
ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1 - November/ Dezember 1989
Redaktion: Klaus Weinhold und Franz Martin Löhle
[Vorwort / Editorial]
Zur Titelseite, dem ZEM-Emblem
Das ZEM-Embelm wurde von Michael Frings nach einer Vorlage von Thomas A. Härtle entworfen. Das schräggestellte kleine ‚e’ symbolisiert die ‚etwas andere Musik’, für die sich ZEM einsetzt. darunter, die graphische Darstellung des gesampelten Wortes ‚ZeM’ [Stimme von Franz Martin Löhle, Anm. d. R.]. Die drei Buchstaben sind deutlich zu erkennen.
Die folgenden Beiträge versuchen nun in dieser ersten Ausgabe des ZEM Mitteilungsblattes grundlegende Aussagen zur Elektronische Musik unter verschiedenen Gesichtspunkten zu machen.
Die nächste Ausgabe des ZEM Mitteilungsblattes wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres erscheinen. Dann in erweiterter Form mit Informationen und Tests über und von Software und Hardware.
[Hier folgte noch die Vereinsadresse und der Antrag auf Mitgliedschaft]
Von der ersten Ausgabe gab es eine zweite Auflage, die einige Korrekturen, die folgende Terminübersicht und die Verschiebung es Vorworts auf die Rückseite enthielt. → Titelblatt Auflage 2

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Warum ein Zentrum für Elektronische Musik?
Die Elektronische Musik führt in unserer Zeit ein Schattendasein,
obgleich ihr technischer Stand einen noch nie dagewesenen Level erreicht
hat. Allein in der Unterhaltungsmusik finden die heutigen Elektrophone
wie Synthesizer, Sampler und Computer Verwendung, jedoch werden sie hier
in der Regel nur zum Imitieren akustischer Instrumente benutzt. Nur von
wenigen zeitgenössischen Komponisten wird heute ab und zu reine Elektronische
Musik komponiert und produziert.
Und trotzdem gibt es viele Laien, Amateure und Halbprofis, die sich
intensiv mit Elektronischer Musik praktisch wie theoretisch befassen.
Bisher war es hier in Freiburg jedoch hauptsächlich Studenten der
PH Freiburg (durch Klaus Weinhold) vergönnt, Elektronische Musik zu
studieren und eigene Stücke zur Aufführung zu bringen.
Um dies zu ändern und ein Forum für alle interessierten Praktiker
und Freunde der Elektronischen Musik zu schaffen, wurde das
Zentrum für Elektronische Musik - ZeM
gegründet. Die öffentliche Eintragung wird noch in diesem
Jahr stattfinden. [Geschehen am 29.12.1989 Am.d.R.]
Als Ziele und Aufgaben von ZeM wurden folgende
festgesetzt:
-
Pflege der Elektronischen Musik durch Konzerte und Workshops
-
Austausch von Informationen und Meinungen und deren Verbreitung durch monatliche
Treffen und ein Mitteilungsblatt, von welchem dies die erste Ausgabe ist.
Mitglied kann jeder an der Elektronischen Musik Interessierte (aktiv oder
passiv) werden. Genauere Informationen über die Mitgliedschaft können
über die Kontaktadressen erhalten werden:
[... Aktuelle Adressen s.u. http://www.zem.de
]
Die folgenden Beiträge versuchen nun in dieser ersten Ausgabe des
ZeM Mitteilungsblattes grundlegende Aussagen zur Elektronischen Musik unter
verschiedenen Gesichtspunkten zu machen.
Die nächste Ausgabe des ZeM Mitteilungsblattes wird voraussichtlich
Anfang nächsten Jahres erscheinen, dann in erweiterter Form mit Informationen
und Tests über und von Software und Hardware.
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Klaus Weinhold
Gedanken zur Soundelektronik
Wenn man Hörern zufällig oder intendiert
elektronische Sounds "zu Gehör" bringt, gibt es
eine Reihe inzwischen bekannter Antworten:
"Das ist doch keine Musik",
"anstrengend",
"das macht mich aggressiv",
"so eine Geschnatter",
und meistens sind die Reaktionen Gekicher und
Gelächter.
Bleibt die Frage zur letztgenannten Reaktion:
Wann und warum lacht der Mensch?...
"Das ist doch keine Musik..."
Nein, das sind sie auch nicht, die elektronischen
Sounds. Aber eines haben sie mit den
musikalischen Klängen gemeinsam:
Schwingungen und deren einfache oder
komplexe Zusammensetzung.
Was ist Musik?
Schwingung, aber einfach in "harmonisch"
ganzzahligen Verhältnissen, 1:2:3:4, was schon
Pythagoras vor 2500 Jahren und Kepler vor 500
Jahren so begeisterte, hörsam, angenehm, warm,
schön.
Was sind "elektronische Sounds"?
Fundamental komplexe Schwingungen, nicht
auflösbare Schwingungsbänder, Fraktale,
Turbulenzen, nicht ganzzahlige Verhältnisse,
Brüche.
Was ist "Musik"?
Vorhersehbar, besser vorherhörbar, determiniert,
ohne Überraschung, ein geschlossenes
überschaubares und "überhörbares" System,
dazu ein geschlossener Konzertsaal "Bitte nicht
stören", ein festgelegtes Programm.
Was sind "elektronische Sounds"?
Etwa das Gegenteil des oben Genannten ohne
bestimmte Norm, ohne eine der vom Menschen
so geschätzten Normierungen, nein, ein System
mit vielen, schier unbegrenzten Freiheiten.
In der Musik gibt es einfache Gesetze, Formen,
vielleicht sich erweiternd zu offenen statistischen
Gesetzen. In der Soundelektronik hingegen sind
die Gesetze genauso groß wie die experimentell
gesuchten und gefundenen Daten.
Die klassische Musik erzieht zu einsehbaren und
hörbaren Ordnungsprinzipien, die den Hörer
ordnen und in ruhende Harmonie versetzen
sollen.
Der elektronische Sound befreit zu ständig neue
Gesetze gebender Kreativität und macht unruhig,
ja aggressiv dem neuen Material gegenüber.
"Die Erziehung durch Musik ist damit die
vorzüglichste, weil der Rhythmus und die
Harmonie am meisten in das Innerste der Seele
dringen und sie am stärksten erfaßt und
Anstand bringt und anständig macht."(Platon)
Der elektronische Sound will sicher nicht
unanständig machen, aber dafür offenständig, er
will zeigen, was die Mikrowelt, aus der er
kommt, alles bereithält, was sich in dieser
geheimnisvollen Unterwelt zusammensetzen und
komponieren läßt.
Nicht Komposition von Makroelementen im
Mikrobereich, "Stücke", sondern
Zusammensetzung von Mikroelementen im
Mikrobereich, "Soundproduktion".
Man kann unsere sichtbare Welt einteilen in eine
gegenständliche und in eine ungegenständliche.
Erstere sind feste, determinierte Einheiten, z.B.
ein Haus, ein Berg, mit aussagekräftiger
Bedeutung (Semantik), letztere sind die
Elemente, in die sich ein Gegenstand zerlegen
läßt, z.B. geometrische Figuren, Farben, Linien,
Flächen mit aussageloser Struktur.
Das klassische Bild ist ein gegenständlicher,
zentralperspektivisch festgelegter Ausschnitt aus
der Welt, eine determinierte, festgestellte, aus
vielen Gegenständen bestehende Welt.
Das moderne Bild, etwa seit Turner, stellt die
Welt in Bewegung, z.B. aus dem fahrendem
Eisenbahnzug dar. Bei Turner wird die Welt
nicht mehr als statisch festgemachte Materie
betrachtet, sondern als ständig in Umwandlung
begriffene Energie.
In der klassischen Musik sind die Ausschnitte
ebenso festgelegt: Der Ton bezieht sich
zentralperspektivisch auf die Tonart, den
"Fluchtpunkt". Der Abstand der Töne bezieht
sich auf einen Ausgangs- und Endpunkt, den
"Bildrahmen". Die "Farbe" des Klanges bezieht
sich auf ein Instrument.
In der Elektronischen Musik müssen
Bezugspunkte stets neu gesucht und gefunden
werden, im permanenten Experiment. Das
Material ist in Bewegung, wird
auseinandergenommen und formt sich ständig
zu neuen Konstellationen, z.B. der heute
verfügbaren Oberschwingungen.
Soll man der Elektronischen Musik in der
Musikpädagogik einen Stellenwert zumessen?
Die Frage ist, ob man der Kultur, der Pflege des
Überkommenen, oder der Natur, dem was ist,
den Vorrang geben soll.
Unsere klassische Musik beruht zwar, wie alles
auf der Natur, ist aber ein gestaltetes
Kulturprodukt, das auswählen mußte, vieles auf
einen einfachen Nenner gebracht hat, das die
Fülle der natürlichen Möglichkeiten einer
grandiosen Flurbereinigung unterzogen hat, die
z.B. in der klassischen Orgelmusik nur den 2., 3.,
5., 6. Oberton einbezog.
Diese Musik ist nicht anstrengend, regt uns
nicht auf, beruhigt uns, macht uns anständig und
ausgeglichen, erzeugt Stimmung und Harmonie.
Der Mensch hat es immer vorgezogen, die Natur
zu verdrängen, zu beseitigen, so wie er durch die
von ihm geschaffene Fernsehwelt die Realität
allmählich verdrängt; er wird es auch weiter so
handhaben, obwohl er eigentlich im Einklang mit
der Natur leben sollte. Aber diese Natur ist für
den Menschen eben zu anstrengend. So würde
ich der Elektronischen Musik, zumindest in der
Musikpädagogik, kaum eine Chance einräumen,
denn sie würde beunruhigen und die
Fragwürdigkeit der Harmonie aufdecken.
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Dr. Walter Birg
Physik und Musik
Physik und Musik. Was haben diese beiden so gegensätzlich anmutenden
Gebiete miteinander zu tun?
Nun, zunächst scheint es keine Brücke zu geben. Dennoch sind
alle musikalischen Phänomene, die sich auf Töne und Klänge
beziehen, zunächst einmal angewandte Physik. Angefangen von der Tonentstehung
im akustischen oder elektronischen Oszillator, der Verstärkung im
Resonator, der Klangbearbeitung im Filter, der Schallübertragung in
der Luft, der Wandlung im menschlichen Ohr. Nur die letzte Stufe, die Musikrezeption
und Verarbeitung ist nicht physikalisch beschreibbar. Dagegen sind die
Begriffe Obertöne, Sinuswellen, Modulation. Amplitude Begriffe, die
besonders in der elektronischen Musik häufig vorkommen - physikalischen
Ursprungs. Dennoch soll unser Augenmerk im folgenden weniger den Klangphänomenen
gelten als den ästhetischen und informationstheoretischen Gesichtspunkten
der Musik. Vielleicht kann auch hier die Physik helfen. Ausgangspunkt dabei
soll ein Begriff sein, der zur Zeit einen unschätzbaren Beitrag zu
den Grundlagen der Physik liefert, vielleicht kann dieser Begriff auch
für die Musik einen ähnlich wichtigen Stellenwert bekommen:
Der Begriff des Chaos.
Chaotische Strukturen treten in der Physik überall dort auf, wo
eine Ausgangsgröße in der Weise von einer Eingangsgröße
abhängt, daß minimale Änderungen der Eingangsgröße
zu großen Änderungen der Ausgangsgröße führen.
Noch vor wenigen Jahren dachte man nicht daran, daß selbst im Bereich
der klassischen Mechanik indeterministische, chaotische Strukturen auftreten
könnten. Dennoch scheint es inzwischen, daß diese Strukturen
eher das Normale und die exakt determinierten Strukturen das Besondere
darstellen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Einfluß aus dem Bereich
der Quantenmechanik, welche grundlegend für unseren gesamten Kosmos
zu sein scheint: Die Unschärferelation. Sie besagt im Wesentlichen,
daß von zwei Größen der Physik. deren Produkt die Dimension
Energie x Zeit haben, nur eine exakt festgelegt werden kann. Die andere
wird umso unschärfer, je genauer man die erste fixiert. Dieser Effekt
ist im Makroskopischen im allgemeinen nicht feststellbar, da die körnige
"digitale" Struktur unserer Welt doch sehr versteckt ist. Dennoch ist der
Effekt überall vorhanden: Schon der neunte Stoß einer Billardkugel
auf neun andere ist praktisch total unvorhersagbar "chaotisch", berücksichtigt
man beim ersten Stoß nur die Unschärferelation!
Ein Beispiel für chaotische Strukturen stellt die berühmte
"Mandelbrotmenge" dar. Die Mandelbrotmenge wurde von Benoit Mandelbrot
1975 entdeckt, als er Rückkopplungsprozesse mathematisch zu beschreiben
versuchte. Diese Rückkopplungsprozesse, die wir ja auch in der elektronischen
Musik gut kennen und auch produktiv einsetzen können ("weißes
Rauschen"), können mathematisch durch eine Abbildung beschrieben werden.
Es wird einfach die komplexe Zahl Z abgebildet auf Z'2 + Konstante. Das
Ergebnis wird wieder abgebildet usw. Um nun zu einer der berühmten
unten abgebildeten Grafiken zu kommen. stellt man an dem jeweils betrachteten
Punkt fest, ob nach einer bestimmten Anzahl von Abbildungen die Zahl Z
endlich
bleibt oder unendlich wird. Im ersten Falle wird ein Punkt gesetzt, im
letzteren nicht. Mit dieser einfachen Vorschrift erhält man wundervolle
Grafiken, die über einige wichtige Eigenschaften verfügen. die
wir auch in der Musik gut brauchen können. Übrigens wurde bei
den Donaueschinger Musiktagen '88 von Mesias Maiguashca (Musikhochschule
Freiburg) eine Mandelbrot-Abbildung zur Grundlage einer musikalischen Komposition
gemacht: A Mandelbox.
Folgende Eigenschaften zeichnen die Mandelbrot Grafiken und ähnliche
Abbildungen aus:
1. Selbst bei beliebiger Vergrößerung der Grafik treten immer
weitere Strukturen auf ("Fraktale').
2. Die entstehenden Figuren sind außerordentlich vielgestaltig,
d.h. sie enthalten Information, die das ästhetische Empfinden des
Menschen ansprechen.
3. Die bei Vergrößerung entstehenden Figuren sind selbstähnlich.
Besonders letztere Eigenschaft erinnert an die musikalische "Augmentation"
von rhythmischen Motiven, die eigentlich zu allen Zeiten in der Musik verwendet
wurden und werden.
Um die Sache etwas deutlicher zu machen, wollen wir einen etwas einfacheren
Fall annehmen und uns auf Werte reeller Zahlen beschränken. Betrachten
wir die folgende Gleichung, die in vielfältiger Weise in der Natur
vorkommt, so in der Laserphysik, in der Molekularentwicklung, bei der Beschreibung
von turbulenten Flüssigkeiten. aber auch beim Wachstum bei begrenztem
Lebensraum.
Feigenbaum'sche Bifurkation:
y(n+1) = r x y(n) x (1 - y(n))
Diese Gleichung, die sog. logistische Gleichung, stellt eine Rückkopplung
dar, indem jeweils ein Wert y(n+1) aus dem vorherigen Wert y(n) errechnet
wird. Abhängig von dem Parameter r, der den Charakter der Abbildung
beschreibt, wiederholen sich nach 1,2,3... oder auch erst nach unendlich
vielen Abbildungen die y(n+1)-Werte. Das bedeutet: Interpretiert man y(n+1)
z.B. als Tonhöhe, so treten 'Melodien" der Periodenlänge 1, 2,
3 usw. auf, aber es kann auch in der Nähe der kritischen Werte von
r 'Chaos" auftreten, d.h. eine Periodenlänge von unendlich. Bei dem
Workshop '88 wurde eine nach dieser Methode bestimmte Komposition vorgestellt,
bei der der Parameter r interaktiv verändert werden konnte und damit
fraktale Musik erzeugt wurde. Dabei konnte denk der hohen Rechenleistung
der Computer gleichzeitig die y(n+1)-Werte graphisch darstellen, was das
akustische Feedback unterstützte.
Nach den Ergebnissen der Physik scheint folgende Aussage gerechtfertigt:
Ohne Chaos gäbe es keine komplexen Systeme, keine Evolution und kein
Leben. Vielleicht werden wir auch einmal sagen können: keine vernünftige
elektronische Musik.

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Franz Martin Löhle
Elektronische Produktionen
Einblicke - Ausblicke ...
1. Wie komme ich zur Elektronischen Musik
"Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen."
Dieser Satz der 'Engel' aus Goethes Faust II stellt vereinfacht eine bekannte
Tatsache im Musikerleben der- das Suchen nach Neuem, das ´Weiterkommen
in der Musik'. Hier jedoch stellt sich natürlich die Frage, was 'Weiterkommen'
und 'Musik' für den einzelnen bedeutet. Für mich, was ich gleich
vorwegnehmen möchte, heißt das: Elektronische Musik!
Die Anlagen hierfür kann ich für mich relativ früh erkennen.
Angefangen bei meinen ersten Erfahrungen mit Musik, Melodika-Unterricht
und Self-Made-Klavierspiel, bis zu meinem Musiklehrer-Studium an der PH
Freiburg.
Es reizte mich beim Suchen nach neuen Klavierstücken (nach dem
Melodikaunterricht kam der Klavierunterricht) neues mir Unbekanntes zu
spielen, da das mir schon Bekannte zu überholt klang. Zunächst
fand ich dieses Unbekannte in der Unterhaltungsmusik, wie die frühen
Pink Floyd und Genesis, wodurch ich zum ersten Mal mit elektronischen Klängen
und elektronisch verfremdeten akustischen Klängen (heute besser zu
realisieren durch Sound-Sampling) konfrontiert wurde. Ein unlösbares
Problem hinderte mich jedoch, hier weiter zu suchen, das nötige Kleingeld
für diese neuen Instrumente (Synthesizer) aufzubringen ... ein normaler
Synthesizer kostete damals (1976) in der Regel über 4000 DM.
Also blieb nur das Klavier, mit dem wenigstens über neue Tonalitäten/Atonalitäten
Neues zu schaffen war. Später gesellte sich noch eine weitere Möglichkeit
dazu, das Musizieren mit anderen Instrumenten. Da es sich bei den Musikanten
in der Regel um Laien handelte, konnten neue 'Klang- und Melodiestrukturen'
relativ leicht gefunden werden, was übrigens mit spieltechnisch guten
Musikern weitaus schwieriger war. Eine Bezeichnung dieser Musik fand sich
mit dem Begriff 'Free-Jazz'.
Mit der Verwendung des Microchips beim Synthesizerbau (ab 1978) wurden
diese Instrumente erheblich billiger, dadurch war es mir möglich,
1984 den ersten Synthesizer (Korg Poly 800) zu erwerben, wenngleich dieses
Instrument damals noch stolze 1600 DM kostete.
Jetzt begann natürlich erst recht die Suche nach Neuem, primär
nach neuen Klängen. Neue Strukturen waren schwerlich zu finden, da
zur Produktion neuer Stücke mit nur einem Synthesizer ohne MIDI-Multi-Mode
(mehrere verschiedene Klänge können von ihm gleichzeitig gespielt
werden) ein Mehrspuraufnahmegerät unumgänglich war. Auch dieses
Problem und andere folgende ließen sich mit der Zeit lösen.
Ein weiterer entscheidender Schritt wer dann der Computer, der heute
die 'Zentrale' - sozusagen als Verlängerung des Geistes - in einem Elektronischen
Instrumentarium bildet. In Verbindung mit einem MIDI-Multi-Mode Synthesizer
und der entsprechenden Software bzw. Programmiersprache können die
verschiedenartigsten Produktionen realisiert werden. Zusätzlich ergänzt
noch mit einem Sound-Sampler (akustische Klänge können mit ihm
aufgenommen, 'erfremdet und wieder abgespielt werden) sind den Wünschen
nach neuen Klängen und Strukturen von neuer Musik keine Grenzen gesetzt.
2. Wie arbeite ich mit meinen Instrumenten
Doch genau dieses "keine Grenzen gesetzt" ist die Schwierigkeit, vor
die der Elektronische Musiker (Produzent) gestellt ist. Er muß und
sollte für sich selbst eigene Produktionsprinzipien entwickeln, die
er natürlich ständig hinterfragen muß. Angefangen mit klanglichen
Verfremdungen von vorhandenem Notenmaterial, z.B. einer Bach-Fuge (Metermorphosen),
bis zur absoluten Computer-Zufalls-Produktion. Gerade diese Schwierigkeit
macht jedoch auch den Reiz aus. sich ihr zu stellen. Sich selbst kleine
Dogmen zu setzen, ist zumindest ein Anfang, der mir das erste Produzieren
von Stücken erleichterte. Sie, die Dogmen (Regeln). gibt es jedoch,
betrachtet man die ersten Elektronischen Werke der Kölner Schule (Eimert,
Stockhausen). Die Grundlage wer hier das serielle Prinzip - allen Parametern
der Musik (Tonhöhe, Tonstärke, Tondauer, Klangfarbe) werden Reihen
zugeordnet. Gerade dieses Prinzip reizt mich heute immer noch, es als Arbeitsgrundlage
zu benutzen. Konkret bedeutet dies, daß ich mir ein Programm entwickelte,
weiches mir das Erstellen der Reihen und das Interpretieren der Produktion
abnimmt, und mir dabei hilft, die Produktion aus den verschiedenen Reihen
zusammenzustellen. Beim Erstellen einer solchen Produktion geht das Kreieren
von Klängen (Synthesizer und Sampler) natürlich Hand in Hand
mit dem Aussuchen der passenden Reihen und Reihenteile. Auch kann umgekehrt
zuerst das Klangmaterial vorhanden sein. Hierbei ist denn zu überlegen,
ob allein über eine Klaviatur improvisierend mit dem Material gearbeitet
wird, oder ob ich eigens ein Programm dafür schreibe. Die 'Extra-Programme'
stellen. um bei der bisherigen Terminologie zu bleiben, die Kompositionsregeln
und die Partituren der Stücke der. Der Interpret ist der Computer,
der mehr oder weniger jedoch genau an meine Anweisungen gebunden ist (Über
Random/ Zufalls-Funktionen kann 'ihm' mehr oder weniger eine gewisse Freiheit
gewährt werden). Die Instrumente sind der Synthesizer und Sampler.
3. Der Stellenwert der Elektronischen Musik
Durch die Unterhaltungsmusik werden viele Musiker mit elektronischen
Instrumenten konfrontiert, nicht jedoch mit elektronischer Musik im, eigentlichen
Sinne. Die Instrumente werden zweckentfremdet , eingesetzt, was in der
fast 100 jährigen Geschichte der Elektrophone Tradition hat, denn
sie sollten schon immer akustische Instrumente nachahmen ... Hammond Orgel,
die heutigen Keyboards und natürlich der Sound-Sampler. Dieser Umstand
hat einen banalen Grund: kaum jemand kann mit diesen Instrumenten umgehen;
allein wie die Tastatur bedient wird, wird gelernt. Klänge produzieren,
was das Synthesizers Aufgabe ist, wird umgangen, Klänge werden gekauft
... so als ob ich als Klavierspieler ein Stück nicht selbst spielte,
sondern die Platte davon kaufte. Diese Chance nun gilt es zu nutzen, die
Kapazität, die vorhanden ist - Elektrophone überall - auszuschöpfen.
um Elektronische Musik (Computermusik) verständlich darzubieten und
wo immer gewünscht zu fördern. Konkret: Es muß gezeigt
werden, was mit diesen Instrumenten alles möglich ist.
Aus einem anderen Gesichtspunkt heraus, stellt sich die Frage inwieweit
Elektronische Musik überhaupt von Musikern traditioneller Musik und
Musikfreunden akzeptiert wird. Auch hier scheint der Umstand der Bekanntheit
Elektronischer Musik - in der Regel ist sie nur aus Filmen (Filmmusik)
bekannt, und dann auch nur unbewußt - eine nicht zu verachtende Rolle
zu spielen. Deswegen gilt es durch Konzerte und anderen Darbietungen diese
Art von Musik zu veröffentlichen.
Dem Skeptiker, dem E. M. nichts sagt, da sie 'unmenschlich' - '... Musik
wo der Mensch keinen Platz mehr hat..." - und 'unmusikalisch' ist, seien
hier noch zwei Gedanken aufgeführt.
1. Der Mensch hat nur da keinen Platz mehr, wo er sich selbst ausschließt.
Er entscheidet selbst, was menschlich und unmenschlich ist. Computer sind
sehr menschlich, versuchen sie doch den menschlichen Geist zu imitieren
und somit zu verlängern.
2. Die Elektronische Musik, speziell die heutige mit Computern gemachte,
ist nur eine Konsequenz der Entwicklung der Musik überhaupt - „Als man
Felle gerben konnte, beute man Trommeln, als man Metalle gießen konnte,
baute man Trompeten und Posaunen, heute wird der Chip zur Konstruktion
von Instrumenten verwendet” (Enders: Des MIDI und Sound Buch zum Atari
ST, München 1988, S.11), und Ausdruck der Gegenwart, die nun mal in
allen Lebensbereichen vom Mikrochip geprägt ist. Es ist somit nur
eine Frage, inwieweit Musik als Kunst unserer Zeit oder als Reproduktion
von Gewesenen gesehen wird.
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Titelseite der zweiten Auflage
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