
ZeM Mitteilungsblatt Nr. 2 - 1. Quartal 1990
Redaktion: Klaus Weinhold und Franz Martin Löhle
Klaus Weinhold
Gedanken zur Elektronischen Musik
Im ersten Heft unserer Zeitschrift warf ich in einer Betrachtung der
Elektronischen Musik die Frage auf, ob diese in der Musikpädagogik
eine Chance hätte, und verneinte diese Möglichkeit. Elektronische
Musik ist, sofern man die ihr innewohnenden innovativen Möglichkeiten
erkennt und auch nutzt, "programmiert", nicht nur "neue Kunst", sondern
neueste, vielleicht sogar alternative Kunst. Sie enthält erstmals
in der Geschichte der Musik die Möglichkeit, sich von historisch-
traditionellen Mustern radikal zu lösen oder zumindest der klassischen
Musik etwas radikal Neues hinzuzufügen.
Ortega y Gasset schreibt in einem 1925 erschienenen Artikel "Die Vertreibung
des Menschen aus der Kunst"(1) - was für die Elektronische Musik wirklich
wörtlich zu nehmen ist, denn die "Handhabung" und "Singbarkeit" der
klassischen Musik ist radikal durch Maschinen ersetzt -, über diese:
"Die neue Kunst aber hat die Masse gegen sich und wird sie
immer gegen sich haben. Sie ist wesentlich volksfremd; mehr als das, sie
ist volksfeindlich. Jedes beliebige Erzeugnis der neuen Kunst ruft bei
der Masse ganz automatisch eine merkwürdigen Effekt hervor.
Er spaltet sie in zwei Parteien, eine kleine von wenigen Geneigten, eine
große zahllose von Feinden (wobei wir die fragwürdige Fauna
der Snobs unberücksichtigt lassen). Das Kunstwerk wirkt also wie ein
soziales Scheidewasser, das zwei gegensätzliche Gruppen schafft; aus
dem ungegliederten Haufen der vielen sondert es zwei Kasten aus." (S.8)
Damit ist zu unserer Entlastung ein Grund gegeben für die zu erwartende
Erfolglosigkeit und pädagogische Chancenlosigkeit (bei Menschen),
die korrespondiert mit einer enormen Entwicklung bei der Beherrschung von
Soundmaschinen. Ortega y Gasset fährt fort:
"Wenn die neue Kunst nicht für jedermann verständlich
ist, besagt das, daß ihre Antriebe nicht die allgemein menschlichen
sind. Es ist keine Kunst für die Menschen überhaupt, sondern
für eine sehr besondere Gruppe von Menschen, die vielleicht nicht
mehr taugen als die anderen, jedenfalls aber von ihnen verschieden sind."
(S.10)
Das Stichwort ist gegeben: Der Mensch will in der Kunst den Menschen. Doch:
Wo ist bei der Produktion der Elektronische Musik der Mensch? Wo ist er
beim Hören der Elektronischen Musik?
Der Mensch ist ein organisches System, analog dazu kann man ein klassisches
Musikwerk im übertragenen Sinn als ein solches, in dem alles in vielfältiger
Weise aufeinander bezogen ist, bezeichnen. Dem gegenüber steht das
"Anorganische", die anorganischen Sounds als quasi nackte Naturphänomene.
Ortega y Gasset sagt dazu:
"Die Neuen haben jede Einmischung des Menschlichen in die Kunst
für 'Tabu' erklärt. Das Menschliche, der Inbegriff der Elemente,
die unsere Umwelt ausmachen, gliedert sich in drei Stufen. Die erste ist
die Stufe der Personen, die zweite die der Lebewesen, die dritte die der
anorganischen Dinge. Die Energie des neuen Veto in der Kunst ist proportional
zu dem Rang des betreffenden Gegenstandes in dieser Wertfolge. Das Persönliche,
da es das Menschlichste des Menschlichen ist, wird am strengsten gemieden.
In der Musik und der Dichtung tritt das deutlich hervor. Von Beethoven
bis Wagner waren die persönlichen Gefühle des Musikers
das Thema der Musik. Der Musiker türmte gewaltige Klanggebäude
auf, um darin seine Autobiographie unterzubringen." (S.19)
Das soll genügen zur Standortbestimmung der Elektronischen Musik.
Doch die Analogien gehen noch einen Schritt weiter. Mallarmé war
einer der ersten Künstler des 19. Jahrhunderts, der das "natürliche
Material" ablehnte. Er schuf kleine lyrische Stücke, die so in der
menschlichen Flora und Fauna nicht vorkamen. Diese Dichtung braucht nicht
gefühlt zu werden, es gibt in ihr nichts Menschliches, auch kein Pathos.
Wenn sich schon Sprache in eine unmenschliche Ebene transponieren läßt,
um wieviel leichter muß das möglich sein mit dem ohnehin abstrakten
Sound, sofern er nicht durch System, Code und Tradition vermenschlicht
wurde. Kleine "Soundstücke" abstrakter Art, in denen nicht die Seele
spricht, sondern die Kombination der gegebenen Elemente. Was ist in der
Musik das "natürliche Material"? Zweierlei: Es ist der Code des geordneten
Tonsystems, in dem der Mensch die beängstigende Naturvielfalt des
Schalls gebändigt hat und auf ganz wenige Elemente zurückgeschnitten
hat, und es sind die Werke in diesem System, die dem unreflektierenden
Hörer geradezu naturgegeben und ewig erscheinen. Und diese Natur der
Kultur, die eben keine Natur ist, hebt die Elektronischen Musik radikal
auf. Sie erreicht die Beherrschung der Natur nicht durch Kodifizierung
und Systematisierung, sondern durch die Potentialität, d.h. die Möglichkeit,
in der Natur der Dinge (hier des Schalls) und der Kultur der Dinge (hier
der Werke) zu arbeiten, zu stören, zu bauen, zu transponieren. Die
erste Transposition solcher Art von Natur in artifizielle Maschinenkultur
war die Übertragung der Gesanglichkeit auf eine vor vierhundert Jahren
damals hoch artifizielle Maschine: die Orgel. Diese übernahm, nahezu
problemlos, die Stimmen, stellte sie dar, mutierte sie, alterierte sie,
schuf aus dem einfachen menschlichen Stimmgefüge eine instrumentale
quasi unmenschliche Fuge, die nur auf der Maschine Orgel darstellbar war.
Für uns ist diese Vertreibung des Menschen aus der Kunst eine Selbstverständlichkeit.
Die Orgel hatte jedoch Verbindung zu ihrer geschichtlichen Grundlage, zur
menschlichen Kunst des Gesanges, nie erfolgte eine radikale Ablösung
von dieser Vorlage. Anders die Elektronische Musik: Die Tasten eines Synthesizers
und manche Aufschriften "Piano" oder "Trompete" erinnern an die Herkunft
aus der Musikgeschichte, aber dahinter, bei den Zerlegungen, den "Samplewörtern",
den "Frequenzverhältnissen" und möglichen Neuzusammensetzungen,
da liegen die Chancen der Elektronische Musik und damit die endgültige
"Vertreibung des Menschen aus der Kunst".
Die Orgel hat nur selten zu ihrer eigentlichen Potentialität gefunden,
sie blieb abhängig von ideologischen Rahmenbedingungen und geschichtlichen
Vorbildern. Nur in wenigen Fällen fanden Komponisten mit ihren Instrumenten
zu den schier grenzenlosen Möglichkeiten der Orgel. Erwähnt seien
hier Viernes Orgelsymphonien oder Ligetis Komposition "Volumina". Ob die
Elektronische Musik sich befreien kann von der Last des "natürlichen
Materials", bleibt abzuwarten. Dies zu erreichen, wird eine der Aufgaben
unseres Vereins sein.
(1) Ortega y Gasset: Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst, Auswahl
aus seinem Werk, DTV München 1964
↑
Rainer Fiedler
Elektronische Soundereignisse und Computergraphik im kreativen
Dialog
Dialoge sind möglich, wenn deren Teilnehmer über ähnliche
kommunikative Elemente und Inhalte verfügen. Ein kreativer Dialog
bewegt sich auf einer Ebene, auf der sich die Teilnehmer z.B. im ästhetischen
Bereich zu einem künstlerischen Ganzen finden können. Digitale
Bilderwelt, vom Computer generiert, sowie elektronische Soundereignisse,
gehören in den ästhetischen Bereich. Beide Komponenten werden
in zunehmendem Maße vermarktet, die Sensibilisierung dafür steigt
ständig. Sie haben einen hohen künstlerischen Level erreicht
und stellen moderne, zeitgemäße kreative Werkzeuge und Inhalte
dar. Verglichen mit dem Tonfilm, wo die begleitende Musik, die Geräusche
und Klänge die Bilderflut stützende Elemente sind, erreichen
Computergraphik und elektronische Sounds im Dialog leichwertigkeit. Im
kreativen Dialog ergänzen sie sich durch eine ähnliche künstlerische
Konstellation sowie Konzeption: Ein Beispiel hierzu wäre Minimal Music
im Dialog mit Mandelbrot-Graphiken.
Digitale Bilderwelt und computergenerierte Sounds sind medienverwandt:
Der gleiche Computer kann die Bilder sowie die Sounds errechnen und die
Klangstrukturen arrangieren ebenso deren Verlauf im Soundprozeß.
Vorausgeht das Arrangement des Menschen, das Human Interface sozusagen,
er greift in den künstlerischen Dialog ein. Traditionelle Mal- und
Grafiktechniken werden durch elektronische Malkästen und Klangerzeuger
ergänzt. Die Elektronik hilft dadurch mit, das traditionelle Hören
von Musik, das visuelle Erscheinungsbild in der Grafik zu verändern,
neue Hör- und Sehweisen werden geschaffen. Wie können diese kreativen
künstlerischen Dialoge konkretisiert werden? Im "Requiem für
Nyxam", einer optischen und akustischen Fantasiereise, versuche ich diesen
Dialog zwischen meditativen und abstrakten Sounds (Screenfotos) einerseits
und digitalen Bildern andererseits zu erreichen. Der optische Teil dieser
Reise wird mit Dias arrangiert, parallel dazu sind Soundevents zu hören.
Sie werden durch Tapes sowie live produziert. Die Abläufe im Visuellen
und Akustischen sind strukturiert. Die Sounds sind in verschiedene Gruppen
gegliedert: abstrakt, meditativ. Fast symmetrisch dazu erscheinen digitale
Grafiken: Die Übergänge sind jedoch fließend, auf Perfektion
wird verzichtet. Weiter zu nennen wären Computeranimationen, thematisch
auf Sounds zugeschnitten. Es wäre auch eine Ausstellung von digitalen
Grafiken denkbar, wobei zu jedem Bild, zu jeder Themengruppe ein bestimmter
Soundprozeß zu hören wäre. Natürlich könnte man
hier auch die Sounds vertauschen, die Freiheit in der orstellungswelt des
einzelnen muß gewahrt bleiben. Auch das Fime-Code-Verfahren muß
hier erwähnt werden. Sicherlich werden noch weitere Formen dieses
Dialogs möglich werden, ein Dialog, der zum Gesamtkunstwerk wird,
der zum erweiterten und veränderten Bewußtsein in den Bereichen
der visuellen und akustischen Ästhetik des Menschen nicht nur im 21.
Jahrhundert wird.
Anm. d. Red.: Das „Requiem für Nyxam” wird am 31.
März 1990 zu hören und sehen sein [s. Termine].
↑
Für Interessenten bietet ZeEM auf Anfrage MIDI-, Synthezising-, Computer und Sampling-Unterricht für Einzelpersonen oder Gruppen (Anfänger und Fortgeschrittene) an. Der Unterricht wird von erfahrenen E.M. - Produzenten erteilt. Nähere Informationen (Kosten, Leistungen) sind bei Franz Martin Löhle, Emil-Gött-Str. 3, 7800 Freiburg, Tel.:0761/700936 zu erhalten
↑
Walter Birg
Musik und Grafik
Computerprogramme, die Grafiken erzeugen, gibt es in großer Zahl,
und die ästhetische Wirkung dieser Grafiken ist oft unbestreitbar.
Die Frage, die uns hier beschäftigen soll, ist nun: Gibt es ein der
Grafik entsprechendes musikalisches Korrelat? Wir wollen diese Frage nicht
theoretisch klären - es ist zu bezweifeln, ob dies überhaupt
möglich ist - sondern wollen in jedem Einzelfall prüfen, ob die
ästhetische Wirkung auch musikalisch eintritt. Nehmen wir als Beispiel
ein Grafikprogramm, wie es kürzlich in "Spektrum der Wissenschaft"
(2/90) publiziert wurde. Es handelt sich um ein Programm, welches ein sich
spiralartig drehendes Polygon zeichnet. Das Programm lautet nach Omikron-Basic
übertragen und mit einigen Zusätzen versehen:
100 '============================
120 'Cgrafm
140 '=Cgraf1 + musik
160 'Spektrum 2/90 S.12
170 'angepaßt und musikalisch auf-
175 'bereitet von W. Birg
180 '============================
200 H!=.05:N=100:W!=.12
220 'Input der Punkte
240 DIM P(100,2),Q(100,2)
260 MOUSEON :CLS
280 FOR M=1 TO N
300-Nochmal
320 Mb=MOUSEBUT
340 IF Mb=2THEN GOTO Weiter
360 IF Mb<>1 THEN GOTO Nochmal
380 P(M,1)=MOUSEX :P(M,2)=MOUSEY
400 PRINT ü(1,1);P(M,1),P(M,2),Mb
420 PRINT CHR$(7);:WAIT .21
440 NEXT M
460 '----------------------------
480-Weiter
500 MOUSEOFF :CLS
520 N=M-1
540 FOR K=1 TO 100
560 DRAW P(N,1),P(N,2)
580 FOR M=1 TO N
600 DRAW TO P(M,1),P(M,2)
620 'PRINT ü(1,1);P(M,1),P(M,2)
640 BIOS(,3,3,144):
BIOS(,3,3,W!*P(M,1)+40):
BIOS(,3,3,64)
660 WAIT .1
700 D=D+1:IF D>220 THEN GOTO Immer
710 BIOS(,3,3,144):
BIOS(,3,3,W!xP(M,1)+40):
BIOS(,3,3,0)
720 NEXT M
740 '----------------------------------
760 FOR M=1 TO N
780 Mg=(M MOD N)+1
800 'IF M>30 THEN STOP
820 Q(M,1)=P(M,1)+H!*(P(Mg,1)-P(M,1))
840 Q(M,2)=P(M,2)+H!*(P(Mg,2)-P(M,2))
860 NEXT M
880 '----------------------------------
900 FOR M=1 TO N
920 P(M,1)=Q(M,1)
940 P(M,2)=Q(M,2)
960 NEXT M
980 NEXT K
1000-Immer
1020 GOTO Immer
1040 '===================================
Betrachten wir dieses kleine Programm, so erkennen wir, daß zunächst
zwei Felder P und Q demissioniert werden, die die Punkte enthalten. Dann
wird die Computermaus eingeschaltet und der Schirm gelöscht (Zeile
260) Danach werden mit Hilfe der Maus bis zu 100 Punkte eingegeben (Zeilen
270-440). Die Zeilen 480-720 enthalten nun das eigentliche Programmzentrum
mit Zeichnung und Tonausgabe: Die N Punkte, die eingegeben wurden, werden
gezeichnet und mit den beiden Biosbefehlen wird der Synthesizer ein- und
wieder ausgeschaltet. Dazwischen muß natürlich noch eine definierte
Zeitspanne liegen, die mit dem Wait-Befehl (Zeile 660) erreicht wird. Dabei
wird noch ein Zähler hoch gezählt, der bei Erreichen einer bestimmten
Plygonzahl den Ausgabevorgang unterbricht (Zeile 700).
Anschließend erfolgt eine kleine Koordinatentransformation der
ursprünglichen Punkte P(M,1) und P(M,2) (Drehstreckung!) in den Zeilen
820-840. Die neu berechneten Punkte werden an die Stelle der soeben gezeichneten
gesetzt (Zeilen 940-960) und das Spiel mit Ausgabe der Zeichnung und der
entsprechenden Töne wiederholt.
Betrachten wir die eigentlichen Musikbefehle noch etwas genauer! Der
Befehl Bios(,3,3,X) übergibt an den Computerport 3, das ist die Midi-Schnittstelle
beim Atari, den Zahlenwert X. Es werden in Zeile 640 also die drei Werte
144 =Note on, W!*P(M,1)+40, und die Zahl 64 als Velocity an die Midi-Schnittstelle
gesendet. Die Zahl W!, die am Anfang des Programms = 0.12 gesetzt wurde,
transformiert die Polygonkoordinate P(M,1) in einen vernünftigen Bereich
und der Wert +40 soll verhindern, daß die Midi-Notenwerte unter 40
sinken. Zeile 680, die den gerade gespielten Ton wieder ausschaltet, ist
bei manchen Synthesizern übrigens nicht nötig: Der 17. Ton schaltet
den ersten wieder aus, der 18. den zweiten usw. Die Abspielgeschwindigkeit
hängt fast nur von dem Wait-Parameter(Zeile 660) ab!
Zum Experimentieren stehen nun einige Parameter zur Verfügung und
es sollte ausgiebig Gebrauch davon gemacht werden! Um hier einige Ideen
anzuregen: Es kann anstelle der X-Koordinate (P(M,1)) die y-Koordinate
(P(M,2)) oder gar alle beide verwendet werden. Oder es kann eine Klangumschaltung
erfolgen mit Bios(,3,3,192) :Bios(,3,3,P(M,2)), oder es kann abhängig
von der Koordinatenlage die Geschwindigkeit geändert und damit ein
Rhythmus erzeugt werden.....
Zum Schluß noch ein Hinweis auf Grafik-Programmideen: In der Zeitschrift
"Spektrum der Wissenschaft" gibt es eine Rubrik "Computer-Kurzweil".
Hier findet man eine Fülle von Anregungen, die nur darauf warten,
musikalisch interpretiert zu werden!

↑
Klaus Weinhold
Gedanken zur Pädagogik der Elektronischen Musik
Wer vor ca. 30 Jahren Musik studierte, fand im
wesentlichen die gleichen Rahmenbedingungen
vor wie heutzutage: Akustische Instrumente und
als "Programme" die in Druckerzeugnissen
kodifizierten Werke der klassischen
Komponisten, verbunden mit einem Wertekanon,
der sich in den letzten 200 Jahren gebildet hatte
und der, nahezu unverändert weitergegeben, bis
heute unumstößlich wirkt.
Der Interessent Elektronischer Musik erlebt eine
geradezu entgegengesetzte, geschichtslose, stets
weiterschreitende, sich verändernde Soundwelt,
die weder ein festes Instrumentarium, noch ein
Repertoire gängiger Konvention der Gestaltung
aufweist.
Wie soll man heute an elektronische
Instrumente herangehen, was auf ihnen spielen?
Dabei müßte der Ausdruck "spielen" gedeutet
werden: Spielt z.B. der Computer?
Diese neuen Umstände erfordern ein gänzliches
Umdenken, eine Perestroika bzgl. der Produktion
von Elektronischer Musik mit allen
Konsequenzen für die zukünftige
Musikpädagogik. Zwei Wege sollen kurz
aufgezeigt werden:
1. Der Weg der Entwicklung der Elektronischen
Musik wird in groben Schritten anhand des
meist noch vorhandenen älteren
Instrumentariums nachvollzogen. Der Lernende
wird mit einem klassischen Modulsystem
bekanntgemacht. Nach wie vor bietet sich hier
der EMS-Logik-Synthesizer an, mit dem alle
Formen der elektronischen Synthese vollzogen
werden können. Insbesondere seien die Formen
der Hüllkurven von Klängen (Pitch und
Amplitude), die eine ganz entscheidende Rolle
bei der Soundprogrammierung spielen,
hervorgehoben und die Gestaltung der additiven
und multiplikativen Verknüpfungen von
Schwingungen bis hin zur FM-Synthese. Der
Studierende lernt hier an relativ wenig
Parametern (ca. 20) einen Sound von Grund auf
zu realisieren.
2. Der kürzere und umso schwierigere Weg ist
die kurzzeitige Einarbeitung in ein aktuelles,
gerade auf dem Markt befindliches Instrument
(z.B. V50 von Yamaha). Hier bieten sich wieder
zwei Abzweigungen an: Entweder man
verzichtet gänzlich auf die Erstellung eigener
Sounds und beschränkt sich auf die vom
Hersteller kreierten, meist nicht besonders
reizvollen sog. Preset-Klänge, nützt aber die
Steuermöglichkeiten (das Spielen des
Instrumentes) des Sequencers voll aus, oder
man beginnt mit den meist enormen
Möglichkeiten einer zunächst einfachen, aber
allmählich schwieriger werdenden
Programmierung der Soundparamter, die
schließlich zu immer neuen, stets "unerhörten"
Klängen führen wird. Der EMS-Synthesizer hat,
wie oben erwähnt, ca. 20 Parameter, der neu
SY77 von Yamaha wird deren über 1000 haben.
Abschließend der Gang einer Synthesizer-Prüfung
an der PH Freiburg: Ein Student kaufte sich im
Sommer 89 einen neu auf den Markt
gekommenen V50 und stieg unmittelbar in die
sich aus der Bedienungsanleitung ergebenden
Möglichkeiten des Gerätes ein. Er legte den
Hauptwert auf die Gestaltung von Stücken, nur
am Rande wurden neue Sounds, in FM-Synthese
programmiert.
"Zurückgegriffen" (im wörtlichen Sinne) wurde
auf klassisches Repertoire: 2 Stücke wurden in
den Sequencer eingespielt, das Präludium C-Dur
von Bach und ein Prélude von Debussy
(Minstrels). Der entscheidene neue
Gestaltungsimpuls war die Instrumentierung der
Stücke durch Werksounds, die sich teilweise
hervorragend für die Soundabfolge eigneten.
Selbstverständlich stand als Abschluß eine
eigene Produktion: Unter Ausnützung des
Rhythmus-Gerätes des V50 wurden jazzige
Akkorde, Melodien und Rhythmen zu einem
individuellen Stück komponiert.
Der Spieler wurde hier zum Produzenten und
Reproduzenten anderer und eigener
Musikvorstellungen. Die "Einsamkeit" des
Einspielens und Programmierens wurde sicherlich
wettgemacht durch die schier unendlichen
Möglichkeiten neuer Zugänge zu musikalischem
Spiel und Klang.
↑
Peter Kiethe
Samplen oder der unbegrenzte Zugriff auf Naturtöne
Fangen wir von Grund auf an. Was ist ein Sampler überhaupt? Eigentlich
ist ein Sampler nichts anderes als ein digitales Aufnahmegerät, ähnlich
einem CD-Player oder einem DAT-Recorder. Im Unterschied zu den herkömmlichen
analogen Aufnahmeverfahren (z.B. Kassettenrecorder, Tonband ...) wird bei
digitalen Bandmaschinen der Klang in die Sprache des Computers übersetzt;
er wird digitalisiert.
Mit einer unbeschreiblichen Schnelligkeit werden Klanginformationen
in das Binärsystem übersetzt. Der Computer kann nur zwei Ziffern
- Strom an, Strom aus -lesen. Dies alles vollbringt ein sogenannter A/D-Wandler
(Analog-Digital Wandler). Nach der Verarbeitung wird die digitale Information
durch einen D/A-Wandler zurück in ein analoges Signal verwandelt und
im Lautsprechersystem hörbar gemacht.
Bis hierhin unterscheidet sich ein Sampler nicht von einem CD-Player.
Der große Unterschied liegt bei den Verarbeitungmöglichkeiten.
Der CD-Player bekommt mit der Compact Disk seine Digitaldaten vorgeschrieben,
und hat nichts mehr mit einer Klangverarbeitung oder besser Klangeditierung
zu tun. Beim Sampler können vom Benutzer direkt Klänge aufgenommen
werden. Diese gespeicherten Klänge sind für den Benutzer frei
verfügbar und können in jeglicher Art und Weise verändert
werden. Der große Nachteil hierbei ist die begrenzte Speicherkapazität.
Da das Samplen nur einer kurzen Zeitspanne bereits riesige Datenmengen
umfaßt, ist die mögliche Zeitspanne eines zu samplenden Klanges
relativ begrenzt. Auch bei den heutigen Speicherkapazitäten ist der
Speicher bei einer Sampling-Rate von 36 kHz schnell aufgebraucht.
Im obigen Abschnitt wurde der Begriff der Sampling-Rate oder Samplingfrequenz
verwendet. Hier soll nun erklärt werden, was dies zu bedeuten hat.
Die Samplingfrequenz wird in der Einheit Herz angegeben. So sagt beispielsweise
die Sampling-Rate von 36 kHz aus, daß der Klang 36000 Mal pro Sekunde
abgetastet wird. Je höher dieser Wert ist, um so näher kommt
das Resultat dem aufgenommenen Klang, um so mehr Speicher wird jedoch auch
benötigt. Ein Sample mit einer Auflösung von 9 kHz hört
sich etwa wie ein Klang aus einem alten Transistorradio an, hat jedoch
den Vorteil, daß eine längere Zeitspanne gespeichert werden
kann. So ist es beispielsweise möglich, bei einer Speicherkapazität
von 2 MByte ca. 29 Sek. (Sampling-Rate 36 kHz), oder 116 Sek. (Sampling-Rate
9 kHz) aufzunehmen. Kurzum gibt die Samplingfrequenz die Klangauflösung
und damit ihre Qualität an.
Als nächstes folgt eine Beschreibung der Editiermöglichkeiten
am Sampler. Hier sollen vor allem allgemeine Editiermöglichkeiten
angesprochen werden, da jeder Sampler firmenspezifisch seine eigenen Möglichkeiten
bietet. Aus einem Sample können Teile ausgeschnitten werden und extra
als Klang verarbeitet werden (Truncatefunktion). Bestimmte Samples oder
zurechtgeschnittene Klangstücke können beliebig oft wiederholt
werden (Loopfunktion). Je nach Art des Samplers können oft sogar 8
verschiedene Loops in einem Klang gesetzt werden.
Das Schreiben von Mischklängen oder von Kombinationsklängen
gehört heute ebenfalls zum Standard. Bei Mischklängen werden
zwei verschiedene Samples gleichzeitig wiedergegeben. Sie verschmelzen
ineinander. Bei Kombinationsklängen werden die Samples hintereinander
gespielt.
Ein weiterer Standard ist der Umkehrklang. Hier läßt man
einen Klang rückwärts laufen, vergleichbar mit dem Rückwärtslauf
eines Tonbandes. Viele Sampler bieten zusätzlich zu diesen Möglichkeiten
noch herkömmliche Editierverfahren, wie bei Synthesizern. Einem Klang
kann so eine Hüllkurve zugeordnet werden, ein LFO überlagert
werden oder bestimmte Controllerdaten auf den (in den meisten Fällen
noch) Tastendruck übertragen werden. Mit dem Einsatz eines Computers
erweitern sich diese Möglichkeiten noch um ein Vielfaches. So gibt
es Programme welche bestimmte Klangsynthesearten simulieren, so daß
aus dem Sampler ein Synthesizer mit additiver Klangsynthese wird, oder
man setzt das berühmte Wave Shaping am Sampler ein. Außerdem
lassen sich durch verschiedene Programme die Sampler viel bequemer und
einfacher bedienen.
Allein diese Vielfalt an Editiermöglichkeiten kann ein Beispiel
dafür geben, wie kreativ und frei man heute seine Klänge verarbeiten
kann. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Es wäre beispielsweise
vorstellbar, das Schreien eines Babys aufzunehmen, tiefer zu transponieren,
diesem Schreien den Klang eines D-50 zu überlagern und diesen abgemischten
Sound langsam in den Klang einer reversen Cymbal übergehen zu lassen.
Es ist immer wieder ein kleines Abenteuer, was für ein Sound am Ende
dieser Prozeduren herauskommt. So hört sich das Geräusch einer
Stubenfliege 2 Oktaven tiefer eher wie das Fahren einer Kompanie von Panzern
an.
Nach diesen Ausführungen nun noch ein Wort zu den Controllern.
Natürlich sind Tastaturen immer noch die gebräuchlichsten, jedoch
müssen sie nicht unbedingt zum Sampler gehören, wie die Nacht
zum Tag. Es ist durchaus möglich, seinen Sampler auch mit einem Blasdruckwandler
oder Ähnlichem zu steuern.
Leider macht sich in letzer Zeit auch ein Trend zum Sampleplayer breit.
Ein Sampleplayer ist ein Instrument, in welchem lediglich bereits gesamplete
Klänge gespeichert sind, mit dem man diese aber nicht editieren oder
selbst neue Klänge samplen kann. Scheinbar ist es den meisten Musikern
zu aufwendig selbst ihre Sounds zu erstellen. Ihnen reichen die von der
Industrie vorgefertigten Sounds. Das gleiche ist mit dem Presetsynthesizer
in der Synthesizerindustrie zu beobachten. Die Möglichkeit der Klangeditierung
wird immer enger. Die Industrie stellt sich auf die Konsumenten ein, und
solange in der Käuferschicht kein weiterreichendes Interesse am Klangeditieren
besteht, wird diese Entwicklung wohl anhalten.
↑
Franz Martin Löhle
Vemittlung von E.M. - wie?
Ein Produzent von Elektronischer Musik (E.M.) hat besonders, mehr als
alle anderen 'Musiker', daran zu schaffen, das von ihm Produzierte zu Gehör
zu bringen und dann auch noch verständlich zu machen. Der Grund hierfür
ist einfach: die neue Soundwelt ist 'überwältigend', schockierend.
Dies bedeutet nun für ihn, einen Großteil seiner musikalischen
Arbeit auch mit dem Erklären von seinen Produktionen zu bestreiten.
Zu aller erst steht trotzdem natürlich das Darbieten seiner Musik.
In der Regel kann er dies nicht alleine; es sein denn, er ist Kompositionsstudent
oder besitzt das nötige 'Kleingeld', um seine Konzerte selbst zu finanzieren.
Er braucht also Foren, die ihm die Möglichkeit der Darstellung bieten.
Für die Gründungsmitglieder von ZeM war ein wichtiger Gründungsgrund,
solch ein Forum zu schaffen, s. nächste Seite.
Das Forum ist nun geschaffen. ZeM e.V. ist gegründet und eingetragen.
Nun gilt es, die Möglichkeiten, die es bietet, zu nutzen. Jeder, der
aktiv seine Vorstellungen von E.M. betreiben und vermitteln will sollte
sich überlegen - wie. Hierzu schwirren mir selbst einige Ideen im
Kopf herum, die ich in den folgenden Ausgaben vorstellen und diskutieren
möchte. Als Musiklehrer (RS) habe ich die Möglichkeit, E.M. in
die Schule zu bringen und somit einen wichtigen Personenkreis, die Lernenden,
zu erreichen. Ich werde die nächsten Wochen Projekte starten, E.M.
nicht nur als Selbstzweck, sondern im Unterricht generell durchzuführen.
Hierüber werde ich dann als erstes berichten.
↑
Warum ein Zentrum für Elektronische Musik?
Die Elektronische Musik führt in unserer Zeit ein Schattendasein,
obgleich ihr technischer Stand einen noch nie dagewesenen Level erreicht
hat. Allein in der Unterhaltungsmusik finden die heutigen Elektrophone
wie Synthesizer, Sampler und Computer Verwendung, jedoch werden sie hier
in der Regel nur zum Imitieren akustischer Instrumente benutzt. Nur von
wenigen zeitgenössischen Komponisten wird heute ab und zu reine Elektronische
Musik komponiert und produziert.
Und trotzdem gibt es viele Laien, Amateure und Halbprofis, die sich
intensiv mit Elektronischer Musik praktisch wie theoretisch befassen.
Bisher war es hier in Freiburg jedoch hauptsächlich Studenten der
PH Freiburg (durch Klaus Weinhold) vergönnt, Elektronische Musik zu
studieren und eigene Stücke zur Aufführung zu bringen.
Um dies zu ändern und ein Forum für alle interessierten Praktiker
und Freunde der Elektronischen Musik zu schaffen, wurde das
Zentrum für Elektronische Musik e. V. - ZeM
gegründet.
Als Ziele und Aufgaben von ZeM wurden folgende festgesetzt:
-
Pflege der Elektronischen Musik durch Konzerte und Workshops
-
Austausch von Informationen und Meinungen und deren Verbreitung durch monatliche
Treffen und ein Mitteilungsblatt, von welchem dies die zweite Ausgabe ist.
Mitglied kann jeder an der Elektronischen Musik Interessierte (aktiv oder
passiv) werden. Genauere Informationen über die Mitgliedschaft können
über die Kontaktadressen erhalten werden:
[...]
Aktuelle Adressen s.u. http://www.zem.de
[In der Printausgabe folgte an dieser Stelle das Formular „Antrag auf Mitgliedschaft”]
↑
Titelseite der zweiten Auflage
|