
ZeM Heft Nr. 21 - Frühjahr 1997
Redaktion: Franz Martin Löhle
Mit dieser einundzwanzigsten Ausgabe unseres ZeM Heftes wird dieses
großjährig. Als das „ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1” im November
1989 zum ersten Mal als Sprachrohr des ZeM Vereins erschien, war eine solch
lange und kontinuierliche Herausgabe nicht abzusehen.
Nach sehr langer Zeit habe ich, wie für Nr. 1 und 2, für
diese Ausgabe die Redaktion übernommen. Michael Frings wird das Heft
ab der Ausgabe 22, die im September erscheinen wird, in die Hand nehmen.
Und es geht weiter. Wenn auch die Redaktion wechselt, der Inhalt bleibt
ein Spiegelbild unserer Arbeit mit all den Widersprüchen, die daraus
entstehen mögen.
ZeM ist seit fast einem Jahr mit einer Homepage (www.ZeM.de) im Internet
vertreten. Dort werden demnächst auch Auszüge aus dem ZeM Heft
zu finden sein. Doch wird diese Internet-Seite das Heft nicht ersetzen.
Als Print-Medium wird es uns weiter erhalten bleiben.
Die Redaktion freut sich mit den Autoren übrigens immer auch über
Rückmeldungen der Leserschaft, die wir auf Wunsch gerne abdrucken
werden.
Nun darf ich Ihnen beim Lesen der sehr unterschiedlichen Artikel viel
Freude wünschen.
Franz Martin Löhle
↑
Rettbehr Meier
Elektronische Klanginstallationen am 14. und 15. September
1996 in der Steinhalle Emmendingen
Zur Aufführung gelangten Werke folgender Autoren (in alphabetischer
Reihenfolge, die Aufzählung erfolgt nach den Angaben der Autoren mit
Titel, Dauer in Minuten:Sekunden und Kurzbeschreibung sowie Equipment.
Es handelt sich durchweg um Erstaufführungen, ansonsten ist das Datum
der Erstaufführung/ Fertigstellung angegeben).
• Hubert Arnolds
Let's Go / 06:30 / transponierte Sprachsamples, Flächen und 12-Ton-Reihen
wurden improvisiert und mit MIDI aufgezeichnet, die 12-Ton-Reihen haben
stark unterschiedliche Geschwindigkeiten, die Flächen und Reihen werden
im Verlauf der Stückes immer stärker rhythmisiert Stakkato) /
Alesis Quadrasynth, Korg X3, Cubase Sequenzer, Atari
Prisma / 05:00 / Flächen und Random-Tonfolgen mit extremen Tempo-
Variationen / TG500, Kurzweil K1000, Alesis Quadrasynth, Cubase Sequenzer,
Atari
Structures / 02:30 / 12-Ton-Folgen und Cluster mit extremen Zeitmaßen
/ Alesis Quadrasynth, Korg X3, Cubase Sequenzer, Atari
Triptychon / 08:00 / I) Verfremdungen von M. Walters "Jesu meine Freude"
per MIDI-Steuerung hinsichtlich des Klanges und der Zeitdauer bis hin zum
statischen Endklang, II) Flächen, Cluster, rapide Soundwechsel, III)
Verfremdung von Brahms' "Der Kranz" im Audio-Bereich mit Echo-Effekten
/ Alesis Quadrasynth, Cubase Sequenzer, Atari
• Perper Weyren-Meler
Piano/RM / 05:49 / Klavierimprovisation, mit Sequenzer aufgezeichnet,
erst unverändert, dann mit Ringmodulator und MIDI-gesteuerten Sinusoszillatoren
verfremdet / Yamaha PFP100, Ringmodulator (Eigenbau), Roland D70, Delight-Sequenzer,
Atari, DAT
Guitar/RM / 03:02 / Verzerrte Gitarren, mit Ringmodulator verfremdet,
Saitengeräusche, Schaltgeräusche, mit HD-Recording-System geschnitten
und rhythmisch neu montiert, unter Ausnutzung der komfortablen Schnitt-
und Fade-Funktionen / Carvin Custom Gitarre, Mesa/Boogie Triaxis, Peavy
ProFex II, Ringmodulator (Eigenbau), Soundscape HD-System, DAT
50's SciFi / 10:44 / beginnt eher konventionell (Berliner Schule),
sehr getragen, Streicherpads und extrem tief gestimmte Samples gehen in
Waldi-Chaos-Sequenzen mit MIDI- Steuerung (Cutoff, Resonanz, Wave, Detune)
über, die Microwave Sounds sind entfernte Derivate vom "50's SciFi"
Werkssound / Roland D70, Yamaha TG77, Waldorf Microwave, Delight-Sequenzer,
Atari, DAT
Marvin / 05:03 / mit Software extrahierte Sprachsequenzen bringen den
Wavetable-Synthesizer zu vocoderähnlicher Sprache, mit allen Möglichkeiten
der Wavetable-Manipulation, Übergang von Ordnung zu Chaos und umgekehrt,
arrangiert und abgemischt mit HD-Recording-System, Titel entstammt einer
Figur aus "The Hitchhiker's Guide to the Galaxy" von Douglas Adams / Wavedude
(Eigensoftware Atari), Delight-Sequenzer, Atari, Waldorf Microwave, DAT
Telekom / 04:18 / ein Anruf beim Telekom Servicecomputer gibt Samples,
die mit HD-Recording-System prozessiert (Timestretching, Pitchshifting,
Revers, 8-fach Parametrischer EQ) und nach einer graphischer Partitur arrangiert
wurden / Soundscape HD-Recording System, DAT
Ganzton / 04:45 / ausgehend von rhythmisch vertrackten Arpeggios über
eine Ganztonleiter wird langsam durch Austauschen vom Halbtönen ein
Schlußakkord erreicht, der friedlich verklingt, dann plötzlicher,
sehr dynamischer, geräuschhafter Schlußkluster, endet im Geräusch
einer defekten Vinylschallplatte / Yamaha PFP100 (Streicher), Yamaha TG77
(Bells, Gongs, Streicher, FM-Cluster, Record- Sound), Delight-Sequenzer,
Atari, DAT, geht über in Ganzton2
Ganzton2 / 03:01 / Samples (Abfallstücke aus Gitarrenproduktionen),
die mit HD-Recording-System prozessiert (Timestretching, Pitchshifting,
Revers, 8-fach Parametrischer EQ) HD-Recording System, DAT
Pension Schöller / 03:33 / Samples aus gleichnamigem Theaterstück
wurden in Echtzeit mit Ringmodulatoren verfremdet, auch mit subaudio Schwingungen,
als Modulator diente Roland D70 mit Rechteck und Sinusschwingungen, sowie
Echoeffekt / Ringmodulatoren (Eigenbau), DAT
Talking Drums / 04:44 / eine Schlaginstrumentenkomposition wurde mit
Sequenzer aufgezeichnet, anschließend mit Ringmodulator und MIDI-gesteuerten
Sinusoszillatoren sowie Sprachaufnahmen verfremdet, die Trommeln scheinen
zu sprechen / Roland D70, Ringmodulator (Eigenbau), Galactic-Sampler, Delight-Sequenzer,
Atari, DAT
GitMix / 02:33 / eine konventionelle Gitarrenaufnahme, mehrfache Ringmodulation
in Echtzeit mit Sinustönen und mit sich selbst verfremdet Klangstruktur
und Rhythmik extrem / Ringmodulator (Eigenbau), Roland D70, DAT
Kiethe / 05:06 / angeregt durch Peter Kiethe's "FM-Punkte", sehr perkussiv
mit großen Ruhestellen, vorwiegend mit FM-Klängen, zusätzlich
mit Filterklängen, mit Sequenzer auf 8 Tracks eingespielt, nachträglich
mit weiterer MIDI-Steuerung versehen / Yamaha TG77, Waldorf Microwave,
Delight-Sequenzer, Atari, DAT
Gangsta / 02:48 / ausgehend von einer monotonen Rhythmusspur im Rap-Stil
(Modern School), rhythmische und klangliche Verfremdung durch Selbst-Ringmodulation
mit einer zeitverzögerten Kopie / Waldorf Microwave, Delight-Sequenzer,
Atari, Ringmodulator (Eigenbau), DAT
Waldi8 / 04:28 / eine Achtelfigur wird in 8 Spuren zerlegt, für
jedes Achtel eine mit eigenem Klang und MIDI-Steuerung von Parametern (Cutoff,
Resonanz, Wave, Volume), dadurch ständig neuer Klang und neuer Rhythmus,
Sequenzer-Temposteuerung / Waldorf Microwave, Delight-Sequenzer, Atari,
DAT
• Franz Martin Löhle
Steinhalle '96 / 29:20 (Ausschnitte) / Soundprozesse, die durch die
unterschiedlichsten elektronischen Klangmöglichkeiten bestimmt sind.
Vom konkreten Material (Sprache und allgemeine Audiosamples aus aller Welt)
- ohne und mit Veränderungen - bis zum rein synthetisch erzeugten
Sound, aleatorisch (entsprechend des Eintreffens der Klangereignisse) in
digitaler Mehrspurtechnik zusammengeführt und stereophon auf DAT gemastert
/ Waldorf MicroWave, Yamaha Yamaha TG77, Korg Wavestation A/D; Audio-Bearbeitungssoftware:
CoolEdit und SoundScape, Steuersoftware via GFA-BASIC Atari mit Breath-Controller
über DX11 kontrolliert, DAT Stereosignal mit RSP Circle Surround auf
6 Lautsprecher verteilt.
• Gerda Schneider
Pitchbend-TX81Z-1996 / 15:00 / die Rohklänge dieser Folge von 3
Stücken wurden mit einer Editorsoftware erstellt, dann MIDI-Pitch-Steuerung
der Operator-Frequenzen in sehr feiner Auflösung mittels einer speziell
für dieses Stück von der Autorin geschriebenen Software, zusätzliche
Frequenzmanipulationen durch Harmonizer-Effekt, räumliche Aufteilung
durch Vierkanalaufnahme mit MIDI-Steuerung / XPERT4 (Programm von F. M.
Löhle), Atari-Falcon, TX81Z, Alesis Quadraverb, Tascam-4-Kanal, Wiedergabe
mit RSP Circle Surround auf 6 Lautsprecher verteilt.
• Klaus Weinhold
Die Soundausstellung (die als Soundprozess abschnittsweise über
mehrere Stunden an den zwei Tagen zu hören war) bestand im wesentlichen
aus drei Teilbereichen:
1. Methamorphosen Emmendinger Ereignisse, Eigensamples der Bürgermeisterwahl
`96 sowie des Emmendinger Kultursommers `96.
2. Methamorphosen von Samples "klassischer" Werke: Debussy (Apres midi
d'un Faun), Beethoven (Eroica), J.S. Bach (Wohltemperiertes Klavier).
3. Rein synthetischen Klängen (FM/Additiv/Subtraktiv). Bei 1)
und 2) wurden z. T. drastische Veränderungen des Materials im Audio-Bereich
mittels Filterungen, Timestretching, Sample-Rate-Veränderungen , und
Raum-Klang- Verteilung vorgenommen. Bei 3) wurden per MIDI eingespielte
Improvisationen auf der MIDI-Ebene hinsichtlich Rhythmik, Tonhöhe
(1/4-Töne) usw. variiert / Kurzweil K2000 (Functions), Akai S1000
Sampler, Yamaha SY99, Roland JD990, Technics WSA (Physical Acoustik Modelling),
Dr. T's KCS-Sequenzer, Atari, die Wiedergabe erfolgte mit Tascam-8-Spur-Recorder
und acht Aktiv-Lautsprechern als oktophoner Raumklang
_______________
Im Namen des Vereins bedanke ich mich bei folgenden Personen:
H. Arnolds und P. Weyren-Meler für den Fahrdienst, M. Baumann, Firma Delta Musik, für
Stereo PA Anlage und Fahrdienst, M. Frings für Fahrdienst, F. M. Löhle
für Fahrdienst und Organisation, G. Schneider für Organisation
und K. Weinhold für Organisation, unermüdlichen Einsatz und zur
Verfügungstellung der Okto-Anlage mit Circle Surround.
↑
Karin und Oliver Stock
Ludger Brümmer: The Gates of H. (1993)
Intention: The Gates of H. (H. für engl. Hell = Hölle) verwendet
einen 120-Sekunden-Sample eines Volksliedes, das von einem bulgarischen
Frauenchor interpretiert wird. Durch "Auflegen" eines Algorithmus soll
eine Spannung zwischen Original und synthetischem Muster entstehen. Dabei
glaubt der Zuhörer zeitweise auf der Ebene des Ausgangsstückes
zu sein, zeitweise aber auch auf der Seite des Algorithmus oder beides
gleichzeitig. Das Ausgangsmaterial spielt die Rolle des bekannten Bezugspunktes,
der durch die Parameterkonstellationen des Algorithmus neu definiert wird.
Algorithmus: Die Idee ist, ein oder mehrere Parameter zwischen zwei
beweglichen Grenzen in unterschiedlicher Geschwindigkeit zu- oder abnehmen
zu lassen. Die resultierenden Werte beeinflussen dann bestimmte Charakteristika
des Volksliedes, wie zum Beispiel die Tonhöhe oder die Zeit. Der Beginn
des Stückes wurde erzeugt, indem der Tonhöhenwert des Klanges
auf und ab pendelt, der Zeitwert dagegen vorwärts und rückwärts.
Da die Geschwindigkeit, in der sich die Parameter ändern, im Verlauf
des Stückes ständig wechselt, entsteht eine eigene, neue, musikalische
Struktur. Diese zeigt kurze, klangliche Akzente (oft von extremer Lautstärke)
wie auch durchgehend dynamische und ansteigend dynamische Passagen.
Klang: Das entstehende Werk läßt sich verbal kaum zufriedenstellend
beschreiben. Es hat vorrangig keine Ähnlichkeit mehr mit dem Originalmaterial;
ohne Informationen über die Entstehungsart ergeben sich keine Assoziationen
zu einem Frauenchor. Andererseits lassen sich mit entsprechendem Hintergrundwissen
Klänge wahrnehmen, die den Hörer menschliche Stimmen vermuten
lassen, obwohl es nie wirklich menschlich klingt. Dies geschieht immer
dann, wenn die Dauer eines Parameterintervalls (also das Hin- und Herwandern
zwischen den variablen Grenzwerten) lang genug ist und die Tonhöhe
nicht extrem verändert wird.
Analyse: Über einem tiefen, düsteren Cluster (Darstellung
des Raumes) schießen spitze Blitze von rechts nach links im Stereoeffekt.
Dazu kommen immer wieder Ausschnitte des stark verfremdeten Frauenchors.
Durch Verzerrung werden die Stimmen mit langem Stöhnen und Seufzen
assoziiert. Der Hörer sucht nach wiederkehrenden Anhaltspunkten, welche
aber überraschend auftauchen, ohne sich organisch zu entwickeln .
Keine Stimmung hält länger an, zum "Durchatmen" bleibt keine
Zeit, nichts wird wirklich ausgelebt, sondern zusammenhanglos eingestreut.
Der Rezipient wird mit plötzlichen Attacken schockiert und gleichzeitig
durch die vielen auf ihn wirkenden Kleinstrukturen zum Mithören gezwungen.
Die Aufteilung in Vordergründiges und Hintergründiges schafft
Raum. Dramatische Steigerungen in Klangfülle und Lautstärke brechen
abrupt ab. Das Ein- und Ausblenden von vermeintlich tonalen Zentren erschwert
die Orientierung. Hörgewohnheiten und Erwartungen werden bewußt
durchbrochen. The Gates of H. hat keinen großen Spannungsbogen, sondern
viele kleine Kurven oder gar Zick-Zack-Sprünge, was einerseits auf
eine technisch angeordnete Aleatorik (Zufallsprinzip) zurückzuführen
ist, andererseits aber auch dem zugrundeliegenden Programm (die Tore der
Hölle) entspricht. Das Stück ist die Summe einer Collage von
Stimmungen und vieler kleiner Entwicklungen. Es vereint Programmusik mit
Feldkomposition und Filmmusik.
Meinung: Daß tatsächlich nur gewohnte Klänge die Grundlage
für dieses äußerst befremdende (aber faszinierende) Stück
bildeten, ist für mich das Erstaunlichste. Der Gesang einer bulgarischen
Frauengruppe als Stoff für einen Horrorstreifen. Ob jedoch gerade
dieses Ausgangsmaterial nötig war, um solche Klänge zu generieren,
bleibt für mich fragwürdig. Ein gewisser Reiz lag wohl auch darin,
die Stimmung der Quelldatei in ihr Gegenteil zu verkehren. Ludger Brümmer
zieht selbst einen Vergleich mit der visuellen Ebene: ein schon existierendes
Bild wird mit Hilfe von Masken oder Filtern zu etwas völlig Neuem
verformt. Was beim Bild Ort und Farbe ist, ist beim Klang Zeit und Tonhöhe.
Ludger Brümmer: Deutscher, geboren 1958, Studium der Psychologie/Soziologie,
weiterführende Studien in Musik und Kunst, Kompositionsstudium bei
Nicolaus A. Huber (instrumentale Komposition) und Dirk Reith (elektronische
Komposition), 1990 Musikdirektor am Theater in Bruchsal, Technischer Direktor
und Workshopleiter beim Kamener Musikforum, Stipendium am Center for Computer
Research in Music and Acoustics an der Stanford University California.
Zur Zeit Lehrbeauftragter am elektronischen Studio der Folkwanghochschule
Essen.
____________
Quellen:
Buch zur "Ars Electronica 94" (Seite 138-139)
Ludger
Brümmer Homepage (http://www.folkwang.uni-essen.de/~ludi/)
Karin Stock ist Diplom Musiklehrerin Trompete
Oliver Stock ist [1997] Student der Digitalen Medien an der Fachhochschule
in Furtwangen
↑
Dr. Joseph Mundigl
Simba hin, Simba her - ohne Simba geht's nicht mehr?!
Simba ist ein Modul, das an stromdurchflossene Leiter geklemmt wird.
Es sieht einer Wäscheklammer durchaus ähnlich. Daß aber
Simba nichts mit einer Wäscheklammer zu tun hat, merkt man spätestens
bei der Lektüre der Gebrauchsanleitung, die mit weit über einer
DIN-A4-Seite dafür viel zu lang ist. Hier werden gezielte und höchst
brauchbare Ratschläge gegeben.
An der Stelle, die am Kabel anliegt, ist ein kleines Quadrätchen,
der Prozessor, zu erkennen. Dessen Aufgabe ist es, in Leitern fließenden
Ströme wie Netzspannung, NF-Tonsignale, Signale aus Tonabnehmersystemen,
Digitalwandlern u.a, so zu optimieren, daß ideale Schwingungsformen
entstehen, was sich - vorausgesetzt, das funktioniert - auf das Klangbild
auswirken muß. Ob das nun eine Optimierung des Leiters in Bezug auf
den Stromfluß ist, oder eine Korrektur der Schwingung selbst, soll
hier nicht Gegenstand der Diskussion sein, sondern allein das Ergebnis
an sich.
Grundlage des Simba ist das Zusammenwirken handfester physikalischer
Gesetze. Dr. Faustig, Chef des Herstellers MaxiDynamics, erklärt die
Zusammenhänge schlüssig in seinem Artikel Funktionsweise des
in Simba eingebauten Prozessors.
Wenn jemand von Voodoo, Hexerei, Zauberei, übersinnlichen Phänomenen
etc. spricht, ist davon auszugehen, daß er diese Erklärung nicht
kennt. Die Beschreibung gipfelt in dem Satz:
Der MaxiDynamics Transputer stabilisiert materialspezifische Grundfrequenzen,
unabhängig von der Signalstärke und -form. Dadurch werden bei
jedem hochfrequenten elektromagnetischen Schwingungsvorgang Störanteile
im Nutzsignal minimiert. Jeder einzelne Schwingungsvorgang führt zu
einer weiteren Optimierung.
(Text erhältlich in Deutschland bei Connect Audio, Langhecker Weg
26, D-65520 Bad Camberg, und für Österreich und Schweiz ist MD
Akustik, Ismaninger Str. 35, D-85609 Aschheim, zuständig).
Durch diese permanente Selbstkorrektur des Systems wird aus jedem Kabel
trotz ständig wechselnder Frequenzen ein abgestimmter Schwingkreis,
der es so verändert, wie es unter idealen "materiellen" Bedingungen
aussehen würde, wenn alle negativen physikalischen Parameter korrigiert
wären. Das Nutzsignal kommt stärker an, und Nebensignale, welche
nicht in Phase mit diesem sind, stören nicht mehr.
Also: Reine Elementarphysik ist im Spiel, deren Wirkung berechenbar
ist und die mathematisch beschrieben werden kann.
Aber: Wenn jemand auf seiner Geige musiziert, seine Savinelli-Pfeife
raucht, stellt er sich nicht zwangsläufig die Frage nach der Physik
des Genusses, sondern er vergißt in der Regel bei der "Interpretation"
des Genusses die innerstrukturellen, molekularen, atomaren, physikalischen,
chemischen, temperaturbedingten und bei welcher Höhe über dem
Meer entstehenden Relevanzen für die Ursachen der Sinneseindrücke
- und auch deren Preis.
Faustig hat möglicherweise versucht, ein temperiertes physikalisch-musikalisches
System in Bezug auf das akustische Rezeptionsorgan des Menschen zu finden.
Er hat möglicherweise in Bezug auf das Hörorgan das gemacht,
was mit der temperierten Stimmung in Bezug auf die Tonalität erreicht
worden ist. Und wenn wir bei diesem Vergleich bleiben, mag es eine Unzahl
von Komponisten ihrer Zeit gegeben haben, die sich nicht mit der temperierten
Stimmung haben anfreunden können.
Wenn man sich die Problematik heute ansieht, ist zumindest im Zusammenspiel
zwischen akustischen und elektronischen Musikinstrumenten eine stimmungsbedingte
Diskrepanz zu finden zwischen der temperierten Stimmung eines Konzertflügels,
den temperierten Rückungen auf einem Streichinstrument und der reinen
Stimmung eines Yamaha TX-802 FM-Tone-Generators, was dann Leute wie Werner
und Herwig Mohrlok mit ihrem hmt-System "Harmonic Pure Tuning in Realtime"
auf den Plan ruft, oder Volker Abel & Peter Reiss mit "Mutabor II"
(Ein computergesteuertes Musikinstrument zum Experimentieren mit Stimmungslogiken
und Mikrotönen).
Kann man vom gedanklichen Ansatz her Faustig in diese Reihe einbinden,
wenn man bedenkt, daß er sich nicht mit musiktheoretischen Stimmungsfragen
befaßt, sondern viele Ebenen tiefer mit deren akustischer Umsetzung,
sozusagen noch ein Stück näher an der klingenden Welle ist, an
der Schwingungsform, an den Gesetzen von Fourier, weniger am mathematischen
Ansatz des pythagoräischen Monochords, weniger an der Frequenz, sondern
mehr an der makellosen Portierung komplexer, dynamisierter Schwingungsabläufe
zum Hörer, obwohl deren (bio)physikalisches Zusammenwirken auch von
den Hirnforschern derzeit nicht restlos erklärbar ist? "Die Physik"
ist immer noch ungenauer als unser Gehör, sonst wäre die Sache
mit der Röhre und dem Transistor nicht passiert.
Nun ist es MaxiDynamics in der Tat gelungen, durch die Einrichtung eines
präzise kalkulierten Systems von Induktivitäten und Kapazitäten
einen Prozessor zu bauen, der einerseits seine Betriebsenergie von den
im Kabel durchfließenden Strömen durch Induktion abzweigt, um
negative äußere Einflüsse zu vermeiden, und gleichzeitig
Materialeinflüsse in Bezug auf das Musiksignal korrigiert. Abwegig
ist der Ansatz keinesfalls, denn andere kennen die Problematik auch und
reagieren mit anderen Methoden darauf. Man kann das Terminierung oder Material-Temperierung
nennen.
Es ist für jeden Musiker absolut einleuchtend, daß ein Audiosystem
bei der Benutzung durch Simba immer "besser" wird, wenn Simba tatsächlich
"den Nerv trifft". Eine Geige, die nicht gespielt wird, stirbt klanglich.
Und Pianisten können ihre Instrumente klanglich in den Himmel heben,
wenn sie gut sind. Sie können aber das Instrument durch "Holzerei"
derart ruinieren, klanglich verunstalten, daß es in kurzer Zeit unbrauchbar
ist. Wer kann das messen? Im Prinzip macht ein guter Musiker nichts anderes
als Simba: Er trimmt laufend, ununterbrochen sein Instrument auf höchste
Klangfähigkeit und es ist mehr als natürlich, daß ein so
"behandeltes" Instrument die Intention seines Spielers besser herüberbringt
als ein beispielsweise fabrikneues Instrument, das eine derartige Erziehung
noch vor sich hat. Und das trägt doch wesentlich dazu bei, daß
der Hörer die "Botschaft" versteht. Darum karrt jeder Pianist, der
etwas auf sich hält, sein Instrument mit sich herum.
In einem Orchester stellt jeder Spieler für sich in Verbindung
mit seinem Instrument einen kybernetischen Regelkreis dar, was Faustig
ja ganz ähnlich mit Simba in Bezug auf den stromdurchflossenen Leiter
erreichen will: Regelkreise aufbauen, mehrere, aus Induktivitäten
und Kapazitäten. Und nun können Sie gedanklich durchspielen,
was passiert, wenn man einem Orchester wie z. B. den Berliner Philharmonikern
die Instrumente wegnehmen und anstelle der alten völlig fabrikneue,
also unbekannte geben würde - allerbeste Ware vorausgesetzt. Es würde
ein Chaos entstehen. Ein ähnliches Chaos, prinzipiell vergleichbar,
kann in Ihrer Wiedergabekette entstehen, wenn Sie Teile auswechseln, ohne
Ihre Ohren mit dabei zu haben. In beiden Fällen geht es darum, daß
das Klangbild Informationen vermissen läßt, weil das Klangbild
zerrüttet ist. Die musikalische Aussage ist - wie Musiker das nennen
- "nicht geschlossen"!
Und wieder sind wir inmitten der Musiktheorie, weil wir erkennen müssen,
daß die Arbeit von Faustig etwas mit dem Streben nach Faßlichkeit
zu tun hat, nämlich dem geistigen Begreifen einer musikalischen Idee,
einer Realität gewordenen Aussage in der Form von planmäßig
organisiertem Schall und dessen optimaler Darstellung zum verstandesmäßigen
Erfassen durch den Hörer. Wir müssen diesen Begriff "Faßlichkeit"
bemühen, obwohl er mindestens seit Anton Webern besetzt ist. Und wieder
entdecken wir Parallelen. Diesmal bei Webern und Faustig. Beide bemühen
sich die Faßlichkeit zu erhöhen, Webern durch äußerste
kompositorische Disziplin und Strenge, Faustig durch das Passfähigmachen
(von passen, anpassen) einer Struktur zur Rezeption für das Hörorgan.
Und da ist eben der Unterschied zwischen Korrektheit der Darstellung und
Schönfärberei, weil die Korrektheit die Interpretation herüberbringt
und Schönfärberei einen Klanglack, eine Patina aufsetzt, die
der Interpretation auch abträglich sein kann, ja regelrecht gegen
diese steht. Und wer "Sound" hören will, hat mit der Wahrheit meist
wenig im Sinn.
Die rechte Abbildung der Peripherie, also aller Parameter, die zum "Umfeld"
eines Klanges gehören, ist genauso wichtig, wie die rechte Abbildung
des Klanges selbst. Niemand bekommt einen Eindruck von einem 100-Meter-Lauf,
wenn nur ein einzelner Läufer betrachtet wird. Dann sieht man lediglich,
daß da einer läuft. Nicht einmal die Geschwindigkeit wird ohne
Gesamtabbildung deutlich. Diese Gucklochperspektive wird nicht selten auf
einzelne musikalische Parameter bezogen: - und hören Sie die Pauke,
- und hören Sie diesen Orgelbaß, das ist der "Dom de Cologne",
besser als das Original, das kriegt das Original nie hin, wahnsinnig fett
der "Dom de Cologne", - und hören sie wie knackig rund, ... man denkt,
der will die Monroe verkaufen.
Simba arbeitet offenbar mit kleinsten physikalischen Größen,
die Mohrloks tun das auch in Bezug auf die Tonalität(en), Stimmungen.
Mohrlok arbeitet obendrein in seinen Tonrückungen scheinbar völlig
subjektiv, also, wie ER das hört ist entscheidend, und ER selbst bestimmt
das Maß der tonalen Rückungen, Korrekturen der reinen Stimmung,
und nicht ein Karajan oder Stockhausen. Karajan war ja auch kein Instrumentalist,
sondern hatte als Dirigent eine globalere Sicht der Dinge. Wie ER (Mohrlock)
das hört, ist das Maß der Korrektur, und nicht wie Theodor XY
und viele andere das hören würden.
Bei Simba hingegen ist es die Schwingung selbst, die die Korrektur veranlaßt,
und das ist ein höchst natürlicher Vorgang einer regelrechten
spektralen Katharsis, bei der sich der Klang fortwährend, gleichsam,
als ob er von seiner Bestform wissen würde und sich an die Referenz
anpassen könnte, selbst "profiliert". Simba hält der Schwingung
einen "Spiegel" vor. Und so ein Spiegel ist an sich ein recht einfacher
Apparat und kann soviel leisten. Man braucht ihn sich nur einmal wegdenken!
Geht das überhaupt, seit Carl Gustav Jung bei den Archetypen vom Wasser
schrieb? Auch ist man unwillkürlich an Dr. Bach erinnert, wenn sich
auch ein Vergleich von der Sache her verbietet. Warum funktioniert das
mit den Bach-Blüten bei vielen Menschen? Da wird eine Information
verspeist, und die Information gibt Anstöße zu Korrekturen,
sagt Dr. Bach. Aber Simba ist da weit konkreter, der Mathematik und Physik
näher, weil Schwingkreise allemal berechenbar sind.
Zurück zu den Klängen, weg von der Tonalität, damit keine
Mißverständnisse entstehen. Die Anleihen bei der Tonalität
waren ja nur eine logistische Brücke.
Ist es überhaupt zulässig, verantwortlich, zu behaupten, daß
man akustisch einen Stein der Weisen gefunden habe, wenigstens einen kleinen,
wo es doch so viele verschiedene Ohrkurven gibt? Wer um Gottes Willen kann
schon sagen, wie der andere hört, wobei es egal ist, wie "musikalisch"
der "andere" ist?
Die Antwort ist leicht zu finden: Bach hat Silbermann vertraut, und
Horowitz hat Steinway vertraut. Vertrauen wir einmal den Aussagen von Dr.
Faustig! Die Entscheidung müssen wir sowieso fällen. Und wer
in dieser Sache von Hexerei spricht, hat die Aufklärung noch vor sich.
Ist da Grundlagenforschung im Gange, die den Nichtwissenden suspekt ist?
Wer Dr. Faustig von MaxiDynamics kennt, weiß, daß er ein so
fulminantes Detailwissen - auch im musikalischen Bereich - hat, daß
solche Gedanken auf den Dilletantismus des Urhebers zurückverweisen.
Dennoch bleiben eine Menge Fragezeichen stehen, die aber im individuellen
Hörvorgang durchaus zu Ausrufezeichen werden können.
Man wirft Faustig vor, "er sagt nicht, was da drin ist". Erstens erklärt
er die Funktionsweise genau, und zweitens hat er ein Recht auf Selbstschutz
- wie Sie auch. Mit der Offenbarung von Dingen ist das so eine Sache. Jeder,
der glaubte mehr zu wissen als andere, hat darauf aufgepaßt. Paganini
gab die Orchesterstimmen erst kurz vor seinem Auftritt heraus. Warum auch
sollte nun MaxiDynamics anders handeln, wo doch die Wirkungsweise klar
erklärt wird? Und wer kann schon definitiv mit Recht sagen, daß
Simba seinen Preis nicht wert ist, solange andere Klingeldraht an der richtigen
Stelle auch sehr hoch einzuschätzen wissen? Bei den Sängern schwört
der eine auf Lourdes-Wasser, und der andere auf Ochsenblut. Basta!
Nehmen wir an, die Qualität einer Wiedergabekette ließe sich
auf einer Sinuslinie darstellen. Die Linie fängt bei 0 an, steigt
im ersten Quartal zu einem Maximum (+1), fällt im zweiten wieder gegen
0, im dritten Quartal bewegt sie sich im negativen Bereich auf ein Minimum
(-1), um dann im vierten Quartal wieder von dort gegen 0 zu streben. Das
ist also der Durchlauf einer Periodizität.
Und nun stellen wir uns vor, der Simba macht irgendetwas, ganz egal
was, das die "Klanglichkeit" einer Kette verändert. Wir rücken
also auf unserer Sinuslinie beispielhaft (also symbolisch) 4 mm vor, oder
4 mm zurück. Dann kommt es doch darauf an, wo, in welchem Quartal
die "Klanglichkeit" der Gesamtkette liegt, wie sich die Änderung auswirkt.
Dann ist es ein Unterschied, ob der Verschiebungsprozess bei +1, dem positiven
Maximum, um 0, dem Nulldurchgang, oder bei -1, dem negativen Minimum stattfindet,
denn bei +1 haben wir allemal eine Verschlechterung und bei -1 allemal
eine Verbesserung. Natürlich wird der Simba nicht +/- 4 mm gleichzeitig
machen, das wäre qualitativer Stillstand und schon in der Diskussion
unsinnig.
Wir haben klangliche Veränderungen, ja massive Veränderungen
festgestellt. Eine Gruppe von 10 Personen bekam pro Person einen Simba
über 3 Wochen. Aus der Erfahrung mit diesen Personen - die Qualität
ihrer Anlagen wird nicht diskutiert, weil alle Aussagen hier subjektiv
sein müssen - kann man Schlüsse ziehen. Es geht also nicht darum,
ob die Klanglichkeit "absolut" richtig oder falsch ist, sondern, ob "absolut"
Veränderung, also Verbesserung oder Verschlechterung eines individuellen
Hörkriteriums eintritt. Denn eine Wirkung an einer bestimmten Stelle
in der Kette kann bei Person A eine Verschlechterung, bei Person B eine
Verbesserung sein. Denken Sie an die Sinuslinie.
Die Ergebnisse reichten von Verschlechterungen bis zu dramatischen Verbesserungen,
wobei letztere wohl nur mit drastischen finanziellen Maßnahmen erreichbar
wären. Parallelen zu manch bösartiger Presseäußerung
gab es im Test auch: "Dr. Faustig gehört hinter Gitter", "Teufelszeug,
wer weiß, was das im Haus anrichtet, ich bin froh, daß der
Simba weg ist". Dazu kein Kommentar, auch nicht zur Fähigkeit der
Testenden, optimale Einsatzpunkte des Simba trotz klarer Bedienunganleitung
zu finden, und zur inneren "Stimmigkeit" der Anlageketten. Bekanntlich
klingen viele Anlagen in einzelnen Bereichen gut, was durch Kompensation
von Fehlern erklärlich ist. Wenn eine Verschlechterung durch den Einsatz
von Simba entsteht, dann vermutlich deshalb, weil "Wahrheit" diese Unstimmigkeit
aufdeckt.
Anzumerken ist auch, daß die Wirkung des Simba über Laufzeit
stetig steigt. MaxiDynamics sagt, daß die erste, sehr spürbare
Veränderung binnen zehn Sekunden entsteht, und diese nur etwa 30%
der über Laufzeit erreichbaren Verbesserung entspricht. Das bedeutet
für den Vergleich in der Praxis, sich zwei identische Ketten hinzustellen:
eine unbehandelte, und eine mit Simbas ausgestattete. Der Hörer möge
entscheiden.
Nun muß aber das physikalische Ideal nicht zwingend das physiologisch
optimale sein. Der Vorteil des Simbas liegt auch darin, daß man ihn
durch Verschieben und Drehen auf und um den Leiter an das persönliche
Empfinden bzw. die Anlage anpassen kann, und daß man zwei Simbas
an verschiedenen Stellen gegeneinander abstimmten kann. Wenn dabei Sorglosigkeit
waltet, sollte man lieber seine Finger da von Simba lassen, dann ist man
dafür der falsche Typ. Das Wissen um die Kunst der Verfeinerung sollte
man schon prinzipiell intus haben, wenn man sich mit Rotwein, Pfeife, HiFi
und anderen schönen, liebenswerten Dingen befaßt, denn die Kunst
der Verfeinerung erst führt zur Perfektion auch der Empfindung, was
das individuell auch immer sein mag.
Freilich lehrt die Erfahrung, daß die "Optimierung" nur für
den einen "Fall" gilt. Das heißt: Unter den definierten, gewählten
Bedingungen gilt diese Einstellung nur für den einen Fall, z. B. die
CD "deutsche harmonia mundi RD77867" und allenfalls nur ein paar Verwandte.
Das ist das fürchterliche Dilemma aller HiFidelei. Und das ist auch
ein Grund dafür, warum im Zweifelsfall eine abschaltbare Klangregelung
sehr sinnvoll ist, auch wenn diese das physikalische Ideal stört,
dann lassen sich Einstellungen, Korrekturen auf andere Tonträger portieren,
anwenden, ohne daß die gesamte Konfiguration geändert werden
muß und wegen Unverträglichkeitsgründen Systemzweifel bekommt,
obwohl dieses den meisten Anforderungen genügt. Mit dem Simba betrieben
vergrößert sich der effektive Nutzungsbereich einer HiFi-Konfiguration
erheblich. Der Reproduktionshorizont wird deutlich erweitert - und damit
das Repertoire der Tonträger.
Unter den Tonmeistern, die für eine Schallaufzeichnung verantwortlich
sind, sollte nach Kenntnis dieser Fakten eine Diskussion stattfinden, wie
man eine komplette Studioeinrichtung so designen kann, daß diese
für bestimmte Aufnahmezwecke optimiert wird, zumal Testklammern problemlos
zu bekommen sind.
Prozessoren, die eine Vitalisierung, also eine Verfälschung des
Instrumentenklangs im Aufnahmeprozess und bei der Bearbeitung bewirken
sollen, werden sich überlebt haben, wenn es eines Tages möglich
wird, Musikinstrumente selbst mit den - sagen wir es so vorsichtig wie
möglich und auch nötig - simbaimmanenten Korrekturprozessen zu
versehen, denn Instrumentenbauer wissen wohl um die Schwachstellen z. B.
einer Geige, einer Trompete, weil auch diese ihre generativen Tücken
haben können, sonst gäbe es nicht gute und weniger gute Instrumente.
Bei MaxiDynamics denkt man schon recht konkret darüber nach.
Festzuhalten ist, daß die Zahl der Verbesserungen durch Simba
weit größer war als die der Verschlechterungen, was der oben
angestellten Kurvendiskussion widerspricht, aber das mag Zufall sein. Erstaunlich
auch, wie miserabel manch selbsternannter Oberhighfidelist hört, auch
berufsbedingt. Zahnärzte/techniker und Glasschleifer z. B. können
gute Anlagen haben, aber sie hören schlecht (hohe Bohrfrequenzen schädigen
Gehör!). Und manche HiFi-Händler mit dem obligatorisch fixierten
Lehrer-Lämpel-Finger lagen in ihrer Klangästhetik so daneben,
daß man ihnen umgehend ein Abonnement für einen guten Platz
in der fünften Reihe wünschte. Die nehmen glatt Katzen- statt
Hasenbraten. Warum holen sich wohlhabende High-End-Seller ihre Verkäufer
nicht aus dem Konservatorium???
Realiter besteht nämlich das Dilemma der maßstäblichen
Hörkriterien darin, daß ein professionell ausgebildeter Instrumentalist
beim Hören auf der Reproduktion ganz anderer Nuancen besteht, als
ein Dilletant, der einen Konzertflügel nicht einmal von innen kennt
und Rezeption allenfalls als Spaßfaktor auf der Suche nach "Sound"
betrachtet. Zwischen beiden fängt die Diskussion erst gar nicht an,
weil sie verschiedenes Vokabular und verschiedene Bewertungskriterien haben.
Babylonische Zustände sind folglich vorprogrammiert. Wenn man längere
Zeit mit mehreren Simbas verbracht hat kommt man zu der Überzeugung,
daß ein Instrumentalist, also ein Mensch, der täglich stundenlang
an seinem Instrument arbeitet, mit einem Simba weit mehr anfangen kann
als jemand, der nur noch eine weitere "Verbesserung" seines Klangbildes
sucht. Verbesserung, aber wohin? Viele "High-Endler" sollen nachweislich
zur Entscheidungsfindung fast nur Testtonträger mit spektakulären
Schallaufzeichnungen abspielen; man kann es nur sprachlos zur Kenntnis
nehmen.
Was der Simba gewiß kann, wenn er an der/den richtigen Stelle(n)
sitzt: Die Interpretation enorm herüberbringen, Details geradezu plastisch
herausarbeiten, den Hörraum sowie Instrumente und Stimmen realistisch
abbilden. Ist die Angelegenheit in sich stimmig, rastet der Hörer
regelrecht ein. Und die Prozesse, die bei diesem Einrasten eine Rolle spielen,
kann man weder eruieren, noch begründen. Es muß stattfinden,
dann weiß man, das es so etwas gibt. Für mich bedeutet der Simba
ein gutes Stück Konzertsaalnähe. Es gibt gute und schlechte Säle
und Interpreten, aber die Nähe zum realiter erzeugten Schall ist allen
Konzertbesuchern gleich, egal, ob der da vorne danebenhaut oder nicht.
Zwar höre ich fast ausschließlich (nachts) über Kopfhörer
(Grado Signature HP 1, Jecklin Float, AKG K 1000), aber nach dem Hören
mit Simba habe ich oft gedacht: Wenn die Wirklichkeit so schön ist,
kann man Musikfreunde verstehen, die zu Hause mit ihren herkömmlichen
Anlagen kein HiFi hören möchten, und deshalb die Mühe des
Konzertbesuchs auf sich nehmen.
Ich wundere mich nach dem Einsatz von Simba, wieviel Information auf
einem guten Tonträger ist und normalerweise auf dem Weg zum Hörer
unterschlagen wird. Ist es die Optimierung der Anlage, oder doch vielleicht
eine Anpassung an das menschliche Rezeptionssystem, oder eine Kombination
aus beidem? Die Wirkung ist jedenfalls so, wie man sich das Ausbessern
eines genetischen Defekts vorstellt - und vielleicht ist der Vergleich
gar nicht so abwegig? Es geht also nicht so sehr darum, daß Instrumente
"besser" klingen (dafür gibt es keine überprüfbaren Kriterien!
"Besser" kann auch "falscher" sein), sondern daß man die Interpretation
"richtiger" (gerechter) hört. Die Begeisterung des Interpreten für
sein Werk wird glaubhafter und somit gewinnen Komponist und Interpret durch
Überzeugung an Format. (11.96)
↑
Astyanax Retriever
Pawlows Hunde
Unsere (und nicht nur unsere) Elektronische Musik stößt auf
Rezeptionsprobleme bei den Hörern und Medien. Oder präziser:
diese haben ein Problem mit EM.
Woran liegt das?
Die einfachste Antwort ist: Das hat im allgemeinen die Produzenten gar
nicht zu interessieren, im besonderen gehen wir unseren Weg so oder so!
Wenn sich in der Vergangenheit die Musikschaffenden immer um die öffentliche
Meinung oder gar um die Meinung der ausführenden Orchester gekümmert
hätten (so vorgeschlagen in [1]), wo wäre die Musik dann heute?
Welche Argumente werden gegen unsere EM vorgebracht?
Manche Profis der EM lehnen unsere Produktionen a priori wegen angeblich
"nicht professionellen" Ausrüstung ab. Merkwürdig, daß
man genau diese "unprofessionellen" Geräte in 90% aller professionellen
Studios auf der Welt findet, auch gerade da, wo Zeit Geld ist. Es wird
auch bei uns heute mit Hard-Disk-Recording in CD-Qualität produziert.
Damit ist dieser Einwand wohl erledigt.
Weiter ist eine Kritik an den Produktionsmitteln generell unberechtigt,
als daß diese wenig Einfluß auf die Qualität der zu realisierenden
Idee haben. Selbst aus einem GM-Expander lassen sich noch verwertbare Klänge
herausholen, wenn man unkonventionell denken kann, und auch MIDI ist nicht
so schlecht wie sein Ruf, jedenfalls wenn man alle Möglichkeiten nutzt,
auch die weniger bekannten. Die Hersteller dieser preiswerten Geräte
und dieser Standards haben natürlich keinesfalls die neutönenden
Elektronen-Musiker als Zielgruppe, sondern die viel zahlreicheren
Popmusiker (darunter übrigens auch die Pop-Profi-Elite). Ab einem
gewissen Grad der Flexibilität der Geräte ist aber eine weitgehende
Parametrisierung und damit Programmierbarkeit glücklicherweise zwingend
notwendig (der TG77 hat ca. 1000 solcher Sys-Ex-Parameter). Und damit leben
wir sehr gut. Man muß also keinesfalls das neueste und modernste,
möglicherweise speziell angefertigte Equipment besitzen, um originelle
Werke zu erzeugen. Nebenbei gesagt, eine exotische Ausrüstung ist
aus der Sicht der Systempflege, Zukunftssicherheit und Wartung eher fragwürdig.
Meinen Atari oder IBM-Kompatiblen kann ich als Massenprodukt auch in Zukunft
warten, aber wie sieht es z. B. mit einem NEXT aus? Nicht das neueste
und teuerste Gerät ist relevant, sondern der professionelle Umgang
mit den Werkzeugen. Lerne das, was Du hast, in- und auswendig kennen, jeden
einzelnen Teil davon, theoretisch und praktisch. Und dann lerne alle Kombinationen
der Teile kennen und beherrschen. Und erst wenn das wirklich nicht mehr
ausreicht, dann gehe hin und kaufe Neues. Es kommt ganz wesentlich auf
das Know-How an.
EM läßt man oft nicht als individuelle Leistung gelten, da
sie ja "mit Leichtigkeit" - also mühelos und ohne persönlichen
Einsatz - von Maschinen hervorgebracht sei. Das ist Unsinn. EM fällt
einem nicht in den Schoß. Nichts geht auf Knopfdruck, wie viele Zeitgenossen
fälschlicherweise immer noch meinen. Es ist keinesfalls einfach, die
Theorie z. B. der linearen Systeme oder der Phasenmodulation ist - auch
in der "volkstümlichen Ausgabe"- nicht gerade trivial, aber ihre Kenntnis
ist notwendig. Das zeigen die z.T. erschreckend falschen und oberflächlichen
Abhandlungen in Musikerzeitschriften und Büchern. Was soll aus einem
Musiker werden, der ständig einen Helfer um sich für die Handhabung
der Technik benötigt? Welchen hemmenden Einfluß hat dieses Unwissen
auf die musikalische Phantasie? Welche Frustration baut sich da auf? Vielleicht
muß man weniger stupide manuell üben, aber man muß sicherlich
mehr wissen, als bei konventioneller Musik. Es wird einem also gerade in
der EM nicht leicht gemacht.
Wir haben allesamt nicht klassische Komposition bei einem berühmten
Professor studiert. Aber dieser Einwand ist merkwürdig, was sollte
uns das bei der EM unserer Art nützen? Wir wollen uns doch gerade
von der Tradition (er)lösen! Mathematisch-physikalische Grundkenntnisse
sind da weit nötiger. Und vor allem ein nichtverschultes, offenes
Ohr, das die Klänge unserer Welt vorurteilsfrei und nuanciert aufnehmen
kann und nicht gleich in fragwürdige Kategorien unterteilt oder schlicht
und einfach überhört.
Nein, das alles sind nur Ausflüchte, das gibt letztlich keine Antwort
auf die anfangs genannte Frage. Der Grund liegt in den Rezipienten selbst:
Herr Prof. Pawlow (1849-1936, Prof. für Pharmakologie und Physiologie,
1904 Nobelpreis) kann uns da weiterhelfen. Dieser Forscher hat u.A. dieses
Experiment durchgeführt: Hunde bekamen vor der Fütterung ein
akustisches Signal. Durch ständige Wiederholung wurde dieses Reizschema
zur Konditionierung. Kaum erklingt das Signal, schon läuft den Hunden
das Wasser im Maul zusammen, ja weiter noch: Pawlow konnte - in wahrscheinlich
ethisch verwerflichen Experimenten - zeigen, daß der ganze Verdauungskanal
auf Futter eingestellt war, und alles nur durch ein Signal ohne jeden natürlichen
Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme. Das ist also Konditionierung: Auf
einen Reiz hin ergeben sich festgelegte Reaktionsmuster, ein bedingter
Reflex. So weit ist der Mensch nicht vom Tier entfernt, als daß diese
Erkenntnis nicht auch für ihn gelten würde. Wir nennen das dann
"Prägung", "Erziehung", oder vornehmer "Sozialisation". Und tatsächlich,
wir alle werden von Kindesbeinen an geprägt. Wie wir uns kleiden,
was wir essen, unser ganzes Leben ist festgelegt. Andere Kulturen kleiden
sich anders (vielleicht sogar überhaupt nicht, wir sind aber auf Scham
geprägt), essen anders (Insekten sind sehr nahrhaft, wir sind dagegen
auf Ekel geprägt), usw.
Der Mensch ist eben gar nicht so frei, wie er immer denkt.
Prägung gibt es auch gerade in musikalischer Hinsicht. Das beginnt
spätestens im Kindergarten. Wer dort falsch singt, wird sanft gemahnt
oder mild belächelt, eine Form subtiler Bestrafung. So werden die
Stufen der ionischen Tonleiter eingeübt, bis sie zum Inbegriff der
Musik werden. Schon verwandte Skalen oder Modi kommen uns dagegen sehr
fremdartig vor. Musik dringt offenbar bis in die tiefsten Schichten unseres
Unterbewußtseins, das macht sich die Propaganda, aber auch die Musiktherapie
zu Nutze. Was Wunder, daß die musikalische Prägung derart dauerhaft
und hartnäckig ist. Solchermaßen "geschulte" Ohren sind dann
nicht mehr in der Lage, etwas außerhalb des Systems wahrzunehmen,
etwa "ethnische" Skalen - man beachte die etwas herabsetzende Bezeichnung
außereuropäischer Musik - , was zu abstrusen Konstruktionen
wie den berüchtigten "zwei Terzen" im Blues führte: Ein Tonleiterton
außerhalb der gewöhnlichen Skala war undenkbar, daher deutete
man diesen gleichzeitig als kleine und als große Terz, und machte
so aus einem Ton zwei.
Viele Besucher folgen ohne weiteres der Logik unserer Argumentation:
Keppler hat den Menschen aus dem Zentrum des Kosmos "geworfen", Riemann
zeigte, daß die "natürliche" Euklidische Geometrie nur eine
Variante unter möglichen Geometrien ist, freilich eine sehr naheliegende
und bequeme. Darwin zeigte uns unsere tatsächliche biologische Abstammung.
Bohr, Schrödinger und Heisenberg ersetzten die Kausalität durch
Statistik, Einstein zerstörte die Illusion von einem absoluten Raum
und einer absoluten Zeit. Hubble hat uns schließlich gezeigt, daß
wir Einwohner eines mittelgroßen Planeten eines gewöhnlichen
Sonnensystems am Rande einer durchschnittlichen Galaxis sind. Gerade im
Verlauf des letzten Jahrhunderts ist nichts mehr so geblieben, wie es jahrtausendelang
gelehrt wurde. Dem gegenüber hat sich die Musik bis heute nur wenig
weiterentwickelt, im merkwürdigen Gegensatz zu anderen Künsten.
Das alles setzt sich - endlich - mehr und mehr im allgemeinen Bewußtsein
durch. Manche reagieren schon auf diese - ihnen unerträgliche - Entwurzelung
mit neuem Fundamentalismus oder dubioser Esoterik, denn dann ist die Welt
wieder hübsch einfach.
Daß unsere Musik zeitgemäß ist, wird daher überhaupt
nicht bestritten. Es ist eben nicht etwa naturgesetzlich festgelegt, daß
Musik so zu sein hat, wie sie gewöhnlich heute ist. Was gute und was
schlechte Musik ist, hängt ganz wesentlich vom Hörer und seiner
Erziehung ab. Ein Algerier wird z. B. ganz andere Skalen und Rhythmen bevorzugen
als ein Niederbayer. Das wird heute vom Intellekt akzeptiert.
Zum Schluß siegt jedoch immer die musikalische Prägung über
den Verstand.
Es ist unsinnig, gegen diese Prägung anzurennen, zu diskutieren
und zu erklären. Das Schema wird beim Heranwachsen "fest im Gehirn
installiert" und ist dann mit dem Verstand kaum zu erreichen (Bei Kindern
ist - nach Auskunft unserer Pädagogen - tatsächlich noch eine
Offenheit auch schrägen Tönen gegenüber festzustellen, beim
Übergang zum Erwachsenen ist davon dann nichts mehr geblieben.)
Es ist also hoffnungslos.
Oder vielleicht doch nicht? Immerhin ist der Mensch ein intelligentes
Wesen. Und z. B. nach Hofstadter [2] ist die geistige Möglichkeit
zum Herausspringen aus einem System ein ganz wesentliches Merkmal der Intelligenz
- den Rest können schon die Automaten. Ist man also in der Lage, sich
seiner "musikalischen Prägung" bewußt zu werden und wieder intelligent
zu hören, dann kann man auch dem System entkommen, dann kann man sich
einer neuen Musik, einer neuen Ästhetik öffnen. Insofern ist
unser Weg des Appells an die Intelligenz, an die Erkenntnis, der Weg der
Erklärung, der Aufklärung und des Herabholens der EM auf den
Erdboden des Alltags - indem wir die Geräte benennen und auch vorführen
- der richtige Ansatz.
Es bleibt nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, denn wieviel Menschen
aus Hundert sind in der Lage zu diesem Schritt? Die z.T. sehr unreflektierten
Reaktionen auf den Aufsatz [1] zeigen, daß es zumindest bei spontaner
Reaktion schlecht darum bestellt ist.
Im diesem Sinne: Wau Wau!
______________
[1] Stephen Travis Pope, Editor's Note: Computer Music Journal 18:3
(1994), Why is Good Electro-acoustic music So Good? ..., nebst Antworten
darauf.
[2] Douglas R. Hofstadter, Gödel Escher Bach, Klett Verlag
↑
Die Geschichte der Elektronischen Musik wurde erwiesenermaßen
von Männern geprägt. "Ganz im Gegenteil", lautet der Tenor, "denn
Wendy Carlos verhalf der EM mit ihrem "Switched-On-Bach" zum Durchbruch".
Richtig ist, daß sie eines der meistzitierten Werke der EM mit einem
Moog-Synthesizer und einem selbstgebauten 8-Spur Bandrecorder erschuf,
doch nicht als Wendy. Die wahre Geschichte der Wendy Carlos ist erst seit
ihrem spektakulären Playboy-Interview im Jahre 1979 für die Öffentlichkeit
bestimmt, in der sie ihre Transsexualität preisgibt. In den folgenden
Zeilen werde ich sie immer als Wendy Carlos bezeichnen, da hier keine nachträgliche
Enthüllungs-Story entstehen soll. Rückwirkend weisen sie fast
alle ihre Biografien als weiblich aus, auf ihre Transsexualität wird
nicht eingegangen. Dies ist auch auf ihrer eigenen Homepage zu bemerken,
auf der sie kein Wort über Transsexualität verliert. Diese Tatsache
ist in dem Sinne zu verstehen, daß sich Transsexuelle ihr ganzes
Leben nur einem Geschlecht zugehörig fühlen. Man kann feststellen,
daß sie sich als Wendy fühlt und die Zeit in der sie sich Walter
rufen ließ, in keinster Weise in der Öffentlichkeit aufarbeiten
will. Ruhm und Ansehen in der EM-Branche geben ihr sowieso eine Aura der
Unantastbarkeit. Weiterhin ist sie nicht so medienwirksam, daß dies
von der Medienbranche ausgeschlachtet werden könnte, wie einst im
Fall der Tennisspielerin Dr. Renee Richards, früher Richard Raskind.
Diese Ungewissheit über ihr wahres Leben, die auch bei wissenden Menschen
ausgeprägt ist, trägt auch nicht unwesentlich zu der Aura der
unnahbaren Schöpferin wegweisender Werke bei. Ist sie sich dieser
Wirkung bewußt? Wenn ja, dann steuert sie jedenfalls nicht dagegen.
Die einzige Bewegung, die sich ihre Transsexualität auf ihre Flaggen
schreibt, ist die Transsexuellenbewegung selbst. Einige grundlegende Artikel
von Transsexuellen im WWW reihen sie ein in die Liste von prominenten Transsexuellen.
Auf den Flaggen der EM steht sie ebenfalls doch nicht als Transsexuelle,
sondern als Mitbegründerin der EM und Schöpferin von "Switched-On-Bach",
eines bis heute über zehn millionenmal verkauften Tonträgers.
Dies vorweg als Einstieg in die Kurzbiografie, da kein falsches Bild aufgrund
irrtümlicher Annahmen entstehen soll, die sich damit beschäftigen,
daß sie sich anfangs als Mann ausgab, um in der EM Szene anerkannt
zu werden.
Wendy Carlos, eine Kurzbiografie.
"Mit diesem Werk wurde die Schleuse geöffnet, hinter der sich die
elektronische Musik bislang staute. Nun kann sie nichts mehr halten", schrieb
einst das angesehene Fachblatt "High Fidelity". Das "Werk" erschien 1968
und hieß "Switched-On-Bach", gespielt von Wendy Carlos. Die Amerikanerin
machte mit dieser Platte den ersten Schritt in die Welt der elektronischen
Musiziertechnik. Das von ihr, auf dem von Robert A. Moog im Jahre 1966
entwickelten Synthesizer, gespielte Epos wurde zum Dauerbestseller der
EM-Branche. In phantasievoller Auslegung der Original-Bach-Partituren nutzte
Carlos die vielfältigen Schaltungsmöglichkeiten des Synthesizers,
um den künstlichen Barock-Klängen eine mit konventionellen Instrumenten
nicht zu erreichende Brillanz und Plastizität zu geben. Die "New York
Times" sprach von der "wichtigsten Klassik-Neuerscheinung seit vielen,
vielen Jahren", der renommierte Bach-Interpret Glenn Gould rief das Synthesizer-Werk
zur "Platte des Jahrzehnts" aus.
Wendy Carlos wurde am 14. November 1939 in dem amerikanischen Ministaat
Rhode Island geboren. Väterlicherseits wurde ihr Interesse für
Wissenschaft und Mathematik schon früh geweckt. Aufgrund der Musikalität
der Mutter ließ sie sich schon als Kind mit Musik ein. In der Familie,
mütterlicherseits, spielte fast jeder ein Instrument, sei es Schlagzeug,
Trompete, Akkordeon, Piano oder Klarinette. "Öfters fanden Hochzeiten,
Partys oder Veranstaltungen mit Live-Musik statt, an denen ich mitgenommen
wurde und mein musikalisches Gehör unbewußt verfeinern konnte.
Mein Vater malte mir eine Klaviertastatur auf eine Rolle Verpackungspapier",
erinnert sich die Künstlerin, "darauf übte ich die ersten Akkorde.
Auch wenn ich nichts hören konnte, erlangte ich doch eine gewisse
Fingerfertigkeit, die mir später sehr zur Hilfe kam." Das erste Instrument
war dann ein Spinett. Wendy Carlos: "Mit sechs Jahren beherrschte ich diesen
wundervollen Klangkörper. Ich nahm zusätzlich Klavierunterricht,
lernte die Sprache der Musik kennen." Bis zum Alter von vierzehn spielte
sie Chopin und Liszt, etwas Beethoven und Bach. Die Eltern ermöglichten
ihr außerdem den Unterricht bei einem Pop-Pianisten, so daß
Wendy Carlos auch auf diesem Sektor wertvolle Erfahrungen sammeln konnte.
Sie war frühreif in Musik und Physik, komponierte im Alter von zehn
Jahren ein "Trio für Klarinette, Akkordeon und Klavier" und gewann
vier Jahre später den Westinghouse Wissenschaftspreis für die
Entwicklung eines kleinen Computers. Trotz dieser musikalischen Ambitionen
und Fähigkeiten begann Wendy Carlos auf der Brown-Universität
in Rhode Island ein Physik-Studium. Die ersten beiden Jahre waren wenig
erfolgreich. Das änderte sich erst, als sie Musik zum Hauptstudiumsfach
erkor. Die Kombination dieser beiden Fächer machten Wendy Carlos den
Eintritt in die elektronische Musik leicht. Auf der Columbia-Princeton
Electronic Music Center in New York City, als Student von Direktor Vladimir
Ussachevsky, die zu den Pionierstätten der elektronischen Musikforschung
zählt, holte sie sich die ersten Anregungen zu den später so
erfolgreichen Sound-Experimenten. Die erste Montage mixte die Studentin
sich aus den Herztönen einer HiFi-Platte, selbstaufgenommenen Klaviersaitengezupfe
und eigenem a capella-Geschrei zusammen. Später benutzte sie ein Abspielgerät
mit variabler Geschwindigkeit um aus Test-Ton-Aufnahmen ein Tape-Echo nachzubilden,
ohne sich bewußt zu sein, was Tape-Echo bedeutet. Sie schrieb in
dieser Zeit zwei Stücke, "Dialog für Piano und zwei Lautsprecher"
und "Variationen für Flöte und Elektronischen Sound", die beide
später aufgenommen und auf dem Turnabout Label veröffentlicht
wurden.
Als Wendy Carlos die Universität verließ, hatte sie drei
Staatsexamen in Physik, Musik und Kompositionslehre im Gepäck. Nach
Abschluß ihres Studiums nahm sie einen Job in Mid-Town-Manhattan
als Toningenieur an. Schon 1963 hatte sie Robert A. Moog getroffen. Es
war auf einer Ausstellung der AES (Audio Engineering Society) in New York
gewesen. Das erste Zusammentreffen entlockt Wendy Carlos auch heute noch
ein Lächeln: "Robert sollte einen Vortrag über den Voltage-Controlled-Filter
halten. Doch niemand war gekommen. Als ich schließlich den Saal betrat,
fand ich Robert schlafend auf seinem Vortragsstuhl." Zwischen den beiden
entwickelte sich sofort ein inniges künstlerisches Verhältnis.
Man begann gemeinsam den riesigen "Moog III" zu entwickeln, auf dem Wendy
Carlos dann das epochemachende "Switched-On-Bach" aufnehmen sollte. Robert
A. Moog erinnert sich: "Im Jahr 1966 orderte sie für das Studio, in
dem sie angestellt war, einiges an Equipment, das wir zu der Zeit produzierten.
Wir lieferten die ersten Teile in das Studio, gleichzeitig begann sie in
ihrer Wohnung eine Ecke als Produktionsstudio einzurichten. Sie wußte
genug über 8-Spur Recorder, um sich mit übrigen Ampex-Teilen
einen eigenen 8-Spur Recorder zu bauen. Rückwirkend gesehen waren
8-Spur Recorder zu der Zeit wirklich exotische Geräte, und dieses
Teil auch noch selber zu bauen, war schon eine ziemliche Leistung". Der
Arbeitsablauf war extrem arbeitsintensiv im Vergleich zu den heutigen Mitteln.
Damals hatte sie keine Sequenzer-Programme zur Verfügung (eingeschränkte
Hardware Sequenzer waren jedoch schon verfügbar), so mußte sie
jede Note in jedem Take einspielen. Der Moog driftete ständig aus
der Einstellung, so daß viele kurze Takes mit Einstellpausen erforderlich
waren. Es war keine Datenspeicherung verfügbar, um Fehler auszugleichen.
Wollte Carlos ein Timbre zum zweitenmal benutzen, mußte sie es von
ihren Noten rekonstruieren und vierzig oder fünfzig Einstellungen
tätigen, um den vorherigen Sound wieder zu erzeugen. Robert A. Moog
erinnert sich: "Einige der Experimente, die sie in diesem Studio durchführte,
waren banal, andere wiederum sehr ansehnlich. Aus diesen Experimenten heraus
entstand die Idee zu "Switched-On-Bach". Zwei Freunde, Benjamin Folkman
und Rachel Elkind, ermöglichten ihr den Einstieg in die Musikbranche.
Folkman als Musiker und Elkind als Produktionsassistent von CBS. Carlos
hatte für "Switched-On-Bach" einen ganz anderen Titel vorgesehen,
"The Electronic Bach" sollte ihr Werk lauten, weil eine LP mit dem Namen
"The Baroque Beatles Book" auf den Markt kam. CBS hatte noch ganz andere
schreckliche Namen vorgesehen, doch nach reichlicher Überlegung und
viel Gelächter hatten sich alle gemeinsam auf "Switched-On-Bach" geeinigt.
Die Platte kam in der CBS-Serie "Bach to Rock" auf den Markt und wurde
umgehend zum Meilenstein der EM. In Interviews betont sie, daß es
ihr unheimlich Spaß bereitete, die Platte aufzunehmen und Freunden
ihre neuesten Stücke vorzuspielen, die sie immer wieder zu einem Lächeln
veranlaßten. "Newsweek" präsentierte den Synthesizer als den
"Steinway der Zukunft" und CBS publizierte später Carlos Platten mit
dem Satz, daß der Synthesizer nun langsam die Gitarre als weltweit
populärstes Instrument ablösen wird, was sich im nachhinein beides
nicht bestätigen ließ. Der Erfolg war enorm, innerhalb kürzester
Zeit wurden eine Million Platten verkauft. Andere Projekte folgten, inbegriffen
eine unvermeidliche Reihe von bekannten Barockstücken in elektronischem
Gewand: "Switched-On Bach II", und "The Well-Tempered Synthesizer", eine
Sammlung von Werken aus den Federn von Monteverdi, Scarlatti, Händel,
und Bach. Weiterhin produzierte sie 1971: "Clockwork Orange" (die Filmmusik
zu dem berühmten Film von Stanley Kubrick) und 1972 "Sonic Seasonings".
Das letztere Werk ist eine Realisation "einer Filmmusik ohne Film",
wie die englische Musikzeitschrift "Melody Maker" befand. Es ist das abstrakte
Stimmungsbild der vier Jahreszeiten in einer Mischung aus tricktechnisch
aufgearbeiteten Naturgeräuschen und behutsam hinzuimprovisierten Schwebeklängen.
Zu diesem Doppelalbum sagt Wendy Carlos: "Sonic Seasonings erinnert an
die Klangfülle der großen Bruckner-Symphonien. Genau wie bei
den Werken des großen Meisters kann man sich nicht hundertprozentig
auf einzelne Passagen konzentrieren, sondern muß das Gesamtwerk langsam
bis tief ins Unterbewußtsein in sich hineinfließen lassen."
Später, nachdem sie die "Brandenburg Concertos" im Jahre 1979 herausgab,
konzentrierte sie sich einige Jahre auf Eigenkompositionen. Darunter waren
die Filmmusik für "Shining" im Jahre 1980 und dem seiner Zeit weit
voraus eilenden Disney-Thriller "Tron" im Jahre 1982. Weiterhin die LP
"Digital Moonscapes" welche durch das Wachrufen von akustischen Instrumenten
manch andere pseudo-orchestrale Aufnahme in Zugzwang bringt. "Beauty in
the Beast" stellt eine abenteuerliche Entdeckungsreise in exotische Bereiche
und multikuturellem Zusammenspiel dar, die Carlos auch heute noch als ihre
einzig wirklich wichtige Aufnahme darstellt. In den späten Achtzigern
kehrte Carlos wieder zur Klassik zurück. Ihre Entscheidung, Prokofievs
"Peter und der Wolf" in Zusammenarbeit mit Al Yankovic anzugehen, zeigte
die ironische Seite ihres Humors. Wer sonst, außer ihr, würde
ein Stück ins Elektronische übernehmen wollen, daß für
Kinder geschrieben ist, um ihnen die traditionelle Seite der Orchestermusik
nahezubringen. 1992 nahm sie ihr Erfolgsalbum "Switched-On-Bach" erneut
auf, diesmal unter dem Titel "Switched-On Bach 2000". Dieser Tonträger
enthält die meisten der früheren Aufnahmen mit denen sie 25 Jahre
vorher das Erscheinungsbild der Musik veränderte in einer der heutigen
Technik angemessenen Form. Momentan hat Carlos mehrere Eisen im Feuer,
ein Instrumental Projekt, weitgehend basierend auf der Filmmusik zu "Clockwerk
Orange", aber aufgefrischt mit Ambient- und Techno-Elementen und eine Reihe
von a capella Projekten, beeinflußt von mehrstimmiger Kirchenmusik.
Wendy Carlos lebt mit ihren geliebten Katzen und Hunden in Greenwich Village
und ist im WWW mit einer eigenen Homepage unter http://www.zbs.org/pub/u/wendy
vertreten.
____________
Abschließend ein Ausschnitt einer Veranstaltungsseite in Seattle(USA),
gefunden im WWW, keine Bach-Veranstaltung ohne Wendy Carlos... "
Notre Dame evicts Gay group SEATTLE CHORAL CO & ORCHESTRA: BACH'S
BIRTHDAY March 18, 8pm, 1st Presbyterian Church, 7th and Spring St. Evening
of Cantatas, including "Wachet Auf" and "A Mighty Fortress Is Our God,"
with the brilliant Brandenburg Concerto No. 3. (Walter/Wendy Carlos turned
us all on to it with "Switched On Bach") $13, 363-1100."
Quellen:
Musikmagazin "Grand Royal" (USA) 1996 Interview mit Robert A. Moog Interview
mit Wendy Carlos
Musikmagazin "Keyboard" (USA) 1995 Interview mit Wendy Carlos
WWW Homepage
Wendy Carlos: http://www.zbs.org/pub/u/wendy (nicht mehr
vorhanden, der Webmaster)
Wendy Carlos and Switched On Bach: http://arts.ucsc.edu/EMS/Music/music/landmarks/carlos.html (Link: not found)
Homepage Moog Music http://www.moogmusic.com (nicht mehr
vorhanden, der Webmaster)
Prog Rock Corner--Wendy Carlos!: http://admissions.tc.umn.edu/slop/prq/carlos.html
(nicht
mehr vorhanden, der Webmaster)
CARLOS: http://web.aec.at/fest/fest80/carlo.html (Link: tot)
chopped notes: http://www.wolsi.com/~dsluskin/wcsb.html (nicht
mehr vorhanden, der Webmaster)
Switched-On Bach: http://www.tile.net/bach/switchedon2.html > http://www.jsbach.org/
Amerikanische Transsexuellen Organisation
Transsexuellen Privat-Homepage: http://www.lava.net/~dewilson/gender/transitions.html (Link not found)
↑
Torbe Reyber
(Kassen)-Schlager
Der neueste Welterfolg deutscher Musik ist, wenn man dem Bericht [1]
vertrauen kann nicht Rap, Rock oder Techno, sondern "Dance"-Musik mit einem
geschätzten Inlandsmarktvolumen von 500 Mio. DM, das Weltmarktvolumen
dürfte bei 6 Mrd. DM liegen. Man kann darüber diskutieren, ob
diese Dance-Musik als Abart der Techno-Musik zu betrachten sei. Ich meine,
daß auf Grund des eher konventionellen Gesangvortrages, der konventionellen
Bühnenshow und der nur wenig aggressiven, eher weichspülenden
Sounds der Ausdruck "Disco" angebracht wäre, durchaus auch mit seiner
reaktionären Konotation. Hartem Techno kann man ein Innovationspotential
nicht absprechen, Dance-Musik geht das hingegen völlig ab, denn es
muß ja der breiten Masse gefallen, insofern ist die Sache als popularisierter,
verkommener Ableger der Techno-Musik zu betrachten.
Ein Blick in die Studios zeigt modernstes Instrumentarium: haufenweise
Synths, Sampler, Macs und - man höre und staune - immer noch Ataris.
IBM-Kompatible waren keine zu sehen - kein Wunder, diese Leute haben keine
Zeit, sich mit Problemen herumzuschlagen, Zeit ist Geld. Oft werden noch
analoge 48-Spur-Mehrspurmaschinen und analoge Pulte verwendet. Warum auch
nicht, beim konstanten Pegel dieser Musik macht das gar nichts.
Die Produzenten dieser Musik beginnen ihre steile Karriere oft als DJs,
so wissen sie genau, was der Markt verlangt. Die Beziehung zu den Clubs
garantiert das Abspielen der Titel, was für die Markteinführung
sehr wichtig ist. Stimmt das Club-Play, dann kommen auch die CD-Umsätze,
die ja letztlich das Geld bringen, und darum geht es ja schließlich.
Oft werden Titel erst in einem Club getestet, bei Nichtgefallen wird
solange geändert, bis die Klientel zufrieden ist. Der Erfolg ist so
bei eingeführten Produktionsteams fast garantiert, in keiner anderen
Branche kann man heute in zwei Wochen zum Multimillionär werden.
An dieser Musik ist bewußt nichts typisch Deutsches, wie etwa
in den früheren "Krautrock"-Tagen, hier haben wir ein auf international
gestyltes Produkt vor uns, so daß die Konsumenten über die Herkunft
völlig im unklaren sind. Die Amerikaner halten es für "home-made",
die Briten denken an London, die Franzosen sind überzeugt, daß
es aus Paris herkommt. Nichts von alledem stimmt, denn die Studios findet
zumeist man in und um Frankfurt/M.
Musikkenntnisse im klassischen Sinn (Notenlesen) sind für die Produktion
nicht erforderlich, sicherlich aber kompetenter Umgang mit dem Studio und
viel Hörerfahrung.
In drei Tagen ist so ein Titel zu machen. Kein Wunder, bei diesen repetitiven
Pattern passiert ja nicht viel. Ein paar schöne Akkorde, ein paar
Motive, die endlos wiederholt werden, so auch der "Text". Nichts darf da
schräg klingen, es muß halt nett sein.
Dann kommen noch ein paar hübsche Damen und ein Tänzer dazu
für's Video und Vollplayback-Auftritte, denn die sind für die
Promotion als Äußeres der Produktion sehr wichtig. Die Produzenten
selbst sind vom Namen und Gesicht meist völlig unbekannt, das ist
besser so, da meist nicht so telegen, mit Stoppelbart und Ringen unter
den Augen.
Dieser Musikbereich ist der reinste Manchesterkapitalismus in unserer
Zeit. Es wird mit harten Bandagen um den Markt gekämpft. Die "Interpreten"
spielen keine Rolle, sie sind völlig austauschbare Marionetten, die
Gagen dementsprechend niedrig. Es gibt keine Stars. Wer die Klappe auf
macht fliegt sofort, hire and fire. Der allgewaltige Produzent als Inhaber
aller Rechte und zumeist auch Labelbesitzer hat das alleinige Sagen. Es
gibt traumhafte Gewinne, Automobilindustrie-Manager wären dankbar,
auch nur einen Bruchteil dieses Return-of-Investment zu haben. Die Zielgruppe
für Dance sind die 14 - 20jährigen, mit ihrem Kaufkraftpotential.
Die älteren Semester tendieren eher zur sog. "Volksmusik" - oder ihren
internationalen Entsprechungen -, einem - vermutlich wegen der um sich
greifenden Vergreisung der Bevölkerung - noch viel umsatzstärkeren
Bereich der Pop-Kultur, auf den die o.g. Tatsachen aber sinngemäß
ebenso zutreffen.
Der Markteinfluß dieser Stilrichtungen ist sehr gut in den Fachzeitschriften
zu verfolgen, man vergleiche nur einmal eine "Keyboards" von 1985 mit einem
Exemplar von heute. Das Niveau ist sehr gesunken.
Was hat das alles mit uns zu tun ?
Ganz wichtig ist in diesem Pop-Bereich der Reiz des Neuen. Und da die
musikalische Struktur immer gleich ist, immer die selben Viertel-Beats
(schkonk, schonk, wadda gonk), immer dasselbe Tempo, da müssen neue
Sounds her. Dieser ungeheure Milliarden-Markt ist der alleinige Anreiz
für die Instrumentenbauer. Es wäre ja grob fahrlässig, wenn
die Manager der Instrumentenkonzerne diesen Markt nicht zum Schwerpunkt
des Geschäftes machen würden, das könnte bei den geringen
Stückzahlen - meist nur lächerliche 10000-100000 - und bei dem
ungeheuren Entwicklungsaufwand ganz schnell ins Auge gehen. Der Untergang
der Firmen Moog, Arp, Oberheim, Sequential, Kurzweil usw. spricht für
sich und für die Härte des Geschäftes, die heute eher noch
zunimmt.
Der Zwang zum ständig neuen Sound, führt zu unserem Glück
und zu unsere Freude dazu, daß ständig neue Instrumente, und
vor allem programmierbare Instrumente sehr preiswert auf den Markt kommen,
denn reine Presetgeräte sind für die Pop-Profis natürlich
uninteressant, es geht ja darum, sich von der Konkurrenz auch klanglich
abzusetzen.
Die Simplizität der Pop-Musik steht so in krassem Gegensatz zum
komplizierten Innenleben der Apparate, wie die Einfältigkeit der popmusikalischen
Schematik zu den vielfältigen Möglichkeiten der Instrumente.
Wir experimentellen Musiker sind die Nutznießer dieser Umstände,
wir zweckentfremden die Geräte für unsere Zwecke und kommen auf
Klänge und Anwendungen, an die selbst die Instrumentenkonstrukteure
nicht im Traum gedacht haben.
Und das hat etwas mit uns und unserer Musik zu tun.
____________
[1] Bericht über ... in Arte 19.00 Uhr, Freitag, 7.2.1997, 26 MIN.
VPS 19.00
TRACKS : TECHNO IM AUSVERKAUF ODER TECHNO-REVOLUTION FLASHTRACKS Die
Aktualität in Bildern ... ONTRACKS
Teil I: Die "Fresh Disco" macht mit Techno-Reprisen von Disco-Erfolgen
der 70er Jahre Furore bei den Kids, die ganz wild auf die Musik der guten
alten Pailletten-Zeit sind. Doch "Fresh Disco" ist vor allem eine Marketing-Erfindung
der Plattenindustrie. Auch der Begriff "Dream" wurde erst vor kurzem zur
Bezeichnung populärer Technomusik erfunden. Diesmal ohne Worte und
mit supereinfachen Melodien. Die "Dream-Titel" werden wie fast alle Musik
der 70er am Fließband produziert und stehen an der Spitze der europäischen
Charts (Robert Miles, Dado, BBE).
Teil II: Beitrag über eine Techno-Reise rund um die Welt (New York,
Australien, Goa) in einem "Rave-Party"-Flugzeug. Die Maschine wurde von
Techno-Freaks und Discjockeys gechartert, die an die Techno-Revolution
glauben: das Gegenteil der Marketing-Produkte "Fresh Disco" und "Dream".
OFFTRACKS THE CROW II: der neue Iggy-Pop-Film. Mit einer Reportage über
die Gothic-Welle in der Musik: von "Siouxie" über "Type O Negative"
bis zu "The Cure". Mit THE CRAFT kommt ein weiterer US-Film im Gothic-Stil
in die Kinos.
↑
Erwin Koch-Raphaels
"composition no. 52"
im Projekt LICHTHAUS-PASSAGEN
Am Anfang des Projekts war die Installation von Wolfgang Ablaß.
Im Laufe der gemeinsamen Treffen, die sich auf diese anfängliche Setzung
bezogen, stellte sich bald heraus, daß dieser Installation mit dem
Namen "Der analytische Raum" Zahlenordnungen zugrunde liegen, die in Verbindung
mit den verwendeten Materialien den Ausstellungsraum zu einem Symbolraum
machen. Es sind die Zahlen 3, 4, 7 und 49. In der Installation entsprechen
ihnen die verwendeten Raummaße und die Formen Dreieck und Viereck
(Quadrat).
In den Treffen der ersten Aktionsgruppe für dieses Projekt machte
sich rasch die Erkenntnis breit, daß Musik, die diesen Raum akustisch
abfragt, diesen Zahlen verbunden sein müßte; und es wurde mir
auch bald klar, daß außer der vorhandenen Soloklarinette auch
elektroakustisch dargebotene und erzeugte Klänge unbedingt dazu gehörten.
So sprach ich im Bremer Zentrum für elektroakustische Musik (ZeM)
Ute Safrin und Georg Sichma an, die auch sofort bereit waren mitzuwirken.
In der Zwischenzeit entstand, stets in Abstimmung mit der jeweiligen Planungsphase,
meine "composition no. 52" für Klarinette solo, die auch ohne diese
Installation ein selbstständig dastehendes Stück ist. Die Vorgabe,
daß im Symbolismus der Installation die Zahl "3" die Zeit und die
"4" den Raum bedeuten, brachte mir die Idee, die Verbindung von Zeit und
Raum pur zu thematisieren. Dies führte zu den beiden zentralen Themen
"Bewegung" und "Leben" (in der Folge Geburt, Jugend, Alter und Tod). "composition
no. 52" für Klarinette solo wurde nun eine Musik, deren wesentliches
Merkmal die Ausbildung charakteristischer Bewegungstypen ist. Die viersätzige
Anlage dieser Komposition nahm auf, was die Lebensthematik forderte, und
entspricht darin auch dem Gesamtkonzept, das vier übers Jahr verteilte
Aufführungssequenzen vorsieht. Jede dieser Aufführungssequenzen
wird mit je einem Satz von "composition no. 52" eingeleitet werden, die
der Solist anschließend in einer freien Improvisation weiterverarbeitet,
bis die vorgesehenen 49 Minuten, die jede Aufführungssequenz dauern
wird, erfüllt sind.
Jeder der Sätze besteht aus je 2 Teilen, die jeweils auch noch
einmal unmittelbar wiederholt werden. Die Anlehnung an die auch von J.
S. Bach u.a. in seinen Cellosuiten verwendete Suitensatzform, die sich
hierin zeigt, ist bewußt erfolgt. Ich wollte mich dem (für mich
neuen) Abenteuer unterziehen, Musik zu schreiben, in der die Wiederholung
ausdrückliches Prinzip ist, in der das zyklisch Wiederkehrende über
dem linear Prozeßhaften steht. Ich erkannte bald, daß ich dabei
völlig anders denken und arbeiten mußte: denn was im linear
Prozeßhaften Sinn ergab, paßte meist nicht im Zyklischen. Umgekehrt
war aber die Wiederholung im Zyklischen keine absolute Rückkehr an
den Ausgangspunkt sondern im Grunde eine intensivere Form des linear Prozeßhaften.
Das waren für mich zum Teil erstaunliche Entdeckungen, welche mir
diese kompositorische Arbeit zu einer besonders faszinierenden Aufgabe
machten. Die weiteren Planungen und Versuche in der Aktions- und Konzeptgruppe
ließen dann wieder diese erfahrenen musikalischen, oft abenteuerlichen
Hör- und Gestalterlebnisse ihre Fortsetzung finden in den Samplersounds
von Georg Sichma und ihrer virtuellen Raumbewegung, sowie in den Klangobjekten
der am Boden liegenden Lautsprechergruppen von Ute Safrin mit ihren unvermittelt
wechselnden Klanginhalten. Die Brücke zwischen diesen beiden Bereichen
jedoch, zwischen Mensch (Solo am Beginn) und Kosmos (Installation und Elektronik)
schlägt der Mensch in seiner Bewegung durch Raum und Zeit - der Solist
Ulrich Mueckenberger, der nach dem Solo seinen Platz verläßt,
den Raum durchschreitet und die ihm streng zugeteilte Zeit von 49 Minuten
durchmißt: Geburt, Leben und Tod sind die verbindenden zentralen
Themen, nicht nur für uns Ausführende, und nicht nur an diesem
Abend ...
Ort: "Lichthaus" Bremen/ Zeit: 15.2.1997, 15.5.1997, 13.9.1997 und 13.12.1997
Erwin Koch-Raphael, Magdeburg, den 31.1.1997
↑
Rückseite
|