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ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1 - November/ Dezember 1989

Redaktion: Klaus Weinhold und Franz Martin Löhle

 


 

[Vorwort / Editorial]

Zur Titelseite, dem ZEM-Emblem

Das ZEM-Embelm wurde von Michael Frings nach einer Vorlage von Thomas A. Härtle entworfen. Das schräggestellte kleine ‚e’ symbolisiert die ‚etwas andere Musik’, für die sich ZEM einsetzt. darunter, die graphische Darstellung des gesampelten Wortes ‚ZeM’ [Stimme von Franz Martin Löhle, Anm. d. R.]. Die drei Buchstaben sind deutlich zu erkennen.

Die folgenden Beiträge versuchen nun in dieser ersten Ausgabe des ZEM Mitteilungsblattes grundlegende Aussagen zur Elektronische Musik unter verschiedenen Gesichtspunkten zu machen.

Die nächste Ausgabe des ZEM Mitteilungsblattes wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres erscheinen. Dann in erweiterter Form mit Informationen und Tests über und von Software und Hardware.

[Hier folgte noch die Vereinsadresse und der Antrag auf Mitgliedschaft]

Von der ersten Ausgabe gab es eine zweite Auflage, die einige Korrekturen, die folgende Terminübersicht und die Verschiebung es Vorworts auf die Rückseite enthielt. → Titelblatt Auflage 2

 

 

 


 

Warum ein Zentrum für Elektronische Musik?

Die Elektronische Musik führt in unserer Zeit ein Schattendasein, obgleich ihr technischer Stand einen noch nie dagewesenen Level erreicht hat. Allein in der Unterhaltungsmusik finden die heutigen Elektrophone wie Synthesizer, Sampler und Computer Verwendung, jedoch werden sie hier in der Regel nur zum Imitieren akustischer Instrumente benutzt. Nur von wenigen zeitgenössischen Komponisten wird heute ab und zu reine Elektronische Musik komponiert und produziert. 

Und trotzdem gibt es viele Laien, Amateure und Halbprofis, die sich intensiv mit Elektronischer Musik praktisch wie theoretisch befassen. 

Bisher war es hier in Freiburg jedoch hauptsächlich Studenten der PH Freiburg (durch Klaus Weinhold) vergönnt, Elektronische Musik zu studieren und eigene Stücke zur Aufführung zu bringen. 

Um dies zu ändern und ein Forum für alle interessierten Praktiker und Freunde der Elektronischen Musik zu schaffen, wurde das 

Zentrum für Elektronische Musik - ZeM

gegründet. Die öffentliche Eintragung wird noch in diesem Jahr stattfinden. [Geschehen am 29.12.1989 Am.d.R.]
 

Als Ziele und Aufgaben von ZeM wurden folgende 
festgesetzt: 

  • Pflege der Elektronischen Musik durch Konzerte und Workshops
  • Austausch von Informationen und Meinungen und deren Verbreitung durch monatliche Treffen und ein Mitteilungsblatt, von welchem dies die erste Ausgabe ist. 
Mitglied kann jeder an der Elektronischen Musik Interessierte (aktiv oder passiv) werden. Genauere Informationen über die Mitgliedschaft können über die Kontaktadressen erhalten werden: 

[... Aktuelle Adressen s.u. http://www.zem.de ]

Die folgenden Beiträge versuchen nun in dieser ersten Ausgabe des ZeM Mitteilungsblattes grundlegende Aussagen zur Elektronischen Musik unter verschiedenen Gesichtspunkten zu machen.

Die nächste Ausgabe des ZeM Mitteilungsblattes wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres erscheinen, dann in erweiterter Form mit Informationen und Tests über und von Software und Hardware.

 

 


 

Klaus Weinhold

Gedanken zur Soundelektronik

Wenn man Hörern zufällig oder intendiert elektronische Sounds "zu Gehör" bringt, gibt es eine Reihe inzwischen bekannter Antworten:

"Das ist doch keine Musik",

"anstrengend",

"das macht mich aggressiv",

"so eine Geschnatter",

und meistens sind die Reaktionen Gekicher und Gelächter.

Bleibt die Frage zur letztgenannten Reaktion: Wann und warum lacht der Mensch?...

"Das ist doch keine Musik..."

Nein, das sind sie auch nicht, die elektronischen Sounds. Aber eines haben sie mit den musikalischen Klängen gemeinsam: Schwingungen und deren einfache oder komplexe Zusammensetzung.

Was ist Musik?

Schwingung, aber einfach in "harmonisch" ganzzahligen Verhältnissen, 1:2:3:4, was schon Pythagoras vor 2500 Jahren und Kepler vor 500 Jahren so begeisterte, hörsam, angenehm, warm, schön.

Was sind "elektronische Sounds"?

Fundamental komplexe Schwingungen, nicht auflösbare Schwingungsbänder, Fraktale, Turbulenzen, nicht ganzzahlige Verhältnisse, Brüche.

Was ist "Musik"?

Vorhersehbar, besser vorherhörbar, determiniert, ohne Überraschung, ein geschlossenes überschaubares und "überhörbares" System, dazu ein geschlossener Konzertsaal "Bitte nicht stören", ein festgelegtes Programm.

Was sind "elektronische Sounds"?

Etwa das Gegenteil des oben Genannten ohne bestimmte Norm, ohne eine der vom Menschen so geschätzten Normierungen, nein, ein System mit vielen, schier unbegrenzten Freiheiten.

In der Musik gibt es einfache Gesetze, Formen, vielleicht sich erweiternd zu offenen statistischen Gesetzen. In der Soundelektronik hingegen sind die Gesetze genauso groß wie die experimentell gesuchten und gefundenen Daten.

Die klassische Musik erzieht zu einsehbaren und hörbaren Ordnungsprinzipien, die den Hörer ordnen und in ruhende Harmonie versetzen sollen.

Der elektronische Sound befreit zu ständig neue Gesetze gebender Kreativität und macht unruhig, ja aggressiv dem neuen Material gegenüber.

"Die Erziehung durch Musik ist damit die vorzüglichste, weil der Rhythmus und die Harmonie am meisten in das Innerste der Seele dringen und sie am stärksten erfaßt und Anstand bringt und anständig macht."(Platon)

Der elektronische Sound will sicher nicht unanständig machen, aber dafür offenständig, er will zeigen, was die Mikrowelt, aus der er kommt, alles bereithält, was sich in dieser geheimnisvollen Unterwelt zusammensetzen und komponieren läßt.

Nicht Komposition von Makroelementen im Mikrobereich, "Stücke", sondern Zusammensetzung von Mikroelementen im Mikrobereich, "Soundproduktion".

Man kann unsere sichtbare Welt einteilen in eine gegenständliche und in eine ungegenständliche. Erstere sind feste, determinierte Einheiten, z.B. ein Haus, ein Berg, mit aussagekräftiger Bedeutung (Semantik), letztere sind die Elemente, in die sich ein Gegenstand zerlegen läßt, z.B. geometrische Figuren, Farben, Linien, Flächen mit aussageloser Struktur.

Das klassische Bild ist ein gegenständlicher, zentralperspektivisch festgelegter Ausschnitt aus der Welt, eine determinierte, festgestellte, aus vielen Gegenständen bestehende Welt.

Das moderne Bild, etwa seit Turner, stellt die Welt in Bewegung, z.B. aus dem fahrendem Eisenbahnzug dar. Bei Turner wird die Welt nicht mehr als statisch festgemachte Materie betrachtet, sondern als ständig in Umwandlung begriffene Energie.

In der klassischen Musik sind die Ausschnitte ebenso festgelegt: Der Ton bezieht sich zentralperspektivisch auf die Tonart, den "Fluchtpunkt". Der Abstand der Töne bezieht sich auf einen Ausgangs- und Endpunkt, den "Bildrahmen". Die "Farbe" des Klanges bezieht sich auf ein Instrument.

In der Elektronischen Musik müssen Bezugspunkte stets neu gesucht und gefunden werden, im permanenten Experiment. Das Material ist in Bewegung, wird auseinandergenommen und formt sich ständig zu neuen Konstellationen, z.B. der heute verfügbaren Oberschwingungen.

Soll man der Elektronischen Musik in der Musikpädagogik einen Stellenwert zumessen?

Die Frage ist, ob man der Kultur, der Pflege des Überkommenen, oder der Natur, dem was ist, den Vorrang geben soll.

Unsere klassische Musik beruht zwar, wie alles auf der Natur, ist aber ein gestaltetes Kulturprodukt, das auswählen mußte, vieles auf einen einfachen Nenner gebracht hat, das die Fülle der natürlichen Möglichkeiten einer grandiosen Flurbereinigung unterzogen hat, die z.B. in der klassischen Orgelmusik nur den 2., 3., 5., 6. Oberton einbezog.

Diese Musik ist nicht anstrengend, regt uns nicht auf, beruhigt uns, macht uns anständig und ausgeglichen, erzeugt Stimmung und Harmonie.

Der Mensch hat es immer vorgezogen, die Natur zu verdrängen, zu beseitigen, so wie er durch die von ihm geschaffene Fernsehwelt die Realität allmählich verdrängt; er wird es auch weiter so handhaben, obwohl er eigentlich im Einklang mit der Natur leben sollte. Aber diese Natur ist für den Menschen eben zu anstrengend. So würde ich der Elektronischen Musik, zumindest in der Musikpädagogik, kaum eine Chance einräumen, denn sie würde beunruhigen und die Fragwürdigkeit der Harmonie aufdecken.

 

 


 

Dr. Walter Birg

Physik und Musik

Physik und Musik. Was haben diese beiden so gegensätzlich anmutenden Gebiete miteinander zu tun?

Nun, zunächst scheint es keine Brücke zu geben. Dennoch sind alle musikalischen Phänomene, die sich auf Töne und Klänge beziehen, zunächst einmal angewandte Physik. Angefangen von der Tonentstehung im akustischen oder elektronischen Oszillator, der Verstärkung im Resonator, der Klangbearbeitung im Filter, der Schallübertragung in der Luft, der Wandlung im menschlichen Ohr. Nur die letzte Stufe, die Musikrezeption und Verarbeitung ist nicht physikalisch beschreibbar. Dagegen sind die Begriffe Obertöne, Sinuswellen, Modulation. Amplitude Begriffe, die besonders in der elektronischen Musik häufig vorkommen - physikalischen Ursprungs. Dennoch soll unser Augenmerk im folgenden weniger den Klangphänomenen gelten als den ästhetischen und informationstheoretischen Gesichtspunkten der Musik. Vielleicht kann auch hier die Physik helfen. Ausgangspunkt dabei soll ein Begriff sein, der zur Zeit einen unschätzbaren Beitrag zu den Grundlagen der Physik liefert, vielleicht kann dieser Begriff auch für die Musik einen ähnlich wichtigen Stellenwert bekommen:

Der Begriff des Chaos.

Chaotische Strukturen treten in der Physik überall dort auf, wo eine Ausgangsgröße in der Weise von einer Eingangsgröße abhängt, daß minimale Änderungen der Eingangsgröße zu großen Änderungen der Ausgangsgröße führen. Noch vor wenigen Jahren dachte man nicht daran, daß selbst im Bereich der klassischen Mechanik indeterministische, chaotische Strukturen auftreten könnten. Dennoch scheint es inzwischen, daß diese Strukturen eher das Normale und die exakt determinierten Strukturen das Besondere darstellen.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Einfluß aus dem Bereich der Quantenmechanik, welche grundlegend für unseren gesamten Kosmos zu sein scheint: Die Unschärferelation. Sie besagt im Wesentlichen, daß von zwei Größen der Physik. deren Produkt die Dimension Energie x Zeit haben, nur eine exakt festgelegt werden kann. Die andere wird umso unschärfer, je genauer man die erste fixiert. Dieser Effekt ist im Makroskopischen im allgemeinen nicht feststellbar, da die körnige "digitale" Struktur unserer Welt doch sehr versteckt ist. Dennoch ist der Effekt überall vorhanden: Schon der neunte Stoß einer Billardkugel auf neun andere ist praktisch total unvorhersagbar "chaotisch", berücksichtigt man beim ersten Stoß nur die Unschärferelation!

Ein Beispiel für chaotische Strukturen stellt die berühmte "Mandelbrotmenge" dar. Die Mandelbrotmenge wurde von Benoit Mandelbrot 1975 entdeckt, als er Rückkopplungsprozesse mathematisch zu beschreiben versuchte. Diese Rückkopplungsprozesse, die wir ja auch in der elektronischen Musik gut kennen und auch produktiv einsetzen können ("weißes Rauschen"), können mathematisch durch eine Abbildung beschrieben werden. Es wird einfach die komplexe Zahl Z abgebildet auf Z'2 + Konstante. Das Ergebnis wird wieder abgebildet usw. Um nun zu einer der berühmten unten abgebildeten Grafiken zu kommen. stellt man an dem jeweils betrachteten Punkt fest, ob nach einer bestimmten Anzahl von Abbildungen die Zahl Z endlich bleibt oder unendlich wird. Im ersten Falle wird ein Punkt gesetzt, im letzteren nicht. Mit dieser einfachen Vorschrift erhält man wundervolle Grafiken, die über einige wichtige Eigenschaften verfügen. die wir auch in der Musik gut brauchen können. Übrigens wurde bei den Donaueschinger Musiktagen '88 von Mesias Maiguashca (Musikhochschule Freiburg) eine Mandelbrot-Abbildung zur Grundlage einer musikalischen Komposition gemacht: A Mandelbox.

Folgende Eigenschaften zeichnen die Mandelbrot Grafiken und ähnliche Abbildungen aus:

1. Selbst bei beliebiger Vergrößerung der Grafik treten immer weitere Strukturen auf ("Fraktale').

2. Die entstehenden Figuren sind außerordentlich vielgestaltig, d.h. sie enthalten Information, die das ästhetische Empfinden des Menschen ansprechen.

3. Die bei Vergrößerung entstehenden Figuren sind selbstähnlich.

Besonders letztere Eigenschaft erinnert an die musikalische "Augmentation" von rhythmischen Motiven, die eigentlich zu allen Zeiten in der Musik verwendet wurden und werden.

Um die Sache etwas deutlicher zu machen, wollen wir einen etwas einfacheren Fall annehmen und uns auf Werte reeller Zahlen beschränken. Betrachten wir die folgende Gleichung, die in vielfältiger Weise in der Natur vorkommt, so in der Laserphysik, in der Molekularentwicklung, bei der Beschreibung von turbulenten Flüssigkeiten. aber auch beim Wachstum bei begrenztem Lebensraum.

Feigenbaum'sche Bifurkation:

y(n+1) = r x y(n) x (1 - y(n))

Diese Gleichung, die sog. logistische Gleichung, stellt eine Rückkopplung dar, indem jeweils ein Wert y(n+1) aus dem vorherigen Wert y(n) errechnet wird. Abhängig von dem Parameter r, der den Charakter der Abbildung beschreibt, wiederholen sich nach 1,2,3... oder auch erst nach unendlich vielen Abbildungen die y(n+1)-Werte. Das bedeutet: Interpretiert man y(n+1) z.B. als Tonhöhe, so treten 'Melodien" der Periodenlänge 1, 2, 3 usw. auf, aber es kann auch in der Nähe der kritischen Werte von r 'Chaos" auftreten, d.h. eine Periodenlänge von unendlich. Bei dem Workshop '88 wurde eine nach dieser Methode bestimmte Komposition vorgestellt, bei der der Parameter r interaktiv verändert werden konnte und damit fraktale Musik erzeugt wurde. Dabei konnte denk der hohen Rechenleistung der Computer gleichzeitig die y(n+1)-Werte graphisch darstellen, was das akustische Feedback unterstützte.

Nach den Ergebnissen der Physik scheint folgende Aussage gerechtfertigt: Ohne Chaos gäbe es keine komplexen Systeme, keine Evolution und kein Leben. Vielleicht werden wir auch einmal sagen können: keine vernünftige elektronische Musik.

 


Franz Martin Löhle

Elektronische Produktionen

Einblicke - Ausblicke ...


1. Wie komme ich zur Elektronischen Musik

"Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen." Dieser Satz der 'Engel' aus Goethes Faust II stellt vereinfacht eine bekannte Tatsache im Musikerleben der- das Suchen nach Neuem, das ´Weiterkommen in der Musik'. Hier jedoch stellt sich natürlich die Frage, was 'Weiterkommen' und 'Musik' für den einzelnen bedeutet. Für mich, was ich gleich vorwegnehmen möchte, heißt das: Elektronische Musik!

Die Anlagen hierfür kann ich für mich relativ früh erkennen. Angefangen bei meinen ersten Erfahrungen mit Musik, Melodika-Unterricht und Self-Made-Klavierspiel, bis zu meinem Musiklehrer-Studium an der PH Freiburg.
Es reizte mich beim Suchen nach neuen Klavierstücken (nach dem Melodikaunterricht kam der Klavierunterricht) neues mir Unbekanntes zu spielen, da das mir schon Bekannte zu überholt klang. Zunächst fand ich dieses Unbekannte in der Unterhaltungsmusik, wie die frühen Pink Floyd und Genesis, wodurch ich zum ersten Mal mit elektronischen Klängen und elektronisch verfremdeten akustischen Klängen (heute besser zu realisieren durch Sound-Sampling) konfrontiert wurde. Ein unlösbares Problem hinderte mich jedoch, hier weiter zu suchen, das nötige Kleingeld für diese neuen Instrumente (Synthesizer) aufzubringen ... ein normaler Synthesizer kostete damals (1976) in der Regel über 4000 DM.
Also blieb nur das Klavier, mit dem wenigstens über neue Tonalitäten/Atonalitäten Neues zu schaffen war. Später gesellte sich noch eine weitere Möglichkeit dazu, das Musizieren mit anderen Instrumenten. Da es sich bei den Musikanten in der Regel um Laien handelte, konnten neue 'Klang- und Melodiestrukturen' relativ leicht gefunden werden, was übrigens mit spieltechnisch guten Musikern weitaus schwieriger war. Eine Bezeichnung dieser Musik fand sich mit dem Begriff 'Free-Jazz'.

Mit der Verwendung des Microchips beim Synthesizerbau (ab 1978) wurden diese Instrumente erheblich billiger, dadurch war es mir möglich, 1984 den ersten Synthesizer (Korg Poly 800) zu erwerben, wenngleich dieses Instrument damals noch stolze 1600 DM kostete.
Jetzt begann natürlich erst recht die Suche nach Neuem, primär nach neuen Klängen. Neue Strukturen waren schwerlich zu finden, da zur Produktion neuer Stücke mit nur einem Synthesizer ohne MIDI-Multi-Mode (mehrere verschiedene Klänge können von ihm gleichzeitig gespielt werden) ein Mehrspuraufnahmegerät unumgänglich war. Auch dieses Problem und andere folgende ließen sich mit der Zeit lösen.
Ein weiterer entscheidender Schritt wer dann der Computer, der heute die 'Zentrale' - sozusagen als Verlängerung des Geistes - in einem Elektronischen Instrumentarium bildet. In Verbindung mit einem MIDI-Multi-Mode Synthesizer und der entsprechenden Software bzw. Programmiersprache können die verschiedenartigsten Produktionen realisiert werden. Zusätzlich ergänzt noch mit einem Sound-Sampler (akustische Klänge können mit ihm aufgenommen, 'erfremdet und wieder abgespielt werden) sind den Wünschen nach neuen Klängen und Strukturen von neuer Musik keine Grenzen gesetzt.
 

2. Wie arbeite ich mit meinen Instrumenten

Doch genau dieses "keine Grenzen gesetzt" ist die Schwierigkeit, vor die der Elektronische Musiker (Produzent) gestellt ist. Er muß und sollte für sich selbst eigene Produktionsprinzipien entwickeln, die er natürlich ständig hinterfragen muß. Angefangen mit klanglichen Verfremdungen von vorhandenem Notenmaterial, z.B. einer Bach-Fuge (Metermorphosen), bis zur absoluten Computer-Zufalls-Produktion. Gerade diese Schwierigkeit macht jedoch auch den Reiz aus. sich ihr zu stellen. Sich selbst kleine Dogmen zu setzen, ist zumindest ein Anfang, der mir das erste Produzieren von Stücken erleichterte. Sie, die Dogmen (Regeln). gibt es jedoch, betrachtet man die ersten Elektronischen Werke der Kölner Schule (Eimert, Stockhausen). Die Grundlage wer hier das serielle Prinzip - allen Parametern der Musik (Tonhöhe, Tonstärke, Tondauer, Klangfarbe) werden Reihen zugeordnet. Gerade dieses Prinzip reizt mich heute immer noch, es als Arbeitsgrundlage zu benutzen. Konkret bedeutet dies, daß ich mir ein Programm entwickelte, weiches mir das Erstellen der Reihen und das Interpretieren der Produktion abnimmt, und mir dabei hilft, die Produktion aus den verschiedenen Reihen zusammenzustellen. Beim Erstellen einer solchen Produktion geht das Kreieren von Klängen (Synthesizer und Sampler) natürlich Hand in Hand mit dem Aussuchen der passenden Reihen und Reihenteile. Auch kann umgekehrt zuerst das Klangmaterial vorhanden sein. Hierbei ist denn zu überlegen, ob allein über eine Klaviatur improvisierend mit dem Material gearbeitet wird, oder ob ich eigens ein Programm dafür schreibe. Die 'Extra-Programme' stellen. um bei der bisherigen Terminologie zu bleiben, die Kompositionsregeln und die Partituren der Stücke der. Der Interpret ist der Computer, der mehr oder weniger jedoch genau an meine Anweisungen gebunden ist (Über Random/ Zufalls-Funktionen kann 'ihm' mehr oder weniger eine gewisse Freiheit gewährt werden). Die Instrumente sind der Synthesizer und Sampler.
 

3. Der Stellenwert der Elektronischen Musik

Durch die Unterhaltungsmusik werden viele Musiker mit elektronischen Instrumenten konfrontiert, nicht jedoch mit elektronischer Musik im, eigentlichen Sinne. Die Instrumente werden zweckentfremdet , eingesetzt, was in der fast 100 jährigen Geschichte der Elektrophone Tradition hat, denn sie sollten schon immer akustische Instrumente nachahmen ... Hammond Orgel, die heutigen Keyboards und natürlich der Sound-Sampler. Dieser Umstand hat einen banalen Grund: kaum jemand kann mit diesen Instrumenten umgehen; allein wie die Tastatur bedient wird, wird gelernt. Klänge produzieren, was das Synthesizers Aufgabe ist, wird umgangen, Klänge werden gekauft ... so als ob ich als Klavierspieler ein Stück nicht selbst spielte, sondern die Platte davon kaufte. Diese Chance nun gilt es zu nutzen, die Kapazität, die vorhanden ist - Elektrophone überall - auszuschöpfen. um Elektronische Musik (Computermusik) verständlich darzubieten und wo immer gewünscht zu fördern. Konkret: Es muß gezeigt werden, was mit diesen Instrumenten alles möglich ist.

Aus einem anderen Gesichtspunkt heraus, stellt sich die Frage inwieweit Elektronische Musik überhaupt von Musikern traditioneller Musik und Musikfreunden akzeptiert wird. Auch hier scheint der Umstand der Bekanntheit Elektronischer Musik - in der Regel ist sie nur aus Filmen (Filmmusik) bekannt, und dann auch nur unbewußt - eine nicht zu verachtende Rolle zu spielen. Deswegen gilt es durch Konzerte und anderen Darbietungen diese Art von Musik zu veröffentlichen.

Dem Skeptiker, dem E. M. nichts sagt, da sie 'unmenschlich' - '... Musik wo der Mensch keinen Platz mehr hat..." - und 'unmusikalisch' ist, seien hier noch zwei Gedanken aufgeführt.

1. Der Mensch hat nur da keinen Platz mehr, wo er sich selbst ausschließt. Er entscheidet selbst, was menschlich und unmenschlich ist. Computer sind sehr menschlich, versuchen sie doch den menschlichen Geist zu imitieren und somit zu verlängern.

2. Die Elektronische Musik, speziell die heutige mit Computern gemachte, ist nur eine Konsequenz der Entwicklung der Musik überhaupt - „Als man Felle gerben konnte, beute man Trommeln, als man Metalle gießen konnte, baute man Trompeten und Posaunen, heute wird der Chip zur Konstruktion von Instrumenten verwendet” (Enders: Des MIDI und Sound Buch zum Atari ST, München 1988, S.11), und Ausdruck der Gegenwart, die nun mal in allen Lebensbereichen vom Mikrochip geprägt ist. Es ist somit nur eine Frage, inwieweit Musik als Kunst unserer Zeit oder als Reproduktion von Gewesenen gesehen wird.

 


 

Titelseite der zweiten Auflage


© ZeM e.V. | ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1 - November/ Dezember 1989

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