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Gerda Schneider

Für Klaus Weinhold zum 60. Geburtstag

Klaus Weinhold wurde am 17. Juni 1994 60 Jahre alt. Aus diesem Anlaß hat das Zentrum für Elektronische Musik, das seiner Pionierarbeit für die Elektronische Musik sein Entstehen verdankt, es unternommen, seine in den verschiedenen Mitteilungsblättern des Vereins erschienenen Artikel in einer Sonderausgabe zu veröffentlichen. Sinn dieser Festschrift ist es nicht nur, den Weg von Klaus Weinhold auf dem Gebiet der Elektronischen Musik nachzuzeichnen, sondern damit auch anzuregen, diesen Weg weiterzugehen, die Impulse, die von ihm bis jetzt ausgingen und sicher auch nach diesem Datum noch von ihm ausgehen werden, aufzunehmen und fortzuschreiben.
Das Verdienst von Klaus Weinhold ist es, in der Praxis der Elektronischen Musik Neuland erschlossen und für andere begehbar gemacht zu haben, Wege gesucht und das neue Gebiet experimentell und für andere exemplarisch erforscht zu haben. Sein Verdienst ist aber in mindestens dem gleichen Maße die geistige Durchdringung des neuen Gebietes mit derselben unermüdlichen Energie und brennenden Neugierde. Die Artikel dieses Heftes lassen erkennen, welche Bedeutung für ihn die Frage nach dem geistigen Hintergrund hat, die Suche nach einer Philosophie der Elektronischen Musik, einer Philosophie, in der Kunst und Wissenschaft, Geistes- und Naturwissenschaften, Aktualität und Geschichte, Individuelles und Allgemeines, Konkretes und Abstraktes, Alltägliches und Besonderes in Beziehung gesetzt und zu einem vernetzten Gebilde werden. Diese Philosophie bildet kein geschlossenes System, sondern zeigt vielmehr von verschiedenen Aspekten aus auf die Sache und deren Beziehung zu anderen Bereichen, öffnet für vieles die Augen, läßt manches offen, gibt Anstöße und erregt Anstoß, provoziert zu Fragen, vielleicht auch zu Widerspruch. Sie beunruhigt, sie ist anstrengend, sie ist anregend - wie die Elektronische Musik. Immer wieder stellt sich die Frage: "Wo stehen wir?" Sicher "In between", zwischen Tradition und Zukunft. Wie nahe wir selbst der Zukunft sind, wieweit wir in der Gegenwart auf die Zukunft hin leben, können wir vielleicht nach der Lektüre dieses Heftes besser beurteilen.

 

 


Joachim Stange-Elbe

Grußadresse

Die Tonkunst am Ende des Jahrhunderts hat einen Klangkünstler wie Sie nur verdient, der mit der kompromißlosen Hingabe an die Elektronik neue akustische Räume und Erlebnisse vermittelt. Herzliche Glückwünsche zum 60. Geburtstag. 
Möge auch in Zukunft das Desintegrative Ihrer Gedanken und Ihrer auditiven Äußerungen die verkrusteten musikalischen Traditionen zu durchbrechen helfen, das radikale improvisatorische Element in Ihrer Elektronischen Musik uns eine gesunde Skepsis gegenüber der herrschenden Gesellschaftsnorm vermitteln. Haben Sie auch weiterhin den Mut, uns, aufbauend auf dem heutigen Weltbild, mit einer Klangwelt zu konfrontieren, die sich überkommenen Attributen und Hörgewohnheiten entzieht. Was Sie in der Pädagogischen Hochschule als Einzelner begannen und sich jetzt als Zentrum für Elektronische Musik e.V. seit fast fünf Jahren fortgesetzt hat, wird auch in Zukunft Dank Ihrer Inspirationskraft Zeichen setzen.

Vielen Dank für die vergangenen und folgenden Jahre.

 

 


Walter Birg

Zum 60. Geburtstag von Klaus Weinhold

Am 17. Juni feiert Klaus Weinhold seinen 60. Geburtstag. Wir alle als Mitglieder von ZeM wünschen Ihm Alles Gute, weiterhin gute Gesundheit und Schaffenskraft für viele weitere Jahre. 
Als Klaus Weinhold in den siebziger Jahren zum ersten Mal mit einem Synthesizer konfrontiert wurde - so hat er es uns häufig erzählt - war er - als Organist und damit als einer, für den Klang immer einen wichtigen Stellenwert hatte, wie elektrisiert: genau das war es, was ein zukünftiger Klangschöpfer braucht! Ein Synthesizer muß her, und wenn es sein muß, zusätzlich zur Orgel. Und so konnte ein kleines aber äußerst erstauntes Publikum in der Stadtkirche in Offenburg - wohl zum erstenmal überhaupt - die neuartigen Klänge des Synthesizers im Zusammenspiel mit Orgel bewundern. 
Seither hat Klaus Weinholds Begeisterung für elektronische Klänge nicht nachgelassen: An der PH Freiburg, wo er als Dozent das Fach "tontechnische Medien" gibt - die Hochschulverwaltung hatte dabei offensichtlich das Erlernen der Bedienung von Plattenspieler und Tonband im Sinn - hat Klaus Weinhold für die Studenten die Einführung in die modernste Technologie der Musikelektronik gesetzt. Daß damit nebenbei auch die Beherrschung von Mischpult, Mehrspurrecorder und Sampling erlernt wurde, war selbstverständlich. 
Jedoch auch die klassischen Fächer Harmonielehre und Kontrapunkt wurden ebenfalls gegeben, so daß Weinhold niemand den Vorwurf machen kann, seine Begeisterung für die Sache der Elektronischen Musik und die damit verbundene Abwendung von den traditionellen Formen der Harmonik und des Kontrapunkts geschähen - wie dies bei manchem Musikelektroniker der Fall ist - aus Frust über mangelnde Beherrschung der musikalischen Grundlagen.
Die Hinwendung zu den neuen Klangmöglichkeiten, die der Computer bot, war für Klaus Weinhold ganz entscheidend. Die alten Formen von Tonalität, Harmonik, Kontrapunkt wurden durch die neuen Klänge weitgehend obsolet, da die Spektren der beteiligten Sounds oft - durch ihre Obertöne - ihre eigene Harmonik enthielten und die harmonischen Funktionen wie z.B. Tonika und Dominante wie ein Fremdkörper wirkten.
Ganz andere Termini waren hinfort angesagt: Fourierspektren, Amplituden-, Ring- und Frequenzmodulation waren die neuen Begriffe, um die es ging, die man sich aber erst einmal erarbeiten mußte. Als schließlich auch noch das Sampling hinzukam war es möglich geworden, jedes beliebige Geräusch in die elektronische Musik zu integrieren, und die Computer und ihre Midifizierung machten es möglich, die neuen Klänge in fast jeder beliebigen Geschwindigkeit, Frequenz und Dynamik künstlerisch einzusetzen. In allen Bereichen war Klaus Weinhold einer der ersten, der die neuen Möglichkeiten nicht nur erkannte, sondern auch begeistert anwandte. 
Im November 1988 hatte sich durch seine häufige Konzert- und Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule ein kleiner Kreis von Leuten gebildet, die sehr an Elektronischer Musik interessiert war. Dieser Kreis gründete zusammen mit Klaus Weinhold an der Spitze das "Zentrum für Elektronische Musik" - und bald feiern wir den 5. Geburtstag des Zentrums. 
Die letzten zwei Jahre von ZeM waren gekennzeichnet durch große Diskussionen, welchen Anteil die Elektronische Musik aus der traditionellen Musik übernehmen soll und inwieweit sie vollkommen ihren eigenen Gesetzen folgen soll. Hier hat sich Klaus Weinhold stets für letzteren Weg eingesetzt - im Gegensatz zu mir selbst, der ich die Segnungen von 1000 Jahren Musikgeschichte "retten" möchte. 
Dennoch ist diese Diskussion immer sehr fair geführt worden und hat schon einige Klärung gebracht. Die Sache der Elektronischen Musik bleibt spannend. 
Wir, die wir diesen epochemachenden Schritt der Musik mit vollziehen können, in dem zum ersten Mal in der Musikgeschichte der Mensch alle Klänge, die überhaupt denkbar sind, erzeugen kann, wünschen Klaus Weinhold zu seinem 60. Geburtstag viel Kraft und gutes Gelingen, auf daß er die Sache der Elektronischen Musik auch weiterhin so begeistert weiter gestalten kann.
 

 

 


Franz Martin Löhle

Grußworte

Wie viele von uns erfahren konnten, sind die Möglichkeiten der Elektronischen Musik nahezu unbegrenzt. Wir alle arbeiten deshalb in der Begrenzung der technischen Möglichkeiten, die uns unser Equipment auferlegt. Diese Begrenzungen jedoch sind natürlich in keiner Weise formaler oder ästhetischer Natur. Die Leitfäden also, die wir benutzen, kommen von der eigenen Erfahrung und Musiksozialisation. 
Nur wenigen gelang es, sich von dieser Sozialisation zu befreien und sich auf die neuen Wege, die uns die Elektronische Musik öffnet, zu begeben. 
Klaus Weinhold, dem diese ZeM-Sonderausgabe gewidmet ist, zeigt uns seit Jahren diese neuen Wege in konsequenter und kompromißloser Weise auf. 
Gerade seinen Studenten, zu denen ich mich zählen durfte, wurde die Neuartigkeit der Elektronische Musik in ihrem Bezug zur historischen Musiktradition als der Eröffnung eines neuen Ansatzes durch Klaus Weinhold immer wieder verdeutlicht. 
Doch nicht nur seine Studenten sondern jeder, der sich für Elektronische Musik interessiert, konnte und kann an seinen Darlegungen der neuen Möglichkeiten der Elektronische Musik schon seit Jahren kostenlos teilhaben. In seinen Soundausstellungen, die Herr Weinhold schon seit 1982 durchführt, zeigte er diese sinnlich-akustisch, durch die Vorführung seiner Produktionen und auch immer wieder theoretisch durch Erläuterungen. 
Trotzdem wurden und werden von ihm nie Dogmen gesetzt, sondern Fragen gestellt, die deutlich machten, daß eine neue Ästhetik immer noch zu suchen ist. Beim "Behören" des bisherigen Werkes fällt jedoch auch auf, daß eine gewisse Ästhetik, die sich aus der Sache ergibt, von Klaus Weinhold schon gefunden wurde, die spätere Generationen beschreiben werden. 
Schon früh erkannte Klaus Weinhold, daß ein solch umfassendes neues Gebiet wie die Elektronische Musik mehr Außenwirkung erreicht, wenn man in einer Gruppe auftritt. Als maßgebendes Gründungsmitglied von ZeM e.V. trug er diesem Umstand 1989 Rechnung. Klaus Weinhold steht dem Verein seither als 1. Vorsitzender vor.

 

 


Paul Gross

Die Sehnsucht nach einer ganz anderen Musik

Betrachtungen eines Nichtelektronikers - Klaus Weinhold zum sechzigsten Geburtstag

Meine ersten Erfahrungen mit elektronischer Musik sind Hörerfahrungen in der Schule: Eimert und Stockhausen in den 60er Jahren. Dann genießendes Erstaunen über Moog's Synthesizerspielereien. Am Ende meines Schulmusikreferendariats eine Projektwoche in elektronischem Basteln, Schüler begleitend. Zum ersten Mal die Berührschwelle überschreitend. Dennoch bis heute nur wahrnehmend, Vorabendgefühle im Umgang mit dem elektronischen Medium. Ich hoffe auf den ersten wirklichen heilsamen Praxisschock, der die folgenden Betrachtungen "vom Kopf auf die Füße stellt".
 

  1. Faszinierende, unbeschreibliche Hörerlebnisse bei den Sound-Ausstellungen in der Freiburger Pädagogischen Hochschule allein hätten es nicht vermocht, mir diese "MUSIK"-Kultur bleibend einzuwurzeln, wären da nicht die persönlichen Hinführungen durch Klaus Weinhold gewesen! Er versuchte, mir begreiflich zu machen, analog zu Strawinskys kompositorischem "Ordnen der Töne" vom "Ordnen der SOUNDS" als kompositorischem Prozeßgeschehen zu reden. Wer geistlos nur Sounds produziert, nur Material zeigen kann, Wesentliches vom Unwesentlichen nicht unterscheiden kann, komponiert nicht, schafft keine andere Musik. Klaus Weinhold will - in unzähligen Anläufen, fast beschwörend - eine Kontinuität mit der uns überkommenen Musikkultur formulieren, deutlich machen, den Schleier lüften, wie Komponieren schon immer gelingt: Elektronische Musik, nicht elektronischer Fuhrpark für Klischee und Hülse.

  2. Kann es eine ganz andere Musik geben, wenn das Ausgangsmaterial ein auf dem freien Markt vorgefertigtes, begrenztes, allgemein erhältliches Produkt ist? Genauer: wenn ich "meine" Soundentwicklung einem begrenzten Soundvorrat eines alltäglichen Produkts verdanke: Synclavier der Marke X, Synthesizer Y dieses Jahrgangs?
    Entlastung bringt mir die Vorstellung, daß mein Flügel der Marke Y oder mein Cembalo Z ja auch nicht von mir hergestellt ist, wenn ich Klänge produziere. Aber was für Klänge? Ich kann Tonhöhen akkordisch oder sukzessiv aneinanderreihen, mit artikulatorischen Finessen versehen, das Pedal aussparen oder einbeziehen, ich kann das Klavier "präparieren" und mich über so viele Möglichkeiten glücklich zurücklehnen. Vereinfacht gesagt, ich akzeptiere das Produkt Klavier für meine konservative traditionelle Kompositionsweise: Ich komponiere das Komponierte; welche Sonate will ich nach Beethoven komponieren, die von Hindemith oder von Berg?

  3. Ich komponiere das Alte, Herkömmliche und nenne mich Avantgarde-Musiker, weil ich im 20. Jahrhundert lebe und klassische Formen technisch bewältige. Vor kurzem fiel mir ein u.a. von der GEMA-Stiftung gefördertes Verzeichnis zeitgenössischer symphonischer Werke, betitelt mit "Süddeutsche Komponisten im 20. Jahrhundert", in die Hände. Fein säuberlich werden die wichtigsten Klassiker (ein Werk der letzten Seite heißt "Denk ich an Haydn"!) unserer Zeit in unserem Raum aufgelistet. GEMA-Musik ist das Reizwort, anerkannt, bewährt, tüchtig und geehrt! Schnee von gestern in ängstlich-epigonalem Gewande. Sicher etwas überspitzt, denn auch elektronische Klänge sind da, doch immer als Accessoire: 36 Musiker und ... etwas Elektronik, Sicherheit und ein bißchen Ausblick, aber nichts Neues unter der Sonne. Ob dieser Zwitterzustand der gegenwärtigen Musikkultur bleibender Ausdruck unserer Zeit werden kann? Ich denke an die vielen Müllhalden, die der Beseitigung harren, aber noch da sind, weil über die Abfallbeseitigungsmethode noch nicht entschieden ist.

  4. Meine Sehnsucht nach einer ganz anderen Musik mag als Desiderat eines erwachten romantischen Bewußtseins abgetan werden: Ich denke mir eine Musik, die ein Medium unserer Zeit aufgreifend - vielleicht das elektronische - wirklich Neues schafft: Ob Fraktale - evolutive Evolutionen - ein Anfang sind, vielleicht fraktale Musik zu generieren? Damit wäre ich aber bereits in den Niederungen, meine Sehnsucht konkretisierend einzugrenzen, wo ich doch den freien Lauf, die noch nicht gestillte Weite denkbarer Musik retten möchte. Werden uns neue Formen zufliegen, die nicht den Hegelschen Dreischritt atmen? Musikgewordene Bilder? Bildgewordene Musik? Als naturidentischer, gesampelter Klangrausch?

  5. Wenn elektronische Klanginstallation präsentiert wird, dann mit welchem Ambiente? Werkstattcharakter? Welche Lautsprecherqualität wird meinem Ohr zugemutet? Die Ästhetik der elektronischen Darbietung kann ausgeblendet werden: Welche Klänge nisten sich in meinem Ohr ein? Lautsprechermarke A oder eher B, ist das egal? Hätte ich diese Box zur Verfügung, wäre das klangliche Ergebnis so oder vielleicht anders? Wenn die Sounds da sind, sind es bestenfalls Kopfhörersounds? Sind sie in ihrer optimalen Wiedergabe nur denkbar?

  6. Was elektronische Musik nicht ist: Pop-, Rock-, Folk-, Jazz-Elektronik. Es mag genügend Liebhaber geben, die ihre Sounds nicht komponieren können, die schon Zufriedenheit ausstrahlen, wenn ihre Elektronik-Häppchen irgendwelchen Zeitgenossen zur Meditation verhelfen, vielleicht gar finanziell etwas abwerfen, vermarktungsfähig werden plötzlich Massencharakter bekommen. Dann, dann ist das Ende bereits eingeläutet. Musik entzieht sich immer dem Zugriff der Massen, das ist ihr erstes wichtigstes Kriterium: Sie ist kein Massenprodukt, sie kann nur mit Mühe von wenigen erfaßt, gefühlt und begriffen werden. Sie ist nicht mit Händen zu greifen, sie berührt - wie die Liebe!

  7. Die Möglichkeiten elektronischer Musik seien erschöpft, hieß es bereits vor Jahren. Ich empfinde, daß die Möglichkeiten herkömmlichen Umgangs nur ein Moment darstellten. Wir sind auf der Suche, wir stehen vor neuen hoffnungsvollen Gangarten, wir tasten uns, Abgründe wähnend, im Dunklen tappend, durch einen Dschungel. Ob uns die Luft ausgeht bei solch klimatischer Verunsicherung? Gibt es solche "Gefäße", die die Belastung auf sich nehmen können und die vor allem die Begabung mitbringen, den Sehnsuchtsweg beschreiten zu können?

Fragen über Fragen! Ich ziehe mich in mein "Poetenstübchen" zurück und wage mich staunend wieder heraus, wenn die Luft rein ist, wenn ich neue Töne fühle.
Sie lieber Herr Weinhold, haben die neue Atmosphäre wohl schon geschnuppert, vielleicht haben Sie das neue Land auch schon betreten. Wir werden hören, was Sie dort entdeckt haben!

 

 


 

Klaus Weinhold

Gedanken zur Soundelektronik

Wenn man Hörern zufällig oder intendiert elektronische Sounds "zu Gehör" bringt, gibt es eine Reihe inzwischen bekannter Antworten:

"Das ist doch keine Musik",

"anstrengend",

"das macht mich aggressiv",

"so eine Geschnatter",

und meistens sind die Reaktionen Gekicher und Gelächter.

Bleibt die Frage zur letztgenannten Reaktion: Wann und warum lacht der Mensch?...

"Das ist doch keine Musik..."

Nein, das sind sie auch nicht, die elektronischen Sounds. Aber eines haben sie mit den musikalischen Klängen gemeinsam: Schwingungen und deren einfache oder komplexe Zusammensetzung.

Was ist Musik?

Schwingung, aber einfach in "harmonisch" ganzzahligen Verhältnissen, 1:2:3:4, was schon Pythagoras vor 2500 Jahren und Kepler vor 500 Jahren so begeisterte, hörsam, angenehm, warm, schön.

Was sind "elektronische Sounds"?

Fundamental komplexe Schwingungen, nicht auflösbare Schwingungsbänder, Fraktale, Turbulenzen, nicht ganzzahlige Verhältnisse, Brüche.

Was ist "Musik"?

Vorhersehbar, besser vorherhörbar, determiniert, ohne Überraschung, ein geschlossenes überschaubares und "überhörbares" System, dazu ein geschlossener Konzertsaal "Bitte nicht stören", ein festgelegtes Programm.

Was sind "elektronische Sounds"?

Etwa das Gegenteil des oben Genannten ohne bestimmte Norm, ohne eine der vom Menschen so geschätzten Normierungen, nein, ein System mit vielen, schier unbegrenzten Freiheiten.

In der Musik gibt es einfache Gesetze, Formen, vielleicht sich erweiternd zu offenen statistischen Gesetzen. In der Soundelektronik hingegen sind die Gesetze genauso groß wie die experimentell gesuchten und gefundenen Daten.

Die klassische Musik erzieht zu einsehbaren und hörbaren Ordnungsprinzipien, die den Hörer ordnen und in ruhende Harmonie versetzen sollen.

Der elektronische Sound befreit zu ständig neue Gesetze gebender Kreativität und macht unruhig, ja aggressiv dem neuen Material gegenüber.

"Die Erziehung durch Musik ist damit die vorzüglichste, weil der Rhythmus und die Harmonie am meisten in das Innerste der Seele dringen und sie am stärksten erfaßt und Anstand bringt und anständig macht."(Platon)

Der elektronische Sound will sicher nicht unanständig machen, aber dafür offenständig, er will zeigen, was die Mikrowelt, aus der er kommt, alles bereithält, was sich in dieser geheimnisvollen Unterwelt zusammensetzen und komponieren läßt.

Nicht Komposition von Makroelementen im Mikrobereich, "Stücke", sondern Zusammensetzung von Mikroelementen im Mikrobereich, "Soundproduktion".

Man kann unsere sichtbare Welt einteilen in eine gegenständliche und in eine ungegenständliche. Erstere sind feste, determinierte Einheiten, z.B. ein Haus, ein Berg, mit aussagekräftiger Bedeutung (Semantik), letztere sind die Elemente, in die sich ein Gegenstand zerlegen läßt, z.B. geometrische Figuren, Farben, Linien, Flächen mit aussageloser Struktur.

Das klassische Bild ist ein gegenständlicher, zentralperspektivisch festgelegter Ausschnitt aus der Welt, eine determinierte, festgestellte, aus vielen Gegenständen bestehende Welt.

Das moderne Bild, etwa seit Turner, stellt die Welt in Bewegung, z.B. aus dem fahrendem Eisenbahnzug dar. Bei Turner wird die Welt nicht mehr als statisch festgemachte Materie betrachtet, sondern als ständig in Umwandlung begriffene Energie.

In der klassischen Musik sind die Ausschnitte ebenso festgelegt: Der Ton bezieht sich zentralperspektivisch auf die Tonart, den "Fluchtpunkt". Der Abstand der Töne bezieht sich auf einen Ausgangs- und Endpunkt, den "Bildrahmen". Die "Farbe" des Klanges bezieht sich auf ein Instrument.

In der Elektronischen Musik müssen Bezugspunkte stets neu gesucht und gefunden werden, im permanenten Experiment. Das Material ist in Bewegung, wird auseinandergenommen und formt sich ständig zu neuen Konstellationen, z.B. der heute verfügbaren Oberschwingungen.

Soll man der Elektronischen Musik in der Musikpädagogik einen Stellenwert zumessen?

Die Frage ist, ob man der Kultur, der Pflege des Überkommenen, oder der Natur, dem was ist, den Vorrang geben soll.

Unsere klassische Musik beruht zwar, wie alles auf der Natur, ist aber ein gestaltetes Kulturprodukt, das auswählen mußte, vieles auf einen einfachen Nenner gebracht hat, das die Fülle der natürlichen Möglichkeiten einer grandiosen Flurbereinigung unterzogen hat, die z.B. in der klassischen Orgelmusik nur den 2., 3., 5., 6. Oberton einbezog.

Diese Musik ist nicht anstrengend, regt uns nicht auf, beruhigt uns, macht uns anständig und ausgeglichen, erzeugt Stimmung und Harmonie.

Der Mensch hat es immer vorgezogen, die Natur zu verdrängen, zu beseitigen, so wie er durch die von ihm geschaffene Fernsehwelt die Realität allmählich verdrängt; er wird es auch weiter so handhaben, obwohl er eigentlich im Einklang mit der Natur leben sollte. Aber diese Natur ist für den Menschen eben zu anstrengend. So würde ich der Elektronischen Musik, zumindest in der Musikpädagogik, kaum eine Chance einräumen, denn sie würde beunruhigen und die Fragwürdigkeit der Harmonie aufdecken.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 1 - November/ Dezember 1989, S. 2f]

 

 


 

Klaus Weinhold

Gedanken zur Elektronischen Musik

Im ersten Heft unserer Zeitschrift warf ich in einer Betrachtung der Elektronischen Musik die Frage auf, ob diese in der Musikpädagogik eine Chance hätte, und verneinte diese Möglichkeit. Elektronische Musik ist, sofern man die ihr innewohnenden innovativen Möglichkeiten erkennt und auch nutzt, "programmiert", nicht nur "neue Kunst", sondern neueste, vielleicht sogar alternative Kunst. Sie enthält erstmals in der Geschichte der Musik die Möglichkeit, sich von historisch- traditionellen Mustern radikal zu lösen oder zumindest der klassischen Musik etwas radikal Neues hinzuzufügen. 

Ortega y Gasset schreibt in einem 1925 erschienenen Artikel "Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst"(1) - was für die Elektronische Musik wirklich wörtlich zu nehmen ist, denn die "Handhabung" und "Singbarkeit" der klassischen Musik ist radikal durch Maschinen ersetzt -, über diese: 

"Die neue Kunst aber hat die Masse gegen sich und wird sie immer gegen sich haben. Sie ist wesentlich volksfremd; mehr als das, sie ist volksfeindlich. Jedes beliebige Erzeugnis der neuen Kunst ruft bei der  Masse ganz automatisch eine merkwürdigen Effekt hervor. Er spaltet sie in zwei Parteien, eine kleine von wenigen Geneigten, eine große zahllose von Feinden (wobei wir die fragwürdige Fauna der Snobs unberücksichtigt lassen). Das Kunstwerk wirkt also wie ein soziales Scheidewasser, das zwei gegensätzliche Gruppen schafft; aus dem ungegliederten Haufen der vielen sondert es zwei Kasten aus." (S.8) 
Damit ist zu unserer Entlastung ein Grund gegeben für die zu erwartende Erfolglosigkeit und pädagogische Chancenlosigkeit (bei Menschen), die korrespondiert mit einer enormen Entwicklung bei der Beherrschung von Soundmaschinen. Ortega y Gasset fährt fort:
"Wenn die neue Kunst nicht für jedermann verständlich ist, besagt das, daß ihre Antriebe nicht die allgemein menschlichen sind. Es ist keine Kunst für die Menschen überhaupt, sondern für eine sehr besondere Gruppe von Menschen, die vielleicht nicht  mehr taugen als die anderen, jedenfalls aber von ihnen verschieden sind." (S.10) 
Das Stichwort ist gegeben: Der Mensch will in der Kunst den Menschen. Doch: Wo ist bei der Produktion der Elektronische Musik der Mensch? Wo ist er beim Hören der Elektronischen Musik? 

Der Mensch ist ein organisches System, analog dazu kann man ein klassisches Musikwerk im übertragenen Sinn als ein solches, in dem alles in vielfältiger Weise aufeinander bezogen ist, bezeichnen. Dem gegenüber steht das "Anorganische", die anorganischen Sounds als quasi nackte Naturphänomene. Ortega y Gasset sagt dazu: 

"Die Neuen haben jede Einmischung des Menschlichen in die Kunst für 'Tabu' erklärt. Das Menschliche, der Inbegriff der Elemente, die unsere Umwelt ausmachen, gliedert sich in drei Stufen. Die erste ist die Stufe der Personen, die zweite die der Lebewesen, die dritte die der anorganischen Dinge. Die Energie des neuen Veto in der Kunst ist proportional zu dem Rang des betreffenden Gegenstandes in dieser Wertfolge. Das Persönliche, da es das Menschlichste des Menschlichen ist, wird am strengsten gemieden. In der Musik und der Dichtung tritt das deutlich hervor. Von Beethoven bis Wagner waren die persönlichen Gefühle des Musikers  das Thema der Musik. Der Musiker türmte gewaltige Klanggebäude auf, um darin seine Autobiographie unterzubringen." (S.19) 
Das soll genügen zur Standortbestimmung der Elektronischen Musik. Doch die Analogien gehen noch einen Schritt weiter. Mallarmé war einer der ersten Künstler des 19. Jahrhunderts, der das "natürliche Material" ablehnte. Er schuf kleine lyrische Stücke, die so in der menschlichen Flora und Fauna nicht vorkamen. Diese Dichtung braucht nicht gefühlt zu werden, es gibt in ihr nichts Menschliches, auch kein Pathos. Wenn sich schon Sprache in eine unmenschliche Ebene transponieren läßt, um wieviel leichter muß das möglich sein mit dem ohnehin abstrakten Sound, sofern er nicht durch System, Code und Tradition vermenschlicht wurde. Kleine "Soundstücke" abstrakter Art, in denen nicht die Seele spricht, sondern die Kombination der gegebenen Elemente. Was ist in der Musik das "natürliche Material"? Zweierlei: Es ist der Code des geordneten Tonsystems, in dem der Mensch die beängstigende Naturvielfalt des Schalls gebändigt hat und auf ganz wenige Elemente zurückgeschnitten hat, und es sind die Werke in diesem System, die dem unreflektierenden Hörer geradezu naturgegeben und ewig erscheinen. Und diese Natur der Kultur, die eben keine Natur ist, hebt die Elektronischen Musik radikal auf. Sie erreicht die Beherrschung der Natur nicht durch Kodifizierung und Systematisierung, sondern durch die Potentialität, d.h. die Möglichkeit, in der Natur der Dinge (hier des Schalls) und der Kultur der Dinge (hier der Werke) zu arbeiten, zu stören, zu bauen, zu transponieren. Die erste Transposition solcher Art von Natur in artifizielle Maschinenkultur war die Übertragung der Gesanglichkeit auf eine vor vierhundert Jahren damals hoch artifizielle Maschine: die Orgel. Diese übernahm, nahezu problemlos, die Stimmen, stellte sie dar, mutierte sie, alterierte sie, schuf aus dem einfachen menschlichen Stimmgefüge eine instrumentale quasi unmenschliche Fuge, die nur auf der Maschine Orgel darstellbar war. Für uns ist diese Vertreibung des Menschen aus der Kunst eine Selbstverständlichkeit. Die Orgel hatte jedoch Verbindung zu ihrer geschichtlichen Grundlage, zur menschlichen Kunst des Gesanges, nie erfolgte eine radikale Ablösung von dieser Vorlage. Anders die Elektronische Musik: Die Tasten eines Synthesizers und manche Aufschriften "Piano" oder "Trompete" erinnern an die Herkunft aus der Musikgeschichte, aber dahinter, bei den Zerlegungen, den "Samplewörtern", den "Frequenzverhältnissen" und möglichen Neuzusammensetzungen, da liegen die Chancen der Elektronische Musik und damit die endgültige "Vertreibung des Menschen aus der Kunst". 

Die Orgel hat nur selten zu ihrer eigentlichen Potentialität gefunden, sie  blieb abhängig von ideologischen Rahmenbedingungen und geschichtlichen Vorbildern. Nur in wenigen Fällen fanden Komponisten mit ihren Instrumenten zu den schier grenzenlosen Möglichkeiten der Orgel. Erwähnt seien hier Viernes Orgelsymphonien oder Ligetis Komposition "Volumina". Ob die Elektronische Musik sich befreien kann von der Last des "natürlichen Materials", bleibt abzuwarten. Dies zu erreichen, wird eine der Aufgaben unseres Vereins sein.

(1) Ortega y Gasset: Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst, Auswahl aus seinem Werk, DTV München 1964

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 2 - März 1990, S. 1f]

 

 


Klaus Weinhold

Gedanken zur Pädagogik der Elektronischen Musik

Wer vor ca. 30 Jahren Musik studierte, fand im wesentlichen die gleichen Rahmenbedingungen vor wie heutzutage: Akustische Instrumente und als "Programme" die in Druckerzeugnissen kodifizierten Werke der klassischen Komponisten, verbunden mit einem Wertekanon, der sich in den letzten 200 Jahren gebildet hatte und der, nahezu unverändert weitergegeben, bis heute unumstößlich wirkt.

Der Interessent Elektronischer Musik erlebt eine geradezu entgegengesetzte, geschichtslose, stets weiterschreitende, sich verändernde Soundwelt, die weder ein festes Instrumentarium, noch ein Repertoire gängiger Konvention der Gestaltung aufweist.

Wie soll man heute an elektronische Instrumente herangehen, was auf ihnen spielen? Dabei müßte der Ausdruck "spielen" gedeutet werden: Spielt z.B. der Computer?

Diese neuen Umstände erfordern ein gänzliches Umdenken, eine Perestroika bzgl. der Produktion von Elektronischer Musik mit allen Konsequenzen für die zukünftige Musikpädagogik. Zwei Wege sollen kurz aufgezeigt werden:

1. Der Weg der Entwicklung der Elektronischen Musik wird in groben Schritten anhand des meist noch vorhandenen älteren Instrumentariums nachvollzogen. Der Lernende wird mit einem klassischen Modulsystem bekanntgemacht. Nach wie vor bietet sich hier der EMS-Logik-Synthesizer an, mit dem alle Formen der elektronischen Synthese vollzogen werden können. Insbesondere seien die Formen der Hüllkurven von Klängen (Pitch und Amplitude), die eine ganz entscheidende Rolle bei der Soundprogrammierung spielen, hervorgehoben und die Gestaltung der additiven und multiplikativen Verknüpfungen von Schwingungen bis hin zur FM-Synthese. Der Studierende lernt hier an relativ wenig Parametern (ca. 20) einen Sound von Grund auf zu realisieren.

2. Der kürzere und umso schwierigere Weg ist die kurzzeitige Einarbeitung in ein aktuelles, gerade auf dem Markt befindliches Instrument (z.B. V50 von Yamaha). Hier bieten sich wieder zwei Abzweigungen an: Entweder man verzichtet gänzlich auf die Erstellung eigener Sounds und beschränkt sich auf die vom Hersteller kreierten, meist nicht besonders reizvollen sog. Preset-Klänge, nützt aber die Steuermöglichkeiten (das Spielen des Instrumentes) des Sequencers voll aus, oder man beginnt mit den meist enormen Möglichkeiten einer zunächst einfachen, aber allmählich schwieriger werdenden Programmierung der Soundparamter, die schließlich zu immer neuen, stets "unerhörten" Klängen führen wird. Der EMS-Synthesizer hat, wie oben erwähnt, ca. 20 Parameter, der neu SY77 von Yamaha wird deren über 1000 haben.

Abschließend der Gang einer Synthesizer-Prüfung an der PH Freiburg: Ein Student kaufte sich im Sommer 89 einen neu auf den Markt gekommenen V50 und stieg unmittelbar in die sich aus der Bedienungsanleitung ergebenden Möglichkeiten des Gerätes ein. Er legte den Hauptwert auf die Gestaltung von Stücken, nur am Rande wurden neue Sounds, in FM-Synthese programmiert.

"Zurückgegriffen" (im wörtlichen Sinne) wurde auf klassisches Repertoire: 2 Stücke wurden in den Sequencer eingespielt, das Präludium C-Dur von Bach und ein Prélude von Debussy (Minstrels). Der entscheidene neue Gestaltungsimpuls war die Instrumentierung der Stücke durch Werksounds, die sich teilweise hervorragend für die Soundabfolge eigneten.

Selbstverständlich stand als Abschluß eine eigene Produktion: Unter Ausnützung des Rhythmus-Gerätes des V50 wurden jazzige Akkorde, Melodien und Rhythmen zu einem individuellen Stück komponiert.

Der Spieler wurde hier zum Produzenten und Reproduzenten anderer und eigener Musikvorstellungen. Die "Einsamkeit" des Einspielens und Programmierens wurde sicherlich wettgemacht durch die schier unendlichen Möglichkeiten neuer Zugänge zu musikalischem Spiel und Klang.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 2 - März 1990, S. 6]

 

 


Klaus Weinhold

Soundgedanken

Nimmt man die "Musik unserer Zeit" in Theorie und Praxis, so bildet die Elektronische Musik das letzte und unwichtigste Kapitel, einen Anhang, umstritten, abgelehnt, weil es sich ungefragt hineindrängt und die geschlossene Gesellschaft, stört. Trotzdem haben inzwischen akademische Abhandlungen und pädagogische Kurse wenigstens von der Elektronischen Musik. Notiz genommen und hinter vorgehaltener Hand ist die Meinung: "Daß da wohl doch etwas dahinter sein muß" zu hören. In Freiburg haben wir seit etwa einem Jahr einen Verein "ZeM" e.V. In der "Lindenmatte", einem Studentenlokal in der Nähe der PH Freiburg als dem Ausgangspunkt der Bewegung, wurden im Sommer 89 erste Gespräche geführt, Pläne geschmiedet und schließlich der Name gefunden.

Wir haben viel vor: Ab 1991 soll die Arbeit richtig anlaufen, intensiviert, verbessert werden.

Zur Person: Als Vorsitzender des Vereins sollte man einen Lebenslauf geben, sagen, woher man kommt und was man eigentlich will. Ich persönlich halte das nicht unbedingt für erforderlich. Die Elektronische Musik hat bisher keine Institutionalisierung erfahren, kennt damit keine Personenhierarchie und keine Geschichte. Das Studium klassischer Kompositionsprinzipien, das Unterrichten klassischer Musik in Theorie und Praxis, das Erkennen der Ordnungen, Strukturen und Systeme ließen für mich eine Frage immer brennender werden: Ist das alles, was die Welt an Klang zu bieten hat? In der griechischen Mythologie wird die Musik als ein Geschenk Apollons und der Musen an die Menschen bezeichnet. Durch die besondere Gunst der Götter, die ihm seine besondere Begabung verliehen hat, wird er zur musischen Tätigkeit berufen und befähigt.

Und heute? In den letzten 10 Jahren kann man die Soundsynthese als ein Geschenk der neuen Götter der Elektronikindustrie an die Menschheit bezeichnen. Den Menschen wird die Begabung verliehen, mit den Soundelementen frei schalten und walten zu können. "Endlich!" möchte man ausrufen. Endlich steht damit dem Menschen die Soundwelt frei zur Verfügung. Doch leider, auch für uns immer deutlicher werdend, der Mensch will diese Freiheit gar nicht. Er bleibt bei den alten Systemen, den alten Skalen, den alten Instrumenten. Warum das so ist, werden uns Psychologen und Soziologen sagen können. Auch das kommende Funkkolleg "Medien und Kommunikation" wird uns darüber aufklären, daß der Mensch nicht die Natur der Sache und des Sounds will, sondern die Kultur der Wirklichkeit, eine kognitive Konstruktion, die sich über die Natur wie ein Schnee breitet, die normativ auftretenden Regulierungen der schlicht daseienden Natur, aus der eine Fülle von Systemen ausgefiltert werden kann.

Zurück zur Elektronischen Musik. Soll sie sich anpassen, sich den klassischen Systemen beugen, oder soll sie sich emanzipieren, wo sie erstmalig die Möglichkeit dazu hat?

Ich trete uneingeschränkt für letzteres ein. Und so war die Arbeit in den vergangenen 10 Jahren als Befreiung und Erweiterung ausgerichtet: Im Sound der ersten Rehberg-Synthesizer. Später standen der Jupiter 8, der PPG 2.2 im Mittelpunkt, der Höhepunkt war und ist der FM (Frequenzmodulataions)-Syntheseklang, der alle Klangstrukturen ermöglicht. Wir wollten zeigen, was die Mikrowelt bereithält, was es gibt, inzwischen erweitert um eine Vielzahl von Instrumenten und Synthesearten.

So meine ich eines: Der Produzent Elektronischer Musik findet zurück zur Vielfalt der Natur, löst sich von einengend diktatorisch auftretenden Kultursystemen, läßt sich tragen von den Möglichkeiten der Kreation, des bisher nicht Seienden, von den unendlichen Fähigkeiten des neugewonnenen Materials. Die Elektronische Musik quillt aus den Elementen und installiert stets neue Ordnungssysteme, auch auf die Gefahr hin, daß sie alte Tonsysteme liquidiert.

Eine große Chance gebe ich ihr allerdings nicht. Der Mensch will der Natur nicht in all ihrer Fremdartigkeit und Dämonie ins Angesicht schauen und alle ihre akustischen Äußerungen wahrnehmen. Er will immer nur sich selbst, den Menschen sehen. Aber die menschliche Aussage trägt nicht weit. Die Umwandlung zur Lüge, Vereinfachung, Verfremdung lauert ständig in jedem Wort. Die erhabene Unendlichkeit der Natur gegen die gebundene Schönheit der Kultur: Da liegt die eigentliche Chance der Elektronische Musik.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 3 - September 1990, S. 3]

 

 


Klaus Weinhold

Ein noch kurzes Kapitel

Fast 2 Jahre Verein für Elektronische Musik und 8 Jahre regelmäßiger Aufführungen von Elektronischer Musik mit studiogefertigten Cassetten oder in unmittelbarer klassischer Aufführungsart am aufgestellten Instrumentarium. Ein kurzer Rückblick, ein Nachdenken ist vonnöten zur Standortbestimmung und zum Suchen und Finden neuer, vielleicht ungeahnter Möglichkeiten. 1982 waren erste Experimente an EMS-Synthesizer beendet, der Weg in die Öffentlichkeit konnte beginnen. Für Juni/Juli waren in der Stadtkirche Offenburg Konzerte mit Elektronischer Musik angesagt. Der Freiburger Komponist U. Kopka brachte jedoch - für den Schreiber dieser Zeilen unerwartet - einen damals neuen Jupiter4 mit, um darauf allein und zusammen mit der großen Orgel zu spielen. Die Aufführungen entwickelten sich jedoch aleatorisch, Zusammenspiele der Ausführenden auf Jupiter4 und Orgel, Alleinspiel der Finger und Füße auf Jupiter4 und großer Orgel, teilweise völlig frei sich ergebende Improvisationen und Soundprozesse. Ein damals hochaktueller Teisco SX400 kam hinzu, so daß ein sicher einmaliges und erstmaliges, leider auch letztmaliges Zusammenspiel von synthetischen und natürlichen Klängen entstehen konnte. Die Besucherzahl hielt sich, wie zu erwarten war, in bescheidenen Grenzen, ein intelligenter Zuhörer prägte damals den Kommentar "Soundalchemie", der das Anliegen und die Ausführung der Person und Instrumente genau traf.

Im Wintersemester 82/83 wurde erstmals der Versuch unternommen, in der Aula der PH "Vorführungen" Elektronischer Musik anzubieten. Es gab eine Mischung aus Live und Vorfertigung. Bänder für EMS-Synthesizer und Teiscos waren vorproduziert, Klavier und Orgel wurde dazugespielt. Es entstanden aus der Interaktion von Spieler und Band aleatorische Soundprozesse. Auch Live-Improvisationen für AKS wurden angeboten.

1984 fand wiederum in der Aula der PH ein erstes Wochenende "Electronic Sound" statt. Das "Programm" des Programms war kein Programm.... "Programm im herkömmlichen Sinn gibt es in der experimentellen Elektronischen Musik nicht mehr. Es gibt sie hier nur noch in einem neuen Sinn: Programme sind jetzt die programmierten und damit geordneten Sounderzeuger und die zu deren Modulation eingerichteten Steuerprozesse." Quadrophonie war erstmals angesagt und durchgeführt. Vorführungen von Synthesizer-Systemen ergänzten die Abfolge, und eine Live-Vorführung des damals aktuellen Jupiter8 wurde eingeschoben.

1985: "Bach-Jahr". Das Thema hieß "Bach - Metamorphosen, Bach für synthetische experimentelle Klänge". "Musikalische Partituren kann man als Programme oder Algorithmen und somit als Handlungsanweisungen zum Bedienen mechanischer Musikinstrumente auffassen. Zugleich sind sie eine komponierte Anordnung von Daten, die nicht nur vom Menschen, sondern auch von einem datenverarbeitenden Computer übernommen und reproduziert werden können."

Mit diesen Bach-Konzerten war die Frage nach der Aufführung klassischer Stücke durch elektronische Instrumente gestellt. Die Diskussion darüber sollte weitergeführt werden, besonders in pädagogischer Hinsicht, denn ob in heutiger Zeit der elektronischen Medien eine mechanische Reproduktion "handmade" noch vertretbar ist, scheint mehr als fraglich.

In den folgenden Jahren pendelte sich die Darbietungsform Elektronischer Musik für den Raum Aula der PH endgültig ein: Quadrophonie, Sexophonie, vorgefertigte Produktionen, Erläuterungen, zur Auflockerung manchmal Live-Spiel auf Instrumenten (DX, VS, u.a.). Die Dauer der Darbietungen begrenzte sich auf jeweils drei Stunden.

Eine Spaltung erfolgte dann mit der Einbeziehung von Produktionen einiger Vereinsmitglieder im vorigen Jahr. "Konzert" mit festem Programm, Zeiten und Namen, sogar Opus-Zahlen und die völlig aleatorisch gestaltete "Sound-Ausstellung", in der alles offen bleibt: die Türe, die Abfolge, der Zusammenmix der Stücke, die Besucherzahl und seit neuestem auch die Sektflaschen.

Das Jahr 91 wird eine Klärung und Institutionalisierung der Aufführungsart Elektronischer Musik bringen: Auf der einen Seite die auf sich selbst bezogene, sich hörbar machende, sich darstellende, sich selbst spiegelnde "Sound-Ausstellung", wie sie im Sommer 90 eigentlich perfekt im Raum erklang, und das publikumsbezogene, etwas darstellende, auf den Zuhörer zugehende Konzert.

Bei alledem ist von großer Wichtigkeit:
Elektronische Musik sollte nicht "gesehen" werden wollen, die Interpreten, die Instrumente, die Produktionsmaschinen, sondern sie sollte erst einmal intensiv gehört werden. Das muß unsere eigentliche Aufgabe werden:
Elektronische Musik nicht vorzuzeigen, sondern über das Ohr nahezubringen, den Hörer darauf einzustimmen, nicht zu reden, sondern erst einmal zu hören.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 4 - März 1991, S. 6]

 

 


Albrecht Riethmüller

Wenn Computer Bach spielen

Experimente, in Freiburg vorgeführt

Vorbei ist die Zeit da man das jämmerliche Wimmern von Hammond-Orgeln ertragen und beklagen musste. Die synthetische Klangerzeugung und ihre Steuerung durch Computer mag noch am Anfang einer äußerst dynamischen Entwicklung stehen, aber sie ergreift von der Musik mehr und mehr Besitz.
Instrumentalisten ebenso wie Instrumentenbauer sollten durchaus hellhörig werden, wenn Computer nun etwa damit beginnen, ihnen eingespeicherte Orgel- und Klavierwerke von Bach auf Synthesizern zu "spielen" oder wiederzugeben. Denn sie tun es mühelos, und was den Maschinen an menschlicher Nähe und lebendiger Ausstrahlung fehlt, machen sie durch unerhört erweiterte Klangmöglichkeiten wett An zwei Nachmittagen hat dies Klaus Weinhold, von Hause aus Organist, in der Aula der Freiburger Pädagogischen Hochschule demonstriert, wo er einschlägige Studioproduktionen von "Bach-Metamorphosen" erläuterte.
In diesem außergewöhnlichen Beitrag zum Bach-Jahr reichten die Beispiele (teilweise am selben Stuck dargestellt) von der Annäherung an bekannte Instrumentalklänge bis hin zur radikalen Veränderung vor allem der Klangfarben, aber auch der Tonhöhen und des Tempos (nicht freilich des Rhythmus). Angesichts der zahllosen Transformations-Möglichkeiten wurden überall neue Strukturen und Klangfarben hör- und die musikalische Zeit verändert erlebbar: sozusagen Bachs Klangwelt teils unterm Mikroskop, teils im Teleskop, teils vom Auto, teils vom Flugzeug aus betrachtet, wie Weinhold unterstrich. Immer wieder stellten die Computer/Synthesizer großes Geschick zur Verdeutlichung der Polyphonie unter Beweis. Das Erstaunliche bei alledem war jedoch, dass die Bach-Stücke selbst in der äußersten Verfremdung kenntlich blieben.
Weinhold experimentiert mit den Möglichkeiten der klanglichen Realisierung. Er sucht und er weiß, dass es einerseits auf das ankommt was das von den Klang-Technikern fast jährlich neu bereitgestellte Instrumentarium jeweils kann und was ihm angemessen ist Auch jede traditionelle Uminstrumentierung (Transkription) musste darauf Rücksicht nehmen. Andererseits weiß er, dass die Phantasie und der Geschmack des Programmierers die letzten Instanzen bilden. Neben außerordentlich eindrücklichen kam es tatsächlich zu einigen geschmäcklerischen Versionen, die es freilich in der langen Geschichte der Bach-Bearbeitungen nicht erst seit Gounods kitschigem "Ave Maria" immer wieder gegeben hat Zwar fasziniert und überzeugt von dem, was er tut nimmt Weinhold seine Person bescheiden, fast allzu bescheiden zurück: jeder könne die Ergebnisse scheußlich finden, und wem seine Programme nicht gefielen, der solle die Stücke eben anders programmieren.

Badische Zeitung, 21. Mai 1985

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages

 

 


Klaus Weinhold

Struktur und Bedeutung

Zwei Denkrichtungen - vereinfachend - bestimmen auch die Diskussion um die Rezeption Elektronischer Musik: Der "Strukturalismus" und die "Hermeneutik". Der strukturalistische Ansatz sucht nach objektiven Gesetzen, er kann daher sozusagen ohne Bedeutung und ohne Subjekt auskommen, der hermeneutische Ansatz beinhaltet die Kunst möglicher Ausdeutung, Bedeutung, Sinngebung für das Subjekt, dieses ist der Mensch. Der hermeneutische Ansatz läßt sich leiten von der Voraussetzung, den Menschen und seine Tätigkeiten (z.B. als Musikproduzent) als bedeutungsstiftendes Subjekt zu verstehen. Man muß und kann natürlich fragen, ob diese Bedeutungen nur als gesellschaftliche Praxis infolge Übereinkunft (konventionell) exisitieren, oder ob sich diese quasi objektiv als übergreifend geschichtslos manifestieren. Bedeutung kann nun auch in zweierlei Hinsicht aufgefaßt werden: Die strukturelle Bedeutung versucht, Grundelemente und deren Kombinationsregeln zu bestimmen, die hermeneutische Bedeutung geht hingegen vom Subjekt, von dessen Geschichte und Tradition, eben vom Menschen und dessen Fähigkeiten aus. Die klassische musikalische Hermeneutik hat als Ausgangsebene, daß nicht musikalische Prozesse wie Natur, Gefühle, Stimmungen, seelische Abläufe in Musik ausgedrückt werden können. Der Musik wohnt dann ein allgemein menschlicher Inhalt inne. Die geschichtliche Linie geht von der antiken Ethoslehre bis zur klassischen Ausdruckskästhetik, die noch heute weitgehend die Musikrezeption beherrscht. Musikalischen Formeln und Formteilen wird hier ein emotionaler Gehalt zugeordnet. Die Musik ist abhängig von einem menschlichen Kategorialsystem des Erlebens und Fühlens. Eine Grundkategorie ist z.B. der Prozeß "Spannung und Lösung": Dominante - Tonika, Vorder- Nachsatz, Beginn - Ende, leise - laut, Hebung - Senkung, betont - unbetont. Das Hören und Rezipieren Elektronischer Musik, zumindest solcher, die sich traditionellen Mustern verschließt, ist über den hermeneutischen Ansatz kaum anzugehen. Für die Elemente Elektronischer Musik fehlen bisher alle konventionellen Standards, fehlt jede lehr- und lernbare Grammatik, in der man sich verstehen und damit verständigen kann. Es fehlt jede Kommunikationsmöglichkeit. Es ist auch in der Elektronischen Musik so, daß der Ausdrucksgehalt gesucht wird. Die Ausdrucksmodelle von Musik liegen eben in allgemeinen Erfahrungen und konventionalisierten kulturellen Mustern, die vielleicht sogar inzwischen in der zweiten Natur zumindest des abendländischen Menschen liegen. Für die Elektronische Musik kann es nur von Vorteil sein, von diesen soziokulturellen Verstehensmustern gänzlich abzugehen und das "Verstehen" auf eine ganz andere Ebene zu lenken: der von immanenten syntaktischen Verknüpfungen von Elementen, deren bedeutungslose Kenntnisnahme und Wahrnehmung.
Die Syntax der Elektronischen Musik wird, falls sie überhaupt erstellbar ist, zunehmend komplexer, damit kaum noch erkennbar und nachvollziehbar. Die syntaktischen Funktionen müssen sich deswegen auf elementare Kategorien wie "gleich - ungleich, ähnlich - anders, verändert, komplex - weniger komplex, elementar - kompliziert, anhörbar - unerträglich" beschränken.
Hinzu kommt, daß die klassische Musikpraxis etwas ganz Wesentliches nebenbei herausgebildet hat, die sogenannte "Segmentierung" des akustisch komplexen Gefüges in ein anderes Medium: die Partitur. Beim Hören und der Rezeption geht man von dieser visuellen Elementarisierung und Klarstellung aus, rein physikalische Größen (z.B. Frequenz) werden hier in intellektuell nachvollziehbare Wahrnehmungsparameter (z.B. Noten) verwandelt. Diese Größen sind konventionalisiert, tradiert, lernbar eindeutig und geschichtlich bedeutungsvoll.
Für die Elektronische Musik gibt es solche Segmentierungsmethoden noch nicht, es gibt noch überhaupt keine Methode, etwa die grenzenlosen Klangmöglichkeiten auf einen eindeutig verwendeten Zeichenvorrat zu reduzieren und damit auch zu tradieren.
Die Frage ist, ob sich also eine Theorie, eine Konvention, ein Ausdruckscharakter, eine Bedeutung von elektronischen Klängen schaffen läßt, oder ob dieser "physikogene" Zugang zu Soundphänomenen sich grundsätzlich einer Eindeutigkeit und damit Bedeutung entzieht.
Letztlich steht daher die Frage nach der Bedeutung von etwas oder von der Welt schlechthin im Raum. Ein Mensch kann einem etwas bedeuten, ein Baum, die Welt als Ganzes, sie deutet vielleicht auf etwas hin, zunächst einmal ist sie - ganz einfach - da. 
So sind Elektronische Klänge zunächst einmal da, werden angeboten, gebieten ein Zuhören und haben zumindest die Bedeutung, daß sie sich uns vorstellen, sich vor unsere persönliche Bedeutung und unsere Bedeutungen stellen. Deshalb sind heute die Instrumente als Werkzeuge "bedeutender" als die Menschen: Die Emissionen und Emanationen dieser Instrumente deuten hin auf Grundlagen, Substanzen, Elemente. Ob sich freilich dieser Bedeutung eine Bedeutung zumessen läßt, bleibt fraglich, zumindest für den abendländischen Raum, der sich so bedeutungsvoll auf die Bedeutung der Bedeutungen der konventionellen Bedeutung (von bedeutender Musik) festgelegt hat.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 6 - März 1992, S. 3]

 

 


Klaus Weinhold

Von der Musik zum Sound

Im Prospekt für die Ars Electronica dieses Jahres werden u. a. folgende Veranstaltungen angekündigt:
"Cartesian Chaos": Cartesian Chaos zeigt die Unmöglichkeit auf, sich selbst und die umgebende Welt unverzerrt zu sehen, da man sich inmitten eines Systems befindet und so keinen Außenstandpunkt einnehmen kann. 
"Endo und Nano": Mehrmals im 20. Jahrhundert ist sowohl unser Realitäts- wie unser Selbstverständnis radikal in Frage gestellt worden. Relativitäts- und Quantentheorie haben den objektiven Charakter der Welt relativiert. Die elektronischen Medien haben eine Techno-Transformation der Welt bewirkt, die einem Verschwinden der vertrauten Wirklichkeit gleichkommt. 
Im Vorwort für den Medienkunstpreis 92 kann man auf die Musik bezogen dem Sinn nach folgendes lesen: Die zeitgenössische Kunst hat in den letzten 30 Jahren eine Entwicklung vollzogen, die ein bis dahin ungeahntes Spektrum neuer Möglichkeiten vor uns ausbreitet. Eine neue Gattung springt dabei ins Auge und ins Ohr: die Medienkunst. Es sind die elektronischen Klänge, die den traditionellen Musikbegriff erweitert, ja sogar grundlegend in Frage gestellt haben. Auffällige Merkmale dieser neuen Klänge sind vor allem ihre Bewegung, ihre Veränderlichkeit und Selbstbestimmung durch das Phänomen des Erlebens eines neuen Zeit- und Raumbegriffs. Mit der Aufhebung der statisch-kontemplativen Form geht eine ungewohnte Vielschichtigkeit der Sinnesreizung einher. Der Verzicht auf einen kompositorischen Fixpunkt ist ein weiteres kennzeichnendes Merkmal. "Polyzentrisch" im Sinne einer formalen Neuorientierung und "pluralistisch" sind wichtige konstituierende Elemente der neuen Kunst. Diese verlangt ein völlig neues Rezeptionsverhalten. Die überkommenen Maßstäbe zur Beurteilung zur Herstellungstechnik, Form, Inhalt und ästhetische Relevanz lassen sich kaum mehr anwenden. Unruhe, Irritation, Ablehnung, genauso wie Euphorie, Katharsis und Aufbruchstimmung wie vor einer Reise mit unbekanntem Ziel sind die Folge. 
Diese Zitate können Anlaß sein für uns und unser Anliegen, darüber nachzudenken. Wir befinden uns als Musiker in einem System, das zu beherrschen und zu kennen man sich bemüht, in Theorie und Praxis, wir erkennen jedoch nicht die Grenzen dieses Systems, wir wollen nur etwas sein, werden und schaffen innerhalb desselben. Die neuen Technologien erlauben uns, die Grenzen des Systems zu überschreiten und damit den geforderten Standpunkt außerhalb desselben einzunehmen. Wir können die klassische Musik nun von außerhalb sehen und nicht umgekehrt die neue technische Musik von der Klassik her. Wer die Elektronische Musik von hinten, vom traditionellen System her sieht, muß zwangsläufig zur Ablehnung derselben kommen, da das traditionelle System überall Grenzen aufrichtet.
Die Techno-Transformation der Musik kann eine Veränderung bewirken, das mögliche Verschwinden der vertrauten Elemente, der Muster, der Pattern. Wir erkennen dies als in sich geschlossenes historisches System an und für sich großartig, in sich schlüssig, nur zu vertraut und inzwischen zu naheliegend, zu eng an den Menschen mit seinen die Wirklichkeit reduzierenden Wahrnehmnungsprogrammen gekoppelt.
Die dritte Aussage trägt uns zu unseren möglichen Produkten und Vorhaben: "Aufhebung der statisch-kontemplativen Form": Das klassische Musikwerk wird sitzend rezeptiv gehört, die elektronische Soundproduktion entzieht sich dieser Hörweise, sie will bewegt, anregend, im "Vorüberhören" angegangen werden, will Unruhe erzeugen, nicht im Tempel ritualisiert "kontempliert" werden, sondern in quasi alltäglicher grauer Umgebung wahrgenommen werden. "Polyzentrisch": Der Sound ist nicht an Ausführende fixiert, er dezentralisiert sich, die Raumhierarchie wird ständig in Frage gestellt und durchbrochen. "Polyzentrisch" weist hin auf die endgültige Wegnahme des Begriffes der "Tonalität", der Eingrenzung auf periodische Schwingungsmuster in guten Zahlenverhältnissen. 
Die Elektronische Musik kann nicht überleben, nicht gewinnen, wenn sie sich als Fortsetzung der tradtitionellen Kunst sieht. Klaviere und Geigen sind allemal besser als Preset-Pianos oder "Strings", die temperierte Stimmung ist allemal besser als jede in kürzester Zeit erzeugte künstliche Stimmung. 
Es gilt, einen Neuanfang zu wagen, konsequent und umfassend, eine kopernikanische Wende wenigstens einzuleiten. Die Musik dreht sich nicht mehr um den Menschen, dieser hat sich um die naturgegebenen Möglichkeiten zu drehen.
Ob es auch nur annähernd gelingen wird, muß man bezweifeln, denn was der Mensch sucht, ist nicht die Natur des Sounds, sondern sich selbst, seinen Erfolg, seine Kommunikation und seine Umwelt.
Erstmals können die musikelektronischen Medien eine Transformation der traditionellen akustischen Welt zumindest anregen, können die vertrauten Wirklichkeiten des traditionellen Klanges verschwinden lassen, zugunsten dessen, was allem zugrunde liegt: der Substanzen, aus denen stets neue Synthesen klanglicher Art entstehen können.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 7 - Juni 1992, S. 3]

 

 


Klaus Weinhold

Cage und wir

Vor einigen Wochen starb fast achtzigjährig John Cage, einer der großen Neuerer und Seher unseres Jahrhunderts. Auch wer sein Werk nicht genau kannte und nur sporadisch etwas von ihm weltanschaulich oder musikalisch hörte, merkte: Hier wird etwas anderes gesagt, etwas gesucht und gefunden, was irgendwie immer im Gegensatz steht zum Klassischen, damit Normierten, zum Bewährten und damit Erhaltenswürdigen. Wer klassische Kunst studiert hat, dazu gehört Musik, geht aus und zurück zum Kunstwerk, zum Opus, zum begrenzten Raum, zum Stück mit Anfang und Ende (auch der menschliche Raum ist ein Stück aus dem unendlichen Raum). Kurz: Die klassische Kunst fördert den unnatürlichen Zustand, der streng nach Plan, Ursache, Geschichte und mannigfaltigen Bezogenheiten strukturiert ist. Wir kennen solche bezogenen und beziehbaren Systeme und Werke: die politischen Systeme, die Familie, die Lehr- und Fahrpläne, das planmäßige Üben an Musikinstrumenten, die Uhr mit ihrer Einteilung der Zeit und das System der Einteilung des unendlichen Klanges in "Teile": unser Tonsystem, unsere Skalen, unsere Harmonien, Perioden usw.
Cage hat versucht, den Menschen wenigstens etwas zu befreien: das Kunstwerkdenken abzuschaffen und den Natzurzustand mit seinem ungeregelten Reichtum über alles Artifizielle, Absichtsvolle und Abgezirkelte zu stellen. Vielleicht hat er auch versucht, uns die begreiflichen Muster zugunsten einer natürlichen Wildnis zu nehmen und auf letztere überhaupt erst einmal hinzuweisen. Unsere Gärten und Musikinstrumente haben eines gemeinsam: Stets sind sie gepflegt, abgemäht und in Ordnung gebracht, stets auf Kosten jener natürlichen Wildnis, die zu genießen und zu akzeptieren einem kultivierten Menschen offenbar schwerfällt.
Im Denken an Cage fallen besondere Begriffe ein: an erster Stelle "Zufall". In der klassischen Komposition gibt es diesen nicht, alles ist "notwendig". Tatsächlich: Es wird in dieser Notwendigkeit die Not des Menschen gelindert. Und eine dieser Nöte der Menschen ist eben der Zufall. Dieser ist "etwas, wofür keine Ursache, kein Zusammenhang, keine Gesetzmäßigkeit erkennbar ist". Zur Verdeutlichung gegen den Zufall: "alle Details seines Spiels sind bis ins letzte durchdacht, alle Ornamente überlegt plaziert, agogische Momente genau kalkuliert, nichts erscheint zufällig". Dagegen ist beim Zufall alles zufällig. Dagegen steht auch ein anderer Fall: Das Gefällige, "angenehm im Anhören, im Benehmen, schön" und sicher: geplant, nicht zufällig, mit planvollem Zusammenhang.
Cage hat uns versucht freizumachen für den Zufall und die genießende Annahme desselben. Der Zufall baut noch etwas ab: die Hierarchie der Werte. Wie wichtig ist dem Menschen ein festes Wertesystem, er will wissen, was gut und böse ist, was kon- und dissonant ist. Cage weist darauf hin, daß alles gleichgültig ist, daß damit beispielsweise das Sinnlose Sinn gewinnt und das Sinnvolle sinnlos wird. 
Cage stellte herrschende Konventionen in Frage, er setzte Prozesse der Befreiung in Gang, er versuchte den Menschen zu einem augenblicksbezogenen, von programmierter Reglementierung fernen Verhalten anzuregen. 
Befreiung, Zufall, Augenblick, Relativität, Wechsel, sind das nicht Begriffe, die der neuen Elektronischen Musik entsprechen: Befreiung zum zufälligen Klang, Random, zur zufälligen Anordnung, zum zufälligen Ohrenspitzen am zufälligen Ort, Befreiung zur Zufälligkeit der Abfolge, des Endes und des Anfangs?
Die abendländische Musik brachte nicht nur ihre Element in eine strenge Hierarchie, sondern das Musikleben überhaupt, sie unterschied nicht nur zwischen primären und sekundären Toneigenschaften, zwischen Haupt- und Nebenstufen, sondern auch zwischen "Musici" und "Cantores", zwischen berühmten Komponisten und Dirigenten und anomymen Orchestermusikern. Cage meinte, daß die europäischen Musiker einen Fehler machen, wenn sie sich dieser Tradition verschreiben. Sie sollten vielmehr Abstand von ihrer Geschichte nehmen, aufhören die europäische Musikkultur der Meisterwerke als die einzige Musik zu betrachten.
Cage sagt: "Die Meisterwerke der abendländischen Musik zeugen von Monarchien und Diktaturen. Komponisten und Dirigenten: Könige und Premierminister".
Weiter: "Viele Komponisten machen keine musikalischen Strukturen mehr. Statt dessen setzten sie Prozesse in Gang. Eine Struktur ist wie ein Tisch, ein Prozeß dagegen ist das Wetter. Im Falle eines Tisches sind Anfang und Ende des Ganzen und jedes seiner Teile bekannt. Im Falle des Wetters nehmen wir eine Veränderung wahr, aber wir haben keine klare Kenntnis von seinem Anfang und Ende". So stellt sich im Gedenken an Cage die Frage: Sollen wir unsere musikalische Arbeit am Tisch oder am Wetter ausrichten?
Und Cage sagt uns konkret zur Elektronischen Musik: "Ich glaube, daß die Verwendung von Geräuschen, um Musik zu machen, so lange andauern und zunehmen wird, bis wir zu einer Musik gelangen, die mit Hilfe elektrischer Instrumente produziert wird, die alle beliebigen hörbaren Klänge bereitstellen". "Das besondere Merkmal der elektrischen Instrumente wird darin bestehen, eine vollständige Kontrolle der Obertonstrukturen der Töne zu gewährleisten und Töne jeglicher Frequenz, Amplitude und Dauer zur Verfügung zu stellen". 
Wir sollten wissen, was wir Cage, seinen Aussagen und der Geschichte schuldig sind.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 8 - September 1992, S. 4]

 

 


Klaus Weinhold

Kein Grund zum Feiern

Zehn Jahre alt wurde unsere Arbeit mit Elektronischer Musik, die ich zu einem großen Teile als meine Arbeit bezeichnen kann. In diesen zehn Jahren wurden jährlich, oft mehrmals "Vorführungen" mit Elektronischer Musik, fast ausschließlich in der Aula der PH Freiburg angeboten. Das ist in der Bundesrepublik ein einmaliger Vorgang gewesen, nach zehn Jahren muß man sich fragen, was ist eigentlich geblieben, wo sind zu Buche schlagende, etwa in Zeitungsberichten sich niederschlagende Ergebnisse? Diese sind nicht vorhanden, das müssen wir ehrlich uns vor Augen halten, wir haben einen kleinen Zuhörerkreis gefunden, der treu und mit Begeisterung zu uns steht. Wir haben also keine Außenwirkung erreicht und wir dürften musikalisch die letzte Adresse nicht nur in Freiburg sein. In der Badischen Zeitung (BZ) vom 17.11.92 erschien ein Bericht über das Freiburger SWF Experimentalstudio. Wer von Elektronischer Musik in Freiburg und anderswo spricht, erwähnt dieses Studio. Es scheint mit Elektronischer Musik gleichgesetzt zu werden. Auch in einem anderen Bericht der BZ, kurz vorher, werden Freiburger Institutionen mit Neuer Musik angeführt, darunter auch die "Live- Elektronik" des SWF, was fehlt, ist eines: unsere  Elektronische Musik. Hinzu kommt, daß vor einigen Wochen im "Forum" des SWF ein Bericht über das SWF Experimentalstudio ausgestrahlt wurde. Es war wieder von ersten Adressen, weltbekannten Komponisten und Live-Elektronik die Rede. Ich lauschte diesem Vortrag in der Hoffnung, Elektronische Musik zu hören und vielleicht einmal das Wort "Frequenzmodulation" oder "DX7" zu hören. Nichts dergleichen. Man erfuhr lediglich, daß es neben der hochkarätigen, weltbekannten Live-Elektronik Freiburger Provenienz noch eine mehr oder weniger nach unten gerichtete "Unterhaltungselektronik" gäbe, die auch ganz fortschrittliche Instrumente entwickelt hätte. 
Im erstgenannten BZ-Artikel wird interessanterweise - ich glaube, meine Vermutung ist da nicht falsch - die echte Elektronische Musik zumindestens, wie ich sie in den zehn Jahren versucht habe vorzuführen, beschrieben. Es steht da: "Mit sterilen, enthumanisierten, musikfernen Klangbasteleien hat Live-Elektronik nichts zu tun. Stets ist sie ganz nah am Interpreten, am Puls der Musik, ja sie ist selbst Musik. Da leuchtet auch ein, daß die Studioleute in den Elektronikgerätschaften keine Maschinen, sondern Instrumente sehen." Sehr interessant: Vielleicht überschätze ich meine Auswirkungen, aber diese obengenannten Aussagen sind die Kernaussage über meine Ansicht von Elektronischer Musik. Sie ist steril, d.h. keimfrei, d.h. sauber, ohne die Beimischungen jener Humanität der Musik, die doch nichts anderes ist als Opium für das Volk, das genau weiß, wie schrecklich die Welt ist und dieser Welt das Mäntelchen des Schönen umhängt. Ja, diese Sounds - keine Musik mehr - sind enthumanisiert, sie wenden sich vom Menschen mit seinen, ach so egobezogenen, narzistischen Vorstellungen ab, hin zur Sache der Natur, vielleicht erinnernd an die Devise, daß die Erde nur überleben kann, wenn sie vom Menschen befreit wird, d. h. enthumanisiert wird. Die gesamte klassische Musik als Gesamtkulturleistung ist sicher großartig, geht genau wie die klassische Philosophie, Astronomie und Religion von einem Zentrum aus, dieses war der Mensch. Damit war die Musik ebenso ausschließlich menschenbezogen. Die Kopernikanische Wende dreht es um: Der Mensch rückt es aus dem Mittelpunkt an den Rand des Universums. Die Maschine kann mehr als der Mensch, auch auf die Gefahr hin, daß manches verlorengeht. Was unsere neuen Soundmaschinen jedoch erzeugen, und das in kürzester Zeit, wird kein menschenbezogenes klassisches Musikinstrument je erzeugen können. 
Wir haben versucht und wir werden versuchen, den Zuhörern etwas aus der neuen Soundwelt zu zeigen. Der neue Klang in der Alten Welt. Die Alte Welt will den Neuen Klang weder hören noch begreifen. Es ist sicherlich wohltuender, in eine Klaviertastatur zu greifen, als irgendwelche undurchsichtigen Regler zu betätigen oder Zahlenfolgen aufzustellen. Ich persönlich bin immer wieder erstaunt, daß sich trotz meines pädagogischen Einsatzes nur sehr wenige junge Menschen auf das Neue des Neuen Klanges einlassen. Die Ergebnisse sind deprimierend. Man braucht wohl nicht Psychologe zu sein, um zu ahnen, daß hier der Mensch in einer Grundposition gefordert ist: die der Aufgabe von vertrauter Sicherheit. Kommen wir auf den Begriff der "Klangbastelei". In einem anderen Artikel der BZ vom 11.12.1992 über die traditionelle Gesellschaft, die dahin ist, und die neue, die Angst macht, wird einiges berichtet, was sich auf die neue Musiktechnologie übertragen läßt: Handlungsunsicherheit und Ohnmachtserfahrung. Zu letzterem: Ich gebe zu, ich habe Angst vor neuen Geräten, ich erlebe mich manchmal der Bedienungsanleitung gegenüber ohnmächtig, und auch der Produktmanager der entsprechenden Firmen kann mir nicht weiterhelfen. Zur Handlungsunsicherheit steht in dem genannten Artikel, daß sich die Normalbiografien auflösen. Es könnte also sein, daß man an die neue Soundtechnologie eben nicht mehr als klassisch geschulter Musiker herangehen sollte, ja es entstehen Statusverunsicherungen, die dazu führen, daß man es vielleicht gar nicht wagt, neue Soundproduktionen "ersten Adressen " anzubieten, sondern daß man sich damit bescheiden muß, vielleicht in letzten Räumen neueste Klänge zu bieten. In der neuen Musiktechnologie steigt der Zwang, genau wie in der gesamten heutigen Zeit, sich flexibel verhalten zu müssen. Man weiß nicht mehr, wofür man sich entscheiden soll, z.B. für dies oder jenes Instrument. Notwendig wird - und damit komme ich auf den genannten Zeitungsartikel zurück - vor allem eine Form des flexiblen Umgangs, eine "Bastelmentalität", um mit diesen Anforderungen fertig zu werden. Aha: so liegen wir mit unseren Klangbasteleien offenbar doch nicht so ganz falsch, und so bin ich bereit, vom Produzenten sogar zum Klangbastler mich umbenennen zu lassen. Sicher ist, daß der flexible Umgang mit neuen Instrumenten, ich denke da etwa an den neuen K2000, mit basteleiartigem Experimentieren etwas zu tun hat.
Der langen Reflexionen kurzer Sinn: Der echte elektronische Sound - nicht mehr Musik, denn von den griechischen Musen in ihrem sehr menschlichen Habitus wollen wir nur noch wenig wissen - ist tatsächlich musikfern, ist nicht mehr am Puls der Musik, der jawohl wie der menschliche Herzschlag sehr regelmäßig ist, und er ist durchaus maschinengerecht, in dem Sinn, daß sich in der Maschine Gesetze der Natur für übermenschliche Aufgaben anbieten. Zu diesem elektronischen Sound bekenne ich mich, als Beispiel gebe ich die nackten synthetischen Klänge des ADS-Samplers, an denen man sich verletzen kann, so wie man sich an Granit verletzen kann, und damit lege ich ein Bekenntnis zum elektronischen radikalen Fundamentalismus ab, in der Gewißheit, daß nur wenige diesen engen Pfad mitgehen werden. Zugleich aber in der unumstößlichen Gewißheit, daß man an die Wurzel der Klangerzeugung mit der modernen Technologie vordringen kann, und ein Vordringen zur Wurzel kann man als "radikal" bezeichnen.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 9 - Dezember 1992, S. 3]

 

 


Klaus Weinhold

Ein relativer Standpunkt

Die Diskussion über die Arbeit mit und um die Elektronische Musik und damit um die Musik überhaupt ist in diesem Jahr 1993 in unseren Kreisen voll entbrannt. Wir mögen das bedauern, erfordert doch die Diskussion über einen Sachverhalt, den wir eigentlich für geklärt halten könnten, viel Zeit und Kraft. Aber offenbar ist es in keiner Weise klar, was diese sogenannte Elektronische Musik ist. Ein aktuelles Beispiel: Die Veranstaltung elektronischer Musikproduktion in Osnabrück in diesem Sommer nannte sich "Klangart", das Wort Musik kam darin nicht vor. In einer Besprechung in einer Musikzeitung wird dazu formuliert, daß der Begriff Elektronische Musik inzwischen von der Popularmusik vollständig okkupiert worden ist. So wird sicherlich manch einer von den Interessenten Elektronischer Musik glauben, daß er auch bei uns solche "Popularmusik", ganz gleich welcher Art, zu hören bekommt, und wird enttäuscht von dannen ziehen, da etwas ganz anderes bei uns aus den Lautsprechern tönt. Auch bei uns kam der Gedanke "Klangart" auf, wir wollten jedoch sprachlich korrekter sein und kamen auf den Begriff "Audioart", beide Teile des Begriffes wären dann aus der lateinischen Sprache genommen. Damit zur Grundfrage: Machen wir, sollen wir Musik machen? Und sollen wir das, was vielleicht anders als Musik ist, diese Audioart, auch als Musik anbieten? Was traditionelle Musik ist, sollte klar sein. Seit Plato haben sich die Theoretiker über diese Frage ausgelassen, man kann dies in jedem Musiklexikon unter dem Begriff musica nachlesen. Es ist immer von der göttlichen Offenbarung, von den Musen und dem Geschenk des Himmels die Rede. Ein ganz wichtiger Gesichtspunkt spielte immer eine Rolle: Musik als Mittel zur Beruhigung, zur Ruhigstellung, zur Stimmungsmache bis heute, wo sich dies in der Form der Musiktherapie niederschlägt. Musik sollte deshalb verboten werden, denn damit ist ein ganz zentraler Punkt angesprochen: Musik zeigt immer eine harmonische Welt, und unser Begriff der Harmonie hat sich verengt auf gute und schöne und angenehme Klangverhältnisse. 
Die Musik offeriert uns im Abendland ein System. Dieses ist von Menschen für Menschen menschlich zubereitet worden. Nur selten erfährt der Hörer etwas von den Inhalten dieses Systems. Wenn man einmal in einer Radioansage, was immer seltener wird, gesagt bekommt, daß ein Stück in G-Dur steht, ist es schon viel, was man vom System mitbekommt, meistens erfährt man nur die Namen der Musizierenden. Die theoretisch-analytische Auseinandersetzung über die Grundlagen des Systems steht im Moment nicht nur in der musikalischen, sondern auch in der politischen Diskussion nicht an erster Stelle. 
Das traditionelle Musiksystem ist vordergründig. Es geht vom Menschen aus, so wie der den Sternenhimmel betrachtende Mensch glaubt, daß sich die Sterne bewegten, und wie der den Sonnenuntergang beobachtende Zeitgenosse tatsächlich der Meinung ist, daß die Sonne sich um die Erde bewege. Kurz und gut, das sind kulturelle und konventionelle Betrachtungsweisen, die Realität ist eine andere. Die klassische Musikbetrachtung verstellt uns nun auch den Zugang zu der eigentlichen Realität dessen, was Grundlage von Hörerlebnissen ist: Die Erkenntnis von Schwingung und deren ungezählte Überlagerungen. Wir kommen damit zu einer anderen Betrachtung der schwingungsfähigen Realität, wir dringen in sie nicht über die Kultur von oben ein, sondern von unten, von der Natur her und versuchen sie von dort neu aufzubauen und erst einmal zu erkennen. Und damit sind wir bei den nackten Elementen, den Urphänomenen: Ein solches nacktes, farbloses, uninteressantes, langweiliges Element ist der Sinuston, den wir leider nicht mehr oder nur mühsam aus den neuesten elektronischen Instrumenten herausholen können. Der Sinuston als regelmäßige Schwingung, sich nach einem Zufallsprinzip verändernd: Das wäre der Anfang einer neuen "Klangart". Indem wir diesen immer weiter und immer mehr übereinander schichten, kommen wir zu dem, was die traditionelle Musik mit dem Übereinanderschichten vorgefertigter Produkte, den Tönen erreicht hat, zu einem neuen Klang. Damit ist etwas gesagt, was gegen manche neue elektronische Musikinstrumente spricht, indem sie uns in diesem Hintergrund von unten keinen Einlaß gewähren und indem sie uns doch wieder nur eine Fortsetzung mit anderen Mitteln bieten. Im Gegensatz dazu: Der ständige unendliche Neuanfang, das unendliche Suchen, das man mit dem Wort Experiment übersetzen kann. Dieses Experimentieren führt sicher zu vielen Mißerfolgen, und dennoch: Vielleicht ist dieses Gefundene allemal interessanter als das Vorgefertigte, wo man immer weiß, "wie es weitergeht".
Wir haben versucht, eine Betrachtung der Elektronischen und klassischen Musik zu geben. Wichtige Begriffe dieser beiden Klangformen sind auf der einen Seite Zubereitung und Anpassung für das traditionelle System und experimentelle Innovation auf der anderen Seite, Sicherheit und Geborgenheit, ja Therapiefähigkeit auf der einen Seite, Unordentlichkeit, Unsicherheit, Destabilisierung auf der andern Seite. Wir wissen, was der Mensch braucht oder glaubt zu brauchen. Die Kultur sorgt für diese Notwendigkeit, die Natur tut es nur teilweise. So sollten wir uns klarmachen, daß die Soundelektronik uns von der Kultur hinweg führt, hinein in die von Menschen unabhängige Natur. Daß in dieser Natur auch einmal dem Menschen Entsprechendes herauskommen kann, ist keineswegs ausgeschlossen und abzulehnen. Wer heute sich für das Ohr und damit das Hörbare interessiert und dafür begabt ist, wird kaum als Grundlage seiner musikalischen Erlebnisse das Heulen des Windes. das Rauschen des Baches oder Geräusche der Müllabfuhr nehmen, obwohl gerade diese Dinge der Ausgangspunkt einer Hörwahrnehmung und damit einer Welterkenntnis sein könnten. Der musikalische Mensch wird im Kreislauf zwischen eigenem Bedürfnis und Erziehenden, z.B. Eltern, oft schon in früher Jugend in die musikalische Kulturwelt eingeführt. Der Adept ist damit für sein Leben für einen anderen Zugang zur "Klangart" nicht mehr oder nur kaum befähigt. Damit wird deutlich, und wir kehren so zum Anfang zurück, daß in der Diskussion der sog. Elektronischen Musik es nicht darum geht, ob DX7 oder ein Presetinstrument mit schönen Klängen, sondern daß es darum gehen muß, die Grundlagen des Menschen und des menschlichen Bewußtseins neu zu überdenken. Das zu Ende gehende Jahrhundert hat uns eine neue Physik und eine neue Astronomie beschert, was bisher fehlt, ist eine dazugehörige "Klangart", die sich grundsätzlich von Prinzipien wie Tonalität in der Musik, Zentralperspektive in der Malerei und der Newtonischen Physik trennt. Dieses waren geschlossenen Systeme, und der Mensch glaubte, so sei es. Wir wissen heute, daß es weitgehend nicht so ist, daß man es aber so sehen kann und so hören kann. Wir könnten dazu beitragen, mit unseren neuen Mitteln etwas zu dieser neuen Weltsicht beizusteuern. 
Ein letzter rückblickender Hinweis: Die 68er Bewegung machte uns glauben, daß es so etwas Neues gibt. Die musikalischen Aktivitäten der 70er Jahre führten zu einer Befreiung, die es ermöglichte, sich der Systemkritik und damit der musikalischen "Unterwelt" überhaupt zuzuwenden. Wir alle wissen, was heute gefragt ist, und damit haben wir keine Aussicht auf Erfolg. Denn die Therapie der elektronischen "unterweltlichen" Klangerzeugung ist zwar auch eine Heilung, aber eine von den Ideologien und Illusionen einer schönen Welt, wie sie uns jede klassische Kunst glaubt vorstellen zu müssen.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 12 - Oktober 1993, S. 5]

 

 


Klaus Weinhold

Die Zukunft findet statt

Elektroniker, Computermusiker, Audiodesigner, Musiker der aktuellen Entwicklung, worauf sollen wir uns berufen, wo sollen wir anrufen, um zu erfahren, ob das, was wir tun, richtig ist? In der Vergangenheit lernte man von der Vergangenheit, Mozart lernte von Bach, und heute studiert man in der klassischen Ausbildung klassische Kompositionsprinzipien. Worauf sollen wir uns aber berufen? Nehmen wir drei Quellen: die Musikmesse Frankfurt und zwei Zeitschriften, die darüber berichten, Keyboards und Keys, zwei Zeitschriften, die im Titel ihre Traditionsverbundenheit sprachlich und visuell zum Ausdruck bringen: key heißt Taste und keyboard heißt Klaviatur.
Im letzten Heft belehrt uns der Chefredakteur von Keys darüber, daß die offenbar musikelektronische Zukunft stattfinden wird, dies sei das knappe Fazit der diesjährigen Frankfurter Musikmesse. Wir werden darüber belehrt, daß diese Zukunft digital sein wird. 
Betrachten wir Aussagen und Statements bekannter und weniger bekannter Elektroniker zu unserem Gebiet. Es zeichnet sich ab, daß die zunehmende Digitalisierung der Instrumente zugleich zu einer Gegenbewegung, zur wiederbelebten Analogisierung führt. Neueste digitale Instrumente wie der Alesis Quadraverb, dessen Beurteilung durchaus nicht enthusiastisch ist, korrespondieren mit Wiederbelebungen wie dem OB-Mx. Lassen wir einige Meinungen zu Wort kommen: Für uns wohl das wichtigste: "erzieherische Maßnahmen", so schreibt der FM-Protagonist Dave Bristow, daß er es nicht nachvollziehen kann, daß die meisten Leute von elektronischen Instrumenten erwarten, daß sie sich wie akustische Instrumente verhalten. Um das Verständnis für elektronische Eigenheiten zu vertiefen, sind seiner Meinung nach "erzieherische Maßnahmen" wie Workshops und Seminare nötig. "Sonst versteht keiner so richtig, was uns die neuen Physical-Modeling-Verfahren und die FM-Verfahren so alles bringen". 
Physical Modeling, wir haben alle viel davon gehört, mein persönlicher Kommentar deckt sich mit dem des Altelektronikers J. Schmölling. Er hält nichts davon, wenn ein elektronisches Instrument einfach "klingt wie", also etwa wie ein Klavier, es muß doch heißen, der Klang ist so, wie er eben ist. Ihn begeistert das, was er vom Yamaha VL1 gehört hat, nicht sonderlich. Ihm sind der Jupiter 8 oder das PPG-System lieber.
Der VL ist sicher eine großartige technische Leistung, er führt aber dahin zurück, wovon wir uns in der Elektronik eigentlich in gewisser Hinsicht lösen wollten, zum Menschen. Konkret werden hier wieder körperliche Funktionen eingesetzt, und die Abstraktionen, die "rationes", d.h. die Verhältnisse, die sich abstrakt in Zahlen oder Reglerstellungen darstellen lassen, spielen nicht mehr die entscheidende Rolle. Beim VL darf der Mensch wieder von sich als dem Zentrum in das Instrument hineingehen und das Instrument prägt als abstrakte technische Größe nicht mehr das Denken und Handeln des Menschen. Eine fatale Rückwendung im Unterschied zur Gegenbewegung der prädigitalen Instrumente, die sich wieder an den Wurzeln wie System 100M oder gar den EMS-Geräten orientieren. Dort lag das eigentlich evolutionär Neue. Im letzten Jahrzehnt ist dann eine kontinuierliche Angleichung an die Unantastbarkeit des Menschen und seiner handlichen Vorstellungswelt erfolgt.
Im neuen Heft Keyboards werden uns seit Monaten vorausschauende Aussichten über die Musik 2000 gegeben. Vieles wirkt im negativen Sinn utopisch und im negativen Sinn unmenschlich, entfernt sich tatsächlich, ja zu sehr von einer vorhandenen Tradition und Geschichte. Ein letztes Szenario Nr.7, "Übergänge" betitelt, wirkt wie ein Spiegel von manchen unserer Aktivitäten und vorausschauenden Darbietungsformen aus der Zukunft. Der Hauptinhalt des Artikels belehrt uns darüber, daß der große Übergang sein wird, daß die Geräusche die Töne erobern. Das Abendland hat den Ton geschaffen, gestaltet und in ein System gebracht, eine großartige Auswahlleistung, von der es allerdings kein Zurück in das Allumfassende, und das ist im Hörbereich das Geräusch, gibt. Die Futuristen und die Musique concrete machten Versuche einer Musik aus Geräuschen. Heute versucht man auf der einen Seite alle Störgeräusche zu eliminieren, auf der anderen Seite - so in dem genannten Artikel - wollen andere noch das abscheulichste Krächzen im schönsten Digitalsound festhalten. Weiter lesen wir da, daß sich eine zunehmende Anzahl von Musikern mit Recordern auf Klangsuche macht und die Ergebnisse am Bildschirm wundersamen Transformationen unterwirft. Wenn ich es recht sehe: das Gegenteil der VL-Synthese.
Der wichtigste Übergang nach oben genanntem Artikel markiert der Begriff "Audioart". Wir können stolz sein, denn auch bei uns erstand er plötzlich aus mancherlei Gründen, der wichtigste war, um einen umfassenden Begriff zu bekommen, unter dem man nicht nur Musik subsummieren kann. Das Umgekehrte ist allerdings nicht möglich. Das Spektrum der Audioart entzieht sich jedem Eingrenzungsversuch, berührt die Felder Musik und Sprache, Synthese und Sampling, und geht über alles hinaus. In der Audioart spielen Geräusche - auch mehrere Töne zusammen können schon ein Geräusch ergeben - eine große Rolle. Jedoch ist Geräusch nicht Teil eines musikalischen Ablaufs, sondern es steht für sich allein. Ein weiterer Übergang wäre der von der Musik zur Klangkunst im Blick auf das Produzieren und Vorführen. Der erwähnte Artikel definiert das Produzieren von akustischer Kunst auf Band als Audioart, die Realisierung als öffentliches Ereignis, als Klangkunst.
Schauen wir retrospektiv auf unsere Arbeit zurück: Was wir in den letzten Jahren in unserem Bereich geboten haben, war genau das Neue, der Übergang von der Musik zur Klangkunst, zur Audioart gewesen. Wir waren also auf dem richtigen Weg und erfahren nun vom Autor des Keyboard-Artikels eine späte Rechtfertigung.
Das Beruhigende und zugleich Beunruhigende dieses Artikels ist es, daß wir auch mit unserer Forderung nach "geistiger Grundlegung" richtig liegen, denn , was soll die neue Technologie, die Digitalisierung, die Elementarisierung, die Entdeckerfreude, wenn wir uns nicht auf die "finis und Endursach" der Elektronischen Musik besinnen? Für Bach war es das Lob Gottes und die Rekreation des Gemütes, für uns sollte es die Erkenntnis der Natur und die daraus resultierende Befriedigung des Geistes sein.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 14 - April 1994, S. 3]

 

 


Corinna Uhl

10 Jahre elektronische Musik - Interview mit dem ZeM-Pionier Klaus Weinhold

Vor kurzem gab es an der PH Freiburg wieder eines der mittlerweile traditionell gewordenen Wochenenden für Elektronische Musik unter der Gesamtleitung von Klaus Weinhold - und so ganz nebenbei stellte sich heraus, daß Herr Weinhold, der ZeM-Pionier schlechthin, vor genau 10 Jahren begann, sich mit Elektronischer Musik zu beschäftigen. Über seine damaligen Anstöße und Beweggründe, die ihn zur Elektronischen Musik hinführten, gibt er uns in diesem Interview Auskunft.

ZeM: Herr Weinhold, 10 Jahre Elektronische Musik - wie fing denn das alles an?

K.W.: Die Arbeit begann über einen Kollegen, der mir vor etwa 10 Jahren in Karlsruhe den Logik-Synthesizer vorführte. Ich war davon so fasziniert, daß ich sofort nach Stuttgart ins Institut Rehberg fuhr und mir dort dieses Gerät anschaute und es dann auch gleich anschaffte, weil ich der Meinung war, daß tatsächlich mit diesem Instrument, was sicherlich nicht ganz vollkommen war, enorme Möglichkeiten, die den traditionellen Ton- und Musikbegriff revolutionieren, möglich sein würden.

ZeM: Beim letzten ZeM-Wochenende erwähnten Sie auch den Jupiter4 - welche Rolle spielte dieses Gerät am Anfang?

K.W.: Der Jupiter4 war ein ganz hervorragendes Instrument, von dem ich restlos begeistert war - und wenn es das noch gäbe, glaube ich, könnte man von dem warmen analogen Klang auch heute noch begeistert sein. Wenn ich also jemand empfehlen würde, neu anzufangen, würde ich sagen, kaufen Sie sich ein solches Instrument. Übrigens hat er Abspeichermöglichkeiten, und wenn ich mich recht erinnere, auch Sequencermöglichkeiten. Man konnte dort mit einfachen Mitteln, wenn man einigermaßen Klavier spielen konnte - er hatte ja eine Tastatur - tatsächlich etwas ganz Neuartiges, was die Tonalität völlig verließ, erzeugen.

ZeM: Wie ging es dann weiter nach dem Logik-Synthesizer und dem Jupiter4?

K.W.: Das ist ganz klar zu sagen. Nach dem Logik schaute man sich nach anderen Geräten um, und es kam neben dem Jupiter4 dann der Teisco, der ähnlich ist wie der Jupiter4, und dann ging es Schlag auf Schlag: Es kam der Jupiter8 auf, mehr schon mit digitalen Speichermöglichkeiten, und parallel dazu lief das System 100M von Roland, was bis heute noch aktuell ist - ich habe es auch noch. Dann, als man das hatte, kam allerdings der große Bruch zum DX7, und danach kam MIDI. Das hat nun natürlich das eingeleitet, was in den letzten 6 Jahren, also etwa seit 84 die Sache beherrscht, hoffentlich auch weiter beherrschen wird, so daß man heutzutage in dem Digital-MIDI-Studio das Non-plus-ultra der Klangerzeugung, Sequencerproduktionen und der ganzen Soundproduktion sehen kann.

ZeM: Sie kommen von der Orgel her - wie haben Sie den Schritt vollzogen von der Orgel zur Elektronischen Musik?

K.W.: Die Orgel ist immer schon ein Synthesizer gewesen, d. h. also ein Instrument, mit dem man nicht mit fertigen Klängen arbeitet, sondern stets gezwungen ist, einen Sound, einen Klang - bei der Orgel nennt man es Registrierung - erst einmal zu erstellen. Im Laufe der Jahre kommt man natürlich bei der Orgel an Grenzen, die im Instrument und in der Technik liegen. Diese Grenzen innerhalb des Instruments zu überwinden ist aber kaum möglich. Es kam ein Komponist hinzu, Ligeti, der vor ca. 30 Jahren in seiner Volumina die traditionellen Mittel der Orgel ganz enorm erweitert hat, indem er einfach die Töne denaturierte durch Manipulationen an der Windzuführung. Diese Komposition und diese neue Technik haben dazu geführt, daß man innerhalb der Orgel und dann auch außerhalb, wie es die Elektronik ermöglichte, nach neuen Wegen und nach neuen Möglichkeiten suchte.

ZeM: Doch trotz der enormen Möglichkeiten können viele den Sprung zur Elektronischen Musik nicht nachvollziehen.

K.W.: Das ist ein grundsätzliches Problem, das sich nicht nur in der Elektronischen Musik, sondern auch beispielsweise innerhalb der Orgel stellt. Die meisten Instrumentalisten, in dem Fall also Organisten, erwarten, daß das Instrument eine ganz bestimmte Stellung des Klanges und der Interpretation ermöglicht, und sind nicht bereit, von dieser vorgefertigten Vorstellung in irgendeiner Weise abzurücken. Grundsätzlich muß man eben auch sagen, daß eine Orgel und jedes andere Musikinstrument dem Aufnahmevermögen des Menschen in einer ganz bestimmten Weise entgegenkommt. Und der Mensch ist von Natur aus in gewisser Hinsicht bequem und will sich in den gegebenen Möglichkeiten ausruhen, ohne in irgendeiner Weise eine Erweiterung zu suchen oder erforschen zu wollen.

ZeM: Würden Sie denn sagen, daß der Schritt von der Orgel zu elektronischen Musikinstrumenten leichter zu vollziehen ist als jetzt von, sagen wir mal, Klavier, Flöte, Geige usw.?

K.W.: Absolut. Denn wie ich schon sagte, ist ein Klavierspieler z. B. auf einen Klang fixiert, den er durch Anschlagstechnik, durch Üben dieser feinen Unterscheidungen ständig kultiviert. Ein Sänger in genau dem gleichen Maß. Er hat seine Stimme, die sozusagen naturgegeben ist, und er kommt über diese Stimme irgendwo nicht hinaus. Er will es vielleicht auch gar nicht, während der Organist ständig Kombinationenen suchen muß, weil sie in der Natur des Instrumentes liegen. Eine Orgel mit etwa 100 Registern hat natürlich ungeahnte und fast unbegrenzte Möglichkeiten, neue Klänge zusammenzusuchen - vielleicht sogar auf Kosten einer differenzierten Anschlagskunst, auf die die Pianisten zu Recht sehr stolz sind.

ZeM: Muß man denn bei elektronischen Instrumenten nicht üben? Das ist ja eine recht verbreitete Meinung.

K.W.: Üben im traditionellen Sinne nicht, denn Üben setzt voraus, daß man eine bestimmte körperliche Fähigkeit genau wie beim Sport, beim Fahrradfahren oder Skifahren, austrägt. Diese mechanischen Fähigkeiten übernimmt in gewisser Weise das elektronische Instrument. Was man aber sofort ausbilden muß, ist eine Sensibilität dem Klang gegenüber. Sie müssen lernen, nicht auf Ihre Finger zu achten oder auf Noten zu schauen, sondern mit dem Ohr zu arbeiten, das Ohr zu sensibilisieren, und das ist erheblich musikalischer, als nur auf Übertragungen von Notenbildern in Fingermechanik zu achten.

ZeM: Haben Sie denn irgendwelche Vorbilder in der Neuen Musik oder im elektronischen Musikbereich?

K.W.: Die Vorbilder in der Elektronik liegen in der gesamten Modernen Musik, und da würde ich sagen in der sogenannten Serialität. Dort werden ganz bestimmte Ereignisse in einer bestimmten Reihe angeordnet. In der klassischen Serialität sind es Töne, die nicht mehr einer Tonleiter folgen, sondern in einer Reihe, die der Komponist sich selbst setzt. In der Elektronik können Sie beispielsweise eine solche Reihe selbst setzten, indem Sie 10 oder 100 oder 200 Synthesizerklänge, Sprachklänge oder Gemischtsamplekläge zusammensetzen, die dann in den verschiedenartigsten Variationen ablaufen. Also von der traditionellen Musik, von der traditionellen Patternvorstellung und Tonvorstellung führt meines Erachtens kein direkter Weg zur Elektronischen Klanggestaltung.

ZeM: Aber auch in Sequencern und Sequencerprogrammen wird doch von Pattern und Patternvorstellungen gesprochen. Wie können sie das vereinbaren?

K.W.: Die Pattern in einem Sequencer orientieren sich natürlich am traditionell geschulten Musiker, der im Grunde genommen das neue Wesen der Elektronik nicht verstanden hat oder auch nicht verstehen will. Im Unterschied zu den amerikanischen Programmen, das Dr. T zum Beispiel, wollen die europäischen und deutschen Programme letztlich in traditionellen Mustern und Pattern, die sich also auch in den Sequencern niederschlagen, bleiben.

ZeM: Sequencerprogramme und auch elektronische Musikinstrumente werden ja oft dazu benutzt, um solche klassischen Muster wieder zu kopieren. Was gibt es denn für Möglichkeiten, in neue Richtungen vorzudringen?

K.W.: Es ist letztlich eine philosophisch-religiöse Frage: Solange der Mensch im traditionellen Bewußtsein bleibt, und das wird er wohl weitestgehend tun, sind diese Neuerungen einfach nicht durchsetzbar. Der Mensch neigt ständig dazu, bei den in der Kindheit erworbenen Denk- und Verhaltensmustern, auch Musikmustern irgendwie zu bleiben. Das ist von der Kindheit an gegeben, beim erwachsenen Menschen, beim Politiker, der eine Wirklichkeit mit Pattern von vor 40 Jahren heute vollziehen will. Die Wirklichkeit verändert sich ständig, und der Mensch ist offenbar von Natur aus konservativ und kann sich an diese Veränderungen, die in allen Bereichen und damit auch in der Musik explosionsartig vor sich gehen - er kann sich an diese Wirklichkeitsbewältigung nicht anpassen. Und deswegen bin ich der Meinung, daß die Elektronische Musik deshalb keine Zukunft findet, weil sich der Mensch an diese neue Zukunft nicht rasch genug anpassen kann. Kann sein, daß die Firma Yamaha oder die elektronischen Instrumente irgendwann verschwunden sein werden, weil sich die Menschen an die neuen Möglichkeiten ganz einfach nicht angepaßt haben, auch nicht versucht haben, sich anzupassen.

ZeM: Nach 10 Jahren Elektronischer Musik - welche Bilanz ziehen Sie für sich und dann auch für die jungen Menschen?

K.W.: Die Bilanz ist, wenn man so will, auch für mich persönlich eine großartige, und sie wird es bleiben. Ich selbst habe sozusagen die Möglichkeiten, die uns gegeben worden sind, soweit ich das konnte, voll ausgeschöpft. Die Potentialität, die sich einfach ergeben hat durch die Instrumente, konnte tatsächlich durch die neuen Instrumente immer wieder in Aktion gesetzt und immer wieder ausgefüllt werden. Nur, das Tragische ist, daß die meisten Menschen, auch junge, diese Entwicklung gar nicht mitvollziehen wollen. Sie sind gar nicht gewillt und vielleicht auch nicht in der Lage, diese neuen Möglichkeiten für eine eigene künstlerische Arbeit anzerkennen und überhaupt einmal umzusetzen. Der Grund mag der sein, daß die Kommunikation, und das ist eine Grunderfahrung der 10 Jahre, mit anderen Hörern nicht in dem Maße gegeben war und auch nicht gegeben sein wird, wie man sie sich vielleicht wünscht. Ich persönlich habe das inzwischen akzeptiert, denn ich weiß, daß der Mensch diese Kommunikation gar nicht haben kann, weil er in diesen neuen Medien noch nicht geschult ist und auch nicht gewillt ist, sie ohne Schulung und ohne neue Erkenntnis zu übernehmen. Ich glaube auch nicht, daß der sinnliche Reiz solcher unbekannten Klänge so stark ist, daß man davon in jedem Falle fasziniert ist. Offenbar lebt der sogenannte natürliche Mensch immer von dem, was er irgendwie kennt. Und das Unbekannte wirkt auf ihn letztlich nicht befreiend, sondern eher nur beklemmend.

ZeM: Immerhin gibt es einige Personen, die beispielsweise von den Klängen des DX7 so fasziniert waren, daß sie angefangen haben, Elektronische Musik zu machen. Wie kommt es, daß dennoch die meisten jungen Menschen davon nicht so fasziniert sind?

K.W.: Es ist klar, daß viele Menschen begeistert sind von der Sache. Und denen braucht man es überhaupt nicht zu sagen. Sie erkennen das, genauso wie ich das vor 10 Jahren automatisch und instinktiv erkannt habe. Ich möchte diese Menschen fast als unnormal bezeichnen, als Menschen, die in der Lage sind, eine solche Rezeption aufzunehmen. Aber die Mehrheit ist offenbar dazu nicht in der Lage, und die Frage ist, ob wir in unserer Arbeit diese Menschen dazu bringen können, ob wir dazu missionieren müssen oder ob wir dazu ein hervorragendes pädagogisch-didaktisches Konzept entwickeln müssen, ob wir einfach mal warten müssen, bis die Zeitläufe für uns günstiger sind. Diese Frage ist noch nicht entschieden. Ich bin auch zutiefst davon überzeugt, daß es im Moment tatsächlich bei den jungen Menschen 10 Prozent gibt, die von den DX7-Klängen und dieser Art Musik restlos fasziniert sind. Nur, wenn wir Öffentlichkeitsarbeit machen wollen, geht es nicht nur um 5 bis 10 Prozent, sondern wir müssen uns an eine Mehrheit wenden. Und die wird unserer Arbeit nach wie vor sehr reserviert gegenüberstehen.

ZeM: Wie, glauben Sie, kann man die Mehrheit begeistern?

K.W.: Wie ich eben schon sagte, durch eine Missionierungstechnik oder durch charismatische Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Person auf andere so wirken, daß plötzlich das, was bisher abgelehnt wurde, auf einmal in aller Munde und in aller Ohren ist.

ZeM: Und was würden Sie den 10% jungen Menschen empfehlen, die einsteigen wollen in Elektronische Musik und nicht genau wissen, woran sie sich orientieren sollen?

K.W.: Denen würde ich empfehlen, tatsächlich zu versuchen, ein solches Konzept zu entwerfen und nicht nur im stillen Kämmerlein zu arbeiten und im stillen Kämmerlein begeistert zu sein, sondern sich mit Freunden zusammenzutun, die auch begeistert sind. Dann immer wieder in Konzerten, Vorführungen und Workshops usw. auf die großartigen Möglichkeiten dieser neuen Technologie hinzuweisen und damit den Menschen von einem rezeptiven zu einem kreativen Verhalten zu führen.

ZeM: Ich nehme an, daß auch Sie ganz am Anfang die Elektronische Musik in Ihrem stillen Kämmerlein vollzogen haben. Wann traten Sie denn damit das erste mal an die Öffentlichkeit?

K.W.: Eigentlich sehr bald. Jede Produktion war bei mir als Musiker, der eine sogenannte Außenwirkung haben muß, nie für sich selbst, man spielt nie für sich selbst. Schon immer war dieser Gedanke da, etwas der Öffentlichkeit vorzustellen. Und deswegen sind wir bereits ein dreiviertel Jahr nach Anschaffung des Logik in Offenburg in einer Kirche, in der ich damals Organist war, mit Produktionen am Logik, mit dem Jupiter4 und mit dem Teisco an die Öffentlichkeit getreten. Ich glaube, daß man sich in meinem Alter etwas zurückziehen wird, daß aber im Grunde genommen jeder Produzent Elektronischer Musik immer daran denken sollte, im kleinen oder im großen Kreis seine sogenannten Werke oder Stücke oder Produktionen an die Öffentlichkeit zu bringen.

ZeM: Sie geben auch Kurse in Synthesizer bzw. Synthesizerprogrammierung an der PH. Wann begann denn das?

K.W.: Schon, sobald der Logik und der AKS angeschafft waren. Die Geräte wurden an die PH transportiert, und wenn ich mich recht erinnere, ist schon im Jahre 84 mit etwa zehn Studenten ein erster Kurs in Musikelektronik/Soundelektronik durchgeführt worden. Ob allerdings Geräte daraufhin gekauft worden sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls sind die ersten Instrumente dann gekauft worden, als Instrumente mit Tastaturen im digitalen Bereich, also wie der DX7, angeboten wurden. Der DX7 wird übrigens bis heute gekauft. Da ich gerade nach Kursen gefragt wurde, wir haben jetzt an der PH drei Studierende, die sich also sechs Jahre nach der Erzeugung des DX7 ein solches Instrument antiquarisch gekauft haben und damit spielen wollen.

ZeM: Wurden Sie denn von der Hochschule bzw. von Ihren Musikerkollegen in irgendeiner Weise unterstützt?

K.W.: Eigentlich in keiner Weise. Einmal ist vor etwa 8 Jahren ein kleines System 100M gekauft worden, aber das ist bereits vor der Entstehung der Elektronik beantragt worden. Und in Stuttgart hat man das Wort Synthesizer gelesen und dann gedacht, es ist wohl etwas Neues und müßte gekauft werden. Das Gerät steht inzwischen unter dem Tisch. Seitdem ist nichts angeschafft worden, und ich bin auch in keiner Weise von Kollegenkreisen und Hochschulkreisen bei der Arbeit unterstützt worden, ganz einfach wohl deshalb, weil sich die meisten bei dieser Arbeit nichts oder nur etwas sehr Abstruses vorstellen können.

ZeM: Wie ist die Resonanz von den Studenten her?

K.W.: Die Resonanz bei den Studenten hat ständig zugenommen. Heute kann man sagen, daß 5 bis 10 Prozent von der Sache wissen und auch willens sind, in dieser Angelegenheit zu arbeiten, zum Teil auch deshalb, weil sie nun wissen, daß eine Lehrkraft für dieses Fach an der PH Freiburg da ist.

ZeM: Aus diesen 5-10 Prozent ist ja ZeM entstanden.

K.W.: Ja, richtig. Es sind insbesondere zwei bis drei Namen, die das förderten. Inzwischen ist eine gewissen Diskrepanz entstanden: Die einen wollen an der PH Elektronische Musik studieren, die anderen gehen zu ZeM und ZeM College. Wir hoffen, daß wir da einen gemeinsamen Nenner im Laufe der nächsten Jahre finden werden. Mein persönlicher Wunsch ist, daß die Arbeit von der PH letztlich zum ZeM College als einer eigenen Institution hinübergelegt wird.

ZeM: Vielen Dank für das Gespräch.

[ZeM Mitteilungsblatt Nr. 7 - Juni 1992, S. 8ff]

 


Klaus Weinhold an der großen Orgel und am Synthesizer (Jupiter-10) in der Stadtkirche Offenburg, Sommer 1982
[diese Fotografie wurde bei der Printversion in ausgewählte Hefte mit eingeklebt]


 

Rückseite


© ZeM e.V. | ZeM Sonderausgabe - Juni 1994

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