein Stück aus dem unendlichen
Raum). Kurz: Die klassische Kunst fördert den unnatürlichen Zustand,
der streng nach Plan, Ursache, Geschichte und mannigfaltigen Bezogenheiten
strukturiert ist. Wir kennen solche bezogenen und beziehbaren Systeme und
Werke: die politischen Systeme, die Familie, die Lehr- und Fahrpläne,
das planmäßige Üben an Musikinstrumenten, die Uhr mit ihrer
Einteilung der Zeit und das System der Einteilung des unendlichen Klanges
in "Teile": unser Tonsystem, unsere Skalen, unsere Harmonien, Perioden
usw.
Cage hat versucht, den Menschen wenigstens etwas zu befreien: das Kunstwerkdenken
abzuschaffen und den Natzurzustand mit seinem ungeregelten Reichtum über
alles Artifizielle, Absichtsvolle und Abgezirkelte zu stellen. Vielleicht
hat er auch versucht, uns die begreiflichen Muster zugunsten einer natürlichen
Wildnis zu nehmen und auf letztere überhaupt erst einmal hinzuweisen.
Unsere Gärten und Musikinstrumente haben eines gemeinsam: Stets sind
sie gepflegt, abgemäht und in Ordnung gebracht, stets auf Kosten jener
natürlichen Wildnis, die zu genießen und zu akzeptieren einem
kultivierten Menschen offenbar schwerfällt.
Im Denken an Cage fallen besondere Begriffe ein: an erster Stelle "Zufall".
In der klassischen Komposition gibt es diesen nicht, alles ist "notwendig".
Tatsächlich: Es wird in dieser Notwendigkeit die Not des Menschen
gelindert. Und eine dieser Nöte der Menschen ist eben der Zufall.
Dieser ist "etwas, wofür keine Ursache, kein Zusammenhang, keine Gesetzmäßigkeit
erkennbar ist". Zur Verdeutlichung gegen den Zufall: "alle Details seines
Spiels sind bis ins letzte durchdacht, alle Ornamente überlegt plaziert,
agogische Momente genau kalkuliert, nichts erscheint zufällig". Dagegen
ist beim Zufall alles zufällig. Dagegen steht auch ein anderer Fall:
Das Gefällige, "angenehm im Anhören, im Benehmen, schön"
und sicher: geplant, nicht zufällig, mit planvollem Zusammenhang.
Cage hat uns versucht freizumachen für den Zufall und die genießende
Annahme desselben. Der Zufall baut noch etwas ab: die Hierarchie der Werte.
Wie wichtig ist dem Menschen ein festes Wertesystem, er will wissen, was
gut und böse ist, was kon- und dissonant ist. Cage weist darauf hin,
daß alles gleichgültig ist, daß damit beispielsweise das
Sinnlose Sinn gewinnt und das Sinnvolle sinnlos wird.
Cage stellte herrschende Konventionen in Frage, er setzte Prozesse
der Befreiung in Gang, er versuchte den Menschen zu einem augenblicksbezogenen,
von programmierter Reglementierung fernen Verhalten anzuregen.
Befreiung, Zufall, Augenblick, Relativität, Wechsel, sind das
nicht Begriffe, die der neuen Elektronischen Musik entsprechen: Befreiung
zum zufälligen Klang, Random, zur zufälligen Anordnung, zum zufälligen
Ohrenspitzen am zufälligen Ort, Befreiung zur Zufälligkeit der
Abfolge, des Endes und des Anfangs?
Die abendländische Musik brachte nicht nur ihre Element in eine
strenge Hierarchie, sondern das Musikleben überhaupt, sie unterschied
nicht nur zwischen primären und sekundären Toneigenschaften,
zwischen Haupt- und Nebenstufen, sondern auch zwischen "Musici" und "Cantores",
zwischen berühmten Komponisten und Dirigenten und anomymen Orchestermusikern.
Cage meinte, daß die europäischen Musiker einen Fehler machen,
wenn sie sich dieser Tradition verschreiben. Sie sollten vielmehr Abstand
von ihrer Geschichte nehmen, aufhören die europäische Musikkultur
der Meisterwerke als die einzige Musik zu betrachten.
Cage sagt: "Die Meisterwerke der abendländischen Musik zeugen
von Monarchien und Diktaturen. Komponisten und Dirigenten: Könige
und Premierminister".
Weiter: "Viele Komponisten machen keine musikalischen Strukturen mehr.
Statt dessen setzten sie Prozesse in Gang. Eine Struktur ist wie ein Tisch,
ein Prozeß dagegen ist das Wetter. Im Falle eines Tisches sind Anfang
und Ende des Ganzen und jedes seiner Teile bekannt. Im Falle des Wetters
nehmen wir eine Veränderung wahr, aber wir haben keine klare Kenntnis
von seinem Anfang und Ende". So stellt sich im Gedenken an Cage die Frage:
Sollen wir unsere musikalische Arbeit am Tisch oder am Wetter ausrichten?
Und Cage sagt uns konkret zur Elektronischen Musik: "Ich glaube, daß
die Verwendung von Geräuschen, um Musik zu machen, so lange andauern
und zunehmen wird, bis wir zu einer Musik gelangen, die mit Hilfe elektrischer
Instrumente produziert wird, die alle beliebigen hörbaren Klänge
bereitstellen". "Das besondere Merkmal der elektrischen Instrumente wird
darin bestehen, eine vollständige Kontrolle der Obertonstrukturen
der Töne zu gewährleisten und Töne jeglicher Frequenz, Amplitude
und Dauer zur Verfügung zu stellen".
Wir sollten wissen, was wir Cage, seinen Aussagen und der Geschichte
schuldig sind.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 8 - September 1992, S. 4]
↑
Klaus Weinhold
Kein Grund zum Feiern
Zehn Jahre alt wurde unsere Arbeit mit Elektronischer Musik, die ich
zu einem großen Teile als meine Arbeit bezeichnen kann. In diesen
zehn Jahren wurden jährlich, oft mehrmals "Vorführungen" mit
Elektronischer Musik, fast ausschließlich in der Aula der PH Freiburg
angeboten. Das ist in der Bundesrepublik ein einmaliger Vorgang gewesen,
nach zehn Jahren muß man sich fragen, was ist eigentlich geblieben,
wo sind zu Buche schlagende, etwa in Zeitungsberichten sich niederschlagende
Ergebnisse? Diese sind nicht vorhanden, das müssen wir ehrlich uns
vor Augen halten, wir haben einen kleinen Zuhörerkreis gefunden, der
treu und mit Begeisterung zu uns steht. Wir haben also keine Außenwirkung
erreicht und wir dürften musikalisch die letzte Adresse nicht nur
in Freiburg sein. In der Badischen Zeitung (BZ) vom 17.11.92 erschien ein
Bericht über das Freiburger SWF Experimentalstudio. Wer von Elektronischer
Musik in Freiburg und anderswo spricht, erwähnt dieses Studio. Es
scheint mit Elektronischer Musik gleichgesetzt zu werden. Auch in einem
anderen Bericht der BZ, kurz vorher, werden Freiburger Institutionen mit
Neuer Musik angeführt, darunter auch die "Live- Elektronik" des SWF,
was fehlt, ist eines: unsere Elektronische Musik. Hinzu kommt, daß
vor einigen Wochen im "Forum" des SWF ein Bericht über das SWF Experimentalstudio
ausgestrahlt wurde. Es war wieder von ersten Adressen, weltbekannten Komponisten
und Live-Elektronik die Rede. Ich lauschte diesem Vortrag in der Hoffnung,
Elektronische Musik zu hören und vielleicht einmal das Wort "Frequenzmodulation"
oder "DX7" zu hören. Nichts dergleichen. Man erfuhr lediglich, daß
es neben der hochkarätigen, weltbekannten Live-Elektronik Freiburger
Provenienz noch eine mehr oder weniger nach unten gerichtete "Unterhaltungselektronik"
gäbe, die auch ganz fortschrittliche Instrumente entwickelt hätte.
Im erstgenannten BZ-Artikel wird interessanterweise - ich glaube, meine
Vermutung ist da nicht falsch - die echte Elektronische Musik zumindestens,
wie ich sie in den zehn Jahren versucht habe vorzuführen, beschrieben.
Es steht da: "Mit sterilen, enthumanisierten, musikfernen Klangbasteleien
hat Live-Elektronik nichts zu tun. Stets ist sie ganz nah am Interpreten,
am Puls der Musik, ja sie ist selbst Musik. Da leuchtet auch ein, daß
die Studioleute in den Elektronikgerätschaften keine Maschinen, sondern
Instrumente sehen." Sehr interessant: Vielleicht überschätze
ich meine Auswirkungen, aber diese obengenannten Aussagen sind die Kernaussage
über meine Ansicht von Elektronischer Musik. Sie ist steril, d.h.
keimfrei, d.h. sauber, ohne die Beimischungen jener Humanität der
Musik, die doch nichts anderes ist als Opium für das Volk, das genau
weiß, wie schrecklich die Welt ist und dieser Welt das Mäntelchen
des Schönen umhängt. Ja, diese Sounds - keine Musik mehr - sind
enthumanisiert, sie wenden sich vom Menschen mit seinen, ach so egobezogenen,
narzistischen Vorstellungen ab, hin zur Sache der Natur, vielleicht erinnernd
an die Devise, daß die Erde nur überleben kann, wenn sie vom
Menschen befreit wird, d. h. enthumanisiert wird. Die gesamte klassische
Musik als Gesamtkulturleistung ist sicher großartig, geht genau wie
die klassische Philosophie, Astronomie und Religion von einem Zentrum aus,
dieses war der Mensch. Damit war die Musik ebenso ausschließlich
menschenbezogen. Die Kopernikanische Wende dreht es um: Der Mensch rückt
es aus dem Mittelpunkt an den Rand des Universums. Die Maschine kann mehr
als der Mensch, auch auf die Gefahr hin, daß manches verlorengeht.
Was unsere neuen Soundmaschinen jedoch erzeugen, und das in kürzester
Zeit, wird kein menschenbezogenes klassisches Musikinstrument je erzeugen
können.
Wir haben versucht und wir werden versuchen, den Zuhörern etwas
aus der neuen Soundwelt zu zeigen. Der neue Klang in der Alten Welt. Die
Alte Welt will den Neuen Klang weder hören noch begreifen. Es ist
sicherlich wohltuender, in eine Klaviertastatur zu greifen, als irgendwelche
undurchsichtigen Regler zu betätigen oder Zahlenfolgen aufzustellen.
Ich persönlich bin immer wieder erstaunt, daß sich trotz meines
pädagogischen Einsatzes nur sehr wenige junge Menschen auf das Neue
des Neuen Klanges einlassen. Die Ergebnisse sind deprimierend. Man braucht
wohl nicht Psychologe zu sein, um zu ahnen, daß hier der Mensch in
einer Grundposition gefordert ist: die der Aufgabe von vertrauter Sicherheit.
Kommen wir auf den Begriff der "Klangbastelei". In einem anderen Artikel
der BZ vom 11.12.1992 über die traditionelle Gesellschaft, die dahin
ist, und die neue, die Angst macht, wird einiges berichtet, was sich auf
die neue Musiktechnologie übertragen läßt: Handlungsunsicherheit
und Ohnmachtserfahrung. Zu letzterem: Ich gebe zu, ich habe Angst vor neuen
Geräten, ich erlebe mich manchmal der Bedienungsanleitung gegenüber
ohnmächtig, und auch der Produktmanager der entsprechenden Firmen
kann mir nicht weiterhelfen. Zur Handlungsunsicherheit steht in dem genannten
Artikel, daß sich die Normalbiografien auflösen. Es könnte
also sein, daß man an die neue Soundtechnologie eben nicht mehr als
klassisch geschulter Musiker herangehen sollte, ja es entstehen Statusverunsicherungen,
die dazu führen, daß man es vielleicht gar nicht wagt, neue
Soundproduktionen "ersten Adressen " anzubieten, sondern daß man
sich damit bescheiden muß, vielleicht in letzten Räumen neueste
Klänge zu bieten. In der neuen Musiktechnologie steigt der Zwang,
genau wie in der gesamten heutigen Zeit, sich flexibel verhalten zu müssen.
Man weiß nicht mehr, wofür man sich entscheiden soll, z.B. für
dies oder jenes Instrument. Notwendig wird - und damit komme ich auf den
genannten Zeitungsartikel zurück - vor allem eine Form des flexiblen
Umgangs, eine "Bastelmentalität", um mit diesen Anforderungen fertig
zu werden. Aha: so liegen wir mit unseren Klangbasteleien offenbar doch
nicht so ganz falsch, und so bin ich bereit, vom Produzenten sogar zum
Klangbastler mich umbenennen zu lassen. Sicher ist, daß der flexible
Umgang mit neuen Instrumenten, ich denke da etwa an den neuen K2000, mit
basteleiartigem Experimentieren etwas zu tun hat.
Der langen Reflexionen kurzer Sinn: Der echte elektronische Sound -
nicht mehr Musik, denn von den griechischen Musen in ihrem sehr menschlichen
Habitus wollen wir nur noch wenig wissen - ist tatsächlich musikfern,
ist nicht mehr am Puls der Musik, der jawohl wie der menschliche Herzschlag
sehr regelmäßig ist, und er ist durchaus maschinengerecht, in
dem Sinn, daß sich in der Maschine Gesetze der Natur für übermenschliche
Aufgaben anbieten. Zu diesem elektronischen Sound bekenne ich mich, als
Beispiel gebe ich die nackten synthetischen Klänge des ADS-Samplers,
an denen man sich verletzen kann, so wie man sich an Granit verletzen kann,
und damit lege ich ein Bekenntnis zum elektronischen radikalen Fundamentalismus
ab, in der Gewißheit, daß nur wenige diesen engen Pfad mitgehen
werden. Zugleich aber in der unumstößlichen Gewißheit,
daß man an die Wurzel der Klangerzeugung mit der modernen Technologie
vordringen kann, und ein Vordringen zur Wurzel kann man als "radikal" bezeichnen.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 9 - Dezember 1992, S. 3]
↑
Klaus Weinhold
Ein relativer Standpunkt
Die Diskussion über die Arbeit mit und um die Elektronische Musik
und damit um die Musik überhaupt ist in diesem Jahr 1993 in unseren
Kreisen voll entbrannt. Wir mögen das bedauern, erfordert doch die
Diskussion über einen Sachverhalt, den wir eigentlich für geklärt
halten könnten, viel Zeit und Kraft. Aber offenbar ist es in keiner
Weise klar, was diese sogenannte Elektronische Musik ist. Ein aktuelles
Beispiel: Die Veranstaltung elektronischer Musikproduktion in Osnabrück
in diesem Sommer nannte sich "Klangart", das Wort Musik kam darin nicht
vor. In einer Besprechung in einer Musikzeitung wird dazu formuliert, daß
der Begriff Elektronische Musik inzwischen von der Popularmusik vollständig
okkupiert worden ist. So wird sicherlich manch einer von den Interessenten
Elektronischer Musik glauben, daß er auch bei uns solche "Popularmusik",
ganz gleich welcher Art, zu hören bekommt, und wird enttäuscht
von dannen ziehen, da etwas ganz anderes bei uns aus den Lautsprechern
tönt. Auch bei uns kam der Gedanke "Klangart" auf, wir wollten jedoch
sprachlich korrekter sein und kamen auf den Begriff "Audioart", beide Teile
des Begriffes wären dann aus der lateinischen Sprache genommen. Damit
zur Grundfrage: Machen wir, sollen wir Musik machen? Und sollen wir das,
was vielleicht anders als Musik ist, diese Audioart, auch als Musik anbieten?
Was traditionelle Musik ist, sollte klar sein. Seit Plato haben sich die
Theoretiker über diese Frage ausgelassen, man kann dies in jedem Musiklexikon
unter dem Begriff musica nachlesen. Es ist immer von der göttlichen
Offenbarung, von den Musen und dem Geschenk des Himmels die Rede. Ein ganz
wichtiger Gesichtspunkt spielte immer eine Rolle: Musik als Mittel zur
Beruhigung, zur Ruhigstellung, zur Stimmungsmache bis heute, wo sich dies
in der Form der Musiktherapie niederschlägt. Musik sollte deshalb
verboten werden, denn damit ist ein ganz zentraler Punkt angesprochen:
Musik zeigt immer eine harmonische Welt, und unser Begriff der Harmonie
hat sich verengt auf gute und schöne und angenehme Klangverhältnisse.
Die Musik offeriert uns im Abendland ein System. Dieses ist von Menschen
für Menschen menschlich zubereitet worden. Nur selten erfährt
der Hörer etwas von den Inhalten dieses Systems. Wenn man einmal in
einer Radioansage, was immer seltener wird, gesagt bekommt, daß ein
Stück in G-Dur steht, ist es schon viel, was man vom System mitbekommt,
meistens erfährt man nur die Namen der Musizierenden. Die theoretisch-analytische
Auseinandersetzung über die Grundlagen des Systems steht im Moment
nicht nur in der musikalischen, sondern auch in der politischen Diskussion
nicht an erster Stelle.
Das traditionelle Musiksystem ist vordergründig. Es geht vom Menschen
aus, so wie der den Sternenhimmel betrachtende Mensch glaubt, daß
sich die Sterne bewegten, und wie der den Sonnenuntergang beobachtende
Zeitgenosse tatsächlich der Meinung ist, daß die Sonne sich
um die Erde bewege. Kurz und gut, das sind kulturelle und konventionelle
Betrachtungsweisen, die Realität ist eine andere. Die klassische Musikbetrachtung
verstellt uns nun auch den Zugang zu der eigentlichen Realität dessen,
was Grundlage von Hörerlebnissen ist: Die Erkenntnis von Schwingung
und deren ungezählte Überlagerungen. Wir kommen damit zu einer
anderen Betrachtung der schwingungsfähigen Realität, wir dringen
in sie nicht über die Kultur von oben ein, sondern von unten, von
der Natur her und versuchen sie von dort neu aufzubauen und erst einmal
zu erkennen. Und damit sind wir bei den nackten Elementen, den Urphänomenen:
Ein solches nacktes, farbloses, uninteressantes, langweiliges Element ist
der Sinuston, den wir leider nicht mehr oder nur mühsam aus den neuesten
elektronischen Instrumenten herausholen können. Der Sinuston als regelmäßige
Schwingung, sich nach einem Zufallsprinzip verändernd: Das wäre
der Anfang einer neuen "Klangart". Indem wir diesen immer weiter und immer
mehr übereinander schichten, kommen wir zu dem, was die traditionelle
Musik mit dem Übereinanderschichten vorgefertigter Produkte, den Tönen
erreicht hat, zu einem neuen Klang. Damit ist etwas gesagt, was gegen manche
neue elektronische Musikinstrumente spricht, indem sie uns in diesem Hintergrund
von unten keinen Einlaß gewähren und indem sie uns doch wieder
nur eine Fortsetzung mit anderen Mitteln bieten. Im Gegensatz dazu: Der
ständige unendliche Neuanfang, das unendliche Suchen, das man mit
dem Wort Experiment übersetzen kann. Dieses Experimentieren führt
sicher zu vielen Mißerfolgen, und dennoch: Vielleicht ist dieses
Gefundene allemal interessanter als das Vorgefertigte, wo man immer weiß,
"wie es weitergeht".
Wir haben versucht, eine Betrachtung der Elektronischen und klassischen
Musik zu geben. Wichtige Begriffe dieser beiden Klangformen sind auf der
einen Seite Zubereitung und Anpassung für das traditionelle System
und experimentelle Innovation auf der anderen Seite, Sicherheit und Geborgenheit,
ja Therapiefähigkeit auf der einen Seite, Unordentlichkeit, Unsicherheit,
Destabilisierung auf der andern Seite. Wir wissen, was der Mensch braucht
oder glaubt zu brauchen. Die Kultur sorgt für diese Notwendigkeit,
die Natur tut es nur teilweise. So sollten wir uns klarmachen, daß
die Soundelektronik uns von der Kultur hinweg führt, hinein in die
von Menschen unabhängige Natur. Daß in dieser Natur auch einmal
dem Menschen Entsprechendes herauskommen kann, ist keineswegs ausgeschlossen
und abzulehnen. Wer heute sich für das Ohr und damit das Hörbare
interessiert und dafür begabt ist, wird kaum als Grundlage seiner
musikalischen Erlebnisse das Heulen des Windes. das Rauschen des Baches
oder Geräusche der Müllabfuhr nehmen, obwohl gerade diese Dinge
der Ausgangspunkt einer Hörwahrnehmung und damit einer Welterkenntnis
sein könnten. Der musikalische Mensch wird im Kreislauf zwischen eigenem
Bedürfnis und Erziehenden, z.B. Eltern, oft schon in früher Jugend
in die musikalische Kulturwelt eingeführt. Der Adept ist damit für
sein Leben für einen anderen Zugang zur "Klangart" nicht mehr oder
nur kaum befähigt. Damit wird deutlich, und wir kehren so zum Anfang
zurück, daß in der Diskussion der sog. Elektronischen Musik
es nicht darum geht, ob DX7 oder ein Presetinstrument mit schönen
Klängen, sondern daß es darum gehen muß, die Grundlagen
des Menschen und des menschlichen Bewußtseins neu zu überdenken.
Das zu Ende gehende Jahrhundert hat uns eine neue Physik und eine neue
Astronomie beschert, was bisher fehlt, ist eine dazugehörige "Klangart",
die sich grundsätzlich von Prinzipien wie Tonalität in der Musik,
Zentralperspektive in der Malerei und der Newtonischen Physik trennt. Dieses
waren geschlossenen Systeme, und der Mensch glaubte, so sei es. Wir wissen
heute, daß es weitgehend nicht so ist, daß man es aber so sehen
kann und so hören kann. Wir könnten dazu beitragen, mit unseren
neuen Mitteln etwas zu dieser neuen Weltsicht beizusteuern.
Ein letzter rückblickender Hinweis: Die 68er Bewegung machte uns
glauben, daß es so etwas Neues gibt. Die musikalischen Aktivitäten
der 70er Jahre führten zu einer Befreiung, die es ermöglichte,
sich der Systemkritik und damit der musikalischen "Unterwelt" überhaupt
zuzuwenden. Wir alle wissen, was heute gefragt ist, und damit haben wir
keine Aussicht auf Erfolg. Denn die Therapie der elektronischen "unterweltlichen"
Klangerzeugung ist zwar auch eine Heilung, aber eine von den Ideologien
und Illusionen einer schönen Welt, wie sie uns jede klassische Kunst
glaubt vorstellen zu müssen.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 12 - Oktober 1993, S. 5]
↑
Klaus Weinhold
Die Zukunft findet statt
Elektroniker, Computermusiker, Audiodesigner, Musiker der aktuellen
Entwicklung, worauf sollen wir uns berufen, wo sollen wir anrufen, um zu
erfahren, ob das, was wir tun, richtig ist? In der Vergangenheit lernte
man von der Vergangenheit, Mozart lernte von Bach, und heute studiert man
in der klassischen Ausbildung klassische Kompositionsprinzipien. Worauf
sollen wir uns aber berufen? Nehmen wir drei Quellen: die Musikmesse Frankfurt
und zwei Zeitschriften, die darüber berichten, Keyboards und Keys,
zwei Zeitschriften, die im Titel ihre Traditionsverbundenheit sprachlich
und visuell zum Ausdruck bringen: key heißt Taste und keyboard heißt
Klaviatur.
Im letzten Heft belehrt uns der Chefredakteur von Keys darüber,
daß die offenbar musikelektronische Zukunft stattfinden wird, dies
sei das knappe Fazit der diesjährigen Frankfurter Musikmesse. Wir
werden darüber belehrt, daß diese Zukunft digital sein wird.
Betrachten wir Aussagen und Statements bekannter und weniger bekannter
Elektroniker zu unserem Gebiet. Es zeichnet sich ab, daß die zunehmende
Digitalisierung der Instrumente zugleich zu einer Gegenbewegung, zur wiederbelebten
Analogisierung führt. Neueste digitale Instrumente wie der Alesis
Quadraverb, dessen Beurteilung durchaus nicht enthusiastisch ist, korrespondieren
mit Wiederbelebungen wie dem OB-Mx. Lassen wir einige Meinungen zu Wort
kommen: Für uns wohl das wichtigste: "erzieherische Maßnahmen",
so schreibt der FM-Protagonist Dave Bristow, daß er es nicht nachvollziehen
kann, daß die meisten Leute von elektronischen Instrumenten erwarten,
daß sie sich wie akustische Instrumente verhalten. Um das Verständnis
für elektronische Eigenheiten zu vertiefen, sind seiner Meinung nach
"erzieherische Maßnahmen" wie Workshops und Seminare nötig.
"Sonst versteht keiner so richtig, was uns die neuen Physical-Modeling-Verfahren
und die FM-Verfahren so alles bringen".
Physical Modeling, wir haben alle viel davon gehört, mein persönlicher
Kommentar deckt sich mit dem des Altelektronikers J. Schmölling. Er
hält nichts davon, wenn ein elektronisches Instrument einfach "klingt
wie", also etwa wie ein Klavier, es muß doch heißen, der Klang
ist so, wie er eben ist. Ihn begeistert das, was er vom Yamaha VL1 gehört
hat, nicht sonderlich. Ihm sind der Jupiter 8 oder das PPG-System lieber.
Der VL ist sicher eine großartige technische Leistung, er führt
aber dahin zurück, wovon wir uns in der Elektronik eigentlich in gewisser
Hinsicht lösen wollten, zum Menschen. Konkret werden hier wieder körperliche
Funktionen eingesetzt, und die Abstraktionen, die "rationes", d.h. die
Verhältnisse, die sich abstrakt in Zahlen oder Reglerstellungen darstellen
lassen, spielen nicht mehr die entscheidende Rolle. Beim VL darf der Mensch
wieder von sich als dem Zentrum in das Instrument hineingehen und das Instrument
prägt als abstrakte technische Größe nicht mehr das Denken
und Handeln des Menschen. Eine fatale Rückwendung im Unterschied zur
Gegenbewegung der prädigitalen Instrumente, die sich wieder an den
Wurzeln wie System 100M oder gar den EMS-Geräten orientieren. Dort
lag das eigentlich evolutionär Neue. Im letzten Jahrzehnt ist dann
eine
kontinuierliche Angleichung an die Unantastbarkeit des Menschen und seiner
handlichen Vorstellungswelt erfolgt.
Im neuen Heft Keyboards werden uns seit Monaten vorausschauende Aussichten
über die Musik 2000 gegeben. Vieles wirkt im negativen Sinn utopisch
und im negativen Sinn unmenschlich, entfernt sich tatsächlich, ja
zu sehr von einer vorhandenen Tradition und Geschichte. Ein letztes Szenario
Nr.7, "Übergänge" betitelt, wirkt wie ein Spiegel von manchen
unserer Aktivitäten und vorausschauenden Darbietungsformen aus der
Zukunft. Der Hauptinhalt des Artikels belehrt uns darüber, daß
der große Übergang sein wird, daß die Geräusche die
Töne erobern. Das Abendland hat den Ton geschaffen, gestaltet und
in ein System gebracht, eine großartige Auswahlleistung, von der
es allerdings kein Zurück in das Allumfassende, und das ist im Hörbereich
das Geräusch, gibt. Die Futuristen und die Musique concrete machten
Versuche einer Musik aus Geräuschen. Heute versucht man auf der einen
Seite alle Störgeräusche zu eliminieren, auf der anderen Seite
- so in dem genannten Artikel - wollen andere noch das abscheulichste Krächzen
im schönsten Digitalsound festhalten. Weiter lesen wir da, daß
sich eine zunehmende Anzahl von Musikern mit Recordern auf Klangsuche macht
und die Ergebnisse am Bildschirm wundersamen Transformationen unterwirft.
Wenn ich es recht sehe: das Gegenteil der VL-Synthese.
Der wichtigste Übergang nach oben genanntem Artikel markiert der
Begriff "Audioart". Wir können stolz sein, denn auch bei uns erstand
er plötzlich aus mancherlei Gründen, der wichtigste war, um einen
umfassenden Begriff zu bekommen, unter dem man nicht nur Musik subsummieren
kann. Das Umgekehrte ist allerdings nicht möglich. Das Spektrum der
Audioart entzieht sich jedem Eingrenzungsversuch, berührt die Felder
Musik und Sprache, Synthese und Sampling, und geht über alles hinaus.
In der Audioart spielen Geräusche - auch mehrere Töne zusammen
können schon ein Geräusch ergeben - eine große Rolle. Jedoch
ist Geräusch nicht Teil eines musikalischen Ablaufs, sondern es steht
für sich allein. Ein weiterer Übergang wäre der von der
Musik zur Klangkunst im Blick auf das Produzieren und Vorführen. Der
erwähnte Artikel definiert das Produzieren von akustischer Kunst auf
Band als Audioart, die Realisierung als öffentliches Ereignis, als
Klangkunst.
Schauen wir retrospektiv auf unsere Arbeit zurück: Was wir in
den letzten Jahren in unserem Bereich geboten haben, war genau das Neue,
der Übergang von der Musik zur Klangkunst, zur Audioart gewesen. Wir
waren also auf dem richtigen Weg und erfahren nun vom Autor des Keyboard-Artikels
eine späte Rechtfertigung.
Das Beruhigende und zugleich Beunruhigende dieses Artikels ist es,
daß wir auch mit unserer Forderung nach "geistiger Grundlegung" richtig
liegen, denn , was soll die neue Technologie, die Digitalisierung, die
Elementarisierung, die Entdeckerfreude, wenn wir uns nicht auf die "finis
und Endursach" der Elektronischen Musik besinnen? Für Bach war es
das Lob Gottes und die Rekreation des Gemütes, für uns sollte
es die Erkenntnis der Natur und die daraus resultierende Befriedigung des
Geistes sein.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 14 - April 1994, S. 3]
↑
Corinna Uhl
10 Jahre elektronische Musik - Interview mit dem ZeM-Pionier
Klaus Weinhold
Vor kurzem gab es an der PH Freiburg wieder
eines der mittlerweile traditionell gewordenen
Wochenenden für Elektronische Musik unter der
Gesamtleitung von Klaus Weinhold - und so
ganz nebenbei stellte sich heraus, daß Herr
Weinhold, der ZeM-Pionier schlechthin, vor
genau 10 Jahren begann, sich mit Elektronischer
Musik zu beschäftigen. Über seine damaligen
Anstöße und Beweggründe, die ihn zur
Elektronischen Musik hinführten, gibt er uns in
diesem Interview Auskunft.
ZeM: Herr Weinhold, 10 Jahre Elektronische
Musik - wie fing denn das alles an?
K.W.: Die Arbeit begann über einen Kollegen,
der mir vor etwa 10 Jahren in Karlsruhe den
Logik-Synthesizer vorführte. Ich war davon so
fasziniert, daß ich sofort nach Stuttgart ins
Institut Rehberg fuhr und mir dort dieses Gerät
anschaute und es dann auch gleich anschaffte,
weil ich der Meinung war, daß tatsächlich mit
diesem Instrument, was sicherlich nicht ganz
vollkommen war, enorme Möglichkeiten, die den
traditionellen Ton- und Musikbegriff
revolutionieren, möglich sein würden.
ZeM: Beim letzten ZeM-Wochenende
erwähnten Sie auch den Jupiter4 - welche Rolle
spielte dieses Gerät am Anfang?
K.W.: Der Jupiter4 war ein ganz
hervorragendes Instrument, von dem ich restlos
begeistert war - und wenn es das noch gäbe,
glaube ich, könnte man von dem warmen
analogen Klang auch heute noch begeistert sein.
Wenn ich also jemand empfehlen würde, neu
anzufangen, würde ich sagen, kaufen Sie sich ein
solches Instrument. Übrigens hat er
Abspeichermöglichkeiten, und wenn ich mich
recht erinnere, auch Sequencermöglichkeiten.
Man konnte dort mit einfachen Mitteln, wenn
man einigermaßen Klavier spielen konnte - er
hatte ja eine Tastatur - tatsächlich etwas ganz
Neuartiges, was die Tonalität völlig verließ,
erzeugen.
ZeM: Wie ging es dann weiter nach dem
Logik-Synthesizer und dem Jupiter4?
K.W.: Das ist ganz klar zu sagen. Nach dem
Logik schaute man sich nach anderen Geräten
um, und es kam neben dem Jupiter4 dann der
Teisco, der ähnlich ist wie der Jupiter4, und
dann ging es Schlag auf Schlag: Es kam der
Jupiter8 auf, mehr schon mit digitalen
Speichermöglichkeiten, und parallel dazu lief das
System 100M von Roland, was bis heute noch
aktuell ist - ich habe es auch noch. Dann, als
man das hatte, kam allerdings der große Bruch
zum DX7, und danach kam MIDI. Das hat nun
natürlich das eingeleitet, was in den letzten 6
Jahren, also etwa seit 84 die Sache beherrscht,
hoffentlich auch weiter beherrschen wird, so daß
man heutzutage in dem Digital-MIDI-Studio das
Non-plus-ultra der Klangerzeugung,
Sequencerproduktionen und der ganzen
Soundproduktion sehen kann.
ZeM: Sie kommen von der Orgel her - wie
haben Sie den Schritt vollzogen von der Orgel
zur Elektronischen Musik?
K.W.: Die Orgel ist immer schon ein
Synthesizer gewesen, d. h. also ein Instrument,
mit dem man nicht mit fertigen Klängen
arbeitet, sondern stets gezwungen ist, einen
Sound, einen Klang - bei der Orgel nennt man
es Registrierung - erst einmal zu erstellen. Im
Laufe der Jahre kommt man natürlich bei der
Orgel an Grenzen, die im Instrument und in der
Technik liegen. Diese Grenzen innerhalb des
Instruments zu überwinden ist aber kaum
möglich. Es kam ein Komponist hinzu, Ligeti, der
vor ca. 30 Jahren in seiner Volumina die
traditionellen Mittel der Orgel ganz enorm
erweitert hat, indem er einfach die Töne
denaturierte durch Manipulationen an der
Windzuführung. Diese Komposition und diese
neue Technik haben dazu geführt, daß man
innerhalb der Orgel und dann auch außerhalb,
wie es die Elektronik ermöglichte, nach neuen
Wegen und nach neuen Möglichkeiten suchte.
ZeM: Doch trotz der enormen Möglichkeiten
können viele den Sprung zur Elektronischen
Musik nicht nachvollziehen.
K.W.: Das ist ein grundsätzliches Problem, das
sich nicht nur in der Elektronischen Musik,
sondern auch beispielsweise innerhalb der Orgel
stellt. Die meisten Instrumentalisten, in dem Fall
also Organisten, erwarten, daß das Instrument
eine ganz bestimmte Stellung des Klanges und
der Interpretation ermöglicht, und sind nicht
bereit, von dieser vorgefertigten Vorstellung in
irgendeiner Weise abzurücken. Grundsätzlich
muß man eben auch sagen, daß eine Orgel und
jedes andere Musikinstrument dem
Aufnahmevermögen des Menschen in einer ganz
bestimmten Weise entgegenkommt. Und der
Mensch ist von Natur aus in gewisser Hinsicht
bequem und will sich in den gegebenen
Möglichkeiten ausruhen, ohne in irgendeiner
Weise eine Erweiterung zu suchen oder
erforschen zu wollen.
ZeM: Würden Sie denn sagen, daß der Schritt
von der Orgel zu elektronischen
Musikinstrumenten leichter zu vollziehen ist als
jetzt von, sagen wir mal, Klavier, Flöte, Geige
usw.?
K.W.: Absolut. Denn wie ich schon sagte, ist
ein Klavierspieler z. B. auf einen Klang fixiert,
den er durch Anschlagstechnik, durch Üben
dieser feinen Unterscheidungen ständig kultiviert.
Ein Sänger in genau dem gleichen Maß. Er hat
seine Stimme, die sozusagen naturgegeben ist,
und er kommt über diese Stimme irgendwo
nicht hinaus. Er will es vielleicht auch gar nicht,
während der Organist ständig Kombinationenen
suchen muß, weil sie in der Natur des
Instrumentes liegen. Eine Orgel mit etwa 100
Registern hat natürlich ungeahnte und fast
unbegrenzte Möglichkeiten, neue Klänge
zusammenzusuchen - vielleicht sogar auf Kosten
einer differenzierten Anschlagskunst, auf die die
Pianisten zu Recht sehr stolz sind.
ZeM: Muß man denn bei elektronischen
Instrumenten nicht üben? Das ist ja eine recht
verbreitete Meinung.
K.W.: Üben im traditionellen Sinne nicht, denn
Üben setzt voraus, daß man eine bestimmte
körperliche Fähigkeit genau wie beim Sport,
beim Fahrradfahren oder Skifahren, austrägt.
Diese mechanischen Fähigkeiten übernimmt in
gewisser Weise das elektronische Instrument.
Was man aber sofort ausbilden muß, ist eine
Sensibilität dem Klang gegenüber. Sie müssen
lernen, nicht auf Ihre Finger zu achten oder auf
Noten zu schauen, sondern mit dem Ohr zu
arbeiten, das Ohr zu sensibilisieren, und das ist
erheblich musikalischer, als nur auf
Übertragungen von Notenbildern in
Fingermechanik zu achten.
ZeM: Haben Sie denn irgendwelche Vorbilder in
der Neuen Musik oder im elektronischen
Musikbereich?
K.W.: Die Vorbilder in der Elektronik liegen in
der gesamten Modernen Musik, und da würde
ich sagen in der sogenannten Serialität. Dort
werden ganz bestimmte Ereignisse in einer
bestimmten Reihe angeordnet. In der klassischen
Serialität sind es Töne, die nicht mehr einer
Tonleiter folgen, sondern in einer Reihe, die der
Komponist sich selbst setzt. In der Elektronik
können Sie beispielsweise eine solche Reihe
selbst setzten, indem Sie 10 oder 100 oder 200
Synthesizerklänge, Sprachklänge oder
Gemischtsamplekläge zusammensetzen, die
dann in den verschiedenartigsten Variationen
ablaufen. Also von der traditionellen Musik, von
der traditionellen Patternvorstellung und
Tonvorstellung führt meines Erachtens kein
direkter Weg zur Elektronischen
Klanggestaltung.
ZeM: Aber auch in Sequencern und
Sequencerprogrammen wird doch von Pattern
und Patternvorstellungen gesprochen. Wie
können sie das vereinbaren?
K.W.: Die Pattern in einem Sequencer
orientieren sich natürlich am traditionell
geschulten Musiker, der im Grunde genommen
das neue Wesen der Elektronik nicht verstanden
hat oder auch nicht verstehen will. Im
Unterschied zu den amerikanischen Programmen,
das Dr. T zum Beispiel, wollen die europäischen
und deutschen Programme letztlich in
traditionellen Mustern und Pattern, die sich also
auch in den Sequencern niederschlagen, bleiben.
ZeM: Sequencerprogramme und auch
elektronische Musikinstrumente werden ja oft
dazu benutzt, um solche klassischen Muster
wieder zu kopieren. Was gibt es denn für
Möglichkeiten, in neue Richtungen vorzudringen?
K.W.: Es ist letztlich eine
philosophisch-religiöse Frage: Solange der
Mensch im traditionellen Bewußtsein bleibt, und
das wird er wohl weitestgehend tun, sind diese
Neuerungen einfach nicht durchsetzbar. Der
Mensch neigt ständig dazu, bei den in der
Kindheit erworbenen Denk- und
Verhaltensmustern, auch Musikmustern
irgendwie zu bleiben. Das ist von der Kindheit
an gegeben, beim erwachsenen Menschen, beim
Politiker, der eine Wirklichkeit mit Pattern von
vor 40 Jahren heute vollziehen will. Die
Wirklichkeit verändert sich ständig, und der
Mensch ist offenbar von Natur aus konservativ
und kann sich an diese Veränderungen, die in
allen Bereichen und damit auch in der Musik
explosionsartig vor sich gehen - er kann sich an
diese Wirklichkeitsbewältigung nicht anpassen.
Und deswegen bin ich der Meinung, daß die
Elektronische Musik deshalb keine Zukunft
findet, weil sich der Mensch an diese neue
Zukunft nicht rasch genug anpassen kann. Kann
sein, daß die Firma Yamaha oder die
elektronischen Instrumente irgendwann
verschwunden sein werden, weil sich die
Menschen an die neuen Möglichkeiten ganz
einfach nicht angepaßt haben, auch nicht
versucht haben, sich anzupassen.
ZeM: Nach 10 Jahren Elektronischer Musik -
welche Bilanz ziehen Sie für sich und dann auch
für die jungen Menschen?
K.W.: Die Bilanz ist, wenn man so will, auch
für mich persönlich eine großartige, und sie wird
es bleiben. Ich selbst habe sozusagen die
Möglichkeiten, die uns gegeben worden sind,
soweit ich das konnte, voll ausgeschöpft. Die
Potentialität, die sich einfach ergeben hat durch
die Instrumente, konnte tatsächlich durch die
neuen Instrumente immer wieder in Aktion
gesetzt und immer wieder ausgefüllt werden.
Nur, das Tragische ist, daß die meisten
Menschen, auch junge, diese Entwicklung gar
nicht mitvollziehen wollen. Sie sind gar nicht
gewillt und vielleicht auch nicht in der Lage,
diese neuen Möglichkeiten für eine eigene
künstlerische Arbeit anzerkennen und überhaupt
einmal umzusetzen. Der Grund mag der sein,
daß die Kommunikation, und das ist eine
Grunderfahrung der 10 Jahre, mit anderen
Hörern nicht in dem Maße gegeben war und
auch nicht gegeben sein wird, wie man sie sich
vielleicht wünscht. Ich persönlich habe das
inzwischen akzeptiert, denn ich weiß, daß der
Mensch diese Kommunikation gar nicht haben
kann, weil er in diesen neuen Medien noch nicht
geschult ist und auch nicht gewillt ist, sie ohne
Schulung und ohne neue Erkenntnis zu
übernehmen. Ich glaube auch nicht, daß der
sinnliche Reiz solcher unbekannten Klänge so
stark ist, daß man davon in jedem Falle
fasziniert ist. Offenbar lebt der sogenannte
natürliche Mensch immer von dem, was er
irgendwie kennt. Und das Unbekannte wirkt auf
ihn letztlich nicht befreiend, sondern eher nur
beklemmend.
ZeM: Immerhin gibt es einige Personen, die
beispielsweise von den Klängen des DX7 so
fasziniert waren, daß sie angefangen haben,
Elektronische Musik zu machen. Wie kommt es,
daß dennoch die meisten jungen Menschen
davon nicht so fasziniert sind?
K.W.: Es ist klar, daß viele Menschen begeistert
sind von der Sache. Und denen braucht man es
überhaupt nicht zu sagen. Sie erkennen das,
genauso wie ich das vor 10 Jahren automatisch
und instinktiv erkannt habe. Ich möchte diese
Menschen fast als unnormal bezeichnen, als
Menschen, die in der Lage sind, eine solche
Rezeption aufzunehmen. Aber die Mehrheit ist
offenbar dazu nicht in der Lage, und die Frage
ist, ob wir in unserer Arbeit diese Menschen
dazu bringen können, ob wir dazu missionieren
müssen oder ob wir dazu ein hervorragendes
pädagogisch-didaktisches Konzept entwickeln
müssen, ob wir einfach mal warten müssen, bis
die Zeitläufe für uns günstiger sind. Diese Frage
ist noch nicht entschieden. Ich bin auch zutiefst
davon überzeugt, daß es im Moment tatsächlich
bei den jungen Menschen 10 Prozent gibt, die
von den DX7-Klängen und dieser Art Musik
restlos fasziniert sind. Nur, wenn wir
Öffentlichkeitsarbeit machen wollen, geht es
nicht nur um 5 bis 10 Prozent, sondern wir
müssen uns an eine Mehrheit wenden. Und die
wird unserer Arbeit nach wie vor sehr reserviert
gegenüberstehen.
ZeM: Wie, glauben Sie, kann man die Mehrheit
begeistern?
K.W.: Wie ich eben schon sagte, durch eine
Missionierungstechnik oder durch charismatische
Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Person auf
andere so wirken, daß plötzlich das, was bisher
abgelehnt wurde, auf einmal in aller Munde und
in aller Ohren ist.
ZeM: Und was würden Sie den 10% jungen
Menschen empfehlen, die einsteigen wollen in
Elektronische Musik und nicht genau wissen,
woran sie sich orientieren sollen?
K.W.: Denen würde ich empfehlen, tatsächlich
zu versuchen, ein solches Konzept zu entwerfen
und nicht nur im stillen Kämmerlein zu arbeiten
und im stillen Kämmerlein begeistert zu sein,
sondern sich mit Freunden zusammenzutun, die
auch begeistert sind. Dann immer wieder in
Konzerten, Vorführungen und Workshops usw.
auf die großartigen Möglichkeiten dieser neuen
Technologie hinzuweisen und damit den
Menschen von einem rezeptiven zu einem
kreativen Verhalten zu führen.
ZeM: Ich nehme an, daß auch Sie ganz am
Anfang die Elektronische Musik in Ihrem stillen
Kämmerlein vollzogen haben. Wann traten Sie
denn damit das erste mal an die Öffentlichkeit?
K.W.: Eigentlich sehr bald. Jede Produktion war
bei mir als Musiker, der eine sogenannte
Außenwirkung haben muß, nie für sich selbst,
man spielt nie für sich selbst. Schon immer war
dieser Gedanke da, etwas der Öffentlichkeit
vorzustellen. Und deswegen sind wir bereits ein
dreiviertel Jahr nach Anschaffung des Logik in
Offenburg in einer Kirche, in der ich damals
Organist war, mit Produktionen am Logik, mit
dem Jupiter4 und mit dem Teisco an die
Öffentlichkeit getreten. Ich glaube, daß man sich
in meinem Alter etwas zurückziehen wird, daß
aber im Grunde genommen jeder Produzent
Elektronischer Musik immer daran denken sollte,
im kleinen oder im großen Kreis seine
sogenannten Werke oder Stücke oder
Produktionen an die Öffentlichkeit zu bringen.
ZeM: Sie geben auch Kurse in Synthesizer bzw.
Synthesizerprogrammierung an der PH. Wann
begann denn das?
K.W.: Schon, sobald der Logik und der AKS
angeschafft waren. Die Geräte wurden an die PH
transportiert, und wenn ich mich recht erinnere,
ist schon im Jahre 84 mit etwa zehn Studenten
ein erster Kurs in
Musikelektronik/Soundelektronik durchgeführt
worden. Ob allerdings Geräte daraufhin gekauft
worden sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
Jedenfalls sind die ersten Instrumente dann
gekauft worden, als Instrumente mit Tastaturen
im digitalen Bereich, also wie der DX7,
angeboten wurden. Der DX7 wird übrigens bis
heute gekauft. Da ich gerade nach Kursen
gefragt wurde, wir haben jetzt an der PH drei
Studierende, die sich also sechs Jahre nach der
Erzeugung des DX7 ein solches Instrument
antiquarisch gekauft haben und damit spielen
wollen.
ZeM: Wurden Sie denn von der Hochschule
bzw. von Ihren Musikerkollegen in irgendeiner
Weise unterstützt?
K.W.: Eigentlich in keiner Weise. Einmal ist vor
etwa 8 Jahren ein kleines System 100M gekauft
worden, aber das ist bereits vor der Entstehung
der Elektronik beantragt worden. Und in
Stuttgart hat man das Wort Synthesizer gelesen
und dann gedacht, es ist wohl etwas Neues und
müßte gekauft werden. Das Gerät steht
inzwischen unter dem Tisch. Seitdem ist nichts
angeschafft worden, und ich bin auch in keiner
Weise von Kollegenkreisen und
Hochschulkreisen bei der Arbeit unterstützt
worden, ganz einfach wohl deshalb, weil sich die
meisten bei dieser Arbeit nichts oder nur etwas
sehr Abstruses vorstellen können.
ZeM: Wie ist die Resonanz von den Studenten
her?
K.W.: Die Resonanz bei den Studenten hat
ständig zugenommen. Heute kann man sagen,
daß 5 bis 10 Prozent von der Sache wissen und
auch willens sind, in dieser Angelegenheit zu
arbeiten, zum Teil auch deshalb, weil sie nun
wissen, daß eine Lehrkraft für dieses Fach an
der PH Freiburg da ist.
ZeM: Aus diesen 5-10 Prozent ist ja ZeM
entstanden.
K.W.: Ja, richtig. Es sind insbesondere zwei bis
drei Namen, die das förderten. Inzwischen ist
eine gewissen Diskrepanz entstanden: Die einen
wollen an der PH Elektronische Musik studieren,
die anderen gehen zu ZeM und ZeM
College.
Wir hoffen, daß wir da einen gemeinsamen
Nenner im Laufe der nächsten Jahre finden
werden. Mein persönlicher Wunsch ist, daß die
Arbeit von der PH letztlich zum ZeM College als
einer eigenen Institution hinübergelegt wird.
ZeM: Vielen Dank für das Gespräch.
[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 7 - Juni 1992, S. 8ff]

Klaus Weinhold an der großen Orgel und am Synthesizer (Jupiter-10) in der Stadtkirche Offenburg, Sommer 1982 [diese Fotografie wurde bei der Printversion in ausgewählte Hefte mit eingeklebt]
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Rückseite
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